Das gegen die Betroffene geführte Verfahren wegen eines Abstandsverstoßes wurde vom AG gemäß § 47 Abs. 2 OWiG mit Tragung ihrer notwendigen Auslagen eingestellt, nachdem die Verwaltungsbehörde trotz eines gerichtlichen Beschlusses nicht das Originalvideo der Verteidigung zur Verfügung stellte. Die Kosten für ein Privatgutachten hält das LG Baden-Baden jedoch nicht für erstattungsfähig: Vor Beauftragung des Privatsachverständigen hätte dem Gericht Gelegenheit gegeben werden müssen, selbst ein Gutachten in Auftrag zu geben. Zudem habe sich das (nicht vorgelegte) Gutachten nicht auf das Verfahren ausgewirkt.

LG Baden-Baden, Beschluss vom 02.03.2021 – 2 Qs 13/21

Die sofortige Beschwerde der Betroffenen gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des Amtsgerichts Baden-Baden vom 22.12.2020 in der Fassung des Beschlusses desselben Gerichts vom 02.02.2021 (14 OWi 306 Js 14926/19), wonach die ihr gemäß dem Beschluss des Amtsgerichts Baden-Baden vom 22.05.2020 aus der Staatskasse zu erstattenden notwendigen Auslagen auf 1.026,25 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz gemäß § 247 BGB hieraus seit 16.10.2020 festgesetzt wurden, wird kostenpflichtig als unbegründet verworfen.

Gründe:

Die gemäß §§ 46 Abs. 1 OWiG, 464 b Satz 3 StPO i. V. m. § 104 Abs. 3 Satz 1 ZPO, 11 RPflG statthafte und zulässige, insbesondere fristgerecht (§ 464 b Satz 4 StPO) eingelegte sofortige Beschwerde der Betroffenen (AS 319) bleibt in der Sache ohne Erfolg. Der Kostenfestsetzungsbeschluss der Rechtspflegerin vom 22.12.2020 (AS 311) in seiner – auf die Erinnerung der Staatskasse vom 07.01 .2021 – abgeänderten Fassung vom 02.02.2021 (AS 331) ist nicht zu beanstanden; zu Recht hat es die Rechtspflegerin abgelehnt, entsprechend dem Kostenfestsetzungsantrag der Verteidigerin vom 14.10.2020 (AS 275) eine Gutachterliquidation der Firma GFU GmbH vom 24.10.2019 (AS 283) und eine Kostenrechnung der Landesoberkasse vom 22.07.2019 (AS 285) zu erstatten.

Gemäß der Kostengrundentscheidung des Amtsgerichts Baden-Baden vom 22.05.2020 (AS 264) mit der es das Verfahren gemäß § 47 Abs. 2 OWiG eingestellt hat, wurde zwar ausdrücklich bestimmt, dass die Staatskasse auch die der Betroffenen erwachsenen notwendigen Auslagen zu tragen hat. Vorliegend stellen aber – wie in der Regel sonst auch (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Auflage, § 464 a Rdn. 16) – die hier durch Einholung eines Gutachtens geltend gemachten Kosten privater Ermittlungen keine notwendigen Auslagen in diesem Sinne dar. Nur ausnahmsweise können Auslagen für eigene Ermittlungen als notwendig anerkannt werden, nämlich dann, wenn ein Betroffener damit rechnen musste, dass sich seine Prozesslage ansonsten alsbald erheblich verschlechtern würde, und er davon ausgehen durfte, dass diese Ermittlungen zur Abwehr des gegen ihn erhobenen Vorwurfes unbedingt notwendig waren (OLG Stuttgart NStZ-RR 2003, 127; Meyer-Goßner/Schmitt a.a.O., jew. m. w. N.).

Hieran fehlt es vorliegend schon deshalb, weil die Betroffene ihre prozessualen Möglichkeiten insoweit nicht ausgeschöpft hat (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt a. a. O.).

Unabhängig von der Reichweite der gerichtlichen Aufklärungspflicht bei standardisierten Messverfahren und dem Anspruch eines Betroffenen auf Zugang zu nicht bei der Bußgeldakte befindlicher, aber bei der Verfolgungsbehörde vorhandener und zum Zwecke der Ermittlungen entstandener bestimmter Informationen, insbesondere der sogenannten Rohmessdaten einer konkreten Einzelmessung (vgl. hierzu BayObLG München, Beschluss vom 04.01.2021 – 202 ObOWi 1532/20 -, Juris) hat es die Betroffene nach Aktenlage nämlich unterlassen, dem Gericht Gelegenheit zu geben, selbst einen Sachverständigen zu beauftragen, bevor ein Privatgutachter eingeschaltet wurde. Nach gerichtlicher Anhängigkeit des Verfahrens hat der Vorsitzende mit Verfügung vom 20.01.2020 (AS 203) Hauptverhandlungstermin bestimmt und zugleich beim Regierungspräsidium das Messvideo angefordert, weil der Akte nur das Referenzvideo beigefügt war (AS 203); der nachfolgende Schriftsatz der Verteidigerin vom 05.03.2020 (AS 213) enthielt nur unter Hinweis auf noch nicht erfolgte Eingänge eines Originalvideos in unkomprimierter Form und einer Mitteilung zum Einsatz eines Select-Moduls – einen Antrag auf Einstellung gemäß § 47 Abs. 2 OWiG, einen weiteren Antrag, diese Unterlagen vorzulegen, und den Antrag, vorhandene Wartungs-, Instandsetzungs- und Eichunterlagen der Messanlage zur Verfügung zu stellen. Die Einholung eines Gutachtens wurde weder angeregt noch beantragt.

Anlass zu einer gegenteiligen Beurteilung besteht auch nicht, soweit die Verteidigung geltend macht, eine Auswertung der Messdaten mit sachverständiger Hilfe sei die einzige Möglichkeit für die Betroffene gewesen, Klarheit über die Zuverlässigkeit der Messanlage und die Richtigkeit des Messergebnisses zu erlangen, und im Hinblick auf die Erforderlichkeit – der Einholung eines Privatgutachtens auf Entscheidungen des Landgerichts Wuppertal – Beschlüsse vom 08.02.2018, Az. 26 Qs 214/17 (danach sollen wegen der erhöhten Anforderungen an die Darlegung einer konkreten Fehlmessung bei standardisierten Messverfahren die Kosten für die Erstellung eines Privatgutachtens erstattungsfähig sein, wenn sie im Rahmen einer “ex-ante-Betrachtung” als notwendig einzustufen sind), und vom 06.11.2018, Az. 26 Qs 210/18 (danach soll wegen erhöhter Darlegungsanforderungen im Bußgeldverfahren ausnahmsweise die Beauftragung eines Privatsachverständigen bereits mit der Zustellung des Bußgeldbescheides als notwendig erscheinen mit der Folge einer Erstattungsfähigkeit dieser Kosten unabhängig davon, ob sich das Gutachten in der Folge tatsächlich auf das Verfahren ausgewirkt hat) – und des Landgerichts Bielefeld – Beschluss vom 19.12.2019, 10 Qs 425/19 (danach seien Kosten für die Einholung eines Privatgutachtens im Bußgeldverfahren ausnahmsweise dann als notwendig anzuerkennen, wenn schwierige technische Fragestellungen zu beurteilen sind oder wenn aus Sicht des Betroffenen ex ante ein privates Sachverständigengutachten erforderlich ist, da ansonsten eine erhebliche Verschlechterung der Prozesslage zu befürchten wäre) – verweist.

Vorliegend ist jedenfalls zu bemerken, dass ein möglicherweise erstelltes Privatgutachten im Zusammenhang mit der Einstellung des Verfahrens nach § 47 Abs. 2 OWiG keine Rolle gespielt hat. Die Rechtspflegerin weist in diesem Zusammenhang zutreffend darauf hin, dass das angeblich erhobene Privatgutachten im Verfahren weder vorgelegt noch verwertet wurde. Eine Erstattungsfähigkeit käme allenfalls dann in Betracht, wenn zunächst auf eigenes Kostenrisiko veranlasste private Ermittlungen sich tatsächlich auch entscheidungserheblich zu Gunsten eines Betroffenen auswirken und das Gutachten zumindest in irgendeiner Weise zur Entscheidungsfindung beigetragen hat (vgl. LG Aachen, Beschluss vom 30.09.2019 – 66 Qs 58/19 -, juris). Dies war hier nicht der Fall; das Gutachten blieb unbekannt und wurde nicht Entscheidungsgrundlage.

Zutreffend hat es die Rechtspflegerin des Amtsgerichts auch abgelehnt, die mit Kostenrechnung der Landesoberkasse Baden-Württemberg vom 22.07.2019 erhobene Gebühr in Höhe von 30,00 € zu erstatten. Die Kostenentscheidung des Beschlusses des Amtsgerichts Baden-Baden vom 28.06.2019 – 14 OWi 211/19 – (AS 113), mit dem während des noch bei der Bußgeldbehörde anhängigen Verfahrens ein Antrag der Betroffenen vom 21.06.2019 (AS 91) auf gerichtliche Entscheidung als unzulässig verworfen worden war, ist – was keiner vertiefenden Erörterung mehr bedarf – eindeutig; danach hat die Betroffene die Kosten dieses Antragsverfahrens selbst zu tragen. Die dagegen erhobenen Erwägungen im Rahmen der Beschwerdeschrift vom 04.01.2021 (AS 319) sind nicht geeignet, die für dieses Antragsverfahren ausgesprochene Kostentragungspflicht der Betroffenen in einen Auslagenerstattungsanspruch zu modifizieren.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 46 Abs. 1 OWiG, 473 Abs. 1 StPO.

Mitgeteilt von Rechtsanwälte Zimmer-Gratz, Bous.