Das OLG Düsseldorf beanstandete einen vom AG Düsseldorf angenommenen, auf die Zeugenaussagen von zwei Polizeibeamten gestützten qualifizierten Rotlichtverstoß: Es sei zunächst nicht ersichtlich, wie das AG von deren Angabe, der Betroffene habe die Lichtzeichenanlage nach “einigen” Sekunden Rotlicht überfahren, auf eine Rotlichtzeit von vier Sekunden schließen konnte. Auch sei nicht klar, ob das AG als Bezugspunkt der Rotzeit auf das Überfahren der Haltelinie abgestellt habe, zumal sich aus den Urteilsgründen nicht zweifelsfrei ergebe, ob sich an der tatgegenständlichen Kreuzung überhaupt eine Haltelinie befinde. Dass sich das – auf Grund eines Rückstaus noch bei grünem Licht zunächst angehaltene – Fahrzeug des Betroffenen „mindestens drei Wagenlängen von der Kreuzung“ entfernt befunden habe, lasse keinen Rückschluss auf die Rotlichtzeit zu, da nicht festgestellt sei, wie weit die Haltelinie der Kreuzung vorgelagert war.

OLG Düsseldorf, Beschluss vom 03.01.2019 – IV-1 RBs 189/18

1. Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Düsseldorf vom 23. April 2018 im Rechtsfolgenausspruch mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird insoweit zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an dieselbe Abteilung des Amtsgerichts Düsseldorf zurückverwiesen.

2. Die weitergehende Rechtsbeschwerde wird als unbegründet verworfen.
Gründe:

I.

Mit dem angefochtenen Urteil hat das Amtsgericht gegen den Betroffenen wegen „fahrlässiger Nichtbefolgung eines Wechsellichtzeichens, wobei die Rotphase bereits länger als eine Sekunde andauerte“ eine Geldbuße von 200,00 € und ein Fahrverbot von einem Monat – bei Gewährung von Vollstreckungsaufschub nach § 25 Abs. 2 a StVG – verhängt. Hierzu hat das Amtsgericht im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen (Hervorhebungen durch den Senat):

„Der Betroffene befuhr am 18.11.2017 um 13:00 Uhr mit dem PKW Mercedes, amtliches Kennzeichen …, in D. die G.-straße in Richtung B.-straße auf dem mittleren Fahrstreifen. Aufgrund eines Rückstaus musste der Betroffene vor der Lichtzeichenanlage der Kreuzung G.-straße/B.-straße fast bis zum Stillstand abbremsen, als diese noch „grün“ zeigte. Hierbei befand er sich noch mindestens drei Wagenlängen von der Kreuzung entfernt. Direkt hinter dem Betroffenen befand sich zu diesem Zeitpunkt das Polizeifahrzeug mit den Zeugen … und …. In diesem Moment wechselte die Lichtzeichenanlage auf „rot“. Direkt nach dem Umspringen der Lichtzeichenanlage wechselte der Betroffene auf die Rechtsabbiegerspur, beschleunigte und bog infolge Unachtsamkeit trotz der Rotlicht zeigenden Lichtzeichenanlage ab, die zu diesem Zeitpunkt bereits mindestens vier Sekunden Rotlicht zeigte. …“

Zur Beweiswürdigung heißt es in den Urteilsgründen unter anderem:

„Beide Zeugen haben übereinstimmend, widerspruchsfrei und detailliert geschildert, dass sie sich im Streifenwagen direkt hinter dem Betroffenen befunden hätten und dieser sich noch einige Meter vor der Lichtzeichenanlage befunden habe. Aufgrund des dichten Verkehrs habe es einen Rückstau gegeben. Erst bei Umspringen der Lichtzeichenanlage auf „rot“ habe der Betroffene eine Lücke genutzt, um auf die rechte Spur zu wechseln, habe sodann beschleunigt und die bereits einige Sekunden Rotlicht zeigende Lichtzeichenanlage überfahren. Während des sich anschließenden Abbiegvorgangs sei der Querverkehr bereits gefahren. …“

An anderer Stelle heißt es weiter:

„… Bereits aus der konkreten Art des Rotlichtverstoßes ergibt sich auch zweifelsfrei, dass die Rotphase bei Überqueren der Haltelinie bereits länger als eine Sekunde andauerte. Bei einem Fahrbahnwechsel mehrere Fahrzeuglängen vor der Lichtzeichenanlage ist es bei einem Anfahren „fast aus dem Stand“ schlicht nicht möglich, die Strecke bis zur Haltelinie und dieselbe noch binnen einer Sekunde zu überqueren. …“

Gegen dieses Urteil wendet sich der Betroffene mit seiner Rechtsbeschwerde, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt.

II.

1. Das Rechtsmittel führt zu dem aus dem Tenor ersichtlichen (jedenfalls vorläufigen) Teilerfolg.

a) Soweit es den Schuldspruch betrifft, ist die Rechtsbeschwerde nach § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, § 349 Abs. 2 und 3 StPO unbegründet, denn die diesbezügliche Überprüfung des Urteils hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Beschwerdeführers ergeben.

Insbesondere ist das Amtsgericht aufgrund der getroffenen Feststellungen rechtsfehlerfrei zu der Bewertung gelangt, dass der Betroffene sich eines – jedenfalls einfachen – Rotlichtverstoßes schuldig gemacht hat. Ein solcher liegt vor, wenn gegen das Gebot des § 37 Abs. 2 Nr. 1 S. 7 – „Halt vor der Kreuzung!“ – verstoßen wird, ein Fahrzeugführer also – wie hier – bei Rotlicht in den durch die Lichtzeichenanlage gesicherten Bereich, im Regelfall den Kreuzungsbereich oder Einmündungsbereich, einfährt (vgl. BGH NJW 1999, 2978). Den festgestellten Rotlichtverstoß hat das Amtsgericht maßgebend auf die Aussagen der Zeugen K. und K1. gestützt und dies in den Urteilsgründen nachvollziehbar begründet.

b) Der Rechtsfolgenausspruch kann hingegen keinen Bestand haben, weil die Annahme eines qualifizierten Rotlichtverstoßes – Missachten des Lichtzeichens bei schon länger als eine Sekunde dauernder Rotphase – und damit die Bemessung des Bußgeldes sowie die Festsetzung des Fahrverbots auf einer rechtsfehlerhaften Beweiswürdigung beruht. Zwar ist die Beweiswürdigung grundsätzlich alleinige Aufgabe des Tatrichters. Die Überprüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht beschränkt sich darauf, ob dem Tatrichter dabei Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlichrechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist bzw. wenn sie gegen Denkgesetze, Gesetze der Logik oder Erfahrungssätze verstößt (vgl. BGH NStZ-RR 2000, 171). Um dem Rechtsbeschwerdegericht die Nachprüfung der richtigen Anwendung des sachlichen Rechts zu ermöglichen, hat sich der Tatrichter mit allen wesentlichen für und gegen den Betroffenen sprechenden Umständen auseinanderzusetzen und die Ergebnisse der Beweisaufnahme, die Grundlage der tatsächlichen Feststellungen sind, erschöpfend darzustellen und zu würdigen. Dabei muss erkennbar sein, dass die von ihm gezogenen Schlussfolgerungen auf einer festen Tatsachengrundlage beruhen und sich nicht nur als bloße Vermutungen erweisen, die nicht mehr als einen Verdacht begründen.

Gemessen an diesen Grundsätzen erweist sich im vorliegenden Fall die Beweiswürdigung des Amtsgerichts zur Dauer der vorwerfbaren Rotlichtzeit jedoch als lückenhaft und widersprüchlich.

So bieten die Urteilsgründe bereits keinen Aufschluss darüber, auf welcher Grundlage der Amtsrichter zu der Überzeugung gelangt ist, dass die für den Betroffenen maßgebliche Lichtzeichenanlage im Zeitpunkt des Abbiegens nach rechts bereits „mindestens vier Sekunden“ Rotlicht gezeigt habe. Dies ergibt sich insbesondere nicht aus den im Urteil wiedergegebenen Aussagen der Zeugen … und …, die ohne konkrete Bezifferung lediglich bekundet haben, dass der Angeklagte die „einige“ Sekunden Rotlicht zeigende Lichtzeichenanlage überfahren habe.

Zudem bleibt unklar, auf welchen Bezugspunkt das Amtsgericht bei der Berechnung der vorwerfbaren Rotlichtzeit letztlich überhaupt abgestellt hat. Während sich im Feststellungsteil des Urteils lediglich Ausführungen zur Dauer der Rotphase beim Einbiegen des Betroffenen in den geschützten Kreuzungsbereich finden, knüpft der Tatrichter im Rahmen der Beweiswürdigung ausdrücklich an das Überqueren der Haltelinie an, von der zuvor noch gar keine Rede war. Insoweit bleibt schon offen, wie das Amtsgericht überhaupt die Überzeugung vom Vorhandensein einer Haltelinie gewonnen hat, denn diese findet in den mitgeteilten Bekundungen der Zeugen … und … keine Erwähnung.

Auch hat das Amtsgericht nicht in einer für den Senat nachvollziehbaren Weise dargelegt, wie es zu der Annahme gelangt ist, dass der Betroffene die Haltelinie bei einer Rotlichtzeit von mehr als einer Sekunde Dauer überfahren habe. Der Tatrichter stützt seine diesbezügliche Überzeugung offenbar allein auf Schlussfolgerungen, die er aus den Bekundungen der Zeugen zur Position des Betroffenen beim Umspringen der Lichtzeichenanlage auf Rotlicht sowie zu dessen anschließendem Fahrverhalten – Fahrbahnwechsel nach Anfahren fast aus dem Stand – gezogen hat. Die im Urteil mitgeteilten Begleitumstände des Verstoßes ermöglichen eine solche Schlussfolgerung jedoch nicht, weil wesentliche Anknüpfungstatsachen fehlen.

Den Urteilsfeststellungen ist lediglich zu entnehmen, dass das Fahrzeug des Betroffenen im Zeitpunkt des Phasenwechsels „mindestens drei Wagenlängen von der Kreuzung“ entfernt war. Dies bietet jedoch keinen hinreichenden Aufschluss darüber, welche Entfernung der Betroffene innerhalb der Rotlichtzeit bis zur Haltelinie zurückgelegt hat, denn es fehlen jegliche Feststellungen dazu, wieweit diese der Kreuzung vorgelagert war. Schon aus diesem Grunde vermag der Senat nicht auszuschließen, dass der Betroffene die – gegenüber dem Erreichen des Kreuzungsbereichs in jedem Falle kürzere Strecke – in weniger als einer Sekunde zurückgelegt hat, zumal er nach den Feststellungen in der Annäherungsphase sein Fahrzeug beschleunigt hat und konkrete Erkenntnisse über die gefahrene Geschwindigkeit fehlen. Im Übrigen bleibt auch von vornherein unklar, auf welcher Grundlage das Amtsgericht überhaupt eine Entfernung von „mindestens drei Wagenlängen“ festgestellt hat. In den im Urteil wiedergegebenen Bekundungen der Zeugen heißt es hierzu lediglich „einige Meter“.

2. Das Vorliegen eines qualifizierten Rotlichtverstoßes ist daher nicht rechtsfehlerfrei festgestellt worden, so dass das Urteil im Rechtsfolgenausspruch mit den zugrunde liegenden Feststellungen der Aufhebung unterliegt. Da hier nicht auszuschließen ist, dass hinsichtlich der Dauer der Rotlichtzeit noch weitere Feststellungen getroffen werden können, ist die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht Düsseldorf zurückzuverweisen.

3. Ergänzend merkt der Senat an, dass die Angabe der Rotlichtdauer, die lediglich für den Schuldumfang und die Rechtsfolgenbemessung von Bedeutung ist, nicht Bestandteil des Schuldspruchs und deshalb im Tenor nicht zu erwähnen ist.