Hier handelt es sich um eine von drei Entscheidungen des BayObLG, die in der letzten Zeit zu der Problematik des Aktenverlustes bzw. der Aktenrekonstruktion bekannt geworden sind. Das BayObLG gab die Sache (Rechtsbeschwerde) zurück an das Amtsgericht, da nach Verlust der Akte mit Protokoll unklar war, ob das Protokoll fertiggestellt wurde. Da vor der Fertigstellung des Protokolls das Urteil nicht zugestellt werden durfte, könne auch eine Entscheidung über die Rechtsbeschwerde noch nicht erfolgen. Zunächst müsse daher das Protokoll wiederhergestellt bzw. dies versucht werden.

BayObLG, Beschluss vom 11.09.2019 – 201 ObOWi 1827/19

Das Verfahren wird zur weiteren Sachbehandlung an das Amtsgericht Weißenburg i. Bay. zurückgegeben.

Gründe:

Eine Entscheidung über die Rechtsbeschwerde kann derzeit noch nicht erfolgen, weil möglicher weise bislang eine wirksame Urteilszustellung nicht erfolgt ist.

Nach §§ 71 Abs. 1 OWiG, 273 Abs. 4 StPO darf das Urteil nicht zugestellt werden, bevor das Protokoll fertig gestellt ist. Die entgegen dieser Vorschrift bewirkte Urteilszustellung erweist sich als unwirksam und setzt die von der Urteilszustellung abhängigen Fristen nicht in Lauf (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt StPO 62. Aufl. § 273 Rn. 34).

Nachdem hier die Originalakte einschließlich des Protokolls in Verlust geraten ist, ist bislang unklar, ob und wann das Protokoll vom 03.12.2018 fertiggestellt wurde. Es bedarf deshalb der Wiederherstellung des Protokolls. Die Wiederherstellung eines verlorengegangenen Protokolls ist zulässig. Vorsitzender und Protokollführer können, soweit ihr Gedächtnis reicht oder aus vorhandenen Aufzeichnungen oder durch Bekundungen der Verfahrensbeteiligten wieder aufgefrischt werden kann, eine abhanden gekommene Sitzungsniederschrift neu erstellen (LR/Stuckenberg StPO 26. Aufl. § 271 Rn. 69). Wegen der Bedeutung der Sitzungsniederschrift für das Rechtsbeschwerdeverfahren ist der Tatrichter verpflichtet, grundsätzlich alle verfügbaren Möglichkeiten auszuschöpfen, um das Protokoll möglichst vollständig zu rekonstruieren. Wenn es notwendig ist, um die eigene Erinnerung oder die des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle aufzufrischen, sind auch Nachforschungen anzustellen (KG, NStZ 1990, 405).

Hier ergibt sich aus der Akte nicht, ob und wann das Protokoll fertiggestellt wurde. Es ist auch nicht niedergelegt, ob sich der Richter oder der Protokollführer an die Fertigstellung einschließlich Datum erinnert oder ob dies versucht wurde. Das ist nachzuholen. Sollte eine Wiederherstellung des Protokolls (teilweise) möglich sein, ist im wiederhergestellten Protokoll kenntlich zu machen, für welche Feststellungen Vorsitzender oder Protokollführer mangels sicherer eigener Erinnerung die Verantwortung nicht übernehmen können. Wenn sich die Fertigstellung des Protokolls feststellen lässt, ist zu prüfen, ob das Urteil nach Fertigstellung zugestellt worden ist.

Aus der Akte ergibt sich bislang auch nicht, ob und wann das Urteil zugestellt wurde und wann die Rechtsbeschwerde eingegangen ist. Auch insofern bedarf es der Ausschöpfung aller Erkenntnisquellen, z.B. die Auswertung des Faxjournals bezüglich des Eingangs der Rechtsbeschwerde und/oder dienstliche Erklärungen.

Sollte nach Ausschöpfung aller Erkenntnisquellen mangels Erinnerung oder anderer Quellen keine Wiederherstellung des Protokolls einschließlich der Frage der Fertigstellung möglich sein, so ist dies unter Darstellung der erfolgten Bemühungen in den Akten zu vermerken. Das Protokoll gilt dann von dem Zeitpunkt an als fertiggestellt (an dem endgültig feststeht, dass keine (weitere) Rekonstruktion möglich ist (vgl. ähnlich LR/Stuckenberg a.a.O. § 271 Rn. 31.). Danach hat nach diesem Vermerk nochmals die von dem Vorsitzenden anzuordnende Zustellung des Urteils vom 03.12.2018 zu erfolgen (§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG i.V.m. § 343 Abs. 2 StPO). Erst mit dieser Zustellung wird die Frist zur Einlegung der Rechtsbeschwerde in Gang gesetzt (§ 79 Abs. 4 OWiG). Nach deren Ablauf wird sodann erneut nach § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG i.V.m. § 347 StPO zu verfahren sein.

Gem. § 80a Abs. 1 OWiG entscheidet der Einzelrichter.

Mitgeteilt von Rechtsanwälte Zimmer-Gratz, Bous.