Die Verwaltungsbehörde forderte ein Pass- bzw. Personalausweisfoto des Betroffenen zur Identifizierung an. Seine Anhörung (§ 55 OWiG) erfolgte erst danach. Während des Verwaltungsverfahrens nach Stellung eines Antrags gemäß § 62 OWiG erging ein Hinweis des Amtsgerichts, wonach gegen die Überlassung der Falldaten der Messreihe an den Verteidiger des Betroffenen keine Bedenken bestünden. Die Daten wurden dann überlassen und an einen Privatsachverständigen weitergeleitet, welcher allerdings feststellte, dass Teile der Messreihe sowie die Statistikdatei fehlten. Den hierauf gestützten Antrag auf Aussetzung der Hauptverhandlung lehnte das Amtsgericht durch Beschluss ab, da die Daten verspätet angefordert worden seien, und verurteilte den Betroffenen zu einer Geldbuße in Höhe von 120 Euro (35 km/h außerorts). Nach Stellung und Begründung des Antrags auf Zulassung der Rechtsbeschwerde stellte das OLG das Verfahren wegen der Datenschutzverletzung sowie einer (voraussichtlichen) Verletzung des Grundsatzes des fairen Verfahrens gemäß § 47 OWiG auf Kosten der Staatskasse ein.

OLG Saarbrücken, Beschluss vom 16.06.2021 – SsRs 20/2020 (30/20 OWi)

1. Das Verfahren wird gemäß § 47 Abs. 2 Satz 1 OWiG eingestellt.

2. Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Betroffenen trägt die Landeskasse.

Gründe:

Zur Begründung der Einstellungsentscheidung nimmt der Senat auf seinen Vermerk vom 08.06.2021 (Bl. 160 f. d. A.) Bezug. Die Kosten- und Auslagenentscheidung beruht auf § 467 Abs. 1 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG. Im Hinblick auf die unter Verstoß gegen datenschutzrechtliche Bestimmungen erfolgte Ermittlung des Betroffenen als Fahrzeugführer und den nach vorläufiger Bewertung im erstinstanzlichen Verfahren erfolgten Verstoß gegen das Recht des Betroffenen auf ein faires Verfahren besteht kein Anlass, von der Auferlegung der notwendigen Auslagen des Betroffenen auf die Staatskasse abzusehen (§ 467 Abs. 4 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG).

Vermerk vom 08.06.2021:

Die im vorliegenden Fall ohne vorherige Anhörung des Betroffenen nach § 55 OWiG erfolgte Anforderung von dessen Passbild durch die PI Saarbrücken-Stadt (Bl. 13 ff., 24 ff. d. A.) war – wie die Verteidigung mit Recht geltend macht (Bl. 113 f. d. A.) – datenschutzrechtlich unzulässig (vgl. hierzu die übereinstimmenden Einschätzungen der Landesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit Nordrhein-Westfalen vom 27.11.2020 [Bl. 141 ff. d. A] und des Saarlandes vom 20.04.2021 [Bl. 156 ff. d. A]. Dementsprechend schreibt auch der neue Erlass über die Nutzung personenbezogener Daten aus Pass- und Personalausweisregistern zum Zwecke der Identifizierung von fahrzeugführenden Personen des MIBS des Saarlandes vom 21.01.2021 (gültig seit dem 09.02.2021) vor, dass Betroffene gemäß § 55 OWiG anzuhören und auf die Möglichkeit des Abgleichs des Messfotos mit Lichtbildern aus Pass- und Personalausweisregistern hinzuweisen sind, bevor die Lichtbilder aus Pass- und Personalausweisregistern angefordert werden.

Die von der Verteidigerin deswegen beantragte Einstellung des Verfahrens hält der Senat aus Gründen der Prozesswirtschaftlichkeit (vgl. hierzu Senatsbeschluss vom 25.01.2018 – SsBs 111/2017 (76/16 OWi) –; Göhler/Seitz/Bauer, OWiG, 18. Aufl., § 47 Rn. 41) im Hinblick auf die folgenden Umstände für geboten:

Nach vorläufiger Bewertung dürfte die Rechtsbeschwerde gemäß § 80 Abs. 1 Nr. 1 OWiG zuzulassen und die Sache dem Bußgeldsenat in der Besetzung mit drei Richtern zu übertragen (§ 80a Abs. 3 Satz 1 OWiG) und sodann das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht zurückzuverweisen sein. Denn die Verfahrensrüge der Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren und der unzulässigen Beschränkung der Verteidigung dürfte entgegen der Auffassung der Generalstaatsanwaltschaft (Bl. 132 d. A.) den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO (i. V. mit § 80 Abs. 3 Satz 3 OWiG) genügen. Insbesondere bedurfte es – wie die Verteidigerin mit Recht geltend macht (Bl. 137 f. d. A.) – im Hinblick darauf, dass das Amtsgericht die beantragte Aussetzung der Hauptverhandlung im Beschlussweg abgelehnt hat (Bl. 68 d. A.), zum Erhalt der Verfahrensrüge nicht der Geltendmachung des Zwischenrechtsbehelf des § 238 Abs. 2 StPO (vgl. OLG Karlsruhe NStZ 2019, 620 ff. – juris Rn. 21 ff.). Die Verfahrensrüge dürfte auch begründet sein, da die Begründung für die Ablehnung des Antrags auf Aussetzung der Hauptverhandlung in den Gründen des angefochtenen Urteils, die Verteidigung hätte frühzeitiger als geschehen monieren müssen, nicht alle Unterlagen erhalten zu haben, nach dem sich aus der Akte ergebenden, in dem Zulassungsantrag vollständig und zutreffend dargelegten Verfahrensgang ersichtlich nicht zutraf. Insbesondere erscheint es mit dem Gebot eines fairen Verfahrens nicht vereinbar, dass das Amtsgericht der Verteidigerin die von ihr schon frühzeitig mit Schriftsatz vom 22.01.2020 begehrte Überlassung der digitalen Falldatensätze der gesamten Messreihe mit Statistikdatei mit dieser Begründung abgeschnitten hat, nachdem es in seinem auf den Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 62 OWiG ergangenen “Hinweis” vom 28.04.2020 (Bl. 51 d. A.) ausgeführt hatte, gegen “die Herausgabe sämtlicher Falldatensätze in nicht anonymisierbarer Form an ein unabhängiges Organ der Rechtspflege” bestünden keine Bedenken, die Bußgeldbehörde der Verteidigerin daraufhin einen Datenträger, der die begehrten Daten enthalten sollte, übersandt hatte und das Sachverständigenbüro, an das die Verteidigerin den Datenträger zeitnah weitergeleitet hatte, der Verteidigerin erst am 10.08.2020 und somit drei Tage vor dem erstinstanzlichen Hauptverhandlungstermin mitgeteilt hatte, dass die auf dem Datenträger vorhandenen Informationen unvollständig seien (keine Statistikdatei, Messreihe unvollständig).

Die daher im Raum stehende Zurückverweisung der Sache wäre unter Berücksichtigung der Bedeutung der dem Betroffenen zur Last gelegten Ordnungswidrigkeit, der Schwere des Tatvorwurfs, des Zeitablaufs seit Begehung der dem Betroffenen zur Last gelegten Tat sowie der dadurch zu erwartenden weiteren Verzögerung, dass die Verteidigerin die begehrten Daten nach wie vor nicht vollständig erhalten hat und diese daher von dem beauftragten Privatsachverständigen bislang nicht ausgewertet werden konnten, unangemessen.

Mitgeteilt von Rechtsanwälte Zimmer-Gratz, Bous