Hier, zur Abwechslung, wieder eine betroffenenfreundliche Entscheidung bezüglich der Einsicht in Messdateien und -unterlagen. Das AG Lübben (Beschluss vom 19.01.2016, Az. 40 OWi 6/16 E) hat eine Verwaltungsbehörde dazu verpflichtet, die Falldatei mit Schlüssel und Token an den Verteidiger zu übersenden. Mehr hatte der Verteidiger offenbar nicht beantragt, denn das Gericht nimmt außerdem auch einen Anspruch auf Einsicht in alle Datensätze der Messserie oder, allgemein gesagt, in alle be- oder entlastenden Unterlagen und Datensätze an. Regelmäßig seien die Unterlagen dem Verteidiger oder dem unterbevollmächtigten Sachverständigen in deren Büros zur Verfügung zu stellen. Falls das nicht möglich sein sollte, habe die Einsicht in einer Verwaltungsbehörde in unmittelbarer Nähe (!) des Verteidigers / Sachverständigen zu erfolgen. Datenschutzrechtlichen Bedenken bei der Übersendung der gesamten Messserie will das AG allerdings dadurch begegnen, dass Kennzeichen und Gesichter anderer Fahrzeugführer unkenntlich gemacht werden.

Gemäß § 46 Abs.l OWiG i.V.m. § 147 StPO hat der Verteidiger des Betroffenen ein Recht auf Akteneinsicht, das sich auf alle Akten, Aktenteile und weiteren Unterlagen oder Datenträger bezieht, auf die der Vorwurf in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht gestützt wird (Göhler, Kommentar zum OWiG, 16. Aufl., § 60, Rn. 49), aus denen sich der Schuldvorwurf ergeben soll und die möglicherweise der Entlastung des Betroffenen dienen können. Das umfassende Akteneinsichtsrecht der Verteidigung ist aus dem Grundsatz des fairen Verfahrens begründet. Die Verteidigung muss, ggf. unter Zuhilfenahme eines Sachverständigen, die erfolgte Messung in allen Einzelheiten auch und gerade hinsichtlich möglicher Fehlerquellen überprüfen können.

Von diesem Recht auf Akteneinsicht sind die komplette Messliste sowie die kompletten Datensätze der Messung umfasst (AG Senftenberg, Beschluss vom 26.04.2011, 59 OWi 93/11; AG Heidelberg a.a.O.; AG Stuttgart, Beschluss vom 29.12.2011, 16 OWi 3433/11). Aus den Aufzeichnungen der gesamten Messung können gegebenenfalls Schlüsse auf die gegenständliche Messung gezogen werden, mit der Vorwurf gegen den Betroffenen begründet wird. Deshalb muss die Verteidigung auch hier Einsicht – ggf. unter Zuhilfenahme eines Sachverständigen – nehmen können, um die Verteidigungsmöglichkeiten prüfen zu können.

Auch hier ist darauf hinzuweisen, dass das Akteneinsichtsrecht alle Unterlagen und Datensätze umfasst, die be- oder entlastend für den Betroffenen sein können (LG Ellwangen, a.a.O.).

Bedenken hinsichtlich des Datenschutzes bezüglich möglicher weiterer Betroffener greifen nicht durch, denn technisch sollte es ohne Weiteres möglich sein, hier Vorkehrungen zu treffen, z.B. indem die Kennzeichen und Gesichter der weiteren Betroffenen abgedeckt werden, was bei Beifahrern bisher auch so gehandhabt wird.

Alle vom Akteneinsichtsrecht umfassten Unterlagen und Dateien sind, soweit keine wichtigen Gründe entgegenstehen, die hier nicht ersichtlich sind, dem Verteidiger in den Kanzleiräumen bzw. dem unterbevollmächtigtem Sachverständigen in dessen Büroräumen zur Verfügung zu stellen. Dies ergibt sich schon aus § 46 Abs.l OWiG i.V.m. § 147 Abs. 4 Satz 1 StPO. Dem Verteidiger ist es nicht zuzumuten, zum Zwecke der Wahrnehmung des Akteneinsichtsrechts nach Gransee zur Verwaltungsbehörde zu fahren und somit noch zusätzliche Kosten zu verursachen (AG Senftenberg a.a.O.; AG Heidelberg, a.a.O.; AG Lüdinghausen, a.a.O.; LG Ellwangen, a.a.O.). Soweit dies erforderlich ist, hat die Verteidigung geeignete Speichermedien zur Verfügung zu stellen (AG Lemgo, Beschluss vom 14.04.2011, 22 OWi 62/11, AG Heidelberg, a.a.O.). Sollte eine Übersendung und/oder eine Übertragung auf ein Speichermedium bei einzelnen Daten nachweisbar technisch nicht möglich sein, so hat die Akteneinsicht in einer Polizeidienststelle oder anderen Verwaltungsbehörde in unmittelbarer Nähe der Kanzlei des Verteidigers bzw. den Büroräumen des Sachverständigen zu erfolgen.