Der Verteidiger erhob gegen die vorliegende PoliScan-Messung u. a. den Einwand, dass mangels Speicherung von Rohmessdaten seitens der Verteidigung die Messwertbildung nicht überprüft werden könne. Das AG Trier setzt sich zunächst mit der Problematik der “Darlegungslast” Betroffener im standardisierten Messverfahren auseinander. Eine solche entstehe durch die Grundsätze des standardisierten Messverfahrens zweifelsohne mittelbar, sei aber insoweit keine Besonderheit, da das Gericht auch bei anderen Beweismitteln deren Verlässlichkeit nicht grundlos in Frage stellen müsse. Bei Geschwindigkeitsmessungen wäre die Speicherung der Rohmessdaten technisch ohne weitere Probleme möglich, so dass kein nachvollziehbarer Grund bestehe, dies zu unterlassen. Diese würden jedoch keinen ersichtlichen Erkenntnisgewinn bringen. Eine Geschwindigkeitsmessung selbst könne nicht reproduziert werden, so dass Schlussfolgerungen nur über die geräteinternen Berechnungen möglich wären. Eine nochmalige Berechnung müsse zwingend zum selben Ergebnis führen. Die Verwaltung sei dennoch angehalten, nach dem Bekanntwerden der Problematik für eine rasche Nachrüstung der Systeme zu sorgen. Sollte dies willkürlich unterbleiben, müsse dies im Rahmen der Bewertung der Verletzung der Rechte des Betroffenen Beachtung finden.

AG Trier, Urteil vom 19.12.2019 – 36b OWi 8044 Js 29672/18

1. Die Betroffene wird wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 22 km/h zu einer Geldbuße von 70,00 Euro verurteilt.

2. Die Betroffene trägt die Kosten des Verfahrens.

Angewendete Vorschriften: §§ 41 Abs. 1 i.V.m Anl. 2, 49 StVO, § 24 StVG, 11.3.4 BKatV, 46 OWiG, 465 StPO

Gründe:

I.

Die 24-jährige Betroffene war in der Hauptverhandlung vom persönlichen Erscheinen entbunden. Sie ließ sich demnach nicht weiter zu ihren persönlichen Verhältnissen ein.

Straßenverkehrsrechtlich ist sie mangels Eintragungen im Fahreignungsregister noch nicht in Erscheinung getreten.

II.

Die Hauptverhandlung hat aufgrund der gemäß dem Protokoll durchgeführten Beweisaufnahme zu folgenden Feststellungen geführt.

Die Betroffene befuhr am 03.04.2018 um 15:21 Uhr als Fahrerin mit dem Pkw, amtliches Kennzeichen … die A1, Gemarkung Mehring, Sauertalbrücke, Kilometer 135,350 in Fahrtrichtung Koblenz.

Bei einer durch die ZVD Wittlich mittels gültig geeichten und entsprechend der Bedienungsanleitung des Geräteherstellers von dem Messbeamten PHK … eingesetzten Geschwindigkeitsmessgerätes Vitronic Poliscan Speed FM1 mit der Softwareversion 4.4.5 zu dieser Zeit dort durchgeführten Geschwindigkeitsmessung wurde bei dem von der Betroffenen geführten Fahrzeug eine Geschwindigkeit von 106 km/h (vor Toleranzabzug) festgestellt.

Die Messstelle befand sich dabei außerhalb geschlossener Ortschaften ca. 300 m hinter dem beidseitig am Fahrbahnrand angebrachten Verkehrszeichen Z 274 StVO, durch das die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf 80 km/h begrenzt wurde.

Mithin überschritt die Betroffene die in der außerhalb geschlossener Ortschaften befindlichen Messstelle geltende zulässige Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h unter Berücksichtigung eines Toleranzabzugs von 4 km/h um 22 km/h. Sowohl die dargestellte Geschwindigkeitsbegrenzung an der Messstelle wie auch deren Überschreitung hätte die Betroffene bei Beobachtung der erforderlichen und ihr auch zumutbaren Sorgfalt erkennen können und müssen.

III.

Der Sachverhalt steht zur Überzeugung des Gerichts fest aufgrund der nach Maßgabe des Hauptverhandlungsprotokolls durchgeführten Beweisaufnahme.

Die Betroffene räumte über ihren Verteidiger ein, zum o.g. Tatzeitpunkt der Fahrzeugführerin des o.g. Fahrzeugs gewesen zu sein.

Die Geschwindigkeitsmessung selbst ist ordnungsgemäß durchgeführt worden. Sie erfolgte mittels des Geschwindigkeitsmessgeräts Vitronic PoliScan Speed FM1. Bei einer Geschwindigkeitsmessung mit dem Gerät PoliScan FM1 handelt es sich um ein amtlich anerkanntes, standardisiertes Messverfahren (vgl. KG Berlin, Beschluss vom 26.02.2010, 3 Ws (B) 94/102 Ss 349/09; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 20.01.2010, IV-5 Ss (OWi) 206/09), so dass der konkrete Messvorgang einer sachverständigen Begutachtung nur bei konkreten Anhaltspunkten für eine Fehlmessung unterzogen werden muss. Ausweislich des Eichscheins war das Gerät gültig bis Ende 2018 geeicht. Der Messbeamte PHK … hat ausweislich der Teilnahmebescheinigungen vom 29.09.2017 und 24.03.2017 an den Seminaren “Anwenderschulung für Poliscan FM1 zur Verwendung im mobilen Betrieb” und “Enforcement Trailer Schulung” teilgenommen. Die vorgenannten Urkunden wurden durch Bekanntgabe ihres wesentlichen Inhalts gemäß § 78 Abs. 1 S. 1 OWiG zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht. Das Poliscan-Foto, das in Augenschein genommen wurde und deren darauf befindlichen Falldaten in ihrem wesentlichen Inhalt gern. § 78 Abs. 1 S. 1 OWiG bekanntgegeben wurden, weist den Auswerterahmen hinreichend aus, so dass festgestellt werden konnte, dass sich kein weiteres Fahrzeug darin befindet, der untere Rahmen der Auswerteschablone unterhalb der Fahrzeugreifen liegt und sich das Kennzeichen sowie ein Teil des rechten Vorderrades innerhalb des Auswerterahmens befinden.

Dem – wie oben dargestellt in die Hauptverhandlung eingeführten – Poliscan-Foto entlassen sich die folgenden ermittelten Werte entnehmen:

Ermittelte Geschwindigkeit: 106 km/h

Limit Pkw: 80 km/h

Das Messprotokoll der Geschwindigkeitsmessung wurde ebenfalls durch Bekanntgabe seines wesentlichen Inhalts gemäß § 78 Abs. 1 S. 1 OWiG zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht. Gemäß dem Messprotokoll wurde vorliegend durch die ZVD Wittlich ein Vitronic Poliscan Speed FM1 Gerät mit der Softwareversion 4.4.5 genutzt. Die Messstelle befand sich dabei außerhalb geschlossener Ortschaften ca. 300m hinter dem beidseitig am Fahrbahnrand angebrachten Verkehrszeichen Z 274 StVO, durch das die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf 80 km/h begrenzt wurde. Der gemäß § 78 Abs. 1 S.1 OWiG in die Hauptverhandlung eingeführte Beschilderungsplan wies die vorhandene und unter II. angegebene Beschilderung aus. Aufgrund der vorhandenen Beschilderung war das Gericht mangels anderweitiger Anhaltspunkte davon überzeugt, dass der Betroffene diese auch erkennen konnte. Die Aufstellung und Erkennbarkeit der Verkehrszeichen wurde ausweislich des Messprotokolls vor und nach der Messung überprüft. Die Geschwindigkeitsuntergrenze des Messgeräts wurde für PKW auf 94 km/h eingestellt. Der Matrixtest (Sichtprüfung während Systemstart) wurde beobachtet und ist erfolgreich verlaufen, ebenso wurden Eichsiegel und Sicherungsmarken überprüft. Das Messgerät wurde entsprechend der derzeit gültigen Bedienungsanleitung von geschultem Messpersonal aufgestellt und in Betrieb genommen.

Konkrete Anhaltspunkte für Messfehler ergeben sich danach nicht. Ein Sachverständigengutachten war nicht erforderlich.

Bei einer Geschwindigkeitsmessung mit dem Gerät PoliScan Speed handelt es sich um ein amtlich anerkanntes, standardisiertes Messverfahren (vgl. KG Berlin, Beschluss vom 26.02.2010, 3 Ws (B) 94/102 Ss 349/09; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 20.01 .2010, IV-5 Ss (OWi) 206/09; (vgl. OLG Koblenz, Beschluss vom 17.01.2017, 1 OWi 4 SsRs 129/17; Beschluss vom 22.03.2017, 1 OWi 4 SsRs 21/17), so dass der konkrete Messvorgang einer sachverständigen Begutachtung nur bei konkreten Anhaltspunkten für eine Fehlmessung unterzogen werden muss. Standardisiert ist ein Messverfahren stets, wenn die Ermittlung der Geschwindigkeit nach einem durch Normen vereinheitlichten (technischen) Verfahren erfolgt, bei dem die Voraussetzungen seiner Anwendbarkeit und sein Ablauf so präzise festgelegt sind, dass unter gleichen Bedingungen gleiche Ergebnisse erwartet werden können. Die amtliche Zulassung erhalten derartige Geräte, nachdem die Physikalisch-Technische-Bundesanstalt (PTB) die Ermittlung des Messwertes auf der Grundlage der in der Gebrauchsanweisung festgelegten Vorgehensweise einer sachverständigen Prüfung unterzogen und die Messergebnisse als innerhalb einer zulässigen Toleranz liegend eingestuft hat. Letzteres bewirkt, dass die Ermittlungsbehörden und Gerichte im Regelfall von einer sachverständigen Prüfung freigestellt sind, es sei denn der konkrete Einzelfall gibt dazu Veranlassung. Diesen Anforderungen entspricht das vorliegend eingesetzte Messgerät PoliScan Speed FM1. Es ist von der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt geprüft und amtlich zugelassen, war geeicht und ausweislich des Messprotokolls von dem die Messung durchführenden Messbeamten entsprechend einer Checkliste aufgebaut und eingesetzt worden. Relevante Abweichungen von dem normierten Verfahren oder der Gebrauchsanweisung des Gerätes sind nicht ersichtlich und es haben sich auch keine Anhaltspunkte für Fehlerquellen ergeben, die außerhalb der durch den Toleranzabzug von 4 km/h berücksichtigten Grenzen liegen.

Sofern die Verteidigung die Messmethode mit Blick auf die jüngste Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs des Saarlandes vom 05.07.2019 – Lv 7/17 beanstandet und die Aussetzung des Verfahrens fordert, dringt sie hiermit nicht durch.

In der Rechtsprechung der Bußgeldsenate des Oberlandesgerichts Koblenz ist geklärt, dass der Tatrichter nicht gehalten ist, Anträgen der Verteidigung auf Beiziehung und Einsicht der sog. Rohmessdaten nachzugehen. Hat sich der Tatrichter nämlich aufgrund der Beweisaufnahme davon überzeugt, dass die Voraussetzungen eines standardisierten Messverfahrens eingehalten wurden, verstößt die Ablehnung eines Antrags der Verteidigung auf Einsicht in die digitale Messdatei, die sog. Statistikdatei und deren Überlassung einschließlich der sog. Rohmessdaten weder gegen die Grundsätze des fairen Verfahrens, noch ist rechtliches Gehör verletzt (OLG Koblenz, Beschluss vom 28. November 2019 – 1 OWi SsRs 365/19). Die Rechtsansicht des Verfassungsgerichtshofes des Saarlandes wird vom OLG Koblenz (aaO.) und dem erkennenden Gericht nicht geteilt. Eine Aussetzung des Verfahrens war damit nicht angezeigt.

Der Umstand, dass das Messgerät vorliegend nicht sämtliche Rohmessdaten speichert und diese dem Betroffenen dadurch nicht zur Überprüfung durch einen unabhängigen Sachverständigen zur Verfügung stehen, führt entgegen der Ansicht des Verfassungsgerichtshofes des Saarland nach Auffassung des erkennenden Gerichts nicht zu einer Verletzung des Rechts der Betroffenen auf ein faires Verfahren bzw. effektive Verteidigung nach Art. 77 Abs. 2 i.V.m. Art. 6 Abs. 2, Art. 124 LV-RLP.

Die von der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs zur Begründung herangezogene “Darlegungslast” des Betroffenen besteht nicht in- der dort dargestellten Form (1). Zudem ist ein Erkenntnisgewinn für Betroffene und Sachverständige bei Vorliegen sämtlicher Rohmessdaten derzeit nicht ersichtlich (2).

(1)

Die Aussage, dass es widersprüchlich sei, einen Betroffenen mit der Pflicht, konkrete, Zweifel an der Messung begründende, Umstände darlegen zu müssen, zu belasten, wenn man ihm gleichzeitig die Möglichkeit verwehrt, dies zu tun, verdient Zustimmung.

Sie ist jedoch bedingt durch die falsche Annahme, dass durch die Grundsätze des standardisierten Messverfahrens eine im Straf- und Bußgeldverfahren anderweitig nichtexistierende “Darlegungslast” begründet würde und kommt demnach zu der falschen Schlussfolgerung, dass dies zwingend einen Verstoß gegen das Recht des Betroffenen auf ein faires Verfahren darstellt.

Eine “Darlegungslast” entsteht durch die Grundsätze des standardisierten Messverfahrens zwar zweifelsohne mittelbar. Diese sich mittelbar ergebende Darlegungslast besteht jedoch stets dann, wenn das Gericht seine Überzeugung auf andere Beweismittel als das Geständnis des Betroffenen stützt und stell damit keine Besonderheit des standardisierten Messverfahrens dar.

Das Ergebnis einer Geschwindigkeitsmessung durch ein Messgerät ist ein solches Beweismittel. Wenn der BGH (BGH, Beschluss vom 19. August 1993 – 4 StR 627/92 -, BGHSt 39, 291-305) statuiert, dass sich der Tatrichter in solchen Fällen darauf beschränken kann, die gemessene Geschwindigkeit, das Messverfahren und den Toleranzwert anzugeben, dann bedeutet dies nichts weiter, als dass das Gericht die Verlässlichkeit des Beweismittels nicht anhaltslos in Frage stellen muss. Nichts Anderes geschieht bei zahlreichen anderen Beweismitteln. Es ist eine anerkannte Notwendigkeit, ohne die die richterliche Erkenntnisgewinnung unmöglich wäre.

So würde niemand bezweifeln, dass ein Richter sich in Abwesenheit konkreter Anhaltspunkte, die das Gegenteil vermuten lassen, auf die Verlässlichkeit des Zustellungsvermerkes einer Zustellungsurkunde verlassen darf (siehe dazu: BVerfG, Kammerbeschluss vom 05, Oktober 1996 – 2 BvR 2195/95). Ebenso wenig würde gefordert werden, dass ein Richter das Ergebnis einer Blutuntersuchung auf Blutalkohol anhaltslos überprüfen muss. Der Zustellungsvermerk und das verschriftliche Ergebnis einer Blutuntersuchung stellen Beweismittel dar, die der Richter ohne konkrete Anhaltspunkte nicht weiter in Frage stellt. Dass diese gewonnene Überzeugung bei Vorliegen konkreter Anhaltspunkte erschüttert werden muss, sind Selbstverständlichkeiten der Grundsätze der freien richterlichen Überzeugung und des Grundsatzes in dubio pro reo, die auch ohne das Urteil des BGH (aaO) bestehen würden.

Eine “Darlegungslast” bestand damit schon immer für Betroffene bzw. Angeklagte. Stets dann, wenn der Richter sich auf ein als verlässlich geltendes Beweismittel stützt, ist es an ihm (dem Betroffenen) konkrete Umstände vorzubringen, die Zweifel an der richterlichen Überzeugung aufkommen lassen. Ohne, dass ein Betroffener / Angeklagter glaubhaft vorträgt, dass er keinen Alkohol konsumiert habe, stellt kein Gericht das Ergebnis einer Blutuntersuchung in Frage.

Es besteht stets die theoretische Möglichkeit, dass ein als absolut zuverlässig geltendes Beweismittel falsche Tatsachen präsentiert. Es ist jedoch schon aus tatsächlichen Gründen ausgeschlossen, dass das Gericht sich auch bezüglich der Verlässlichkeit der Beweismittel absolute Überzeugung verschafft. Würde man dies fordern, wäre das Gericht schlichtweg handlungsunfähig, da selbst bei den verlässlichsten Beweismitteln, bspw. einer Videoaufnahme, die (theoretische) Möglichkeit der Manipulation oder eines unerkannten Irrtums, bspw. einer optischen Täuschung, besteht.

Das Gericht muss daher anhand der Wahrscheinlichkeit dieser Möglichkeit abwägen, ob es einer absoluten Überzeugungsbildung bedarf. Umso wahrscheinlicher die Unzuverlässigkeit des Beweismittels ist, umso mehr Anstrengungen muss das Gericht unternehmen, sich von dessen Verlässlichkeit zu überzeugen; umso eher muss es Zweifel hegen.

Diese Grundsätze sind letztlich auch die, die die Figur des standardisierten Messverfahrens hervorbrachten (BGH aaO). Denn in diesen Fällen ist es aufgrund der Prüfung und Zulassung des Messgerätes durch die PTB (bezeichnet als “antizipiertes Sachverständigengutachten”) äußerst unwahrscheinlich, dass die vom Messgerät präsentierten Werte die tatsächlichen Gegebenheiten nicht korrekt darstellen.

Das Gericht darf und muss sich daher darauf verlassen können, dass nach strengen Vorgaben geeichte Geräte grundsätzlich funktionieren. Die hoheitliche Aufgabe der Überwachung der Verlässlichkeit dieser Messgeräte wurde der PTB – einer obersten Bundesbehörde – übertragen. Der Gesetzgeber hat damit sichergestellt, dass das Verfahren durch hoheitliche Hand kontrolliert wird. Diese amtliche Zulassung soll Gerichte gerade von Begutachtungen und Erörterungen des Einzelfalles freistellen (BGH aaO., juris, Rn. 21).

Die Grundsätze des standardisierten Messverfahrens führen mithin nicht zu einer, der StPO grundsätzlich fremden “Darlegungslast” der Betroffenen. Nur dann käme man zu einem notwendigen Anspruch der Betroffenen auf bedingungslose Überprüfung sämtlicher, auch verfahrensfremder, Unterlagen. Die Grundsätze des standardisierten Messverfahrens stellen – wie dargelegt – ausschließlich klar, dass auch in diesem Fall das notwendige Maß der richterlichen Überzeugung an die Verlässlichkeit eines Beweismittels herabgesenkt ist. Sie sind nicht als ausnahmsweise Begründung einer Darlegungslast zu verstehen.

Dementsprechend ist auch die Einschränkung dieser Vereinfachung bei Vorliegen “konkreter Anhaltspunkte für Messfehler” i.S.d. BGH (aaO.) lediglich eine Klarstellung, derer es streng genommen nicht bedurft hätte. Denn bei Vorliegen solcher Anhaltspunkte kann sich das Gericht ohnehin nicht ohne verbleibende Zweifel Überzeugung verschaffen, mit der Folge, dass es im Rahmen seiner Amtsermittlungspflicht zur Anzweiflung der Verlässlichkeit des Beweismittels und zur Durchführung weiterer Ermittlungen gezwungen ist.

(2)

Zwar besteht hier im Unterschied zu den genannten Vergleichsfällen die Besonderheit, dass die Speicherung der Rohmessdaten (soweit absehbar vollkommen unbestritten) technisch ohne weitere Probleme möglich wäre und demnach kein nachvollziehbarer Grund besteht, dies zu unterlassen.

Auf der anderen Seite würde das Vorliegen der Rohmessdaten den Betroffenen oder ihren Sachverständigen jedoch keinen ersichtlichen Erkenntnisgewinn bringen.

Dass auch dies vom Verfassungsgerichtshof des Saarlandes teilweise übersehen wurde, offenbart sich bei dem von diesem herangezogenen Vergleich mit Blutproben. Der Verfassungsgerichtshof weist darauf hin, dass “[. .. ] niemand [. . .] bezweifeln [würde], dass die Ergebnisse einer Blutentnahme oder einer DNA-Probe nur dann Grundlage einer gerichtlichen Entscheidung sein dürfen, wenn die Blutprobe oder die DNA-Daten, die gleichfalls Gegenstand eines standardisierten Messverfahrens sind, auch ohne substantiierte, die “Darlegungslast” für einen Vorwurf entgegen der Unschuldsvermutung auf den Beschuldigten verlagernden Einwände, noch zu einer die Messung unabhängig nachvollziehenden Überprüfung zur Verfügung stehen” (VerfGH d. Saarlandes, aaO)

Dieses Argument ist nicht überzeugend. Im Unterschied zu der Geschwindigkeitsmessung kann die Analyse der Blutprobe (dies ist das Äquivalent zu der Messung der Geschwindigkeit – nicht die Entnahme der Blutprobe, die nur ein notwendiger Zwischenschritt ist, um die “Messung” durchführen zu können) wiederholt werden. Die Geschwindigkeitsmessung kann nicht wiederholt werden. Sie ist ein einmaliger Vorgang, der so nicht mehr reproduzierbar ist. Wiederholt – und damit überprüft – werden kann nur die Schlussfolgerung die aus den Messwerten gezogen wird, also die Berechnung, die das Messgerät unter Zuhilfenahme eines Algorithmus vollzieht.

Ob unabhängigen Gutachtern der Algorithmus bekannt ist oder nicht, ist irrelevant, denn das Ergebnis der Berechnung anhand des Algorithmus ist nach den Gesetzen der Mathematik vorgegeben. Eine nochmalige Durchführung der Berechnung mithilfe sämtlicher Rohmessdaten führt logisch zwingend zum gleichen Ergebnis (siehe die nachvollziehbaren Ausführungen der PTB: Robert Wynands , “Vom Nutzen der Schätzung, oder was bringt uns eine nachträgliche Plausibilisierung?” in: PTB Mitteilungen 2019, Heft 2, S. 91 ff., abrufbar unter https://www.ptb.de/cms/fileadmin/internet/publikationen/ptb_mitteilungen/mitt2019/PTB-Mitteilungen_2019_Heft_2.pdf). Würde man dies anders sehen, würde man behaupten, dass der Computer des Messgeräts eine einfache mathematische Berechnung nicht durchführen kann. Der Erkenntnisgewinn, der aus einer vermeintlichen Nachprüfbarkeit für den Betroffenen resultieren würde, wäre mithin schlichtweg, dass er verifizieren kann, dass das Messgerät diese einfache mathematische Berechnung beherrscht.

Zwar könnte ein Erkenntnisgewinn daraus resultieren, dass zum Aufdecken etwaiger Fehler beim Messvorgang jeder einzelne Messwert der Messung – oder gar der ganzen Messreihe (also auch die Messungen fremder Fahrzeuge) – hinsichtlich “Auffälligkeiten” analysiert werden würde. Diesbezüglich schließt sich das Gericht jedoch der zutreffenden Auffassung des OLG Koblenz (Beschluss vom 17.07.2018 – 1 OWi 6 SsBs 19/18) an. Anhaltspunkte dafür, dass sich eine Analyse der Messdaten tatsächlich für Rückschlüsse auf konkrete Messfehler eignet, gibt es keine – sie sind auch nicht vorgetragen.

Nach alldem war das Verfahren nicht einzustellen. Das erkennende Gericht sieht in der fehlenden Speicherung der Rohmessdaten noch keine Verletzung der Rechte des Betroffenen auf ein faires Verfahren.

Dennoch wird die Verwaltung angehalten sein, nach der spätestens jetzt bekanntgewordenen Problematik für eine rasche Nachrüstung der Systeme zu sorgen. Sollte dies willkürlich unterbleiben, müsste dies im Rahmen der Bewertung der Verletzung der Rechte des Betroffenen Beachtung finden. Es ist jedoch ohnehin zu erwarten, dass der Verfassungsgerichtshof des Landes Rheinland-Pfalz diesbezüglich demnächst für Klarheit sorgen wird.

Die Betroffene hat danach eine mindestens fahrlässige Ordnungswidrigkeit, nämlich der Überschreitung der durch §§ 41 Abs.1 i. V. m. Anlage 2 i. V. m. Zeichen 274 StVO auf 80 km/h begrenzten Höchstgeschwindigkeit um 22 km/h (nach Abzug von 4 km/h Toleranz) außerhalb geschlossener Ortschaften begangen (§§ 41 Abs.1 i. V. m. Anlage 2, 49 StVO, 24 StVG), da sie sowohl die dargestellte Geschwindigkeitsbegrenzung an der Messstelle wie auch deren Überschreitung bei Beobachtung der erforderlichen und ihr auch zumutbaren Sorgfalt hätte erkennen können und müssen.

Es liegt zudem ein ordnungsgemäßer Bußgeldbescheid vor, sodass die Ordnungswidrigkeit nicht verjährt war. Soweit die Verteidigung bereits im Vorfeld die Wirksamkeit des Bußgeldbescheids wegen eines Verstoßes gegen § 110a OWiG rügte, dringt sie auch hiermit nicht durch. Indem der Bußgeldbescheid ausgedruckt und an die Betroffene in Papierform gesendet wurde, liegt ein wirksamer schriftlicher Bußgeldbescheid vor (OLG Koblenz, Beschluss vom 17. Juli 2018 – 1 OWi 6 SsBs 19/18). Ob die interne Aktenführung der Verwaltung gegen § 110a OWiG verstößt oder nicht, ändert nichts an der begangenen Ordnungswidrigkeit der Betroffenen und ebenso wenig an dem Vorliegen eines wirksamen Bußgeldbescheides.

Für fahrlässig begangene Geschwindigkeitsüberschreitungen in der vorliegenden Form sieht die bundeseinheitliche Bußgeldkatalogverordnung (Nr. 11.3.4) eine Geldbuße in Höhe von 70 EUR vor. Es ergeben sich in der Gesamtbewertung des Vorfalls keine besonderen Gesichtspunkte, die ein Absehen von einem durchschnittlichen Fall einer solchen Geschwindigkeitsüberschreitung rechtfertigen würden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 465 Abs. 1 StPO.