lebensakteWie üblich wurde der Antrag der Verteidigung auf Überlassung der kompletten Messserie – Gegenstand des Verfahrens ist ein Geschwindigkeitsverstoß – abgelehnt bzw. mitgeteilt, die Überlassung sei nur auf richterlichen Beschluss möglich. Zur Lebensakte wurde ausgeführt, auch das kennen wir bereits, dass in Rheinland-Pfalz keine Pflicht zur Führung bestehe und daher auch eine Herausgabe nicht möglich sei. Beides hat das AG Trier nicht überzeugt, das in einem umfangreich begründeten Beschluss erklärt, weshalb die Verwaltungsbehörde die komplette PoliScan Speed-Messreihe sowie die Token-Datei und das Passwort der Verteidigerin zukommen lassen muss. Bei der Lebensakte geht es einen anderen Weg als das AG Kaiserslautern und das AG Pirmasens: Da eine Lebensakte nach Auskunft der Behörde nicht geführt wird, seien quasi als Minus zu dieser die Wartungs-, Instandsetzungs- und Eichnachweise des Messgeräts seit der ersten Inbetriebnahme zur Verfügung zu stellen; jedenfalls dann, wenn dies wie vorliegend hilfsweise beantragt wurde (AG Trier, Beschluss vom 25.10.2016 – 35 OWi 780/16).

In dem Bußgeldverfahren gegen …

Verteidiger: Rechtsanwältin Monika Zimmer-Gratz, Winkelstraße 24, 66359 Bous

wegen Antrag auf gerichtliche Entscheidung

hat das Amtsgericht Trier durch die Richterin … am 25.10.2016 beschlossen:

1. Die Verwaltungsbehörde wird angewiesen, der Verteidigerin die digitalen Falldatensätze (PoliScan Speed, TUFF-Dateien) der Messerie des Betroffenen mit Token-Datei und Passwort sowie die Wartungs-, Instandsetzungs- und Eichnachweise des Messgeräts seit der ersten Inbetriebnahme zur Verfügung zu stellen.

2. Die Kosten des Verfahrens auf gerichtliche Entscheidung sowie die insoweit entstandenen notwendigen Auslagen des Betroffenen trägt die Staatskasse.

Gründe:

I.

Der Betroffene begehrt die Überlassung einer vollständigen Messreihe sowie des zugehörigen Passwortes/Token sowie die zum Messgerät gehörende Lebensakte, hilfweise die Wartungs-, Instandsetzungs- und Eichnachweise des Messgeräts seit der ersten Inbetriebnahme.

Mit Schreiben vom 24.08.2016 des Polizeipräsidiums Rheinpfalz – Zentrale Bußgeldstelle – wurde dem Betroffenen ein Anhörungsbogen zu einer Verkehrsordnungswidrigkeit gem. §§ 24, 24a, 24c StVG zugesandt. Konkret wird dem Betroffenen vorgeworfen, die Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 52 km/h überschritten zu haben.

Mit Schriftsatz vom 05.09.2016 bestellte sich die Verteidigerin des Betroffenen und beantragte Akteneinsicht.

Nach gewährter Akteneinsicht beantragte die Verteidigerin bei der Zentralen Bußgeldstelle die PoliScan Speed-Dateien der gesamten Messerie mit Token und Passwort auf den dem Schriftsatz beigefügten Datenträger zu überspielen. Zudem wird um eine Kopie der Lebensakte bzw. der Wartungs-, Reparatur- und Änderungsnachweise des Messgeräts gebeten.

Mit Schriftsatz vom 22.09.2016 der Zentralen Bußgeldstelle wurde die Herausgabe verweigert. Zur Begründung wird angeführt, dass eine Herausgabe ausschließlich mit richterlichem Beschluss möglich sei. Zudem sei das Führen einer Lebensakte in Rheinland-Pfalz nicht vorgeschrieben und eine solche werde auch nicht geführt.

Mit Schriftsatz vom 26.09.2016 beantragte die Verteidigerin,

die Verwaltungsbehörde zu verpflichten, der Verteidigerin die digitalen Falldatensätze (PoliScan Speed, TUFF Dateien) der Messerie des Betroffenen mit Token-Datei und Passwort sowie die zum Messgerät gehörige Lebensakte, hilfweise die Wartungs-, Instandsetzungs- und Eichnachweise des Messgeräts seit der ersten Inbetriebnahme zur Verfügung zu stellen.

II.

Der gemäß § 62 Abs. 1 S. 1 OWiG zulässige Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist auch begründet.

Die Bußgeldstelle wird angewiesen, der Verteidigerin des Betroffenen die vollständige Messreihe zu der ihn betreffenden Messung nebst Passwort/Token sowie die Wartungs-, Instandsetzungs- und Eichnachweise des Messgeräts seit der ersten Inbetriebnahme zur beabsichtigten Prüfung der Messung durch einen Sachverständigen zur Verfügung zu stellen.

Zwar hat das Gericht keinerlei Zweifel daran, dass es sich bei dem hier verwendeten Messverfahren um ein standardisiertes Messverfahren im Sinne der obergerichtlichen Rechtsprechung handelt. Auch sind die Messdaten des Tattages, die sich nicht auf den Betroffenen, sondern auf andere Verkehrsteilnehmer beziehen, nicht Teil der dem Gericht vorliegenden Akte. Bereits die den Betroffenen betreffende Messdatei ist als solche nicht Aktenbestandteil. Gleichwohl ist sie jedoch Grundlage und originäres, unveränderliches Beweismittel der Geschwindigkeitsmessung. Dies hat zur Folge, dass sie – rechtzeitig vor dem Prozess – einem Betroffenen auf dessen Wunsch hin zugänglich zu machen ist (OLG Oldenburg, Beschluss vom 06.05.2015 – 2 Ss (OWi) 65/15 m.w.N.). Der Anspruch auf ein faires Verfahren gebietet es darüber hinaus aber auch, einem Betroffenen auf seinen Antrag rechtzeitig vor einer Hauptverhandlung hin ein Einsichtsrecht hinsichtlich der Messdaten, die nur andere Verkehrsteilnehmer betreffen zu gewähren, um ihm damit die Möglichkeit zu geben, auf breiterer Grundlage zu prüfen, ob tatsächlich im konkreten Fall ein standardisiertes Messverfahren ordnungsgemäß zur Anwendung gekommen ist und das Messgerät fehlerfrei funktioniert hat.

Dieses Einsichtsrecht steht dem Betroffenen dabei nicht gegenüber dem erkennenden Gericht im Rahmen der Hauptverhandlung zu. Er ist vielmehr darauf zu verweisen, die Einsicht in die Messdaten außerhalb der Hauptverhandlung bei der aktenführenden Behörde zu beantragen und vorzunehmen. Dies sollte zweckmäßigerweise rechtzeitig vor der Hauptverhandlung geschehen. So ist dem Informationsinteresse des Betroffenen Genüge getan und zugleich gewährleistet, dass der Ablauf des gerichtlichen Verfahrens nicht durch eine sachlich nicht gebotene Unterbrechung zur Gewährung der Einsicht unverhältnismäßig verzögert oder erschwert wird. Ergeben sich für den Betroffenen – gegebenenfalls nach Auswertung durch einen privaten Sachverständigen – aus den ihm außerhalb der Hauptverhandlung überlassenen Messdaten Hinweise auf eine Fehlerhaftigkeit der Messung, die sich auf den Betroffenen bezieht, so kann er die relevanten Umstände durch Beweisanträge oder Beweisanregungen zum Gegenstand der Hauptverhandlung machen und so in dieser seine Interessen wahren (vgl. OLG Düsseldorf a.a.O, das diese Frage offen gelassen hat).

Demgegenüber kann auch nicht eingewandt werden, dass die Zurverfügungstellung der gesamten Messreihe in das Persönlichkeitsrecht anderer Verkehrsteilnehmer eingreife. Denn der Anspruch auf ein faires Verfahren ist insoweit als höherrangig anzusehen und rechtfertigt diesen Eingriff. Überdies handelt es sich auch lediglich um eine theoretische Eingriffsmöglichkeit. Zwar dient ein Messfoto unter anderem gerade der Identifizierung eines verantwortlichen Fahrzeugführers. Ohne weitere Ermittlungen, insbesondere eine Halterabfrage ist eine namentliche Identifizierung eines solchen jedoch kaum zu realisieren. Eine dahingehende Verwendung der Messreihe wird durch den Betroffenen bzw. seine Verteidigerin jedoch nicht erstrebt und auch vom Recht auf ein faires Verfahren nicht gedeckt. Vielmehr soll hier lediglich eine Überprüfung der Messreihe auf mögliche Messfehler erfolgen.

Da eine Überprüfung dieser Daten in Bezug auf die Ordnungsgemäßheit des Messvorgangs durch einen Sachverständigen aufgrund von deren Verschlüsselung nur bei Zugänglichmachung der dazugehörigen Passwort/Token-Datei möglich ist, ist die Bußgeldstelle daneben auch anzuweisen, dem von dem Betroffenen beauftragten Sachverständigen das Passwort/Token der ihn betreffenden Messserie mitzuteilen.

Da eine Lebensakte nicht geführt wird, war die Verwaltungsbehörde darüber hinaus anzuweisen, dem Betroffenen aus den oben genannten Gründen die Wartungs-, Instandsetzungs- und Eichnachweise des Messgeräts zur Verfügung zu stellen.

Danach war dem Antrag der Verteidigerin des Betroffenen zu entsprechen, damit er die Ordnungsgemäßheit der hier durchgeführten Messung überprüfen lassen kann.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 62 Abs. 2 S. 1 OWiG i.V.m. § 467 Abs. 1 StPO.

Diese Entscheidung ist nach § 62 Abs. 2 S. 3 OWiG unanfechtbar.

Vielen Dank an Frau Rechtsanwältin Monika Zimmer-Gratz, Bous, für die Zusen­dung die­ser Entscheidung.