Dass das Führen und ggf. Herausgeben (an Betroffene oder Verteidiger) von Lebensakten in den Bundesländern unterschiedlich gehandhabt wird, ebenso wie die Herausgabe verschiedener Messdaten, wurde hier bereits erwähnt. In Rheinland-Pfalz weist das Polizeipräsidium Rheinpfalz (Zentrale Bußgeldstelle) Verteidiger regelmäßig darauf hin, dass Lebensakten nicht geführt werden müssen und auch keine entsprechenden Unterlagen zu den verwendeten Messgeräten existieren. Diese Problematik war schon Gegenstand einer Entscheidung des AG Kaiserslautern, das sich außer der Lebensakte, die mangels Führung nicht herausgegeben werden konnte, auch mit der Einsicht des Verteidigers in die gesamte Messreihe beschäftigt und einen dahingehenden Anspruch bejaht hat. Ähnlich hat nun das AG Pirmasens entschieden: Die Polizeibehörde muss die komplette Messserie einer Geschwindigkeitsmessung in unverschlüsselter Form herausgeben. Die Herausgabe der Lebensakte sei, da sie nicht existiere (und laut Auskunft der PTB auch nicht existieren müsse…), der Behörde hingegen unmöglich. Auch Unterlagen zu Reparaturen könnten nicht herausgegeben werden, weil von deren Existenz ebenfalls nicht (mehr) auszugehen sei (AG Pirmasens, Beschluss vom 05.10.2016 – 2 OWi 467/16).

1. Dem Polizeipräsidium Rheinpfalz – Zentrale Bußgeldstelle in 67346 Speyer- wird aufgegeben, die Rohmessdaten in unverschlüsselter Form bezüglich der folgenden Messreihe mit dem Gerät ES 3.0 an den Betroffenen herauszugeben: Messreihe … am … um Uhr, Pirmasens B10, Fahrtrichtung Zweibrücken in Höhe Waldfriedhof.

2. Die Herausgabe zu Ziffer 1 darf auch direkt an den Verteidiger oder an ein von ihm benanntes Sachverständigenbüro erfolgen.

3. Soweit die Betroffene beantragt hat, ihr eine Kopie der Lebensakte des verwendeten Messgerätes zur Verfügung zu stellen, wird der Antrag als unbegründet abgelehnt.

Gründe:

Zu 1.
Der Betroffenen wird vorgeworfen am … um … Uhr die B 10 in Pirmasens Fahrtrichtung Zweibrücken in Höhe des Waldfriedhofes als Fahrerin des Pkw, amtliches Kennzeichen … befahren zu haben und hierbei die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h um 26 km/h (nach Toleranzabzug) überschritten zu haben.

Der Verteidiger der Betroffenen hat im Rahmen eines Antrages auf gerichtliche Entscheidung beantragt, der Bußgeldbehörde aufzugeben, der Verteidigung die unverschlüsselten Rohmessdaten der Messreihe dieses Tages zur Verfügung zu stellen. Nur so könne die Messung auf ihre Ordnungsgemäßheit überprüft werden.

Dem Antrag auf Herausgabe der unverschlüsselten Rohmessdaten war stattzugeben.

Die Messrohdaten sind Grundlage und originäres, unveränderliches Beweismittel der Geschwindigkeitsmessung und dem Betroffenen auf dessen Wunsch hin zugänglich zu machen (Cierniak, ZfSch 2012, 664ff; AG Kassel, Beschluss vom 27.02.2015, Az.: 381 Owi 9673 Js 32833/14). Nur auf diese Weise kann der Betroffene die Messung überprüfen. Es steht einer Privatfirma nicht zu, die Speicherung der Rohdaten und deren Verschlüsselung vorzunehmen und damit einzige Verfügungsbefugte der Rohdaten zu sein und sich hierdurch die Nutzung der Daten vorzubehalten, so dass Sachverständige auf die Daten nicht zugreifen können. Die Befugnis, über die Messdaten zu verfügen, steht der Polizeibehörde zu, die diese Daten erzeugt und gespeichert hat und sie demzufolge auch sachverständig auswerten lassen kann (vgl. OLG Naumburg, Urteil vom 27.08.2014, Az.: 6 U 3/14).

Zu 3.
Der Antrag auf Herausgabe der Kopie einer Lebensakte war hingegen abzulehnen.

Das Führen einer Lebensakte ist nach der Stellungnahme der Zulassungsbehörde PTB vom Januar 2014 (BI. 53 d.A.) nicht erforderlich. Nach Mitteilung der Bußgeldbehörde wird tatsächlich auch keine Lebensakte geführt, sodass eine solche auch nicht herausgegeben werden kann (vgl. statt vieler: OLG Celle, Beschluss vom 28.03.2013, AZ. 311 SsRs 9/13, zitiert bei juris). Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist auf die Zurverfügungstellung einer Kopie der Lebensakte gerichtet (BI. 46 d.A.). Die sog. Lebensakte soll eichrelevante Vorgänge wie Reparaturen dokumentieren. Da nach Mitteilung der Bußgeldbehörde eine Lebensakte nicht geführt wird, ist auch nicht davon auszugehen, dass entsprechende Unterlagen vorhanden sind. Der Antrag ist damit auf eine unmögliche Leistung gerichtet.