Der Betroffene wurde wegen eines mittels Leivtec XV3-Messgerät festgestellten Geschwindigkeitsverstoßes verurteilt. Seine Rechtsbeschwerde hatte schon deshalb Erfolg, weil – wie in dem letzte Woche vorgestellten Fall – vom Amtsgericht ein Urteil ohne Gründe an die Staatsanwaltschaft zugestellt worden war. Zu der Geschwindigkeitsmessung führt das OLG aus: Ein Verbindungskabel zwischen Rechner und Bedieneinheit des Leivtec XV3-Messgeräts, dass entgegen der Bauartzulassung länger als drei Meter ist, schließt die Annahme eines standardisierten Messverfahrens aus. Das so gewonnene Messergebnis sei daher grundsätzlich von einem Sachverständigen zu überprüfen.  Aber ähnlich wie das OLG Saarbrücken fügt das OLG Dresden hinzu: Es sei nicht rechtsfehlerhaft, auf eine zu dem Problem ergangene Stellungnahme der PTB vom 22. Mai 2015 Bezug zu nehmen, nach der eine geringfügige Überschreitung der Kabellänge das Messergebnis nicht beeinflussen kann (OLG Dresden, Beschluss vom 29.06.2016 – OLG 23 Ss 398/16 (B)). Außerdem wäre es noch interessant, zu wissen, wie das OLG – vor dem Hintergrund seiner Formulierung “Ein standardisiertes Messverfahren liegt nicht mehr vor, wenn bei Aufbau oder Bedienung gegen die Bedienungsanleitung oder Vorschriften der Bauartzulassung durch die PTB verstoßen wird.” – zu den Abweichungen im Messabstand bei PoliScan-Speed-Messgeräten steht.

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Zittau vom 23. Februar 2016 aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an das Amtsgerichts Zittau zurückverwiesen.

G r ü n d e :

I.

Mit Urteil vom 23. Februar 2016 hat das Amtsgericht Zittau den Betroffenen wegen fahrlässiger Überschreitung der außerorts zulässigen Höchstgeschwindigkeit zu einer Geldbuße in Höhe von 160,00 € verurteilt sowie ein Fahrverbot gegen ihn für die Dauer von einem Monat verhängt.

Hiergegen hat der Betroffene durch seinen Verteidiger form- und fristgerecht Rechtsbeschwerde eingelegt und dieser mit der Verfahrens- sowie der Sachrüge begründet.

Die Generalstaatsanwaltschaft Dresden hat beantragt, auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht zurückzuverweisen.

II.

Das angefochtene Urteil war auf die Sachrüge aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht Zittau zurückzuverweisen.

Die Generalstaatsanwaltschaft Dresden hat in ihrer Stellungnahme vom 22. Juni 2016 hierzu wie folgt ausgeführt:

„Das Amtsgericht Zittau hat den Betroffenen am 23. Februar 2016 wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 45 km/h zu einer Geldbuße von 160,00 EUR verurteilt. Gleichzeitig verhängte das Amtsgericht gegen ihn ein Fahrverbot von einem Monat und ordnete an, dass das Fahrverbot erst wirksam wird, wenn der Führerschein nach Rechtskraft des Urteils in amtliche Verwahrung gelangt, spätestens jedoch mit Ablauf von vier Monaten nach Eintritt der Rechtskraft.

Mit Verfügung vom selben Tag übersandte der erkennende Richter die Akten an die Staatsanwaltschaft Görlitz zur Zustellung gemäß § 41 StPO. Aus dem zu diesem Zeitpunkt in den Akten befindlichen und vom Richter unterzeichneten Hauptverhandlungsprotokoll ergibt sich der vollständige Urteilstenor des am 23. Februar 2016 verkündeten Urteils.

Gegen das Urteil des Amtsgerichts Zittau legte der Verteidiger des Betroffenen mit Schreiben vom 24. Februar 2016, eingegangen beim Amtsgericht Zittau am selben Tag, Rechtsbeschwerde ein.

Am 17. März 2016 brachte das Amtsgericht ein mit Gründen versehenes Urteil zu den Akten und verfügte zugleich dessen Zustellung an den Betroffenen sowie dessen Verteidiger. Während dem Betroffenen das Urteil bereits am 22. März 2016 zugestellt worden war, nahm der Verteidiger des Betroffenen das Urteil ausweislich des in den Akten befindlichen Empfangsbekenntnisses erst am 1. April 2016 entgegen. Der Verteidiger des Betroffenen begründete die Rechtsbeschwerde mit Schriftsatz vom 30. April 2016, eingegangen beim Amtsgericht Zittau am 2. Mai 2016. Der Betroffene rügt die Verletzung materiellen Rechts.

II.
Die zulässige Rechtsbeschwerde hat mit der Sachrüge – vorläufigen – Erfolg, weil das der Staatsanwaltschaft gemäß richterlicher Verfügung vom 23. Februar 2016 zugestellte Urteil entgegen § 71 OWiG i. V. m. § 267 StPO keine Gründe aufgewiesen hat und damit dem Rechtsbeschwerdegericht eine materiell-rechtliche Überprüfung auf etwaige Rechtsfehler von vornherein verwehrt ist. Eine Ergänzung durch die am 17. März 2016 zu den Akten gebrachten schriftlichen Urteilsgründe war vorliegend unzulässig.

1.
Das Rechtsbeschwerdegericht hat auf die Sachrüge hin zu prüfen, ob nach der am 23. Februar 2016 erfolgten Zustellung eines Urteils ohne Gründe an die Staatsanwaltschaft die Fertigung der am 17. März 2016 und damit innerhalb der Frist des § 275 Abs. 1 Satz 1 und 2 StPO zu den Akten gelangten schriftlichen Urteilsgründe zulässig war – ohne dass es einer entsprechenden Verfahrensrüge bedarf –, weil von der Klärung dieser Frage abhängt, welcher Urteilstext auf die Sachrüge hin vom Rechtsbeschwerdegericht auf materiell-rechtliche Fehler überprüft werden soll (OLG Bamberg, ZfS 2006, 592; OLG Köln, VRS 63, 460; OLG Brandenburg, NStZ-RR 2004, 121; OLG Dresden, Beschluss vom 4. Mai 2016 – 23 Ss 223/16 [B]).

2.
Im Bußgeldverfahren ist, wie auch im Strafverfahren, unabhängig von der Einhaltung der Urteilsabsetzungsfrist des § 275 Abs. 1 Satz 2 StPO die nachträgliche Ergänzung eines nicht mit Gründen versehenen, also abgekürzten Urteils bzw. die nachträgliche Fertigung schriftlicher Urteilsgründe grundsätzlich unzulässig, wenn es bereits aus dem inneren Dienstbereich des Gerichts herausgegeben worden ist; dieser Grundsatz gilt nur dann nicht, wenn das Gesetz entsprechende Ausnahmen zulässt (vgl. BGHSt 43, 23; BayObLG ZfS 2004, 382; OLG Bamberg a.aO.; OLG Brandenburg, a.a.O.).

Für das Bußgeldverfahren regelt § 77 b OWiG, unter welchen Voraussetzungen eine schriftliche Begründung des Urteils nachträglich zu den Akten gebracht werden kann.

3.
Im vorliegenden Fall hat auf Veranlassung des Tatrichters ein nicht mit Gründen versehenes, also abgekürztes Urteil den inneren Dienstbereich des Gerichts verlassen, ohne dass die Voraussetzungen des § 77 b Abs. 1 OWiG gegeben waren.

a)
Mit der in der Verfügung vom 23. Februar 2016 getroffenen Anordnung der Übersendung der Akten mit Hauptverhandlungsprotokoll und unterzeichnetem Urteilsformular an die Staatsanwaltschaft zur Zustellung gemäß § 41 StPO hat sich der Tatrichter für die Hinausgabe eines Urteils in eben dieser, nicht mit Gründen versehenen Fassung entschieden (vgl. OLG Celle, VRS 75, 461; OLG Karlsruhe, NStZ-RR 2007, 212; OLG Brandenburg, a.aO.; OLG Bamberg, a.a.O.). Damit hat ein schriftliches Urteil ohne Gründe den inneren Dienstbereich des Gerichts verlassen und ist mit der Zustellung an die Staatsanwaltschaft nach außen hin in Erscheinung getreten. Da der Tatrichter das Hauptverhandlungsprotokoll mit dem unterzeichneten Urteil der Staatsanwaltschaft in der Urschrift ausdrücklich unter Berufung auf § 41 StPO und somit für den Empfänger eindeutig erkennbar im Wege der förmlichen Bekanntmachung einer Entscheidung zugeleitet hat, muss er sich an dieser Erklärung festhalten lassen (vgl. OLG Bamberg, a.a.O.; BGHSt 58, 243).

b)
Die Voraussetzungen des § 77 b Abs. 1 OWiG für ein Absehen von Urteilsgründen waren bereits deswegen nicht gegeben, weil nicht alle zur Anfechtung Berechtigten auf die Einlegung der Rechtsbeschwerde verzichtet hatten, die Frist zur Einlegung der Rechtsbeschwerde für den Betroffenen noch nicht abgelaufen und ein Verzicht des Betroffenen gemäß § 77b Abs. 1 Satz 3 OWiG auch nicht entbehrlich war. Eine entsprechende Anwendung des § 77b OWiG kommt nach Sinn, Zweck und Regelungsgehalt dieser Norm vorliegend nicht zur Anwendung (vgl. OLG Bamberg, Beschluss vom 15. Januar 2009 – 3 Ss OWi 1610/08, 3 Ss OWi 1610/2008 –, juris).

4.
Da somit die am 17. März 2016 zu den Akten gelangten schriftlichen Urteilsgründe unbeachtlich sind, das – maßgebliche – der Staatsanwaltschaft am 23. Februar 2016 zugegangene Urteil aber keine Gründe enthält, somit dem Rechtsbeschwerdegericht keine Nachprüfung auf sachlich-rechtliche Fehler ermöglicht, unterliegt es allein deswegen der Aufhebung.“

Diesen zutreffenden Ausführungen schließt sich der Senat nach eigener Überprüfung an.

Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:

Bei Mitteilung des toleranzbereinigten Messwertes ist es jedenfalls tunlich, auch die Höhe des konkret berücksichtigten Toleranzwertes mitzuteilen.

Ein standardisiertes Messverfahren liegt nicht mehr vor, wenn bei Aufbau oder Bedienung gegen die Bedienungsanleitung oder Vorschriften der Bauartzulassung durch die PTB verstoßen wird. Sollte daher das Verbindungskabel zwischen Rechner und Bedieneinheit die mit der Gerätezulassung vorgeschriebene Länge von maximal drei Metern überschritten haben, so läge ein standardisiertes Messverfahren nicht mehr vor. Dies allein führt jedoch grundsätzlich nicht zu einem Verwertungsverbot des Messergebnisses. Vielmehr ist das dem Verfahren zugrundliegende Messergebnis gegebenenfalls unter Zuhilfenahme eines Sachverständigen zu überprüfen. Im Übrigen hat das Amtsgericht zutreffend auf eine Stellungnahme der PTB vom 22. Mai 2015 zu möglichen Auswirkungen der Kabellänge Bezug genommen. Insoweit ist obergerichtlich geklärt, dass es vor diesem Hintergrund nicht rechtsfehlerhaft ist, wenn das Amtsgericht sich aufgrund der Stellungnahme der PTB vom 22. Mai 2015 die Überzeugung davon verschafft, dass bei der hier im Raum stehenden geringfügigen Überschreitung der Kabellänge kein Einfluss auf das Messergebnis zu erwarten ist (vgl. insoweit OLG Celle, Beschluss vom 21. April 2016, 2 Ss OWi 82/16).