Angst vor zu viel Arbeit hatte hier wohl das AG Miesbach. Neben mehreren Beweisanträgen auf Einholung eines Sachverständigengutachtens, die das AG ablehnte, beantragte der Verteidiger die Herausgabe der Falldatei (PoliScan Speed), der Token-Datei und des Passworts. Die Begründung, mit der das AG auch diesen Antrag ablehnte, ist mir aber neu: Es sei ein Zirkelschluss, einerseits PoliScan Speed als standardisiertes Messverfahren anzuerkennen, andererseits die Messdatei herauszugeben, da dann ein Privatgutachten eingeholt und in das Verfahren eingeführt werden könnte und – so verstehe ich die Entscheidung jedenfalls – das Gericht sich dann doch mit möglicherweise festgestellten Messfehlern auseinandersetzen müsste. Ausreichend sei es, wenn, wie vorliegend, der Verteidiger Einsicht in die Unterlagen erhält, aus denen er schließen kann, dass ein standardisiertes Messverfahren vorliegt (AG Miesbach, Urteil vom 30.06.2015, Az. 11 OWi 51 Js 10592/15).
Die Messanlage hat während des gesamten Vorgangs ausweislich der Angaben des Zeugen und des Messprotokolls ohne Unregelmäßigkeiten gearbeitet. Es liegen keinerlei Hinweise auf Messfehler vor. Die Messung wurde im Rahmen der standardisierten Vorgaben durchgeführt. Es handelt sich um ein standardisiertes Messverfahren.
Infolgedessen waren die weiteren Beweisanträge zur Herausgabe der Einzelfalldateien ebenso wie zur Einholung eines technischen Sachverständigengutachtens abzulehnen.
Das OLG Frankfurt, Beschluss vom 04.12.2014, 2 Ss-OWi 1041/14 führt zum standardisierten Messverfahren und der PTB- Zulassung als antizipiertem Sachverständigengutachten wie folgt aus:
“Ist ein Messgerät von der PTB zugelassen und ist das Messgerät im Rahmen der Zulassungsvorgaben verwendet worden, ist das Tatgericht grds. von weiteren technischen Prüfungen, insbesondere zur Funktionsweisen des Messgeräts, enthoben. Die Zulassung durch die PTB ersetzt diese Prüfung. … Ist die Messung im Rahmen der Zulassung erfolgt, -…-, kann das Gericht grds. von der Richtigkeit der Messung ausgehen. …
Nur wenn im Einzelfall konkrete Tatsachen dem Gericht gegenüber vorgetragen werden, die geeignet sind, Zweifel an der Richtigkeit des zur Verhandlung stehenden konkreten Messergebnisses aufkommen lassen, kann das Tatgericht sich veranlasst sehen, diese Zweifel durch die Bestellung eines Sachverständigen nach §§ 73 ff. StPO zu verifizieren, der dann die konkrete Messung zu überprüfen hat. …
Liegt die mögliche Fehlerquelle bei der Messung in dem konkret durchgeführten Messvorgang, weil Tatsachen vorgetragen sind, die z.B. einen falschen Messaufbau der außerhalb der in der Zulassung vorgegeben Toleranzen liegt (Messaufbaufehler durch den Messbeamten), oder eine (zwischen den Eichterminen) konkret dargelegte technische Störung im konkreten Messgerät aufzeigen, ist die PTB Zulassung in der Regel nicht betroffen. Es liegt kein standardisiertes Messverfahren mehr vor. In diesen Fällen greift die sachverständige Wirkung der Zulassung durch die PTB nicht und die Messung, die gleichwohl richtig sein kann, kann, wenn Zweifel bestehen, durch einen Sachverständigen überprüft werden.
Soll der mögliche Fehler hingegen…, in der Messtechnik, der Messsoftware oder der Auswertesoftware strukturell angelegt sein und damit eine Vielzahl von Messvorgängen an unterschiedlichen Orten und Zeiten betreffen, steht diesem Vortrag grds. die Zulassung durch die PTB als antizipiertes Sachverständigengutachten entgegen.
Zunächst muss der die Zweifel begründende Vortrag ergeben, dass ein Phänomen vorliegt, das bei der Zulassung nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt worden ist, bevor beim Gericht Zweifel an der Richtigkeit der Messung aufkommen müssen.”
Das OLG Karlsruhe, Beschl. v. 24.10.2014 – 2 (7) SsBs 454/14, führt ergänzend aus:
„Im Hinblick auf die Zulassung durch die Physikalisch-Technische Bundesanstalt steht der Verwertbarkeit eines … ermittelten Messergebnisses nicht entgegen, dass ein Sachverständiger mangels Zugangs zu patent- und urheberrechtlich geschützten Herstellerinformationen die genaue Funktionsweise des Geräts anhand hierfür relevanter Daten der Messwertermittlung nicht im Einzelnen nachvollziehen kann.“
Das Amtsgericht schließt sich diesen Ausführungen vollumfänglich an.
Die von der Verteidigung bereits im laufenden Verfahren gerügte Verletzung des rechtlichen Gehörs ist damit nicht verbunden.
Es würde nämlich einen Zirkelschluss darstellen, wenn einerseits die gerichtliche Einholung eines technischen Sachverständigengutachtens bei einer im standardisierten Verfahren durchgeführten Messung abzulehnen ist, wie dies der ständigen Rechtsprechung zum standardisierten Messverfahren entspricht, andererseits über die Herausgabe der Einzelfalldateien an den Betroffenen/Verteidiger privat erstellte Gutachten auch in Fällen des standardisierten Messverfahrens in das Verfahren eingeführt werden könnten und damit verwertet werden müßten.
Zur Gewährung des rechtlichen Gehörs ist es ausreichend, aber auch erforderlich, dass dem Betroffenen/Verteidiger auf Antrag die Unterlagen zur Verfügung gestellt werden, die die Überprüfung dahingehend ermöglichen, ob die Messung tatsächlich im standardisierten Verfahren d.h. nach den Zulassungsvorgaben durchgeführt wurde, sprich Messprotokoll, Eichschein, Stammkarte, Gebrauchsanweisung, PTB- Zulassung, Schulungsnachweise u.ä.. Diese Unterlagen wurden vorliegend der Verteidigung umfassend zur Verfügung gestellt.
[…] Und wie geht es dann vor Gericht weiter? Das beschreibt der Kollege Gratz dann in diesem Beitrag…. […]