Diese Entscheidung fasst die Anforderungen an die Feststellungen sowie die Beweiswürdigung bei (qualifizierten) Rotlichtverstößen zusammen. Zunächst müsse feststehen, ob der Verstoß außerorts oder innerorts stattfand. Nur bei einem innerörtlichen Verstoß dürfe das Gericht nämlich von Ausführungen zur Gelbphase und zulässiger Höchstgeschwindigkeit absehen. Andernfalls könne nicht geprüft werden, ob der Betroffene überhaupt die Möglichkeit zum Anhalten vor der Lichtzeichenanlage hatte. Hinsichtlich der Beweiswürdigung genüge ein bloßer Hinweis auf die Inaugenscheinnahme der Lichtbilder nicht für eine wirksame Bezugnahme (§ 267 Abs. 1 Satz 3 StPO); erforderlich sei die Angabe ihres wesentlichen Inhalts. Bei der Zeugenaussage genüge nicht die reine Wiedergabe, da auch eine Auseinandersetzung des Tatrichters mit der Beweisgrundlage stattfinden müsse.
Die Überlastung des 2. Strafsenats des OLG Frankfurt hat, wie die Entscheidung zeigt, außerdem dazu geführt, dass nun (auch) der dortige 1. Strafsenat für Bußgeldsachen zuständig ist.
OLG Frankfurt, Beschluss vom 25.02.2020 – 1 Ss-OWi 1508/19
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Frankfurt am Main vom 10. Oktober 2019 mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an das Amtsgericht Frankfurt am Main zurückverwiesen.
Gründe:
I.
Das Amtsgericht Frankfurt am Main hat den Betroffenen mit Urteil vom 10. Oktober 2019 nach dessen Einspruch gegen den Bußgeldbescheid des Ordnungsamts der Stadt Frankfurt am Main vom 29. März 2019 wegen eines fahrlässigen Rotlichtverstoßes nach den §§ 37 Abs. 2, 49 StVO, §§ 24, 25 StVG, 132.3 BKat, § 4 Abs. 1 BKatV zu einer Geldbuße in Höhe von 200 € und einem Fahrverbot von einem Monat verurteilt.
Das Amtsgericht hat zum Tatgeschehen folgende Feststellungen getroffen:Z
“Am 13.1.2019 befuhr der Betroffene die Straße Am Martinszehnten Autobahnanschluss A 661 stadtauswärts mit seinem Pkw …. Der Betroffene missachtete das Rotlicht der dortigen Lichtzeichenanlage. Die Rotphase dauerte bereits 1,5 Sekunden an. Bei Beachtung der ihm möglichen und zumutbaren Sorgfalt hätte er diese Verkehrsordnungswidrigkeit vermeiden können. Die Rotlichtüberwachungsanlage Typ Gatso GTC-GS11 Digital mit der Seriennummer 1776 wurde am 6.8.2018 mit einer Eichgültigkeit bis 31.12.2019 geeicht. Die Messstelle wurde am 5.12.2018 mit einer Eichgültigkeit ebenso bis 31.12.2019 geeicht. Die PTB-Zulassung 18.15/08.01 ist gegeben.”
Gegen die Entscheidung des Amtsgerichts wendet sich der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde als Rüge der Verletzung materiellen und formellen Rechts.
Die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main hat in ihrer Stellungnahme vom 14. Januar 2020 beantragt, auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen das Urteil des Amtsgerichts aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht Frankfurt am Main zurückzuverweisen.
II.
Die nach den §§ 79 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, Abs. 3 S. 1 OWiG, §§ 341 Abs. 1, 344, 345 StPO statthafte Rechtsbeschwerde hat in der Sache einen -zumindest vorläufigen – Erfolg.
Auf die zulässig erhobene Sachrüge gemäß § 79 Abs. 3 S. 1, Abs. 6 OWiG, § 353 StPO ist das angefochtene Urteil des Amtsgerichts aufzuheben und zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht Frankfurt am Main zurückzuverweisen.
Bei dieser Sachlage kommt es nicht mehr darauf an, ob – was allerdings zweifelhaft wäre – die erhobenen Verfahrensrügen wegen Verstoßes gegen die Formerfordernisse des § 79 Abs. 3 S. 1, § 344 Abs. 2 S. 2 StPO unzulässig wären.
1. Die Feststellungen des Amtsgerichts tragen die Verurteilung wegen eines qualifizierten Rotlichtverstoßes nicht. Sie sind lückenhaft und ermöglichen keine Überprüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht.
a) In Massenverfahren wie den Bußgeldsachen sind an die Feststellungen des Urteils nicht allzu hohe Anforderungen zu stellen (OLG Bamberg, Beschl. v. 1.12.2015 – 3 Ss OWi 834/15; KK-OWiG/Senge, 5. Aufl. 2018, § 71 Rn. 106b). Die Anforderungen an den Inhalt der Urteilsgründe sind dennoch mit denen des Strafverfahrens zu vergleichen, da auch im Bußgeldverfahren dem Rechtsbeschwerdegericht nur das Urteil und nicht der gesamte Akteninhalt als Prüfungsgrundlage zur Verfügung steht. Aus diesem heraus muss sich die Überprüfbarkeit auf sachlich-rechtliche Mängel für das Rechtsbeschwerdegericht ergeben. Maßstab der Überprüfung ist damit§ 46 Abs. 1 OWiG, § 267 Abs. 1 S. 1 StPO. Die den Tatbestand erfüllenden Tatsachen müssen danach jedenfalls in dem Umfang angegeben werden, dass eine Prüfung des Rechtsmittelgerichts auf die Klarheit, Widerspruchsfreiheit, Vollständigkeit und Freiheit von Verstößen gegen Denk- und Erfahrungssätze ermöglicht wird (KK-OWiG/Hadamitzky aaO., § 79 Rn. 120).
b) Eine solche lückenlose Darstellung der Feststellungen in den Urteilsgründen bei einem qualifizierten Rotlichtverstoß erfordert die Wiedergabe der näheren Umstände des Verstoßes. Die Feststellungen müssen die Unterscheidung treffen, ob der Verstoß außerorts oder innerorts stattfand, da sich daran orientiert, ob weitere Ausführungen zu den örtlichen Gegebenheiten zu machen sind. Bei einem innerörtlichen Verstoß darf das Gericht von Ausführungen zu der Dauer der Gelbphase und der zulässigen Höchstgeschwindigkeit absehen. Bei einem Verstoß außerorts hingegen, muss neben diesen Angaben auch die Entfernung des Betroffenen vom durch die Lichtzeichenanlage geschützten Bereich angegeben werden, da der Betroffene nur verurteilt werden kann, wenn er die Möglichkeit des Anhaltens vor der Lichtzeichenanlage hatte (OLG Hamm, Beschl. v. 2.11.2010 – III-4 RBs 374/10; OLG Bamberg, Beschl. v. 6.3.2014 – 3 Ss OWi 228/14; Freymann/Wellner/Wern, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 2016, § 37 StVO Rn. 93).
c) Gemessen hieran sind die Feststellungen des Amtsgerichts lückenhaft. Insbesondere sind keine Angaben zur Dauer der Gelbphase, der Geschwindigkeit des Betroffenen und dem Abstand seines Fahrzeuges zur Lichtzeichenanlage vorhanden. Die bloße Feststellung, dass es dem Betroffenen möglich gewesen wäre, die Verkehrsordnungswidrigkeit zu vermeiden, lässt sich aufgrund dieser fehlenden Informationen zu den weiteren Umständen der Verkehrssituation nicht durch das Rechtsbeschwerdegericht nachprüfen. Zudem kann den Feststellungen des Amtsgerichts nicht eindeutig entnommen werden, ob der Verstoß außerorts oder innerorts stattgefunden hat, mithin also letztlich offenbleiben muss, welche Anforderungen die Urteilsfeststellungen unterliegen.
2. Neben den Feststellungen ermöglicht auch die Beweiswürdigung nicht die Überprüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht, da sie ebenfalls lückenhaft ist.
a) Die Beweiswürdigung ist nach § 46 Abs. 1 OWiG, § 261 StPO die Aufgabe des Tatrichters und durch das Rechtsbeschwerdegericht nur eingeschränkt zu überprüfen. Die Beweiswürdigung muss sich allerdings innerhalb der Gesetze der Logik und der allgemeinen Erfahrungssätze halten und in sich widerspruchslos und lückenlos sein (KK-StPO/Ott, 8. Aufl. 2019, § 261 Rn. 204; KK-OWiG/Hadamitzky aaO., § 79 Rn. 125). Die Darstellung der Beweiswürdigung in den Urteilsgründen muss dem Rechtsbeschwerdegericht diese Überprüfung ermöglichen (statt Vieler BGH, Beschl. v. 25. 9. 2012 – 5 StR 372/12, NStZ-RR 2012, 381).
b) Nach diesen Maßstäben weist das Urteil des Amtsgerichts in Bezug auf die Beweisgrundlage für die Annahme der Nettorotlichtzeit, die für einen qualifizierten Rotlichtverstoß erforderlich ist, einen weiteren Darstellungsmangel auf. Das Amtsgericht stützt in nicht hinreichender Weise die Annahme eines qualifizierten Verstoßes von 1,5 Sekunden auf Lichtbilder der Akte und die Aussage des Zeugen ….
c) Der bloße Hinweis auf die Inaugenscheinnahme der Lichtbilder Bl. 13 und Bl. 14 der Akte in der Hauptverhandlung ist nicht ausreichend, um die Voraussetzungen der § 46 Abs. 1 OWiG, § 267 Abs. 1 S. 3 StPO zu erfüllen. Danach ist die Bezugnahme für Abbildungen auf Bestandteile der Akte gestattet, um auf Einzelheiten und Details der Bezugsobjekte nicht weiter eingehen zu müssen. Mit der Ausführung, dass eine Inaugenscheinnahme der Lichtbilder stattgefunden hat, wird hingegen nur der Beweiserhebungsvorgang wiedergegeben, der für sich genommen ohne Aussagekraft ist (OLG Hamm, Besch. v. 19.5.1998 – 2 Ss OWi 553/98). Der wesentliche Inhalt der in Bezug genommenen Abbildungen darf nicht wie hier unerwähnt bleiben, da eine Überprüfung des Aussagegehalts der in Augenschein genommenen Lichtbilder durch das Rechtsbeschwerdegericht dann nicht möglich ist (Jahn/Brodowski, FS Rengier, 2018, S. 409, 416 f.; KK-StPO/Kuckein/Bartel aaO., § 267 Rn. 19).
d) Auch die Darstellung der Zeugenaussage des Zeugen … erfüllt nicht die an die Beweiswürdigung in den Urteilsgründen nach § 46 Abs. 1 OWiG § 261, § 267 StPO gestellten Anforderungen. Die nach § 261 StPO vorzunehmende Gesamtwürdigung der Beweismittel fordert vom Tatrichter zwar nicht, alle Einzelheiten darzulegen, wie er zu den Feststellungen gelangt ist (BGH, Beschl. v. 17.2.2009 – 3 StR 490/08, NStZ 2009, 403). Einer Prüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht ist die Beweiswürdigung aber nur dann zugänglich, wenn nicht nur der bloße Inhalt von Zeugenaussagen angegeben wird, sondern auch eine eigene Auseinandersetzung des Tatrichters mit dieser Beweisgrundlage (BGH, Beschl. v. 15.1.1.1984 – 4 StR 675/84, NStZ 1985, 184; KK-OWiG/Hadamitzky aaO., § 79 Rn. 126). Andernfalls liegt nur eine Beweisdokumentation vor und keine Beweiswürdigung (Meyer-Goßner/Schmitt, 62. Aufl. 2019, § 267 Rn. 12).
Das amtsgerichtliche Urteil gibt lediglich die Aussage des Zeugen … als Ergebnismitteilung wieder, ohne dass eine für das Rechtsbeschwerdegericht nachvollziehbare Auseinandersetzung mit dem eigentlichen Inhalt vollzogen wird. Die Fragen der Glaubhaftigkeit der Aussage und der Glaubwürdigkeit des Zeugen bleiben offen.
III.
Aufgrund dieser sachlich-rechtlichen Mängel ist auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen das Urteil des Amtsgerichts Frankfurt am Main mit den Feststellungen aufzuheben, § 79 Abs. 3 S. 1 OWiG, § 353 StPO.
Die Sache wird gemäß § 79 Abs. 5 S. 1, Abs. 6 OWiG durch Beschluss an das Amtsgericht Frankfurt am Main zur erneuten Verhandlung zurückverwiesen.
In der neuen Verhandlung wird auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens zu befinden sein (KK-OWiG/Hadamitzky aaO., § 79 Rn. 165).
Die Entscheidung entspricht dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft.
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