Immer noch verweigern einige Verwaltungsbehörden und Amtsgerichte Betroffenen und ihren Verteidigern den Zugriff auf die Rohdaten der Geschwindigkeitsmessung, obwohl die Daten zu einer genaueren Überprüfung durch einen Sachverständigen benötigt werden. Prinzipiell kann dies in Rechtsbeschwerde als unzulässige Beschränkung der Verteidigung (§ 338 Nr. 8 StPO) gerügt werden. Mehrere Oberlandesgerichte, darunter das OLG Bamberg und – wie hier – das OLG Hamm, verlangen dabei die Darlegung, ob das Urteil auf dem behaupteten Verstoß beruhen kann, mit anderen Worten, was sich aus den Daten ergeben hätte. Da dies nicht möglich ist, da die Daten gerade nicht herausgegeben wurden, müsse ein Beschwerdeführer aufzeigen, welche Versuche er unternommen hatte, an die Daten zu gelangen. Und das auch nach Erlass des Urteils bis zum Fristablauf der Rechtsbeschwerdebegründung. Ein weiterer interessanter Aspekt dieser Entscheidung: Das OLG Hamm sieht eine “mögliche Verletzung des Akteneinsichtsrechts der Verteidigung nach § 147 StPO”. Die herrschende Meinung hingegen verortet den Anspruch auf Herausgabe solcher Messdaten in dem Recht auf ein faires Verfahren aus Art. 6 Abs. 1 EMRK (Beschluss vom 23.03.2016, Az. 4 RBs 50/16).
Soweit der Betroffene die Verletzung des Grundsatzes des fairen Verfahrens rügt, ist es erforderlich, dass dargelegt wird, dass ein kausaler Zusammenhang zwischen dem Verfahrensverstoß und dem Urteil konkret bestehen kann (KG Berlin ZfSch 2013, 410; OLG Braunschweig ZfSch 2014, 473; OLG Celle ZfSch 2013, 412). Das ist nicht geschehen. Dem Rügevorbringen ist nicht zu entnehmen, welche Tatsachen sich aus den fraglichen Dateien hätten ableiten lassen und welche Konsequenzen für die Verteidigung daraus gefolgt hätten. Die allgemeine Behauptung, es lasse sich nicht ausschließen, „dass die Überprüfung der Dokumentation der gesamten Messkampagne inklusive F-Dateien im „T-Format“ nebst öffentlichem Schlüssel ergeben hätte, dass ein Messfehler vorlag, die Authentizität der Messdateien nicht gegeben war oder die Feststellungen des Sachverständigen G fehlerhaft waren“ ist gerade keine Darlegung eines konkreten, sondern nur die Darlegung eines abstrakt möglichen Zusammenhangs.
Soweit eine konkrete Benennung mangels Zugriffs auf die Unterlagen nicht möglich ist, muss sich der Verteidiger bis zum Ablauf der Frist zur Erhebung der Verfahrensrüge weiter um die Einsicht bemüht haben und die entsprechenden Anstrengungen gegenüber dem Rechtsbeschwerdegericht auch dartun (OLG Celle a.a.O.). Letzteres hat er ebenfalls nicht getan.
Diese Rügeanforderungen sind in der höchstrichterlichen Rechtsprechung zwar zunächst für die Rüge der unzulässigen Beschränkung der Verteidigung nach § 338 Nr. 8 StPO entwickelt worden (vgl. z.B. BGH NJW 2005, 300, 303; BGH NStZ 2010, 530, 531; vgl. auch OLG Hamm, Beschl. v. 14.11.2012 – 1 RBs 105/12) und ist dann in der obergerichtlichen Rechtsprechung ebenfalls angewandt worden auf Konstellationen, in denen neben der Rüge der Verletzung des Grundsatzes des fairen Verfahrens auch eine unzulässige Beschränkung der Verteidigung geltend gemacht wird (KG Berlin a.a.O.; OLG Braunschweig a.a.O.; OLG Celle a.a.O.). Auch nach dem Dafürhalten des Senats kann bzgl. der Rügeanforderungen nicht zwischen einer unzulässigen Beschränkung der Verteidigung und einer Verletzung des Grundsatzes des fairen Verfahrens differenziert werden, wenn die behaupteten Verfahrensverstöße beide gleichermaßen ihre Ursache in einer möglichen Verletzung des Akteneinsichtsrechts der Verteidigung nach § 147 StPO haben. Die Schutzrichtung ist in diesen Fällen dieselbe, so dass in diesen Fällen nicht die Rügeanforderungen für eine Rüge nach § 338 Nr. 8 StPO dadurch unterlaufen werden können, dass allein oder daneben auch die Verletzung des Grundsatzes des fairen Verfahrens (jedoch vor demselben tatsächlichen Hintergrund und mit gleicher Angriffsrichtung) gerügt wird.
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