TraffiStar S 330-Geschwindigkeitsmessgeräte können mit Wechselverkehrszeichen-Anlagen (WVZ) verbunden werden und die von diesen angezeigte Geschwindigkeit überwachen. Soll eine solche Messung umfassend überprüft werden, benötigen Sachverständige auch Daten und Unterlagen betreffend die WVZ-Anzeige. Einen guten Überblick darüber, was benötigt wird bzw. angefordert werden kann/sollte, gibt hier das AG Landau.

AG Landau in der Pfalz, Beschluss vom 17.12.2019 – 1 OWi 483/19

1. Das Polizeipräsidium Rheinpfalz hat der Verteidigerin des Betroffenen die digitalen Falldaten der gesamten Messreihe mit Statistikdatei (Logdatei) und Case-List, die im Rahmen der letzten Eichung bei Testmessungen aufgezeichneten Rohmessdaten/Signalverläufe, die vorhandenen Wartungs-, Instandsetzungs- und Eichunterlagen zur Messanlage mit Gerätebegleitkarte, das Wartungsbuch bzw. vorhandene Unterlagen zu Wartungen, Defekten, Reparaturen, Störungen an der WVZ-Anlage, die Protokolldateien der WVZ-Anlage in digitaler Form, Siemens- und RUSPLogs sowie den Beschilderungsplan und die verkehrsrechtliche Anordnung der Geschwindigkeitsbeschränkung – soweit existent – zur Verfügung zu stellen.

2. Das Polizeipräsidium Rheinpfalz hat der Verteidigerin des Betroffenen Auskunft über Hersteller und Modell der verwendeten WVZ-Anlage sowie über das Alter der Leuchtmittel und deren letzter Reinigung zu erteilen.

3. Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Antragstellers hat die Verwaltungsbehörde zu tragen.

Gründe:

I.
Dem Betroffenen wird ein Geschwindigkeitsverstoß zur Last gelegt.

Im Zuge des diesbezüglich geführten Bußgeldverfahrens beantragte die Verteidigerin bei der verfahrensführenden Verwaltungsbehörde die im Tenor genannten Unterlagen.

Dies wurde seitens der Verwaltungsbehörde abgelehnt, wogegen der Antragsteller die gerichtliche Entscheidung begehrt.

II.

Der gemäß § 62 OWiG zulässige Antrag ist auch begründet.

Die Verwaltungsbehörde hat der Verteidigerin des Betroffenen die digitalen Falldaten der gesamten Messreihe mit Statistikdatei zur Verfügung zu stellen, ebenso die weiteren im Tenor aufgeführten Dinge.

Zwar folgt ein solcher Anspruch nicht aus § 147 StPO, da sich jenes Recht nur auf Unterlagen bezieht, welche sich in den Akten befinden.

§ 147 Abs. 1 StPO gibt keinen Anspruch auf Bildung eines größeren Aktenbestandes, vgl. etwa BVerfGE 63, 45 m.w.N.

Allerdings ergibt sich die Grundlage für das Einsichtsbegehren des Verteidigers aus dem Grundsatz des fairen Verfahrens. Es hängt nicht davon ab, ob der Verteidiger konkrete Anhaltspunkte für Messfehler vortragen kann. Auf eine mögliche Beiziehung der Unterlagen erst im gerichtlichen Verfahren muss er sich nicht verweisen lassen. Der Betroffene muss vielmehr bereits im Vorverfahren durch einen nicht behinderten Zugriff auf Messdaten und Messunterlagen – ggf. auch mit Hilfe eines privat hinzugezogenen und von ihm mit den notwendigen Anknüpfungstatsachen ausgestatteten Sachverständigen – die konkreten Anhaltspunkte erst einmal ermitteln, die er dann der Bußgeldstelle oder dem Gericht vortragen kann.

Ohne das Zurverfügungstellen der bezeichneten Daten wäre zwischen Betroffenen und der Ermittlungsbehörde überdies keine Waffengleichheit gegeben, da die Ermittlungsbehörde einen Wissensvorsprung dadurch erlangen würde, dass sie maßgebliche Unterlagen- über die sie verfügt- zurückhält und dem Betroffenen deren Kenntnisnahme verweigert, vgl. OLG Naumburg, Beschluss vom 05.11.2012, 2 Ss (Bz) 100/12.

Der Betroffene hat hinsichtlich der von ihm begehrten Unterlagen über seine Verteidigerin ausreichend detaillierten und tatsachenfundierten Vortrag gehalten, weshalb diese zur Wahrnehmung einer effektiven Verteidigung erforderlich sind. Datenschutzrechtliche Bedenken bestehen insoweit nicht. Zwar sind bei Zurverfügungstellung der gesamten Messreihe auch die Persönlichkeitsrechte anderer Verkehrsteilnehmer betroffen. Dieser Eingriff ist jedoch hinzunehmen. Der Anspruch auf ein faires Verfahren ist insoweit höherrangig, zumal es sich um einen relativ geringfügigen Eingriff in die Persönlichkeitsrechte Dritter handelt. Mit der Zurverfügungstellung der gesamten Messserie werden zwar Foto und Kennzeichen übermittelt, nicht aber die Fahrer, oder Halteranschrift Zudem besteht bei der Übermittlung an den Verteidiger als Organ der Rechtspflege grundsätzlich auch keine Gefahr der Weitergabe (Landgericht Hanau, Beschluss vom 07.01.2019, Az.: 4b Qs 114/18).

Ebenfalls vom Recht auf Akteneinsicht umfasst sind die vorhandenen Wartungs-, Instandsetzungs- und Eichunterlagen zur Messanlage mit Gerätebegleitkarte, das Wartungsbuch bzw. vorhandene Unterlagen zu Wartungen, Defekten, Reparaturen, Störungen an der WVZ-Anlage, die Protokolldateien der WVZ-Anlage in digitaler Form, Siemens- und RUSPLogs, die im Rahmen der letzten Eichung bei Testmessungen aufgezeichneten Rohmessdaten/Signalverläufe sowie der Beschilderungsplan und die verkehrsrechtliche Anordnung der Geschwindigkeitsbeschränkung. Wegen der garantierenden „Parität des Wissens” bzw. der „Waffengleichheit” kann der Betroffene Einsicht in sämtliche existenten, zur Überprüfung der Messung erforderlichen Messunterlagen verlangen und zwar auch, soweit sich diese nicht in den Gerichtsakten, sondern in den Händen der Behörde befinden. Es gibt nämlich keinen Erfahrungssatz, dass ein standardisiertes Messverfahren unter allen Umständen zuverlässige Ergebnisse liefert. Zudem hat der Betroffene einen Anspruch darauf, nur aufgrund ordnungsgemäß gewonnener Messdaten verurteilt zu werden. Bei einem standardisierten Messverfahren ist es dem Betroffenen aber nur möglich, die Richtigkeit der Messung anzugreifen, wenn er konkrete Anhaltspunkte für eine Unrichtigkeit der Messung aufzeigen kann. Eine pauschale Behauptung der Unrichtigkeit der. Messung genügt gerade nicht. Ein solcher dezidierter Vortrag ist dem Betroffenen jedoch nur dann möglich, wenn er auch Zugang zu den entsprechenden gesamten Messunterlagen des jeweiligen Messsystems hat. (LG Köln, Beschluss vom 11.10.2019, Az.: 323 Qs 106/19).

Zudem hat der Betroffene einen Anspruch auf Mitteilung des Herstellers und Modells der verwendeten WVZ-Anlage sowie über Auskunft bezüglich des Alters der Leuchtmittel und deren letzter Reinigung. Diesbezüglich sind Hinderungsgründe nicht ersichtlich und von der Verwaltungsbehörde auch nicht vorgetragen.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 62 II OWiG, 464 ff. StPO.

Die Entscheidung ist gemäß § 62 II 3 OWiG unanfechtbar.

Vielen Dank an Frau Rechtsanwältin Monika Zimmer-Gratz, Bous, für die Überlassung der Entscheidung.