Der Kläger verlangt vom im Landgerichtsbezirk Braunschweig ansässigen Hersteller seines Kraftfahrzeugs Schadensersatz wegen unzulässiger Programmierung der Motorsteuerung und erhob Klage vor dem LG München II, in dessen Bezirk er selbst wohnhaft ist. Nachdem das LG auf Bedenken hinsichtlich der Zuständigkeit hingewiesen hatte, verwies es den Rechtstreit auf den hilfsweise gestellten Antrag des Klägers an das LG Kassel, welches zuständig sei, da in dessen Bezirk der Kaufvertrag geschlossen sowie das Geld übergeben worden seien. Das LG Kassel sah wiederum das LG München II als zuständig an und verwies den Rechtsstreit an dieses zurück, welches das Bayerische Oberste Landesgericht um Bestimmung des zuständigen Gerichts ersuchte.

Das BayObLG scheint dahin zu tendieren, dass auf Grund der Zuständigkeit nach § 32 ZPO außer am Sitz des Herstellers oder des Händlers auch am Wohnsitz des Käufers eine Zuständigkeit besteht. Auf Grund der Bindungswirkung des – nicht willkürlichen – Verweisungsbeschlusses des LG München II gemäß § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO bleibe es aber bei der Zuständigkeit des LG Kassel.

BayObLG, Beschluss vom 22.01.2019 – 1 AR 23/18

Örtlich zuständig ist das Landgericht Kassel.

Gründe

I.

Der im Bezirk des Landgerichts München II wohnhafte Kläger begehrt mit seiner zu diesem Gericht erhobenen Klage von der im Bezirk des Landgerichts Braunschweig ansässigen Beklagten Ersatz des Schadens, der ihm durch den Kauf eines vom sogenannten Abgasskandal betroffenen Fahrzeugs entstanden sein soll.

Er trägt vor, den Pkw als Gebrauchtwagen im Jahr 2012 erworben zu haben, und zwar gemäß vorgelegtem Kaufvertrag im Bezirk des Landgerichts Kassel. Dabei sei ihm eine von einer Tochtergesellschaft der Beklagten ausgestellte EG-Übereinstimmungsbescheinigung (Certificate of Conformity, „CoC“) übergeben worden, nach deren Inhalt das Fahrzeug mit einem Typ gemäß näher bezeichneter EG-Typgenehmigungsnummer des Kraftfahrt-Bundesamtes übereinstimme. Das Fahrzeug sei mit einem von der Beklagten entwickelten und an ihre Tochtergesellschaft als Herstellerin des Fahrzeugs gelieferten Motor der Baureihe EA 189 ausgestattet. Nur mittels unzulässiger Programmierung der Motorsteuerung unter Verwendung sogenannter „Defeat Devices“ habe die Beklagte erreicht, dass im Prüfstandlauf gesetzeskonforme Stickoxidwerte erreicht würden. Tatsächlich stimme das Fahrzeug dagegen nicht mit dem genehmigten Fahrzeugtyp überein. Die mit der Übereinstimmungsbescheinigung erteilte Information sei daher unzutreffend.

Der Kläger meint, die Beklagte sei ihm nach deliktischen Grundsätzen zum Schadenersatz verpflichtet. Durch das Inverkehrbringen des Fahrzeugs unter Verschweigen der gesetzwidrigen Softwareprogrammierung habe sie jedenfalls in mittelbarer Täterschaft unter Benutzung ihrer Tochterunternehmen und deren Händler eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung begangen. Über ihre Organe habe sie zudem zum Nachteil des Klägers den Tatbestand des Betrugs verwirklicht; denn mit dem Wissen der Beklagten sei eine inhaltlich falsche EG-Übereinstimmungsbescheinigung ausgestellt worden, wodurch der Kläger über die Gesetzeskonformität des Fahrzeugs getäuscht und zur Vermögensverfügung durch Fahrzeugkauf veranlasst worden sei. Mit dem Inverkehrbringen des Fahrzeugs habe die Beklagte außerdem gegen § 27 Abs. 1 EG-Fahrzeuggenehmigungsverordnung (EG-FGV) verstoßen und damit ein Schutzgesetz verletzt, denn die EG-Typgenehmigung sei infolge der vorgenommenen Softwareprogrammierung erloschen und die Übereinstimmungsbescheinigung ungültig gewesen.

Das Landgericht hat auf Bedenken gegen seine örtliche Zuständigkeit hingewiesen. Der Kaufvertrag sei nicht im Bezirk des angerufenen Gerichts geschlossen worden. Am Ort des Vertragsschlusses seien auch das Fahrzeug sowie das Geld übergeben worden. Handlungs- und Erfolgsort lägen daher sämtlich nicht im Bezirk des angerufenen Gerichts.

Mit der Begründung, der Belegenheitsort des geschädigten Vermögens befinde sich am Wohnsitz des Klägers, hat dieser die Meinung vertreten, im Bezirk des Landgerichts München II liege der Erfolgsort. Die Beklagte hat sich insgesamt gegen den Gerichtsstand des Delikts ausgesprochen. Weil jeder schlüssige Vortrag dazu fehle, dass der Beklagten eine unerlaubte Handlung vorzuwerfen sei, komme nur der allgemeine Gerichtsstand an ihrem Sitz in Betracht.

Mit Beschluss vom 20. September 2018 hat sich das Landgericht München II für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit auf den hilfsweise gestellten Antrag des Klägers an das Landgericht Kassel verwiesen. Der Gerichtsstand der unerlaubten Handlung sei eröffnet. Zwar sei die Beklagte am Erwerbsvorgang nicht unmittelbar beteiligt gewesen. Ihr sei aber bewusst gewesen, dass der jeweilige Händler die Gesetzeskonformität des Fahrzeugs anpreisen werde. Die behauptete Täuschung und der hierauf beruhende Irrtum des Käufers seien daher am Ort des Vertragsschlusses erfolgt. Die Vermögensverfügung liege bereits in der Unterzeichnung des Kaufvertrages. Zudem sei das Fahrzeug am Ort des Vertragsschlusses übereignet worden. Dort sei daher der Schaden eingetreten. Das nachträgliche Verbringen des Fahrzeugs an den Wohnort des Klägers ändere daran nichts. Maßgeblich für die Schadensbeurteilung sei der Kaufgegenstand, nicht das sonstige Vermögen des Klägers.

Das Landgericht Kassel hat die Parteien darauf hingewiesen, dass es die Zurückverweisung beabsichtige, und Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Der Vermögensschaden sei am Wohnsitz des Klägers eingetreten, denn geschützt sei das Vermögen als solches. Mit der Klageerhebung zum angerufenen Gericht habe der Kläger sein Wahlrecht bindend ausgeübt.

Mit Beschluss vom 23. November 2018 hat sich das Landgericht Kassel für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Landgericht München II zurückverwiesen. Dessen Verweisungsbeschluss sei nicht bindend. Die Verweisung sei in missbräuchlicher Weise unter Umgehung einer eindeutig gegebenen eigenen Zuständigkeit und aufgrund unzutreffender Hinweise an die Parteien erfolgt. Geschützt sei das Vermögen als solches, weshalb der Schaden am Wohnsitz des Klägers eingetreten sei.

Das Landgericht München II hat mit Beschluss vom 6. Dezember 2018 das Bayerische Oberste Landesgericht um Bestimmung des örtlich zuständigen Gerichts ersucht.

II.

Auf die zulässige Vorlage des Landgerichts München II ist die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Kassel auszusprechen.

1. Die Voraussetzungen für die Zuständigkeitsbestimmung gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6, Abs. 2 ZPO durch das Bayerische Oberste Landesgericht liegen vor (vgl. Schultzky in Zöller, ZPO, 32. Aufl. 2018, § 36 Rn. 34 ff. m. w. N.). Das Landgericht München II und das Landgericht Kassel haben sich bindend für unzuständig erklärt; das Landgericht München II durch unanfechtbaren Verweisungsbeschluss vom 20. September 2018 (§ 281 Abs. 2 Satz 2 ZPO), das Landgericht Kassel durch die zuständigkeitsverneinende Entscheidung unter gleichzeitiger Zurückverweisung vom 23. November 2018. Die jeweils ausdrücklich ausgesprochene Leugnung der eigenen Kompetenz erfüllt das Tatbestandsmerkmal “rechtskräftig” im Sinne des § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO (BGH, Beschl. v. 19. Februar 2013, X ARZ 507/12, NJW-RR 2013, 764 Rn. 5; Beschl. v. 10. Dezember 1987, I ARZ 809/87, BGHZ 102, 338/340 m. w. N.).

Zuständig für die Bestimmungsentscheidung ist gemäß § 36 Abs. 2 ZPO i. V. m. § 9 EGZPO das Bayerische Oberste Landesgericht, weil die Bezirke der am negativen Kompetenzkonflikt beteiligten Gerichte zum Zuständigkeitsbereich unterschiedlicher Oberlandesgerichte gehören und das mit der Rechtssache zuerst befasste Gericht in Bayern liegt.

2. Örtlich zuständig zur Entscheidung über das Klagebegehren ist gemäß § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO das Landgericht Kassel, weil es an den Verweisungsbeschluss des Landgerichts München II gebunden ist.

a) Der Gesetzgeber hat in § 281 Abs. 2 Sätze 2 und 4 ZPO die grundsätzliche Unanfechtbarkeit von Verweisungsbeschlüssen und deren Bindungswirkung angeordnet. Dies hat der Senat im Verfahren nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO zu beachten. Im Falle eines negativen Kompetenzkonflikts innerhalb der ordentlichen Gerichtsbarkeit ist daher grundsätzlich das Gericht als zuständig zu bestimmen, an das die Sache in dem zuerst ergangenen Verweisungsbeschluss verwiesen worden ist. Demnach entziehen sich auch ein sachlich zu Unrecht ergangener Verweisungsbeschluss und die diesem Beschluss zugrunde liegende Entscheidung über die Zuständigkeit grundsätzlich jeder Nachprüfung (st. Rspr.; BGH, Beschl. v. 10. September 2002, X ARZ 217/02, NJW 2002, 3634/3635; Beschl. v. 10. Dezember 1987, I ARZ 809/87, BGHZ 102, 338/340; Greger in Zöller, ZPO, § 281 Rn. 16).

Die Bindungswirkung entfällt nur dann, wenn der Verweisungsbeschluss schlechterdings nicht als im Rahmen des § 281 ZPO ergangen anzusehen ist, etwa weil er auf einer Verletzung rechtlichen Gehörs beruht, nicht durch den gesetzlichen Richter erlassen wurde oder jeder gesetzlichen Grundlage entbehrt und deshalb als objektiv willkürlich betrachtet werden muss. Hierfür genügt nicht, dass der Beschluss inhaltlich unrichtig oder fehlerhaft ist. Willkür liegt nur vor, wenn der Verweisungsbeschluss bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar ist (st. Rspr.; BGH, Beschl. v. 9. Juni 2015, X ARZ 115/15, NJW-RR 2015, 1016 Rn. 9 m. w. N.; Greger in Zöller, ZPO, § 281 Rn. 17).

b) Bei Anlegung dieses Maßstabs ist der Verweisungsbeschluss des Landgerichts München II nicht als willkürlich anzusehen, sondern entfaltet die im Gesetz vorgesehene Bindungswirkung.

aa) Zur Begründung des besonderen Gerichtsstands der unerlaubten Handlung nach § 32 ZPO ist erforderlich, aber auch ausreichend, dass der Kläger schlüssig Tatsachen behauptet, aus denen sich das Vorliegen einer im Gerichtsbezirk begangenen unerlaubten Handlung ergeben kann (BGH, Urt. v. 25. November 1993, IX ZR 32/93, BGHZ 124, 237/241; Schultzky in Zöller, ZPO, § 32 Rn. 21 m. w. N.). Begehungsort der deliktischen Handlung ist sowohl der Handlungs- als auch der Erfolgsort, so dass eine Zuständigkeit wahlweise dort gegeben ist, wo eine der Verletzungshandlungen begangen wurde (Handlungsort), oder dort, wo in das geschützte Rechtsgut eingegriffen wurde (Erfolgsort), sowie, wenn der Schadenseintritt selbst zum Tatbestandsmerkmal der Rechtsverletzung gehört, der Ort des Schadenseintritts (BGH, Urt. v. 28. Februar 1996, XII ZR 181/93, BGHZ 132, 105/111; BayObLG Beschl. v. 22. Januar 2004, 1Z AR 4/04, Rpfleger 2004, 365/366; Beschl. v. 27. März 2003, 1Z AR 28/03, MDR 2003, 893; Schultzky in Zöller, ZPO, § 32 Rn. 19).

In den gegen den Hersteller gerichteten Verfahren über Individualklagen aus Anlass des sog. Abgasskandals wird eine Zuständigkeit nach § 32 ZPO sowohl bei dem Gericht am Sitz des Herstellers, am Sitz des Händlers als auch am Wohnsitz des Käufers bejaht (vgl. OLG Stuttgart, Beschl. v. 22. Mai 2018, 9 AR 3/18, BeckRS 2018, 10638 Rn. 8 f.; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 30. Oktober 2017, 5 Sa 44/17, NJW-RR 2018, 573/575; Vossler, NJW 2018, 2201 [Anmerkung zu BGH, Beschl. v. 6. Juni 2018, X ARZ 303/18]; Longrée, MDR 2018, 1348/1350 ff.).

bb) Letztendlich kann dahinstehen, ob das Landgericht München II rechtsfehlerhaft seine eigene Zuständigkeit verneint hat, indem es ohne vertiefte Prüfung davon ausgegangen ist, dass der Gerichtsstand des Delikts nicht am Wohnsitzgericht des Verletzten gegeben ist, weil lediglich auf den Ort der Vermögensschädigung durch Übereignung eines minderwertigen Fahrzeugs, nicht aber auf das Vermögen und dessen – nicht weiter ermittelte – Belegenheit insgesamt abzustellen sei. Zwar kann, da eine Verweisung die Unzuständigkeit des verweisenden Gerichts voraussetzt (vgl. BayObLG, Beschl. v. 16. April 1999, 1Z AR 26/99, NJW-RR 2000, 589), die Bindungswirkung eines Verweisungsbeschlusses entfallen, wenn sich ein nach geltendem Recht unzweifelhaft zuständiges Gericht gleichwohl über seine Zuständigkeit hinwegsetzt und den Rechtsstreit an ein anderes Gericht verweist, etwa weil es eine klare Zuständigkeitsnorm nicht beachtet oder nicht zur Kenntnis nimmt (BGH, Beschl. v. 17. Mai 2011, X ARZ 109/11, NJW-RR 2011, 1364 Rn. 11; BayObLG, Beschl. v. 18. April 2002, 1Z AR 36/02, NJW-RR 2002, 1295 Leitsatz 2) oder weil dem Verweisungsbeschluss keinerlei Begründung zur eigenen Unzuständigkeit zu entnehmen ist (BGH, Beschl. v. 13. Dezember 2005, X ARZ 223/05, NJW 2006, 847/848).

So liegt es jedoch hier nicht.

Das Landgericht München II hat in seinem Verweisungsbeschluss zunächst mit vertretbarer Begründung ausgeführt, dass der Gerichtsstand der unerlaubten Handlung auf der Grundlage des Klägervorbringens eröffnet ist. Mit sachlichen und nicht offensichtlich unzutreffenden oder gar missbräuchlich herangezogenen Gesichtspunkten hat es sodann begründet, weshalb im konkreten Sachverhalt aus seiner rechtlichen Sicht der Ort des Vermögensschadens nicht am Wohnsitz des Klägers liegt. Eine gegebenenfalls unzutreffende rechtliche Subsumtion im Rahmen der Prüfung der einzig in Betracht kommenden Zuständigkeitsnorm begründet keinen derart schwerwiegenden Rechtsfehler, dass der Verweisungsbeschluss schlechterdings nicht als im Rahmen des § 281 ZPO ergangen angesehen werden kann (BayObLG, Beschl. v. 16. April 1999, 1Z AR 26/99, NJW-RR 2000, 589). Angesichts der vorgenommenen Sachverhaltswürdigung und der Auseinandersetzung mit den von den Parteien vorgetragenen Argumenten ist nichts dafür ersichtlich, dass das verweisende Gericht eine eindeutig gegebene eigene Zuständigkeit außer Acht gelassen hätte. Eine Zuständigkeit des Landgerichts Kassel als Gericht am Sitz des Händlers liegt zudem nach dem Klägervortrag nahe, denn danach haben der Abschluss des Kaufvertrags zu einer schadensgleichen Vermögensgefährdung und die Übereignung des Fahrzeugs zum Eintritt des Schadens geführt. Hierauf hat das abgebende Gericht die ausgesprochene Verweisung gestützt.