Der Ehemann der Klägerin befuhr mit dieser in seinem Pkw eine mehrspurige Straße in München und musste, als er den Fahrstreifen wechselte, bremsen. Dabei fuhr die Beklagte zu 1 mit ihrem Pkw auf den des Ehemannes der Klägerin auf. Die Klägerin, welche zu diesem Zeitpunkt auf dem Beifahrersitz saß und auf der Suche nach heruntergefallenen Gegenständen in den Fußraum gebeugt war, wurde dabei verletzt.

Nach dem OLG München muss sich die Klägerin, welche gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung von Schmerzensgeld aus § 7 Abs. 1 StVG habe, in dieser Situation ein etwaiges Verschulden ihres Ehemannes als Fahrzeugführer und -halter nicht zurechnen lassen. Da auf Grund der Sitzhaltung allerdings die Schutzfunktion des Gurtes vollständig aufgehoben gewesen sei, müsse sich die Klägerin ein Mitverschulden in Höhe von 40 % anrechnen lassen.

OLG München, Urteil vom 12.01.2018 – 10 U 2718/15

1. Auf die Berufung der Klägerin vom 28.07.2015 wird das Endurteil des LG München I vom 06.07.2015 (Az. 19 O 16095/14) in Nr. I. und II. abgeändert und wie folgt neu gefasst:

I.1. Die Beklagten werden verurteilt, samtverbindlich an die Klägerin 2.686,96 € sowie weitere 950,00 € Schmerzensgeld nebst Zinsen jeweils hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 16.01.2014 zu bezahlen.

I.2. Die Beklagten werden verurteilt, samtverbindlich an die Klägerin vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 413,64 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 06.07.2014 zu bezahlen.

I.3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

II. Von den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz tragen die Klägerin 72 % und die Beklagten samtverbindlich 28 %.

Im Übrigen wird die Berufung der Klägerin zurückgewiesen.

2. Von den Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Klägerin 72 % und die Beklagten samtverbindlich 28 %.

3. Das Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

A.

Von der Darstellung der tatsächlichen Feststellungen wird abgesehen (§§ 540 II, 313 a I 1 ZPO i. Verb. m. § 26 Nr. 8 EGZPO).

B.

Die statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte und begründete, somit zulässige Berufung hat in der Sache teilweise Erfolg.

I. Das Landgericht hat zu Unrecht einen Anspruch der Klägerin auf Schadensersatz verneint.

1. Die Klägerin kann dem Grunde nach 60 % der ihr entstandenen materiellen Schäden und die immateriellen Schäden unter Berücksichtigung eines Mitverschuldens von 40 % ersetzt verlangen.

Die Klägerin wurde nach dem Ergebnis der vom Senat erholten Sachverständigengutachten am 27.08.2013 gegen 17.45 Uhr an Körper und Gesundheit verletzt. Der Ehemann der Klägerin fuhr mit seinem Pkw Renault Scenic, amtl. Kennzeichen …48 auf der T.straße in München, er wechselte die Spur nach links in den benachbarten Fahrstreifen, wo die Beklagte zu 1) mit ihrem Pkw Renault Twingo, amtl. Kennzeichen …90 fuhr. Der Ehemann der Klägerin bremste, weil der Pkw vor ihm bremste, die Beklagten zu 1) fuhr auf den Pkw des Ehemanns der Klägerin auf. Seine Beifahrerin, die Klägerin, die nicht Halterin des Pkw Scenic ist, war gerade suchend nach hinuntergefallen Gegenständen in den Fußraum gebeugt. Die Haftung der Beklagten folgt unabhängig von der Frage etwaigen Verschuldens der Fahrzeugführer der beiden beteiligten Fahrzeuge bereits aus der Betriebsgefahr (§ 7 I StVG). Umstände, aus denen sich ergeben könnte, dass sich der Unfall für die Beklagte zu 1) als höhere Gewalt i.S.v. § 7 II StVG darstellen könnte, sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Die Klägerin als Beifahrerin muss sich insbesondere ein etwaiges Verschulden „ihres“ Fahrers nicht zurechnen lassen. Um einem Beifahrer ein Fehlverhalten des Fahrers zurechnen zu können, bedarf es einer Rechtsgrundlage. Derartiges ist nicht erkennbar; denn der Zeuge S. ist weder Erfüllungsgehilfe noch gesetzlicher Vertreter der Klägerin gewesen, so dass schon deshalb eine Zurechnung nach den §§ 254 II 2, 278 BGB ausscheidet. Es ermangelt einer vertraglichen Sonderbeziehung der Klägerin zu den Beklagten zum Unfallzeitpunkt. Ebenso wenig war der Ehemann ein weisungsgebundener „Verrichtungsgehilfe“ i.S.d. § 831 BGB. Dass es sich beim Fahrer um den Ehemann handelte, genügt nicht für eine Zurechnung (vgl. BGH NJW 1961, 1966; NZV 2007, 610; KG, NZV 1995, 109; VRS 116, 183; MDR 2010, 1318).

Der Sachverständige Dipl.-Ing. L., von dessen hervorragender Sachkunde sich der Senat an Hand einer Vielzahl erholter Gutachten und Anhörungen vor dem Senat überzeugen konnte, hat in seinem Gutachten vom 15.09.2016 (Bl. 102/187 d.A.) ausgeführt: Unter Berücksichtigung der Sitzposition der Klägerin, die deutlich nach vorn gebeugt war mit dem Oberkörper auf den Oberschenkeln und den Armen im Fußraum, stieß der linke Arm/Ellbogen mit 5,7 km/h – 7,9 km/h gegen die Mittelkonsole. Die Beschleunigung im Kopf/Nackenbereich 13 m/sek.² und im Bereich des Oberkörpers betrug 18,7 m/s², was in etwa einer doppelten Vollbremsung entspricht.

Der Sachverständige Dr. H., von dessen hervorragender Sachkunde sich der Senat ebenfalls an Hand einer Vielzahl erholter Gutachten und Anhörungen vor dem Senat überzeugen konnte, gelangt in seinem Gutachten vom 13.02.2017 (Bl. 193/226 d.A.) unter Berücksichtigung der Ergebnisse des Sachverständigen L. zu dem Ergebnis, dass angesichts der extrem nach vorne geneigten Sitzposition ein primärer Anstoß des Kopfes gegen das Armaturenbrett plausibel ist und die Klägerin dann mit dem linken Ellbogen gegen die Mittelkonsole schleuderte. Die tatsächlich von den behandelnden Ärzten attestierte Arbeitsunfähigkeit noch am 10.04.2014 lässt sich zwar medizinisch nicht begründen. Die Klägerin erlitt unfallbedingt ein eingekapseltes Hämatom in Höhe des distalen Unterarmes mit Resteinblutung, eine Arbeitsunfähigkeit kommt üblicherweise für 1 – 6 Wochen in Betracht. Die Klägerin ist zwar Linkshänderin und hatte eine Bürotätigkeit mit einer Arbeitszeit von 10 Wochenstunden auszuüben, wobei diese auch mit dem Heben teils schwerer Akten über Schulterhöhe verbunden ist, wie die Klägerin anlässlich ihrer informatorischen Anhörung vor dem Senat am 12.01.2018 glaubhaft bekundete. Der Sachverständige führte anlässlich der Erläuterung seines Gutachtens im Termin vom 01.12.2018 aus, dass bei der hier gegebenen konservativen Behandlung und einer belastenden Benutzung (die Klägerin hat ja nach Angaben ihres Ehemannes auch nach ihrer Verletzung weiterhin Haushaltstätigkeit ausgeübt) auch des linken Armes trotz des Hämatoms eine verzögerte Ausheilung sowie Schmerzen und eine Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit über einen Zeitraum von 4 Monaten plausibel erscheinen, während für die leichte Schädelprellung und die leichte HWS-Distorsion QTF I von einer Ausheilung üblicherweise nach 2 – 3 Wochen auszugehen ist, und insgesamt keine Spätfolgen zu erwarten sind. Wie sich aus dem Gutachten des Sachverständigen Dr. H. ergibt, war wegen der besonderen Sitzhaltung die Schutzfunktion des Gurtes vollständig aufgehoben. Dafür, dass die Verletzungen, insbesondere die die Klägerin länger belastende Schädelprellung und das Hämatom als die schwersten der erlittenen Verletzungen der Klägerin auch bei üblicher Sitzhaltung und dann gegebener Rückhaltefunktion aufgetreten wären, besteht kein Anhaltspunkt. Die nicht ordnungsgemäße Verwendung des Sicherungssystems begründet wie das Nichtanschnallen ein Mitverschulden i.S.d. §§ 254 I BGB, 9 StVG (grdl. BGHZ 74, 25 ff.), welches der Senat vorliegend mit 40 % bewertet (vgl. LG Osnabrück VersR 1982, 255), da sich gerade in der Aufhebung der Schutzfunktion des Gurtes die schweren Verletzungen der Klägerin realisierten.

2. Schadenshöhe:

a) Schmerzensgeld: Unter Berücksichtigung der Dauer der medizinisch begründbaren Arbeitsunfähigkeit und der zeitlich deutlich darüber hinausreichenden Schmerzen und Beeinträchtigungen insbesondere durch das eingekapselte Hämatom sowie des Mitverschuldens erscheint dem Senat angesichts der folgenlosen Ausheilung ein Schmerzensgeld von 1.200 € angemessen, abzüglich der bereits bezahlten 250,00 € verbleiben noch 950,00 €.

b) Verdienstausfall: Die Höhe des Verdienstausfalls nach Ende des Lohnfortzahlungszeitraums bis 31.12.2013 nach Abzug von Krankengeld ist mit 4.041,70 € vorgetragen, Einwände haben die Beklagten insoweit nicht erhoben. Auf Grund der Angaben der Klägerin auch zur Dauer der Beschwerden und ihrer konkreten Tätigkeit als Bürokauffrau und dem Ergebnis des Sachverständigen, wonach Schmerzen und Beeinträchtigungen über einen Zeitraum von 4 Monaten plausibel erscheinen, durfte die Klägerin auf die attestierte Arbeitsunfähigkeit bis Ende 2013 vorliegend vertrauen, obwohl nach den Bekundungen des Sachverständigen eine vollständige Arbeitsunfähigkeit über 6 Wochen hinaus medizinisch nicht begründbar ist. Unter Berücksichtigung des Mitverschuldens errechnen sich 2.425,02 €.

c) Haushaltsführungsschaden: Die durchschnittliche tägliche Arbeitszeit der Klägerin im Haushalt betrug ihren Angaben nach 1,25 h, mithin wöchentlich 8,75 h. Die Aufteilung zwischen den Eheleuten erfolgte nach Angaben des Zeugen S. hälftig (insgesamt somit 17,5 h wöchentlich). Der Ehemann der Klägerin führte während der unfallbedingten Erkrankung etwa 80 % der gesamten Haushaltstätigkeit aus. Der Senat geht nach der ergänzenden Anhörung des Sachverständigen Dr. H. von einer MdH in den ersten 6 Wochen von 60%, für weitere 4 Wochen von 40 % und sodann von 20 % aus. Letzter Zeitraum bleibt ersatzlos, da bei einer Beeinträchtigung im Umfang von 20 % vorliegend von einer Kompensation auszugehen ist. Bei einem Stundensatz von 8,00 € (ständige Rechtsprechung des Senats) und einer Ausfallzeit von 45,5 h errechnen sich 364 €, gekürzt um das Mitverschulden besteht ein Anspruch von 218,40 €.

d) Unkostenpauschale (25 €) und Attestkosten ergeben, um das Mitverschulden gekürzt, weitere 43,54 €.

3. Unter Ansatz einer 1,3-Gebühr errechnen sich die vorgerichtlichen Anwaltskosten wie tenoriert.

II. Die Kostenentscheidungen beruhen jeweils auf §§ 92 I 1 Fall 2, 100 IV ZPO

III. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO i. Verb. m. § 26 Nr. 8 EGZPO.

IV. Die Revision war nicht zuzulassen. Gründe, die die Zulassung der Revision gem. § 543 II 1 ZPO rechtfertigen würden, sind nicht gegeben. Mit Rücksicht darauf, dass die Entscheidung einen Einzelfall betrifft, ohne von der höchst- oder obergerichtlichen Rechtsprechung abzuweichen, kommt der Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung zu noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts.