Die Verwaltungsbehörde beabsichtigte, dem Betroffenen einen Bußgeldbescheid zustellen. Auf Grund einer unleserlich ausgefüllten polizeilichen Anzeige verwendete sie einen falschen Vornamen und eine falsche (nicht existierende) Straße im Wohnort des Betroffenen. Auch die Zustellungsurkunde lautete auf den falschen Vornamen und die falsche Straße, wo der Bescheid in einen zur Wohnung oder dem Geschäftsraum gehörenden Briefkasten oder in eine ähnliche Vorrichtung eingelegt worden sein soll. Nach Mahnungen, die Geldbuße zu begleichen, erfolgte der Einspruch, welchen die Verwaltungsbehörde als unzulässig verwarf. Das Gericht bejaht zunächst einen wirksamen Bußgeldbescheid: Aus der richtigen Angabe des zweiten Vornamens, des Nachnamens und des Geburtsdatums des Betroffenen ergebe sich, dass sich der Bescheid gerade gegen diesen richten sollte. Allerdings könne nicht von einer ordnungsgemäßen Zustellung ausgegangen werden, da die angegebene Adresse nicht existiere.

AG St. Ingbert, Beschluss vom 04.01.2022 – 23 OWi 3473/21

Der Verwerfungsbescheid des Landesverwaltungsamtes des Saarlandes – Zentrale Bußgeldbehörde St. Ingbert vom 29.04.2021, Az. …, wird aufgehoben.

Die Kosten sowie die notwendigen Auslagen des Antragstellers werden der Staatskasse auferlegt.

Gründe:

Der Antrag ist zulässig und begründet.

Das Gericht überprüft die Rechtmäßigkeit der angegriffenen Maßnahme in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht vollständig.

Der Verwerfungsbescheid ist vorliegend rechtmäßig ergangen, aber nicht wirksam zugestellt. Die Einspruchsfrist hat nicht zu laufen begonnen.

Nach § 67 I 1 OWiG kann der Betroffene gegen den Bußgeldbescheid innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung schriftlich oder zur Niederschrift bei der Verwaltungsbehörde Einspruch einlegen. Die Frist beginnt mit der Zustellung des Bußgeldbescheids an den Betroffenen.

Vorliegend ist der Bußgeldbescheid nach § 66 1 Nr. 1 OWiG wirksam. “Hinsichtlich des Betroffenen, also der Person gegen sich der Vorwurf des Bußgeldbescheids richtet, sind zunächst der Familienname, der Vorname und ggf. auch der Geburtsname aufzunehmen. Hinzu treten der Wohnort und die Wohnanschrift so wie das Geburtsdatum und der Geburtsort (Göhler/Seitz/Bauer OWiG § 66 Rn. 4; KK-OWiG/Kurz OWiG § 66 Rn. 3). Mit diesen Angaben ist eine Identifikation des Betroffenen in ausreichendem Maße sichergestellt” (Sackreuther, in: Graf, BeckOK OWiG, 32. Edition, Stand 01.10.2021, § 66 Rn. 7). “Oftmals können die Identitätszweifel indes behoben werden, wenn die vorhandenen zutreffenden Inhalte des Bußgeldbescheids [ … ] eine Identifikation des tatsächlich Betroffenen zulassen” (Sackreuther, in: Graf, BeckOK OWiG, 32. Edition, Stand 01.10.2021, § 66 Rn. 16). Vorliegend wurde der erste Vorname des Betroffenen falsch angegeben. Statt E. hat die Behörde G. als erste Vornamen notiert. Daneben wurde als Adresse statt Zum Wä. 10 fälschlicherweise zum We. 10 angegeben. Dies ergibt sich offensichtlich aus der unleserliche Schrift auf der Ordnungswidrigkeitenanzeige (Bl. 12, 13 d.A.). Es ist aber aus dem weiteren Akteninhalt offensichtlich, dass der Bußgeldbescheid sich gegen den Betroffenen richten soll, was sich aus der richtigen Angabe des zweiten Vornamens, des Nachnamens sowie des Geburtsdatums ergibt. Auch ist erkennbar, dass die Adresse ebenfalls aufgrund eines Ablesefehlers falsch angegeben wurde.

Aufgrund der falsche Angabe der Adresse ist von einer fehlerhaften Zustellung auszugehen, die Einspruchsfrist läuft demnach nicht (Sackreuther, in: Graf, BeckOK OWiG, 32. Edition, Stand 01.10.2021, § 66 Rn. 14; Seitz/Bauer, in; Göhler, OWiG, 18. Aufl. 2021, § 51 Rn. 4b) Für das Zustellungsverfahren gelten nach § 51 I 1 OWiG die Vorschriften über das Verwaltungszustellungsgesetz. Nach § 51 II OWiG wird ein Bescheid dem Betroffenen zugestellt. Die Zustellungsarten sind in den §§ 3-5a VwZG geregelt. Vorliegend hat die Verwaltungsbehörde die Zustellung nach § 3 VwZG durch die Post mit Zustellungsurkunde gewählt, laut Zustellungsurkunde (Bl. 19-21 d.A.) wurde dem Betroffenen der Bußgeldbescheid vom 15.12.2020 (Bl. 17 d.A.) am 18.12.2020 zugestellt.

Für die Ausführung der Zustellung gelten die §§ 177 bis 182 der Zivilprozessordnung entsprechend gemäß § 3 II 1 VwZG. Ist die Zustellung nach § 178 1 Nr. 1 oder 2 nicht ausführbar, kann das Schriftstück gemäß § 180 ZPO in einen zu der Wohnung oder dem Geschäftsraum gehörenden Briefkasten oder in eine ähnliche Vorrichtung eingelegt werden, die der Adressat für den Postempfang eingerichtet hat und die in der allgemein üblichen Art für eine sichere Aufbewahrung geeignet ist. Mit der Einlegung gilt das Schriftstück als zugestellt. Der Zusteller vermerkt auf dem Umschlag des zuzustellenden Schriftstücks das Datum der Zustellung.

Der Umschlag mit dem für den Empfänger [ … ] bestimmten Dokument ist zu versehen und mit dessen Anschrift, der Bezeichnung der absendenden VB sowie einer Geschäftsnummer, die mit der auf der Zustellungsurkunde identisch sein muss” (Seitz/Bauer, in: Göhler, OWiG, 18. Aufl. 2021, § 51 Rn. 9). Eine Ersatzzustellung nach § 180 S. 1 ZPO setzt voraus, “dass die Räume von dem Adressaten tatsächlich als Geschäftsraum genutzt werden”, gleiches gilt auch für Wohnräume (hierzu BGH, Beschl. v. 22.10.2009 – Az. IX ZB 248/08, juris Rn. 15; für die vergleichbare Rechtslage bei der Wohnung vgl. etwa BGH, Urt. v. 14.9.2004 – Az. XI ZR 248/03, NJW-RR 2005, 415).

Die Adresse zum W. 10 existiert in W. nicht, sodass trotz Zustellungsurkunde nicht von einer ordnungsgemäßen Zustellung ausgegangen werden kann, denn die Zustellungsurkunde ist in wesentlichen Punkte unrichtig (Seitz/Bauer, in: Göhler, OWiG, 18. Aufl. 2021, § 51 Rn. 50, 20).

Kenntnis hat der Anwalt des Betroffenen von dem Bußgeldbescheid erst durch die gewährte Akteneinsicht zwischen dem 09.03.2021 und dem 13.03.2021 erlangt, wobei hierdurch keine Heilung nach § 189 ZPO eingetreten ist, da der Anwalt dem Betroffenen die Akte nicht weitergeleitet hat.

Diese Entscheidung ist nach § 62 II OWiG nicht anfechtbar.

Die Kostenentscheidung beruht auf den § 46 OWiG, § 467 1 StPO.

Mitgeteilt von Rechtsanwälte Zimmer-Gratz, Bous.