Dieser Beschluss des OLG Bamberg zeigt, dass es bei einigen Amtsgerichten in Bayern Probleme mit der frühen Bekanntgabe von Bußgeldurteilen ohne Gründe an die Staatsanwaltschaften, um Rechtsmittelerklärungen zu erlangen, gab bzw. gibt: Hier hat das AG drei Tage nach Durchführung der Hauptverhandlung und Fertigstellung des Protokolls das in das Protokoll ohne Gründe aufgenommene Urteil (500 Euro Geldbuße, ein Monat Fahrverbot wegen Verstoßes gegen § 24a Abs. 1, 3 StVG) der Staatsanwaltschaft im Wege der „Zustellung des Urteils gemäß §§ 46 Abs. 1 OWiG, 41 StPO“ bekanntgegeben. Einen Tag später hat der Betroffene seine Rechtsbeschwerde eingelegt, so dass das AG sein Urteil nachträglich um die Gründe ergänzt hat. Das OLG rügt, dass diese Vorgehensweise nicht mit seiner sowie der Rechtsprechung des BGH in Einklang steht und hebt das Urteil auf (Beschluss vom 06.06.2016 – 3 Ss OWi 646/16).

I. Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts … vom 19. Februar 2016 mit den ihm zugrunde liegenden tatsächlichen Feststellungen aufgehoben.

II. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht … zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht hat den Betroffenen am 19.02.2016 wegen einer am 25.07.2015 als Führer eines Pkw begangenen fahrlässigen Ordnungswidrigkeit des Führens eines Kraftfahrzeugs mit einer Atemalkoholkonzentration (AAK) von 0,25 mg/l oder mehr bzw. einer zu einer solchen AAK führenden Alkoholmenge im Körper (hier: AAK von 0,42 mg/l) gemäß § 24 a Abs. 1 mit Abs. 3 StVG zu einer Geldbuße von 500 Euro verurteilt und ordnete gegen ihn ein Fahrverbot für die Dauer eines Monats nach Maßgabe des § 25 Abs. 2a Satz 1 StVG (beschränkter Vollstreckungsaufschub) an.

Mit seiner hiergegen gerichteten, infolge der wirksamen Einspruchsbeschränkung durch den Betroffenen nur noch den Rechtsfolgenausspruch betreffenden Rechtsbeschwerde rügt der Betroffene die Verletzung materiellen Rechts.

II.

Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der wegen der mit Verteidigerschriftsatz vom 27.01.2016 (Bl. 19/24 d.A.) wirksam erklärten Einspruchsbeschränkung auf den Rechtsfolgenausspruch nur noch diesen betreffenden statthaften (§ 79 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1 und 2 OWiG) und auch im Übrigen zulässigen Rechtsbeschwerde zwingt den Senat – wie schon die Generalstaatsanwaltschaft Bamberg in ihrer Antragsschrift vom 30.05.2016 zutreffend ausführt – zur Aufhebung des angefochtenen Urteils, weshalb es auf etwaige weitere sachlich-rechtlich relevante Rechtsfehler nicht mehr ankommt.

1. Aufgrund der vom Amtsgericht am 22.02.2016 (Bl. 29 d.A.), d.h. noch am Tage der Fertigstellung des Protokolls (Bl. 28 unten d.A.) und nur drei Tage nach Durchführung der Hauptverhandlung vom 19.02.2016 entsprechend einer in der Vergangenheit auch noch von einigen anderen Amtsgerichten ausgeübten rechtsfehlerhaften Praxis zur Herbeiführung einer (frühzeitigen) Rechtsmittelerklärung der Staatsanwaltschaft angeordneten und am 23.02.2016 bewirkten (vorbehaltlosen) urschriftlichen Bekanntgabe im Wege der „Zustellung des Urteils gemäß §§ 46 Abs. 1 OWiG, 41 StPO“ (vgl. Bl. 29 d.A.) eines entgegen § 71 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 267 StPO ohne Urteilsgründe abgefassten sog. ‚Protokollurteils’ ist dem Senat eine materiell-rechtliche Überprüfung auf etwaige Rechtsfehler von vornherein verwehrt.

2. Die nachträgliche Ergänzung des Urteils durch die nach Eingang der Rechtsbeschwerde des Betroffenen vom 23.02.2016 am 26.02.2016 (Bl. 30) mit den am 16.03.2016 (vgl. Bl. 32 unten d.A.) gemäß § 275 Abs. 1 StPO i.V.m. §§ 46 Abs. 1, 71 Abs. 1 OWiG zu den Akten gelangten schriftlichen Urteilsgründen war nach der ständigen Rechtsprechung der Rechtsbeschwerdesenate des OLG Bamberg unzulässig und damit für das vorliegende Rechtsbeschwerdeverfahren nicht mehr relevant (rechtsgrundsätzlich: OLG Bamberg, Beschluss vom 16.12.2008 – 3 Ss OWi 1060/08 [bei Juris] = BeckRS 2009, 3920 = ZfS 2009, 175 ff.; vgl. ferner u.a. OLG Bamberg, Beschlüsse vom 15.01.2009 – 3 Ss OWi 1610/08 = ZfS 2009, 448; vom 27.12.2011 – 3 Ss OWi 1550/11; vom 22.02.2012 – 3 Ss OWi 200/12; vom 26.06.2013 – 3 Ss OWi 754/13; vom 02.07.2014 – 2 Ss OWi 625/14; vom 03.07.2015 – 3 Ss OWi 774/15; vom 08.01.2016 – 3 Ss OWi 1546/2015 und zuletzt vom 10.05.2016 – 3 Ss OWi 424/2016, jeweils m.w.N.).

3. Zwar gilt § 275 Abs. 1 StPO gemäß §§ 46 Abs. 1, 71 Abs. 1 OWiG im gerichtlichen Bußgeldverfahren entsprechend. Dies bedeutet, dass das vollständige Urteil unverzüglich, spätestens jedoch innerhalb der Frist des § 275 Abs. 1 Satz 2 StPO zu den Akten gebracht werden muss, sofern es nicht bereits vollständig in das Protokoll aufgenommen wurde. Liegt jedoch ein sog. ‚Protokollurteil‘ vor, gelten die Fristen für die Urteilsabsetzung nach § 275 Abs. 1 StPO nicht (vgl. hierzu eingehend BGH, Beschluss vom 08.05.2013 – 4 StR 336/12 = BGHSt 58, 243 = DAR 2013, 477 = NJW 2013, 2837 = NZV 2013, 557 = NStZ 2013, 730).

a) Wie im Strafverfahren steht es auch im Bußgeldverfahren im nicht anfechtbaren Ermessen des Vorsitzenden zu entscheiden, ob das Urteil mit den Gründen als besondere Niederschrift (also mit Urteilskopf, Urteilsformel und Gründen) zu den Akten zu bringen ist oder die Gründe vollständig in das Protokoll mit aufzunehmen sind. Hinsichtlich Form und Inhalt unterliegt das in das Protokoll aufgenommene Urteil den gleichen Anforderungen wie die in einer getrennten Urkunde erstellten Urteile. Wenn sich die nach § 275 Abs. 3 StPO erforderlichen Angaben bereits aus dem Protokoll ergeben, ist ein besonderer Urteilskopf jedoch entbehrlich (BGH a.a.O.).

b) Im Bußgeldverfahren eröffnet § 77b Abs. 1 OWiG – über § 267 Abs. 4 und Abs. 5 Satz 2 StPO hinausgehend – aus Gründen der Verfahrensvereinfachung und zur Entlastung der Tatsacheninstanz die Möglichkeit, von einer schriftlichen Begründung des Urteils gänzlich abzusehen. Dies ist dann der Fall, wenn alle zur Anfechtung Berechtigten auf die Einlegung der Rechtsbeschwerde verzichtet haben oder wenn innerhalb der Frist keine Rechtsbeschwerde eingelegt wird (§ 77b Abs. 1 Satz 1 OWiG) oder wenn die Verzichtserklärungen der Staatsanwaltschaft und des Betroffenen ausnahmsweise entbehrlich sind (§ 77b Abs. 1 Sätze 2 und 3 OWiG). Im Bußgeldverfahren steht somit der Umstand, dass in dem Hauptverhandlungsprotokoll keine Urteilsgründe niedergelegt sind, der Annahme eines im Sinne der §§ 46 Abs. 1, 71 Abs. 1 OWiG, § 275 Abs. 1 Satz 1 StPO vollständig in das Sitzungsprotokoll aufgenommenen Urteils nicht entgegen. Es genügt, dass das Hauptverhandlungsprotokoll – wie hier – alle für den Urteilskopf nach § 275 Abs. 3 StPO erforderlichen Angaben sowie den vollständigen Tenor einschließlich der angewendeten Vorschriften enthält und von dem erkennenden Richter unterzeichnet ist (BGH a.a.O.; vgl. auch OLG Bamberg ZfS 2009, 175 und StraFo 2010, 468; OLG Celle NZV 2012, 45 f.; KG NZV 1992, 332; OLG Oldenburg, NZV 2012, 352).

4. Es entspricht gefestigter Rechtsprechung und einer verbreiteten Meinung in der Literatur, dass die nachträgliche Ergänzung eines Urteils grundsätzlich nicht zulässig ist – und zwar auch nicht innerhalb der (hier nach Aktenlage eingehaltenen) Urteilsabsetzungsfrist des § 275 Abs. 1 Satz 2 StPO –, wenn es bereits aus dem inneren Dienstbereich des Gerichts herausgegeben worden ist. Für das Bußgeldverfahren folgt daraus, dass ein vollständig in das Sitzungsprotokoll aufgenommenes, nicht mit Gründen versehenes Urteil, das den inneren Dienstbereich des Gerichts bereits verlassen hat, nicht mehr verändert werden darf, es sei denn, die nachträgliche Urteilsbegründung ist gemäß § 77b Abs. 2 OWiG zulässig (BGH a.a.O. m.w.N.).

a) Die Voraussetzungen für eine ausnahmsweise nachträgliche Ergänzung der Urteilsgründe waren vorliegend aber schon deshalb nicht gegeben, weil mit dem angefochtenen Urteil gegen den Betroffenen nicht lediglich Geldbußen von nicht mehr als 250 Euro festgesetzt worden sind (§ 77b Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 OWiG).

b) Voraussetzung für die Annahme der Hinausgabe eines nicht begründeten sog. ‚Protokollurteils‘ ist der erkennbar zum Ausdruck gebrachte Wille des Gerichts, dass es von den Möglichkeiten des § 77b Abs. 1 OWiG sowie des § 275 Abs. 1 Satz 1 StPO in Verbindung mit § 71 Abs. 1 OWiG Gebrauch macht, also von einer schriftlichen Begründung des Urteils gänzlich absieht und das Urteil allein durch Aufnahme in das Hauptverhandlungsprotokoll fertigt. Der Richter muss sich bewusst für eine derart abgekürzte Fassung des Urteils entschieden haben (OLG Bamberg ZfS 2009, 175; KG NZV 1992, 332; BGH a.a.O., jeweils m.w.N.). Mit der gerichtlichen Anordnung (§ 36 Abs. 1 Satz 1 StPO) der Übersendung der Akten einschließlich eines ohne Gründe ins Hauptverhandlungsprotokoll aufgenommenen bzw. als Anlage zum Hauptverhandlungsprotokoll genommenen Urteils an die Staatsanwaltschaft „zur Zustellung des Urteils gemäß §§ 46 Abs. 1 OWiG, 41 StPO“ hat sich der Tatrichter für die Hinausgabe einer nicht mit Gründen versehenen Urteilsfassung endgültig entschieden. Damit hat ein „Protokollurteil ohne Gründe“ den inneren Dienstbereich des Gerichts verlassen und ist mit der Zustellung an die Staatsanwaltschaft nach außen in Erscheinung getreten. Da der Tatrichter in diesem Fall das Urteil der Staatsanwaltschaft in Urschrift und eindeutig erkennbar im Wege der förmlichen Bekanntmachung einer Entscheidung zugeleitet hat, muss er sich an dieser Erklärung festhalten lassen. Dabei wird den Anforderungen an eine Zustellung gemäß § 41 StPO bereits dadurch genügt, dass die Staatsanwaltschaft aus der Übersendungsverfügung in Verbindung mit der aus den Akten zu ersehenden Verfahrenslage erkennen kann, mit der Übersendung an sie werde die Zustellung nach § 41 StPO bezweckt, weshalb es dann keines – hier allerdings gegebenen – ausdrücklichen Hinweises auf diese Vorschrift bedarf (BGH a.a.O. m.w.N.).

III.

Aufgrund des aufgezeigten Rechtsfehlers hebt der Senat das angefochtene Urteil auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen (im Rechtsfolgenausspruch) mit den zugrunde liegenden tatsächlichen Feststellungen auf und verweist die Sache gemäß § 79 Abs. 6 OWiG zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Amtsgericht … zurück.

IV.

Der Senat entscheidet durch Beschluss gemäß § 79 Abs. 5 Satz 1 OWiG.

Gemäß § 80a Abs. 1 OWiG entscheidet der Einzelrichter.