Zum Glück gibt es noch solche Entscheidungen wie die heute vorgestellte des AG Bitburg, durch welche der Verteidigerin Einsicht in alle relevanten Unterlagen bei einem Geschwindigkeitsmessung im standardisierten Verfahren gewährt worden ist. Manche Messfehler, so das AG, erschließen sich erst bei Einsicht in die ganze Messreihe. Ob Fehler tatsächlich vorliegen, “kann erst nach Einsichtnahme beurteilt werden – und erst dann ist die Verteidigung in der Lage, tatsachenfundierten Vortrag hinsichtlich des Vorliegens eines möglichen Messfehlers zu halten” – viel mehr gibt es dazu nicht zu sagen. Hinsichtlich der Einsicht in Lebensakte/Wartungsunterlagen sollte, zumindest beim AG Bitburg, angegeben werden, was genau damit gemeint ist und eingesehen werden soll. Als Alternative könne die Einsicht in Nachweise gemäß § 31 Abs. 2 Nr. 4 MessEG beantragt werden.

AG Bitburg, Beschluss vom 27.06.2018 – 3 OWi 66/18

Verteidiger: Rechtsanwältin Janine Redmer-Rupp, Burgstraße 2, 50321 Brühl 

1. Auf den Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 29.05.2018 hin wird die Verwaltungsbehörde Polizeipräsidium Rheinpfalz, Zentrale Bußgeldstelle, Maximilianstr. 6, 67346 Speyer verpflichtet, der Verteidigerin die komplette Messreihe der Messung vom 30.03.2018, Archivname 4-180330-1-01, in elektronischer Form auf einem von dieser zur Verfügung zu stellenden Datenträger (z.B. CD-R, DVD-R, USB-Stick) zur Verfügung zu stellen.

2. Weiterhin wird die Verwaltungsbehörde verpflichtet, der Verteidigerin Auskunft zu erteilen, ob seit der letzten Eichung am 28.11.2017 bis zum 30.05.2018 Wartungen, Reparaturen oder sonstige Eingriffe, einschließlich solcher durch elektronisch vorgenommene Maßnahmen, an dem Messgerät ES 3.0 mit der Fabrik-Nr. 5625 vorgenommen wurden. Bejahendenfalls sind dem Verteidiger die entsprechenden Nachweise in Kopie zu überlassen.

3. Der weitergehende Antrag wird abgelehnt.

4. Die Verwaltungsbehörde hat 75% der Kosten des Verfahrens und der notwendigen Auslagen des Antragstellers … zu tragen, der Antragsteller hat 25% der Kosten des Verfahrens und seiner notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe:

Der zulässige Antrag auf gerichtliche Entscheidung gegen den Bescheid vom 23.05.2018, mit welchem die Verwaltungsbehörde die Überlassung der Messbilder der gesamten Messreihe und die Vorlage von Nachweisen über Rechnungen oder Belege von Reparaturen abgelehnt hat, ist überwiegend begründet.

Begründet ist der Antrag auf gerichtliche Entscheidung zunächst hinsichtlich der Überlassung der Messreihe nebst Token und Passwort. Zwar ist die gesamte Messreihe noch kein Aktenbestandteil, allerdings ist die Verwaltungsbehörde – aus den Grundsätzen des fairen Verfahrens (Art. 6 I EMRK) grundsätzlich verpflichtet, alle maßgeblichen in ihrem Besitz befindlichen Beweismittel, die die Betroffene be- oder entlasten, der Verteidigung gegenüber offenzulegen (vgl. EGMR Entscheidung v. 04.05.2010- 11603/06- Rn 53 bei juris). Insoweit ist sie auch verpflichtet, der Verteidigung auf deren Anforderung hin die komplette Messreihe zur Verfügung zu stellen. Denn es ist offenkundig, dass lediglich die Einsicht in die komplette Messreihe bestimmte Fehlerquellen eines mobilen Messgerätes (wie z.B. eine Positionsänderung / Drehung des Messgerätes im Verlaufe der Messreihe) offenbaren kann und insoweit auch die weiteren Messbilder als Beweismittel im Verfahren gegen den Betroffenen in Betracht kommen können. Ob dies tatsächlich so ist, kann erst nach Einsichtnahme beurteilt werden – und erst dann ist die Verteidigung in der Lage, tatsachenfundierten Vortrag hinsichtlich des Vorliegens eines möglichen Messfehlers zu halten.

Angesichts der noch überschaubaren Menge von insgesamt 692 Messungen und der aus diversen Verfahren gerichtsbekannten Größe der von dem Messgerät ES 3.0 erstellten Messdateien von rund 1 MB erscheint es der Verwaltungsbehörde auch noch zuzumuten, die Messdateien auf einen von der Verteidigung zu stellenden Datenträger zu kopieren.

Soweit mit dem Antrag auf gerichtliche Entscheidung “Einsicht in die Geräteunterlagen zum Messgerät” begehrt wird, ist dieser Antrag zurückzuweisen. Denn insoweit wird schon nicht deutlich, welche Unterlagen über den bereits zur Verfügung gestellten Eichschein hinaus zur Verfügung gestellt werden sollen, soweit angesichts der Ausführungen der Verteidigung in der Antragsbegründung möglicherweise eine „Gerätestammkarte” oder eine “Lebensakte” gemeint sein sollen, sind dies auch letztlich nichtssagende Begriffe, zudem ist eine Relevanz nicht näher bestimmter Geräteunterlagen für die erfolgte Messung weder ersichtlich noch vorgetragen.

Soweit mit dem Antrag auf gerichtliche Entscheidung die „Übersendung von Nachweisen, Reparaturen oder sonstiger Eingriffe am Messgerät, einschließlich solcher durch elektronisch vorgenommener Maßnahmen, für den Zeitraum ab der letzten Eichung des Messgerätes bis zur vorgeworfenen Geschwindigkeitsüberschreitung am 30.03.2018 sowie zwei Monate hiernach” begehrt wird, ist dieser Antrag teilweise begründet. Inhaltlich begehrt die Verteidigung mit diesem Antrag die Überlassung der nach § 31 Abs. 2 Nr. 4 MessEG aufbewahrungspflichtigen Nachweise.

Solche Nachweise sind bis zum Ablauf von 3 Monaten nach Ende der Eichfrist bzw. (sofern sie früher erfolgt) bis zur nächsten Eichung aufzubewahren, können aber auch nur vorgelegt werden, sofern sie vorhanden sind.

Darüber, ob seit der letzten Eichung vom 28.11.2017 Wartungen, Reparaturen oder sonstige Eingriffe an dem bei der Messung der Betroffenen verwendeten Gerät des Typs ES 3.0 mit der Fabrik-Nr. 5625 erfolgt sind, hat sich die Verwaltungsbehörde aber bislang nicht erklärt. Sie hat lediglich ausgeführt, die Rechnungen oder Belege von Reparaturen würden “den Maßgaben nach durch die Polizei aufbewahrt” und sie würden “weiterhin in keinem Fall den Bußgeldakten beigezogen”.

Insoweit ist die Verwaltungsbehörde zu verpflichten, sich zunächst darüber zu erklären, ob überhaupt Wartungen, Reparaturen oder sonstige Eingriffe im Sinne des§ 31 II Nr. 4 MessEG seit der letzten Eichung erfolgt sind – denn nur in diesem Fall können entsprechende Nachweise existieren. Soweit solche Eingriffe erfolgt sind, liegt auf der Hand, dass die Nachweise be- oder entlastende Wirkung haben können und daher als Beweismittel nach den Grundsätzen des fairen Verfahrens (§ 6 1 EMRK) der Verteidigung gegenüber offenzulegen sind (vgl. Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 08. September 2016- (2 Z) 53 Ss-OWi 343/16 (163/16)).

Die Kostenfolge ergibt sich aus §§ 46 OWiG, 473 StPO.

Vielen Dank an Frau Rechtsanwältin Janine Redmer-Rupp, Brühl, für die Zusendung dieser Entscheidung.