Gegen das erstinstanzliche Urteil des AG Stuttgart (Geschwindigkeitsüberschreitung, 70 Euro) wurde hier Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gestellt und dieser mit am 21.07.2019 beim Amtsgericht eingegangen Schriftsatz begründet. Hierzu nahm die Generalstaatsanwaltschaft Stuttgart am 27.04.2020 Stellung. Einen Grund zur Einstellung gemäß § 47 Abs. 2 OWiG aus diesem Grund sah das OLG Stuttgart nicht als gegeben an, da dies erst bei Verzögerungen von mehr als zwei Jahren in Betracht komme. Die Rüge der erheblichen Verfahrensverzögerung sei ausnahmsweise von Amts wegen zu prüfen, da diese vorliegend erst nach Ablauf der Begründungsfrist eingetreten sei. Eine erhebliche rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung sei allerdings nach der Rechtsprechung erst anzunehmen, wenn die Tat deutlich mehr als zwei Jahre zurückliegt.

OLG Stuttgart, Beschluss vom 25.05.2020 – 6 Rb 23 Ss 846/19

Der Antrag des Betroffenen auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gegen das Urteil des Amtsgerichts Stuttgart vom 6. Juni 2019 wird

verworfen,

weil es nicht geboten ist, das Urteil wegen Versagung rechtlichen Gehörs aufzuheben und die geltend gemachte Verletzung von Rechtsnormen über das Verfahren nicht gerügt werden kann. Auch ist es nicht geboten, die Nachprüfung der Entscheidung zur Fortbildung des Rechts zu ermöglichen (§ 80 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 4 Satz 3 OWiG).

Der Beschwerdeführer trägt die Kosten seines Rechtsmittels.

Die Replik der Verteidigung zur Zuschrift der Generalstaatsanwaltschaft lag zum Zeitpunkt der Entscheidung vor, vermag diese jedoch insbesondere im Hinblick auf die dort zitierte Entscheidung des Bayerischen Obersten Landgerichts vom 9. Dezember 2019 nicht zu entkräften.

Ergänzend wird im Hinblick auf folgende, in der Replik erstmals aufgeworfene Fragen ausgeführt:

1. Gemäß § 80 Abs. 5 OWiG sind im Zulassungsverfahren die Verfahrenshindernisse, die bereits vor Erlass des Urteils vorlagen, unbeachtlich, so dass im vorliegenden Verfahren die Frage, ob wegen (rechtsgrundlosen und willkürlichen) Führens einer elektronischen Akte bei der Bußgeldbehörde ein Verfahrenshindernis gegeben ist, nicht zu prüfen ist (vgl. Seitz/Bauer in Göhler, OWiG, 17. Aufl., § 80 Rn. 23).

2. Raum für eine Einstellung des Verfahrens gemäß § 47 Abs. 2 OWiG besteht nicht, da von der Rechtsprechung angenommene Verzögerungen von mehr als zwei Jahren, bevor die Sache dem Rechtsbeschwerdegericht vorgelegt wurde, was für eine Einstellung sprechen kann, vorliegend nicht gegeben sind (vgl. Seitz/Bauer in Göhler, a.a.O., § 47 Rn. 41).

3. Die Rüge der (erheblichen) Verfahrensverzögerung ist grundsätzlich als Verfahrensrüge zu erheben, die nicht in der vorgeschriebenen Form und Frist geltend gemacht wurde. Hier besteht jedoch die Besonderheit, dass eine Verzögerung wegen längerdauernder Verhinderung der zunächst zuständigen Dezernentin bei der Generalstaatsanwaltschaft erst im Anschluss an die erstinstanzliche Entscheidung vom 6. Juni 2019 und nach Ablauf der Rechtsmittelbegründungsfrist am 21. Juli 2017 erfolgte, denn bis zur Antragsschrift der Generalstaatsanwaltschaft vom 27. April 2020 wurde das Verfahren nicht gefördert, so dass ein Eingreifen des Bußgeldsenats von Amts wegen geboten wäre (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 24. März 2011 – III-3 RBs 70/10 – juris). Eine erhebliche rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung, die nach überwiegender Rechtsprechung dann anzunehmen ist, wenn die Tat deutlich mehr als zwei Jahre zurückliegt, liegt hier jedoch nicht vor, da seit dem zu ahndenden Verkehrsverstoß – begangen am 22. Juli 2018 – noch keine zwei Jahre zurückliegen (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 24. März 2011, a.a.O.).

Vielen Dank an Frau Rechtsanwältin Monika Zimmer-Gratz, Bous, für die Überlassung der Entscheidung.