In letzter Zeit häufiger ist die Problematik um die Herausgabe von Bußgeldurteilen ohne Gründe aus dem inneren Dienstbereich des Gerichts (durch Zustellung an die Staatsanwaltschaft, damit diese Rechtsmittelverzicht erklären kann) aufgetreten (vgl. hier und hier). Dies führt, wenn Betroffene anschließend Rechtsbeschwerde einlegen und die Urteilsgründe nachträglich aufgenommen werden, häufig zu Urteilsaufhebungen durch die Oberlandesgerichte. Im vorliegenden Fall verfügte allerdings nicht der Richter, sondern die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle die Übersendung eines Protokollurteils an die Staatsanwaltschaft. Darin sieht das OLG Bamberg keine wirksame Zustellung, so dass die nachträgliche Fertigung der gründe vorliegend nicht unzulässig gewesen sei.

OLG Bamberg, Beschluss vom 23.10.2017 – 3 Ss OWi 896/17

I. Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts vom 6. März 2017 wird als unbegründet verworfen.

II. Der Betroffene hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

I.

Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen einer am 12.08.2016 als Führer eines Pkw fahrlässig begangenen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 26 km/h (§ 24 Abs. 1 StVG i.V.m. §§ 41 Abs. 2, 49 Abs. 3 Nr. 4 StVO) zu einer Geldbuße von 160 Euro verurteil und gegen ihn ein Fahrverbot für die Dauer eines Monats verhängt. Mit seiner hiergegen gerichteten unbeschränkten Rechtsbeschwerde rügt der Betroffene die Verletzung formellen und materiellen Rechts.

II.

Die gemäß § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 OWiG statthafte und auch im Übrigen zulässige, insbesondere fristgerecht eingelegte und begründete Rechtsbeschwerde erweist sich als unbegründet. Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Rechtsbeschwerde hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen ergeben.

1. Soweit mit der Verfahrensrüge die Verletzung des Beweisantragsrechts bzw. des rechtlichen Gehörs beanstandet wird, ist die Rüge unbegründet, wobei dahin stehen kann, ob mit dem Antrag „zum Beweis der Tatsache, dass der Betroffene die zulässige Höchstgeschwindigkeit eingehalten hat und allenfalls mit einer Geschwindigkeit von 70 km/h gefahren ist“, auch unter Berücksichtigung der Antragsbegründung mangels einer bestimmten Beweisbehauptung in Gestalt des von der Verteidigung erhofften Beweisziels überhaupt von einem wirksamen Beweisantrag oder nur von einem sog. Beweisermittlungsantrag auszugehen ist (vgl. hierzu BGH, Beschl. v. 24.01.2017 – 2 StR 509/16 = NStZ 2017, 300; OLG Bamberg, Beschl. v. 17.03.2017 – 3 Ss OWi 264/17 = StraFo 2017, 156 m. Anm. Rinklin, jurisPR-StrafR 9/2017 Anm. 4 und zuletzt v. 04.10.2017 – 3 Ss OWi 1232/17, jeweils m.w.N.). Denn durch die im Einzelfall nicht ausschließbare bauartbedingte Berücksichtigung von Messpunkten und die hierdurch bedingte Generierung von Rohmessdaten mit außerhalb des Messbereichs liegenden Ortskoordinaten bei Geschwindigkeitsmessungen mit dem Geschwindigkeitsüberwachungsgerät PoliScanSpeed wird die (unveränderte) Gültigkeit der innerstaatlichen Bauartzulassung zur Eichung und damit die Einordnung des vorgenannten Laserscanner-Geschwindigkeitsüberwachungsgeräts als sog. ‚standardisiertes‘ Messverfahren im Sinne der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGHSt 39, 291; 43/277; vgl. u.a. auch OLG Bamberg, Beschl. v. 26.04.2013 – 2 Ss OWi 349/13 = DAR 2014, 38 = OLGSt StPO § 261 Nr. 21) nicht in Frage gestellt (vgl. u.a. OLG Zweibrücken, Beschl. v. 27.01.2017 – 1 OWi 1 Ss BS 53/16 = ZfS 2017, 172 = DAR 2017, 211 und 21.04.2017 – 1 OWi 2 SsBs 18/17 = ZfS 2017, 350; OLG Saarbrücken, Beschl. v. 21.04.2017 – Ss Rs 13/2017 [bei juris]; KG, Beschl. v. 21.06.2017 – 162 Ss 90/17 [bei juris]; OLG Braunschweig, Beschl. v. 14.06.2017 – 1 Ss [OWi] 115/17 [bei juris]; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 26.05.2017 – 8 Ss 246/17 [bei juris]; OLG Bamberg, Beschl. v. vom 24.07.2017 – 3 Ss OWi 976/17 [bei juris]).

2. Aber auch die Überprüfung des Urteils auf die (unausgeführte) Sachrüge deckt weder im Schuldspruch noch im Rechtsfolgenausspruch einen Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen auf. Die Feststellungen des Amtsgerichts tragen sowohl den Schuldspruch in objektiver und subjektiver Hinsicht als auch die daran anknüpfende Rechtsfolgenbemessung.

a) Mangels einer gemäß § 36 Abs. 1 Satz 1 StPO aktenkundigen richterlich verfügten und deshalb ohne weiteres unwirksamen förmlichen Zustellung im Sinne von § 41 StPO (vgl. nur BGH, Beschl. v. 06.03.2014 – 4 StR 553/13 = NJW 2014, 1686 = wistra 2014, 277 = BGHR StPO § 36 Abs. 1 S. 1 Anordnung 2 = StV 2015, 738 und schon BGH NStZ 1986, 230; ferner Meyer-Goßner/Schmitt StPO 60. Aufl. § 36 Rn. 2, 7, jeweils m.w.N.) hat entgegen der Auffassung der deshalb die Urteilsaufhebung beantragenden Generalstaatsanwaltschaft insbesondere kein sog. ‘Protokollurteil’ den inneren Dienstbereich mit der Folge verlassen, dass die nachträgliche Fertigung von Urteilsgründen als unzulässig anzusehen wäre. Vielmehr erfolgte die unter dem 08.03.2017 verfügte und am 10.03.2017,bewirkte‘ Aktenzustellung „gem. § 41 StPO“ an die Staatsanwaltschaft hier durch die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle und gerade nicht durch die erkennende Richterin, weshalb nicht von einer vorbehaltlosen urschriftlichen Bekanntgabe im Wege der Zustellung eines entgegen § 71 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 267 StPO ohne Urteilsgründe abgefassten ‘Protokollurteils’ auszugehen ist (zur Frage der Zulässigkeit eines sog.,Protokollurteils‘ rechtsgrundsätzlich neben BGH, Beschl. v. 08.05.2013 – 4 StR 336/12 = BGHSt 58, 243 = DAR 2013, 477 = NJW 2013, 2837 = NZV 2013, 557 = NStZ 2013, 730 schon OLG Bamberg, Beschl. v. 16.12.2008 – 3 Ss OWi 1060/08 [bei Juris] = BeckRS 2009, 3920 = ZfS 2009, 175 ff.; ferner u.a. OLG Bamberg, Beschl. v. 15.01.2009 – 3 Ss OWi 1610/08 = ZfS 2009, 448; 27.12.2011 – 3 Ss OWi 1550/11; 22.02.2012 – 3 Ss OWi 200/12; 26.06.2013 – 3 Ss OWi 754/13; 02.07.2014 – 2 Ss OWi 625/14; 03.07.2015 – 3 Ss OWi 774/15; 08.01.2016 – 3 Ss OWi 1546/2015 und 06.06.2016 – 3 Ss OWi 646/16 = StraFo 2016, 385, jeweils m.w.N.; siehe auch OLG Saarbrücken, Beschl. v. 06.09.2016 – Ss Bs 53/16 [bei juris]). Mangels Zustellung durften deshalb nach Eingang der Rechtsbeschwerde des Betroffenen am 13.03.2017 gemäß § 275 Abs. 1 StPO i.V.m. §§ 46 Abs. 1, 71 Abs. 1 OWiG die schriftlichen Urteilsgründe nachträglich zu den Akten gebracht werden. Eine gegebenenfalls notwendige verfahrensrechtliche Beanstandung der verspäteten Urteilsabsetzung gemäß §§ 338 Nr. 7, 275 Abs. 1 Satz 2 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG (zu den Begründungsanforderungen vgl. u.a. OLG Saarbrücken, Beschl. v. 31.03.2014 – Ss [B] 18/14 = VRS 126 [2014], 203 m.w.N.) ist von der Rechtsbeschwerde nicht erhoben worden.

b) Auch der Rechtsfolgenausspruch ist frei von Rechtsfehlern. In Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung des Rechtsbeschwerdegerichts hat das Amtsgericht mit zutreffender Begründung neben der Verdoppelung der Regelgeldbuße die Notwendigkeit des Fahrverbots mit einem beharrlichen Pflichtenverstoß in einem Regelfall im Sinne von § 25 Abs. 1 Satz 1 2. Alt. StVG i.V.m. § 4 Abs. 2 Satz 2 BKatV begründet (vgl. u.a. OLG Bamberg, Beschl. v. 22.07.2016 – 3 Ss OWi 804/16 [bei juris] m.w.N.) und keine Veranlassung gesehen, etwa mit Blick auf das rechtsstaatliche Übermaßverbot (zu den insoweit bestehenden Anforderungen an die Aufklärungspflicht und Beweiswürdigung des Gerichts einerseits und die Substantiierungsobliegenheiten des Betroffenen bzw. seiner Verteidigung andererseits vgl. neben OLG Bamberg, Beschl. v. 22.04.2013 – 2 Ss OWi 339/13 = OLGSt StVG § 25 Nr. 55 = NZV 2014, 98 = VRR 2013, 310 [Deutscher] u.a. OLG Koblenz, Beschl. v. 23.04.2014 – 2 SsBs 14/14 = BA 51 [2014], 353 und 26.06.2015 – 2 OWi 3 SsBs 32/15 [bei juris] sowie KG, Beschl. v. 12.03.2012 – 162 Ss 310/11 = VRS 123 [2012], 64, jew. m.w.N.), von dem verwirkten Fahrverbot abzusehen.

III.

Der Senat entscheidet durch Beschluss nach § 79 Abs. 5 Satz 1 OWiG.

IV.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG.

Gemäß § 80a Abs. 1 OWiG entscheidet der Einzelrichter.