Mit Urteilen, die nach Herausgabe aus dem inneren Dienstbereich des Gerichts – meist an die Staatsanwaltschaft – ergänzt worden sind, haben sich die Oberlandesgerichte schon häufiger befasst, in letzter Zeit u. a. das OLG Saarbrücken und das OLG Bamberg. Hier hat das AG Zwickau am 04.01.2016 einen Betroffenen zu einer Geldbuße und einem Fahrverbot verurteilt. Am 06.01.2016 wurde ein abgekürztes Urteil ohne Gründe an die Staatsanwaltschaft gemäß § 41 StPO zugestellt. Nach Einlegung der Rechtsbeschwerde durch den Betroffenen gelangten am 22.01.2016 die schriftlichen Urteilsgründe zu den Akten. Das OLG hebt auf: Durch die Zustellung des Urteils an die Staatsanwaltschaft habe dieses den inneren Dienstbereich des Gerichts verlassen. In diesem Fall könne das Urteil nicht mehr ergänzt werden; dies sei nur in Ausnahmefällen, wie in § 77b OWiG geregelt, möglich, welche hier auf Grund der eingelegten Rechtsbeschwerde nicht einschlägig seien. Damit sei die nachträgliche Begründung des Urteils unwirksam. Da also allein das Urteil ohne Gründe für das OLG maßgeblich sei, dieses aber sachlich-rechtlich nicht überprüft werden könne, müsse es aufgehoben werden (OLG Dresden, Beschluss vom 04.05.2016 – OLG 23 Ss 223/16 (B)).

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Zwickau vom 04. Januar 2016 mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an das Amtsgericht Zwickau zurückverwiesen.

G r ü n d e :

I.
Das Amtsgericht Zwickau hat den Betroffenen mit Urteil vom 04. Januar 2016 wegen fahrlässiger Überschreitung der durch Verkehrszeichen angeordneten Höchstgeschwindigkeit zu einer Geldbuße in Höhe von 160,00 € verurteilt sowie ein Fahrverbot für die Dauer von einem Monat gegen ihn verhängt.

Hiergegen hat der Betroffene durch seinen Verteidiger form- und fristgerecht Rechtsbeschwerde eingelegt und diese mit der Sachrüge begründet.

Die Generalstaatsanwaltschaft Dresden hat beantragt, die Rechtsbeschwerde als unbegründet zu verwerfen.

II.

Die zulässige Rechtsbeschwerde hat mit der Sachrüge – vorläufigen – Erfolg, weil das der Staatsanwaltschaft auf richterliche Verfügung am 06. Januar 2015 zugegangene, für die Überprüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht maßgebliche Urteil entgegen § 71 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 267 StPO keine Gründe enthält und damit dem Senat eine materiell-rechtliche Überprüfung auf etwaige Rechtsfehler von vornherein verwehrt ist. Eine Ergänzung durch die am 22. Januar 2016 zu den Akten gelangten schriftlichen Urteilsgründe ist vorliegend unzulässig.

1.
Das Rechtsbeschwerdegericht hat auf die Sachrüge hin zu prüfen, ob nach der am 06. Januar 2016 erfolgten Zustellung eines (abgekürzten) Urteils ohne Gründe an die Staatsanwaltschaft die Fertigung der am 22. Januar 2016 zu den Akten gelangten schriftlichen Urteilsgründe zulässig war – ohne dass es einer entsprechenden Verfahrensrüge bedarf -, weil von der Klärung dieser Frage abhängt, welcher Urteilstext auf die Sachrüge hin vom Rechtsbeschwerdegericht auf materiell-rechtliche Fehler überprüft werden soll (vgl. OLG Bamberg, ZfS 2006, 592; OLG Köln, VRS 63, 460; OLG Brandenburg, NStZ-RR 2004, 121; OLG Dresden, Beschluss vom 19. August 2015, 22 Ss 519/15 [B]).

2.
Im Bußgeldverfahren ist – wie auch im Strafverfahren – unabhängig von der Einhaltung der Urteilsabsetzungsfrist des § 275 Abs. 1 Satz 2 StPO die nachträgliche Ergänzung eines nicht mit Gründen versehenen, also abgekürzten Urteils bzw. die nachträgliche Fertigung schriftlicher Urteilsgründe grundsätzlich unzulässig, wenn es bereits aus dem inneren Dienstbereich des Gerichtes herausgegeben worden ist; dieser Grundsatz gilt nur dann nicht, wenn das Gesetz entsprechende Ausnahmen zulässt (BGHSt 43, 23; OLG Brandenburg, a.a.O.; BayObLG, ZfS 2004, 382).

Für das Bußgeldverfahren regelt § 77 b OWiG, unter welchen Voraussetzungen eine schriftliche Begründung des Urteils nachträglich zu den Akten gebracht werden kann.

3.
Vorliegend hat auf Veranlassung des Tatrichters ein nicht mit Gründen versehenes, also abgekürztes Urteil den inneren Dienstbereich des Gerichtes verlassen, ohne dass die Voraussetzungen des § 77 b Abs. 1 OWiG gegeben waren.

a)
Mit der in der Verfügung vom 05. Januar 2016 getroffenen Anordnung der Übersendung der Akten einschließlich des Hauptverhandlungsprotokolls und eines unterzeichneten Urteilsformulars an die Staatsanwaltschaft zur Zustellung gemäß § 41 StPO hat sich der Tatrichter für die Hinausgabe eines Urteils in eben dieser, nicht mit Gründen versehenen Fassung entschieden (OLG Celle, VRS 75, 461; OLG Karlsruhe, NStZ-RR 207, 2211; OLG Bamberg ZfS 2006, 592). Damit hat ein schriftliches Urteil ohne Gründe den inneren Dienstbereich des Gerichts verlassen und ist mit der Zustellung an die Staatsanwaltschaft nach außen getreten. Da der Tatrichter das Hauptverhandlungsprotokoll und das sich im Anschluss befindliche unterzeichnete Urteil der Staatsanwaltschaft in der Urschrift ausdrücklich unter Berufung auf § 41 StPO, somit für den Empfänger eindeutig erkennbar im Wege der förmlichen Bekanntmachung einer Entscheidung zugeleitet hat, muss er sich an dieser Erklärung festhalten lassen (OLG Bamberg, ZfS 2006, 592; BGHSt 58, 243).

b)
Die Voraussetzungen des § 77 b Abs. 1 OWiG für ein Absehen von Urteilsgründen waren aber bereits deswegen nicht gegeben, weil nicht alle zur Anfechtung Berechtigten auf die Einlegung der Rechtsbeschwerde verzichtet hatten, die Frist zur Einlegung der Rechtsbeschwerde für den Betroffenen noch nicht abgelaufen und ein Verzicht des Betroffenen gemäß § 77 b Abs. 1 Satz 3 OWiG auch nicht entbehrlich war. Eine entsprechende Anwendung des § 77 b OWiG kommt nach Sinn, Zweck und Regelungsgehalt dieser Norm vorliegend nicht zur Anwendung (OLG Bamberg, ZfS 2009, 175; OLG Brandenburg, VRS 106, 61).

4.
Da somit die am 22. Januar 2016 zu den Akten gelangten schriftlichen Urteilsgründe unbeachtlich sind, das – maßgebliche – der Staatsanwaltschaft am 06. Januar 2016 zugegangene Urteil aber keine Gründe enthält, somit dem Rechtsbeschwerdegericht keine Nachprüfung auf sachlich-rechtliche Fehler ermöglicht, unterliegt es allein deswegen der Aufhebung.

Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, dass zum unverzichtbaren Inhalt eines bußgeldrichterlichen Urteils unter anderem die Angabe der für erwiesen erachteten Tatsachen gehört, in denen die gesetzlichen Merkmale der Ordnungswidrigkeit gesehen werden. Die Merkmale der inneren Tatseite müssen, sofern sie sich nicht von selbst aus der Sachverhaltsschilderung ergeben, durch tatsächliche Feststellungen belegt, insbesondere die Rechtsbegriffe „Vorsatz“ und „Fahrlässigkeit“ in ihre tatsächlichen Bestandteile aufgelöst werden. Auch daran fehlt es im vorliegenden Urteil. Zwar teilt das Amtsgericht im Tenor seines Urteils noch mit, der Betroffene habe die zulässige Höchstgeschwindigkeit fahrlässig überschritten. Diese Feststellung wird jedoch nicht durch Tatsachen unterfüttert. So fehlt etwa jegliche Feststellung dahingehend, dass der Betroffene die Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit hätte erkennen können und müssen.

Nur der Vollständigkeit halber sei noch darauf hingewiesen, dass sich die Verkündung der Anordnung der Vollstreckungsregelung des § 25 Abs. 2 a StVG aus dem Protokoll nicht ergibt.