Hier im Blog wurde bereits über einen Beschluss des AG Heidelberg berichtet, welches die Verwaltungsbehörde in einem Bußgeldverfahren auf Grund eines Geschwindigkeitsverstoßes angewiesen hat, die gesamte ES 3.0-Messserie herauszugeben; allerdings nicht – wie üblich – an die Verteidigung, sondern aus Gründen der Datensparsamkeit direkt an einen vom Verteidiger benannten öffentlicht bestellten und vereidigten Sachverständigen. Nun liegt ein weiterer Beschluss von einer anderen Abteilung aus Heidelberg vor, welche Einsichtsanträge ähnlich handhabt. Hier (laut Homepage des Verteidigers offenbar eine PoliScan Speed-Messung) wurden der Verteidigung zunächst außerdem die Herausgabe der Statistikdatei, der Wartungsunterlagen zum Messgerät sowie der verkehrsrechtlichen Anordnung der Geschwindigkeitsbegrenzung von der Verwaltungsbehörde verweigert. Das AG hingegen stellt fest, dass die Verteidigung Einsicht in diese Unterlagen erhalten muss, da durch diese die Zuverlässigkeit des verwendeten Messgeräts beurteilt werden könne. Die Messserie selbst müsse wiederum nur an einen öffentlich bestellt und vereidigten Sachverständigen für Verkehrsmesstechnik übergeben werden, da Verteidiger in der Regel nicht über die notwendige Auswertesoftware verfügten (AG Heidelberg, Beschluss vom 26.07.2017 – 16 OWi 432/17).

Auf den Antrag des Verteidigers wird die Bußgeldbehörde verpflichtet, dem Betroffenen bzw. seinem Verteidiger Einsicht in die Unterlagen zu gewähren, aus denen sich durchgeführte Wartungs- und/oder Reparaturarbeiten sowie Eichungen (Wartungsbuch, Lebensakte o.a.) ergeben. Die Einsicht kann auch durch Übersendung einer Kopie derselben erfolgen.

Die Verwaltungsbehörde wird ferner verpflichtet, dem Betroffenen bzw. dessen Verteidiger Einsicht in die Unterlagen zu gewähren, aus denen sich die verkehrsrechtliche Anordnung der Geschwindigkeitsbegrenzung am Tattag am Tatort ergeben.

Die Verwaltungsbehörde wird ferner verpflichtet, einem vom Betroffenen oder dessen Verteidiger beauftragten, öffentlich bestellt und vereidigten Sachverständigen für Verkehrsmesstechnik den gesamten Datensatz der Messreihe nebst Token und Passwort zur Verfügung zu stellen.

Die Verwaltungsbehörde wird ferner verpflichtet, dem Verteidiger die Statistikdatei für die Messreihe am Tattag – sofern vorhanden – zur Verfügung zu stellen.

Im Übrigen wird der Antrag zurückgewiesen.

Kosten des Verfahrens werden insoweit der Staatskasse auferlegt.

Gründe:

Der Betroffene bzw. sein Anwalt beantragten u.a. Einsicht in das Wartungshandbuch bzw. die Lebensakte.

Nach Mitteilung der Bußgeldbehörde bestehe keine gesetzliche Verpflichtung zum Führen einer Lebensakte und die Polizei in Baden-Württemberg führe auch keine Lebensakte. Vom Grundsatz her ist diese Mitteilung zwar zutreffend; gleichwohl muß der Betroffene in die Lage versetzt werden, die Zuverlässigkeit des eingesetzten Gerätes zu überprüfen bzw. überprüfen zu lassen. Insbesondere Reparaturen kurz nach der vorliegenden Messung können darauf hindeuten, dass ein Gerätedefekt bereits bei der Messung vorlag und dieser Einfluß auf das Messergebnis genommen haben kann.

Gerade im Ordnungswidrigkeitenrecht wird das Akteneinsichtsrecht immer umfassender und großzügiger gehandhabt, um den Betroffenen und seinen Verteidiger in die Lage zu versetzen, die Ordnungsgemäßheit von Messungen bereits im Vorverfahren überprüfen zu können. Dazu gehört eben auch, die Fehler- und Reparaturanfälligkeit eines eingesetzten Messgerätes zu überprüfen, um so die Erfolgsaussichten eines Rechtsmittels abschätzen zu können.

Entsprechendes gilt für eine Statistikdatei, aus der sich entnehmen läßt, wie zuverlässig das eingesetzte Messgerät arbeitet.

Daher bestehen keine Bedenken, einem Verteidiger – als Organ der Rechtspflege – Einsicht in derartige Unterlagen zu gewähren.

Im Grundsatz ist auch der Hinweis der Verwaltungsbehörde zutreffend, dass Verkehrszeichen als Allgemeinverfügung unabhängig von der verkehrsrechtlichen Anordnung Außenwirkung haben und von Kraftfahrern zu beachten sind. Gleichwohl ist natürlich auch hier bei der Festsetzung des Bußgeldes zu berücksichtigen, ob die aufgestellten Verkehrsschilder der verkehrsrechtlichen Anordnung entsprechen und damit die Verkehrsreglung den örtlichen Gegebenheiten im Sinne einer Gefahrenabwehr entsprechen. Um dem Verteidiger eine entsprechende Argumentation zu ermöglichen, ist er auf Einsicht in die verkehrsrechtliche Anordnung angewiesen.

Zuletzt ist dem Betroffenen bzw. dem Verteidiger auch die Möglichkeit einzuräumen, die konkrete Messung zu überprüfen. Dies wiederum ist nur anhand der gesamten Messreihe möglich, um eventuelle Unregelmäßigkeiten feststeilen zu können. Allerdings sind regelmäßig weder der Betroffene, noch der Verteidiger in der Lage, selbst Einsicht in die Messreihe zu nehmen, da zumindest die notwendigen Softwareprogramme regelmäßig nicht vorhanden sind, geschwiege denn das erforderliche Fachwissen vorhanden ist, um die einzelnen Messungen zu interpretieren und miteinander zu vergleichen. Hierfür wird in der Regel ein Sachverständiger benötigt.

Diesem ist daher – ohne den Umweg über Betroffenen oder Verteidiger – Einsicht in die gesamte Messreihe zu gewähren. Auf entsprechende Anforderung hin ist einem Sachverständigen, sofern er für dieses Sachgebiet öffentlich bestellt und vereidigt ist, auf die Messreihe nebst den Zugangsdaten zu übersenden.

Datenschutzrechtliche Bedenken greifen demgegenüber nicht durch. Als Erfüllungsgehilfe eines Verteidigers ist auch ein Sachverständiger zur Verschwiegenheit verpflichtet. Worauf er bei Übersendung der Daten nochmals hinzuweisen wäre. Zudem ist auch nicht ersichtlich, inwieweit hier schutzwürdige Interessen Dritter in einem solchen Maße tangiert wäre, dass Einsicht bzw. Versendung der Daten verweigert werden könnten.

Zunächst haben sich die Dritten deren Daten in die Messreihe gelangt sind, sich diesem Umstand selbst zuzuschreiben. Jeder Verkehrsteilnehmer weiß, dass im Falle eines Verkehrsverstoßes seine Daten festgehalten werden. Will er dies vermeiden, braucht er sich nur gesetzeskonform zu verhalten. Ferner ist nicht ersichtlich, wie hier in die Rechte Dritter eingegriffen werden könnte. Die Fahrzeugdeuten, die in der Messreihe ersichtlich sind – also die Fahrzeugkennzeichen – sind nur für die Verwaltungsbehörde auswertbar, da nur sie Zugriff auf diese Daten hat. Weder der Betroffene, noch der Verteidiger, noch der Sachverständige haben die Möglichkeit, über das Kennzeichen die Halterdaten zu ermitteln. Noch viel weniger besteht dann die Möglichkeit, über das Fahrerbild die jeweiligen Betroffenen ausfindig zu machen.

Daher ist für das Gericht nicht nachvollziehbar, dass personenbezogene Daten Dritter dadurch geschützt werden könnten, dass die Übersendung der Messdaten an einen öffentlich bestellt und vereidigten Sachverständigen verweigert würde.

Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist nach §§ 62, 108 Abs. 1 Nr. 3 OWiG zulässig und auch überwiegend begründet.

Diese Entscheidung ist nicht anfechtbar.

Vielen Dank an Herrn Rechtsanwalt Günter Grüne, Schweinfurt, für den Hinweis auf diese Entscheidung.