Ein Strafbefehl des Amtsgerichts vom 16.04.2018 wurde dem Beschuldigten am 17.4.2018 zugestellt. Mit Schreiben vom 26.04.2018 erklärte die Staatsanwaltschaft die Rücknahme des Strafbefehls; ein Einspruch erfolgte nicht. Das OLG Karlsruhe meint deshalb, dass der Strafbefehl am 03.05.2018 rechtskräftig wurde. Die Staatsanwaltschaft könne dem einmal erlassenen Strafbefehl durch Rücknahme ihres Antrags nicht mehr die Grundlage entziehen.

OLG Karlsruhe, Beschluss vom 29.03.2019 – 3 Ws 66/19

Der Eröffnung des Hauptverfahrens steht der Strafbefehl des AG S. vom 16.4.2018 entgegen, der nach Zustellung am 17.4.2018 und Ablauf der Einspruchsfrist seit 3.5.2018 rechtskräftig ist. Die StA konnte mit Schreiben vom 26.4.2018 ihren Strafbefehlsantrag nicht mehr wirksam zurücknehmen.

Im Hinblick auf das Beschwerdevorbringen merkt der Senat ergänzend Folgendes an:

Der Senat teilt die Auffassung nicht, wonach es aufgrund eines ansonsten eintretenden Wechsels der Rechtslage hinsichtlich der Rechtshängigkeit sachgerecht sei, der StA die Dispositionsbefugnis über den bereits erlassenen, aber noch nicht rechtskräftigen Strafbefehl auch dann zuzubilligen, wenn (noch) kein Einspruch gegen den Strafbefehl eingelegt wurde (so noch OLG Karlsruhe, NStZ 1991, 602 m. abl. Anm. Mayer, NStZ 1992, 605).

Mit Erlass des Strafbefehls durch das AG gemäß § 408 Abs. 3 Satz 1 StPO, mit dem dieses – wie beim Eröffnungsbeschluss – nach vorheriger eigener Prüfung, ob eine hinreichende Verurteilungswahrscheinlichkeit gegeben ist, grundsätzlich eine das schriftliche Strafbefehlsverfahren abschließende Entscheidung getroffen hat, geht die Dispositionsbefugnis über den Verfahrensgegenstand von der StA auf das AG über. Die Staatsanwaltschaft kann deshalb dem einmal erlassenen Strafbefehl durch eine Rücknahme ihres Antrags die Grundlage grundsätzlich nicht mehr entziehen (so auch die inzwischen einhellige Meinung in der Literatur: vgl. BeckOK-Temming, StPO, Stand: 1.1.2019, Rdn. 9 zu § 411; Gercke/Julius/ Temming/Zöller-Brauer, StPO, 6. Aufl., Rdn. 15 zu § 411; LR-Gössel, StPO, 26. Aufl., Rdn. 37 zu § 411; KK-Maur, StPO, 7. Aufl., Rdn. 22 zu § 411; KMR-Metzger, StPO, Stand: Februar 2019, Rdn. 19 zu § 411; Meyer-Goßner/Schmitt, 61. Aufl., Rdn. 8 zu § 411; MüKo-Eckstein, StPO, 1. Aufl., Rdn. 40 zu § 411; Radtke/Hohmann-Alexander, StPO, 1. Aufl., Rdn. 22 zu § 411; SK-Weßlau, StPO, 4. Aufl., Rdn. 26 zu § 411; vgl. aber auch AG Villingen-Schwenningen, B. v. 3.7.2018 – 6 Cs 56 Js 2827/18, in: juris m. zust. Anm. Staudinger, jurisPR-StrafR 21/2018 Anm. 4).

Die Dispositionsbefugnis der StA lebt gemäß § 411 Abs. 3 Satz 1 StPO lediglich für den Fall wieder auf, dass der Angekl. Einspruch gegen den Strafbefehl einlegt. Diese Bedingung des Wiederauflebens der Dispositionsbefugnis ergibt sich zum einen aus der Gesetzessystematik und dem Wortlaut der Norm: § 411 StPO setzt seiner Stellung nach einen Einspruch des Angekl. gemäß § 410 StPO voraus (vgl. etwa LR-Gössel, a.a.O., Rdn. 1 ff., 37 zu § 411; AG Villingen-Schwenningen, a.a.O.). § 411 Abs. 3 Satz 1 StPO spricht demgemäß nicht von einer Zurücknahme des Strafbefehlsantrags, sondern von einer Zurücknahme der „Klage“. Zum anderen ergibt sich diese Bedingung aber auch aus dem Sinn und Zweck der Norm. Die Klagerücknahmemöglichkeit der StA gemäß § 411 Abs. 3 Satz 1 StPO ist vom Gesetzgeber als Äquivalent für die Möglichkeit der dem Angekl. zugleich ermöglichten Einspruchsrücknahme gedacht. Beides dient der vereinfachten und rascheren Erledigung der Verfahren von geringerer Bedeutung in den Fällen, in denen entweder die Erfolglosigkeit des Einspruchs oder aber die Unbeweisbarkeit des von der StA erhobenen Vorwurfs nach Einspruchseinlegung / in der Hauptverhandlung offenbar wird (vgl. LR-Gössel, StPO, 26. Aufl., Rdn. 36 zu § 411; MüKo-Eckstein, a.a.O., Rdn. 41 zu § 411; SK-Weßlau, a.a.O., Rdn. 28 zu § 411). Im Übrigen sind Vertrauensschutzgesichtspunkte und Aspekte der Rechtssicherheit zumindest insofern von Belang, als im Falle der Annahme einer Möglichkeit zur Zurücknahme des Strafbefehls(antrags) bis zum Ablauf der Einspruchsfrist dem Besch., der sich dieses unter Zugrundelegung einer Geständnisfiktion gemachten „Angebots“ sicher sein will, hierdurch indirekt die Obliegenheit auferlegt würde, nach Zustellung sofort auf Rechtsmittel zu verzichten, um einer etwaigen Zurücknahme zuvorzukommen.