Das gegen den Betroffenen wegen eines Geschwindigkeitsverstoßes geführte Bußgeldverfahren wurde vom AG eingestellt, nachdem der Verstoß infolge einer Corona-Erkrankung des zuständigen Richters und mehrwöchiger Quarantäne beider Geschäftsstellenmitabeiterinnen längere Zeit unbearbeitet blieb und schließlich verjährt war. Das AG stellte das Verfahren gemäß § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 206a Abs. 1 StPO ein, sah jedoch von einer Tragung der notwendigen Auslagen des Betroffenen durch die Staatskasse ab. In diesem Punkt wurde der Beschluss nun vom LG Frankenthal abgeändert: Selbst wenn ein Tatverdacht gegen den Betroffenen bestünde, würde dies lediglich das richterliche Ermessen gemäß § 467 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 StPO eröffnen. Deshalb müssten zusätzlich zum Tatverdacht weitere Umstände, etwa das schuldhafte Herbeiführen des Verfahrenshindernisses durch den Angeschuldigten/Betroffenen hinzutreten, um die Auslagentragung zu versagen. Die Verantwortung für den Eintritt der Verjährung seien jedoch allein der Sphäre der Justiz zuzuordnen.

LG Frankenthal (Pfalz), Beschluss vom 04.03.2021 – 7 Qs 44/21

1. Auf die sofortige Beschwerde des Betroffenen … gegen den Beschluss des Amtsgerichts Ludwigshafen am Rhein vom 12.02.2021 wird dieser in der Auslagenentscheidung aufgehoben. Es wird angeordnet, dass die Auslagen des Betroffenen im eingestellten Ordnungswidrigkeitsverfahren 4m OWi 5888 Js 18364/20 die Staatskasse trägt.

2. Die Staatskasse hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

I.

Mit Beschluss vom 12.02.2021, der Verteidigerin des Betroffenen zugestellt am 23.02.2021, hat das Amtsgericht Ludwigshafen am Rhein das Verkehrsordnungswidrigkeitsverfahren gegen den Betroffenen gemäß §§ 46 Abs. 1 OWiG, 206a Abs. 1 StPO eingestellt, nachdem die Akte infolge einer Coronaerkrankung des Referatsrichters und einer zweiwöchigen Quarantäne beider Geschäftsstellenmitarbeiterinnen nicht rechtzeitig vorgelegt worden war und daraufhin Verfolgungsverjährung eingetreten war. Die Kosten des Verfahrens erlegte das Amtsgericht der Staatskasse, die eigenen Auslagen des Betroffenen gemäß § 467 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 StPO diesem selbst auf, da aufgrund der in der Akte befindlichen Unterlagen der erhebliche Verdacht zu bejahen sei, dass der Betroffene die ihm zur Last gelegte Geschwindigkeitsüberschreitung tatsächlich begangen habe; es seien auch keine Umstände ersichtlich, die bei Fortführung des Verfahrens die Verdichtung dieses Tatverdachts zur prozessordnungsgemäßen Feststellung des dem Betroffenen vorgeworfenen Geschwindigkeitsverstoßes infrage gestellt hätten.”

Gegen den Beschluss wendet sich der Betroffene mit Schreiben vom 24.02.2021, eingegangen beim Amtsgericht am 24.02.2021.

Der Beschwerde hat das Amtsgericht Ludwigshafen am Rhein nicht abgeholfen.

II.

Die Beschwerde des Betroffenen ist statthaft und auch sonst zulässig, § 306 Abs. 1 StPO.

Sie ist überdies auch begründet. Selbst wenn vorliegend tatsächlich die Grundvoraussetzungen des § 467 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 StPO erfüllt wären und nicht nur ein erheblicher Tatverdacht bestünde (was wohl der Fall ist), sondern darüber hinaus gemäß den seitens des BGH aufgestellten Anforderungen (vgl. BGH NJW 2000, 1427 ff.) auch “keine Umstände erkennbar” wären, “die bei einer neuer Hauptverhandlung die Verdichtung des Tatverdachts zur prozessordnungsgemäßen Feststellung der Tatschuld in Frage stellen würden” (worauf das Amtsgericht in der Sache nicht einging, was in Anbetracht der zahlreichen auf die Feststellung der Rechtswidrigkeit der vorgenommenen Messung abzielenden Anträge der Verteidigung aber zumindest fraglich erscheint), so würde all dies überhaupt erst den Weg zur Ausübung des richterlichen Ermessens eröffnen, welche vom Amtsgericht, das sich mit der Wiedergabe der tatbestandlichen Voraussetzungen begnügte, hier nicht vorgenommen wurde. “Das Ermessen (…) ist also erst dann eröffnet, wenn das Gericht überzeugt ist, dass der Angeschuldigte ohne das Verfahrenshindernis verurteilt werden würde. Zum Verfahrenshindernis als alleinigem der Verurteilung entgegenstehenden Umstand müssen demnach weitere besondere Umstände hinzutreten, die es billig erscheinen lassen, dem Angeschuldigten die Auslagenerstattung zu versagen” (vgl. BVerfG, 29.10.2015, 2 BvR 388/13). Die Kammer ist berechtigt, im Rahmen der Beschwerdeentscheidung insoweit ihr eigenes Ermessen auszuüben (vgl. BGH NJW 1964, 2119). Dabei hatte sie zu berücksichtigen, dass es nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts “ein vom Angeschuldigten schuldhaft selbst herbeigeführtes Verfahrenshindernis (…) in der Regel unbillig erscheinen lassen wird, dessen notwendige Auslagen (…) der Staatskasse aufzuerlegen”, während es bei einem durch einen Verfahrensfehler des Gerichts eingetretenen Verfahrenshindernis “der Billigkeit entsprechen” könne, die notwendigen Auslagen der Staatskasse aufzubürden (vgl. BVerfG, 26.05.2017, 2 BvR 1821/16). Im vorliegenden Fall trifft den Betroffenen am Eintritt der Verfolgungsverjährung nicht die mindeste Schuld, die Verantwortung hierfür ist vielmehr allein der Sphäre der Justiz zuzuordnen. In Anbetracht dessen und in Ermangelung greifbarer sonstiger belastender Umstände vermag die Beschwerdekammer keinen schlüssigen – und erst recht keinen ‘besonderen’ – Grund dafür zu erkennen, warum der Betroffene seine Auslagen in dem eingestellten Verfahren selber tragen sollte.

Die Entscheidung hinsichtlich der Kosten des Beschwerdeverfahrens ergibt sich aus § 467 StPO analog, § 46 Abs. 1 OWiG.

Mitgeteilt von Rechtsanwälte Zimmer-Gratz, Bous.