Es war zu erwarten, dass nach dem Beschluss des Verfassungsgerichtshofs des Saarlandes zur Einsicht in Messdaten die ersten diesbezüglichen Entscheidungen der “Fachgerichte” nicht lange auf sich warten lassen. Besonders spannend dürfte sein, ob OLGs außerhalb des Saarlandes jetzt anders entscheiden. Hier nun zunächst ein “druckfrisches” (vom 28.5. und bereits ca. zwei Tage später in Juris veröffentlichtes) Urteil des (saarländischen) AG St. Ingbert. Das AG geht nun – entgegen seiner älteren Rechtsprechung – davon aus, dass Rohmessdaten, Token, Passwort und Statistikdatei auf Antrag herausgegeben werden müssen, fordert jedoch, dass dies zunächst im behördlichen Verfahren versucht und ggf. der Antrag nach § 62 OWiG gestellt werden muss. Andernfalls könne im gerichtlichen Verfahren eine Aussetzung der Hauptverhandlung nicht verlangt werden. Dies ergebe eine Abwägung der Interessen der Allgemeinheit an der Verkehrssicherheit und des Rechts eines Betroffenen auf ein faires Verfahren unter Beachtung des Beschleunigungsgrundsatzes.

Grundsätzlich spricht nichts dagegen, dass sich Betroffener oder Verteidiger möglichst früh um die gewünschte Einsicht in die Messdaten bemühen. Offen bleibt aber, ob ein Verschulden des Verteidigers durch ein verspätetes Einsichtsgesuch dem Betroffenen zuzurechnen ist. Außerdem muss beachtet werden, dass die Rechtslage (zumindest im Saarland) vor der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs umstritten war und sich etwa die Stadt Saarbrücken regelmäßig geweigert hat, Messdaten (Token-Datei und Passwort) herauszugeben. Dies wurde vom AG St. Ingbert insoweit bestätigt, dass eine Einsichtnahme in den Behördenräumen erfolgen müsse, was erst der Verfassungsgerichtshof als nicht praktizierbare Alternative zur Herausgabe der Messdaten verworfen hat. Daher hätte ein Antrag nach § 62 OWiG auf Verpflichtung zur Herausgabe der Daten vor der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs aber keine Aussicht auf Erfolg gehabt und wäre kostenpflichtig verworfen worden, was die Antragsstellung bisher als wenig zumutbar erscheinen ließ.

AG St. Ingbert, Urteil vom 28.05.2018 – 25 OWi 60 Js 202/18 (3/18)

Der Betroffene wird wegen fahrlässiger Überschreitung der innerorts zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h um 21 km/h zu einer Geldbuße von 80,00 € verurteilt.

Der Betroffene trägt die Kosten des Verfahrens.

Angewendete Vorschriften: §§ 41 Abs. 1, 49 Abs. 3 Nr. 4 StVO, 24 StVG.

Gründe

I.

In der Hauptverhandlung wurde auf Grund Einlassung seitens d. Betroffenen, der Aussage der Zeugin . . ., der Inaugenscheinnahme der Lichtbilder (Bl. 9, 28 d. A.) sowie der Vorlage der darin enthaltenen Dateneinblendungen, der Vorlage des Messprotokolls (Bl. 2 d. A.), des Eichscheins (Bl. 4 f d. A.) und der Schulungsbescheinigungen (Bl. 25-27d. A.) sowie Bekanntgabe der Auskunft aus dem Verkehrszentralregister folgender Sachverhalt als erwiesen festgestellt:

Gegen den Betroffenen liegen keine Voreintragungen im Verkehrszentralregister vor.

II.

D. Betroffene befuhr – nach insofern geständiger Einlassung – am Abend des . . . mit dem PKW (amtliches Kennzeichen: . . .) die Talstraße in Saarbrücken Fahrtrichtung Schloss.

Etwa in Höhe einer dortigen Schule und Bushaltestelle befindet/befand sich eine stationäre Geschwindigkeitsmessanlage der Firma Vitronic, Typ PoliScan F1 HP, ausweislich Eichscheins zur Tatzeit gültig geeicht. Messort und Messgerät waren kurz zuvor durch einen kommunalen Bediensteten überprüft worden, dokumentiert durch das Messprotokoll, ohne dass sich Hinweise auf Unregelmäßigkeiten ergeben hätten. Den Lichtbildern, auf die gemäß den §§ 46 OWiG, 267 Abs. 1 Satz 3 StPO Bezug genommen wird, war zu entnehmen, dass sich das Fahrzeug mit den erforderlichen Teilen in plausibler Form im Auswerterahmen befindet. Entsprechend obergerichtlicher Rechtsprechung (vergl. u.a. Saarländisches OLG, Beschluss vom 11.08.2017, Ss RS 34/2017 – 54/17 OWi -, OLG Braunschweig, Beschluss vom 13.06.2017, 1 Ss – Owi – 115/17, OLG Zweibrücken, Beschluss vom 27.01.2017, 1 OWi 1 Ss Bs 53/16) war vorliegend mithin davon auszugehen, dass es sich um eine Messung im standardisierten Messverfahren handelte.

Ausgehend von einer solchen Messung im standardisierten Messverfahren bedurfte es keiner weiteren Beweisaufnahme zur Überprüfung der Messung. Konkrete Messfehler oder Unregelmäßigkeiten waren nicht ersichtlich, wurden auch seitens des Betroffenen nicht vorgebracht. Der Vortrag beschränkte sich auf entscheidungsunerhebliche abstrakte Einwände gegen die Messung.

Der Antrag des Betroffenen auf Aussetzung der Hauptverhandlung zu dem Zweck, die Herausgabe der Rohmessdaten geltend machen zu können, war abzulehnen.

Auch wenn nach der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs des Saarlandes vom 27.04.2018 (Az.: Lv 1/18) grundsätzlich ein Anspruch auf Herausgabe von Rohmessdaten, Token, Passwort und Statistikdatei eine Messung betreffend unter dem Gesichtspunkt des Gebots eines fairen Verfahrens zu bejahen ist, so bedeutet dies nicht, dass ein entsprechender Antrag jeder Zeit beachtlich wäre. Vielmehr ist aus dem Beschleunigungsgrundsatz in Bußgeldverfahren unter Abwägung der Interessen zum einen der Allgemeinheit an einer weitestgehend zu gewährleistenden Sicherheit aller Verkehrsteilnehmer im Straßenverkehr und damit körperlichen Unversehrtheit, zum anderen eines Betroffenen wegen des Vorwurfs eines Verkehrsverstoßes auf ein faires Verfahren zu folgern, dass ein solcher Herausgabeantrag in einem frühen Stadium gegenüber der Verwaltungsbehörde bzw. der Behörde, die diese Dateien verwahrt, gestellt werden muss, um Beachtung zu finden. Einem Antrag auf Aussetzung der Hauptverhandlung im gerichtlichen Verfahren ist somit nur dann stattzugeben, wenn eine Herausgabe zuvor erfolglos gegenüber der Behörde verlangt und ein diesbezüglicher Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 62 OWiG abgelehnt wurde.

Frühestens ab Erhalt des Anhörungsschreibens und spätestens ab Zustellung des Bußgeldbescheids und der Entscheidung, hiergegen Einspruch einzulegen, ist dem Betroffene/Verteidiger die Möglichkeit eröffnet, die Messung durch einen Sachverständigen überprüfen zu lassen, wenn er das Ergebnis anzweifelt. Vor dem Hintergrund des Erfordernisses der Erledigung einer Bußgeldsache in einem zeitlich überschaubaren Rahmen angesichts massenhaft vorkommender Verkehrsverstöße und entsprechender Bußgeldverfahren (Beschleunigungsgrundsatz) ist es zumutbar zu verlangen, dass das Anliegen, eine Messung überprüfen zu lassen und hierfür die Herausgabe der Daten von der Behörde zu beantragen, frühzeitig verfolgt wird. Dies widerspricht nicht dem Grundsatz eines fairen Verfahrens und der „Waffengleichheit“ im Sinne der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs, in welcher offenbar davon ausgegangen wird, dass der Antrag auf Zurverfügungstellung der Messdaten bereits vor der Hauptverhandlung zu stellen ist. Schließlich muss ein Bußgeldverfahren innerhalb der vom Gesetzgeber vorgegebenen kurzen Verjährungsfrist von zunächst 6 Monaten ab Erlass des Bußgeldbescheids nach § 31 Abs. 2 Nr.4 OWiG, spätestens bis zum Ablauf der absoluten Verjährungsfrist von 2 Jahren ab Tatzeit i.S.d. § 33 Abs. 3 Nr. 1 OWiG erledigt werden können. Der Beschleunigungsgrundsatz in Bußgeldverfahren kommt nach dem Gesetz auch an anderer Stelle zum Ausdruck: Von einem Betroffenen wird erwartet, dass er sein grundsätzliches Recht auf Beweiserhebung und Aufklärung rechtzeitig geltend macht. So kann nach § 77 Abs. 2 Nr. 2 OWiG das Gericht einen Beweisantrag auch dann ablehnen, wenn nach seiner freien Würdigung das Beweismittel oder die zu beweisende Tatsache ohne verständigen Grund so spät vorgebracht wird, dass die Beweiserhebung zur Aussetzung der Hauptverhandlung führen würde.

Falls die Behörde die Herausgabe der Dateien verweigert, kann der Herausgabeanspruch im Wege des Antrags auf gerichtliche Entscheidung nach § 62 OWiG geltend gemacht werden (vergl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 22.07.205, IV-2 RBs 63/15).

Mit diesem Erfordernis ließe es sich demgegenüber nicht vereinbaren, wenn ein solcher Herausgabeanspruch erst im gerichtlichen Verfahren, wie häufig vorkommend kurz vor dem bestimmten Gerichtstermin oder gar in der Hauptverhandlung gestellt wird und das Gericht gezwungen wäre, die Verhandlung darauf hin auszusetzen. Denn das Einsichtsrecht steht dem Betroffenen nicht gegenüber dem erkennenden Gericht im Rahmen der Hauptverhandlung zu, vielmehr wäre er darauf zu verweisen, die Einsicht in die Messdaten außerhalb der Hauptverhandlung bei der aktenführenden Behörde zu beantragen. Dies sollte zweckmäßigerweise rechtzeitig vor der Hauptverhandlung geschehen. So wäre dem Informationsinteresse des Betroffenen Genüge getan und zugleich gewährleistet, dass der Ablauf des gerichtlichen Verfahrens nicht durch eine sachlich nicht gebotene Unterbrechung zur Gewährung der Einsicht unverhältnismäßig verzögert oder erschwert wird (vergl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 22.07.2015, IV-2 RBs 63/15). Das Einsichtsrecht ist die digitale Falldatei ist keine Frage der Akteneinsicht bei Gericht, sondern es handelt sich um ein im Vorfeld der Hauptverhandlung an die Verwaltungsbehörde zu richtendes Gesuch. … Wird der Antrag auf Beiziehung der Falldatei erst in der Hauptverhandlung gestellt, fehlt es am notwendigen tatsachenfundierten Vortrag und das Gericht kann weiterhin von der Messrichtigkeit und Messbeständigkeit des Geräts ausgehen, da die sachverständige Begutachtung durch PTB und die Eichämter nicht erschüttert sind (vergl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 26.08.2016, 2 Ss-OWi 589/16).

Wäre ein erst in diesem Verfahrensstadium gestellter Antrag zuzulassen, widerspräche dies dem von der Rechtsprechung entwickelten Grundsatz des standardisierten Messverfahrens, welcher eine Vereinfachung und Beschleunigung des Verfahrens in massenhaft vorkommenden Bußgeldverfahren bezweckt.

Unter einem standardisierten Messverfahren ist ein durch Normen vereinheitlichtes (technisches) Verfahren zu verstehen, bei dem die Bedingungen seiner Anwendbarkeit und sein Ablauf so festgelegt sind, dass unter gleichen Voraussetzungen gleiche Ergebnisse zu erwarten sind (BGHSt 43, 277, 284). Von der PTB zugelassene Systeme zur Geschwindigkeitsmessung sind grundsätzlich als standardisierte Messverfahren anzuerkennen (Cierniak, ZfSch 2012, 664).

Diese für die Praxis essentiellen und unverzichtbaren Grundlagen des standardisierten Messverfahrens basieren darauf, dass das gesetzlich vorgesehene Verfahren zum Einsatz eines Messgeräts eine hohe Gewähr für die Richtigkeit der Messergebnisse bietet: Bevor ein Messgerät zum Einsatz kommt und entsprechend zugelassen wird, wird es von einer hierzu berufenen Institution, der Physikalisch Technischen Bundesanstalt (PTB), über einen langen Zeitraum von Sachverständigen untersucht und getestet, wobei die Abläufe des Messvorgangs zu einem verwertbaren Messergebnis definiert werden. Hierin sieht die obergerichtliche Rechtsprechung ein sog. „antizipiertes Sachverständigengutachten“ (vergl. OLG Braunschweig, Beschluss vom 13.06.2017, 1 Ss – Owi – 115/17, Saarländisches OLG, Beschluss vom 11.08.2017, Ss RS 34/2017 (54/17 OWi)). Des Weiteren unterliegen die Messgeräte einer regelmäßigen Eichung, d.h. die Funktionsweise der Geräte und die Richtigkeit der Messergebnisse werden turnusgemäß wiederum von Sachverständigen überprüft.

Die amtliche Zulassung von Geräten und Methoden verfolgt – ebenso wie die Berücksichtigung eines Toleranzabzugs für etwaige systemimmanente Messfehler – gerade den Zweck, Ermittlungsbehörden und Gerichte von der Sachverständigenbegutachtung und Erörterung des Regelfalls freizustellen. Dies ist insbesondere im Bereich der Geschwindigkeitsüberwachung unbedenklich angesichts der Tatsache, dass nach erfolgter Zulassung eines Messverfahrens jedes zum Einsatz kommende Einzelgerät noch zusätzlich dem Erfordernis der regelmäßigen Eichung – mithin einer turnusmäßigen Kontrolle der Gerätefunktionen und ihrer Konformität mit dem bei der PTB hinterlegten Baumuster durch eine unabhängige Behörde unterliegt. Bedenkt man, dass schon in Strafsachen regelmäßig die Ergebnisse allgemein anerkannter kriminaltechnischer oder rechtsmedizinischer Untersuchungsverfahren verwertet werden, ohne dass die genaue Funktionsweise der verwendeten Messgeräte bekannt ist, so besteht kein Anlass für insoweit strengere Anforderungen in Bußgeldsachen, bei denen es lediglich um die Ahndung von Ordnungswidrigkeiten geht und die im Hinblick auf ihre vorrangige Bedeutung für Massenverfahren des täglichen Lebens auf eine Vereinfachung des Verfahrensganges ausgerichtet sind (vergl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 14.07.2014, IV-1 RBs 50/14).

Wenn man diese in der Praxis bewährten Grundlagen aufgeben wollte, wäre eine effektive und zeitnahe Ermittlung und Sanktionierung von Verkehrsverstößen nicht mehr gewährleistet, zumal Ermittlungsorgane, Verwaltungsbehörden und Gerichte in der alltäglichen Praxis in vielen Verfahren mittlerweile einer „Flut“ von Anträgen zum Messverfahren ausgesetzt sind. Unter Abwägung der Interessen, zum einen der Allgemeinheit an einer weitestgehend zu gewährleistenden Sicherheit aller Verkehrsteilnehmer im Straßenverkehr und damit körperlichen Unversehrtheit und zum anderen dem eines Betroffenen, dem ein Verkehrsverstoß zur Last gelegt wird, an einem fairen Verfahren, kann und muss von einem Betroffenen erwartet werden, dass bei Wahrnehmung und Verfolgung seiner Rechte diesen Grundlagen Rechnung zu tragen ist.

Im Bereich der Messstelle galt eine zulässige Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h, angeordnet durch deutlich aufgestellte und wahrnehmbare Verkehrszeichen in ausreichender Entfernung vor der Messstelle. Dies war dem Messprotokoll zu entnehmen.

III.

Die Messung ergab, dass der Betroffene die Messstelle um 18:35 Uhr mit einer Geschwindigkeit von 51 km/h (nach vorgeschriebenem Toleranzabzug von 3 km/h) passierte. Dies war den vorgelegten Dateneinblendungen in den Lichtbildern, auf die gemäß §§ 46 OWiG, 267 Abs.1 Satz 3 StPO Bezug genommen wird, zu entnehmen. Mithin überschritt der Betroffene die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h um 21 km/h . Hierbei ging das Gericht von fahrlässiger Begehensweise aus. Dem Betroffenen war eine Verkehrsordnungswidrigkeit nach den §§ 41 Abs. 1, 49 Abs.3 Nr. 4 StVO, 24 StVG vorzuwerfen.

Diese Überzeugung des Gerichts konnte durch die nicht ergiebige Aussage der vom Betroffenen gestellten Zeugin … zu seiner Behauptung, die Geschwindigkeit habe unter 50 km/h gelegen, nicht erschüttert werden. Sie konnte sich nicht an den ungefähren Zeitpunkt des Vorfalls erinnern. Sie meinte, dies sei vor wenigen Monaten gewesen. Ferner war sie sich nicht sicher, ob auf dem Tachometer eine Geschwindigkeit von unter 50 km/h aus ihrer Sicht als Beifahrerin abzulesen war.

IV.

Der Verstoß war mit einer Geldbuße i.H.v. 80, – € zu ahnden.

Es gab keine Anhaltspunkte, um von der Regelsanktion nach BußgeldkatalogVO abzuweichen.

V.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 46 OWiG, 465 StPO.