Der nächste Beschluss (vom 07.10.2015, Az. 14 OWi 424/15) in Sachen digitale Falldaten stammt vom AG Gera. Hier hatte sich die Bußgeldbehörde zunächst offenbar geweigert, dem Verteidiger des Betroffenen die Lehrgangsbescheinigungen des Messbeamten sowie den Eichschein des Messgeräts herauszugeben. Auch die Token-Datei und das zugehörige Passwort hat er nicht erhalten. Das AG hat, wie zuvor u. a. das AG Trier, dann die Herausgabe der Unterlagen sowie des Tokens und des Passworts angeordnet. Das sei durch den Grundsatz des fairen Verfahrens geboten, damit der Verteidiger ein etwaiges Sachverständigengutachten auf seine Richtigkeit überprüfen kann. Außerdem sei bei einem Wissensvorsprung der Verwaltungsbehörde dadurch, dass sie Unterlagen zurückhält, keine Waffengleichheit im Verfahren gegeben.

Bußgeldsache

gegen

Verteidiger: Rechtsanwalt Dirk Rahe, Lahnsteiner Str. 7, 07629 Hermsdorf

wegen Verkehrsordnungswidrigkeit

wird auf den Antrag auf gerichtliche Entscheidung gegen die Anordnung der Zentralen Bußgeldstelle Artern vom 04.08.2015 die Zentrale Bußgeldstelle Artern verpflichtet, die Lehrgangsbescheinigungen für den Messbeamten, den gültigen Eichschein die Hessische Eichdirektion, Holzhofallee 3, 641283 Darmstadt, verpflichtet, den Token sowie das Passwort an den Verteidiger des Betroffenen herauszugeben.

Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Betroffenen trägt insoweit die Staatskasse.

Gründe:

Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 62 OWiG ist zulässig und begründet. Der Verteidiger hat gemäß § 46 OWiG, 147 StPO ein Recht auf Akteneinsicht, des sich auf alle Schriftstücke, Bild-, Video- und Tonaufnahmen bezieht, die für den Betroffenen entlastend von Bedeutung sein können. Auch wenn der vollständige Messfilm nicht zu den Akten genommen wurde, wird der Vorwurf in tatsächlicher Hinsicht darauf mit gestützt.

Bedenken hinsichtlich des Daten- bzw. Urheberschutzes greifen nicht durch (AG Fritzlar, ZfSch 2015, 53; AG Duderstadt, Beschluss vorn 25.11.2013)3 OWi 300/1 3; AG Cottbus, Beschluss vom 14.09.2012, StraFO 2012, 409 ff; AG Senftenberg, Beschluss vom 26.04.2011; DAR 2011, 422; aA,: AG Detmold, Beschl. v. 04.02.2012, Az. 4 OWi 980/11). Um die Erfolgsaussichten eines Einspruchs gegen den Bußgeldbescheid zu überprüfen, ist es notwendig, dass die Verteidigung die Bedienung und Aufstellung des Messgeräte nachvollziehen und überprüfen kann (AG Bamberg; Beschl. V. 23.6.2013, 2 OWi 2311 Js 9625/13). Die Verteidigung hat im Rahmen eines Bußgeldverfahrens das Recht auf Akteneinsicht in alle Unterlagen, die auch dem Sachverständigen zur Verfügung gestellt werden. Dies folgt schonraus dem Gesichtspunkt der Gewährleistung eines fairen Verfahrens, der Stellung des Rechtsanwalts als unabhängiges Organ der Rechtspflege und dem Grundsatz der Aktenvollständigkeit. Nur wenn dem Verteidiger alle Unterlagen zur Verfügung stehen, die auch dem Sachverständigen zugänglich sind, ist es ihm möglich, ein (etwaiges) Sachverständigengutachten auf seine Richtigkeit zu überprüfen. Darüber hinaus wäre ohne Akteneinsicht im geschilderten Umfang zwischen Betroffenem und der Ermittlungsbehörde keine Waffengleichheit gegeben, wenn die Ermittlungsbehörde einen Wissensvorsprung dadurch erlangt, dass sie maßgebliche Unterlagen zurückhält. So ist es auch nicht ausreichend, die Verteidigung auf allgemein zugängliche Sekundärliteratur zu verweisen, in der die Funktions- und Bedienweise von Geschwindigkeitsmessgeräten erklärt wird. (Vgl. OLG Naumburg, Beschluss vom 05.11.2012-2 Ss (Bz) 100/12, BeckRS 2013, 01694; AG Bamberg aaO).

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 46 OWiG, 467 I StPO.

Richter am Amtsgericht

Vie­len Dank an Herrn Rechts­an­walt Dirk Rahe, Sozietät Dr. Zwanziger & Collegen, Gera / Hermsdorf, für die Zusen­dung die­ser Entscheidung.