Das AG Tübingen hatte den Sachverständigen mit der Begutachtung einer ESO ES 3.0-Geschwindigkeitsmessung beauftragt. Die von der Messanlage generierten Rohmessdaten wertete der Sachverständige mit einem eigenem Auswertungsprogramm sowie einem Programm des Geräteherstellers, dessen Benutzung die PTB befürwortet, aus. Dafür stellte der Hersteller dem Sachverständigen einen Betrag von € 124,95 brutto in Rechnung. Die Kostenbeamtin hält den Betrag nicht für erstattungsfähig, da die Messdaten der Polizeibehörde gehörten und der Hersteller für deren Auswertung keine Vergütung fordern könne.

Das AG Tübingen sieht dies anders: Bei der Benutzung der Herstellerfunktion zur Auswertung der Messdaten handele es sich um besondere Kosten im Sonne von § 12 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 JVEG. Der Messgerätehersteller verlange den genannten Betrag pro Benutzung seiner Software, also pro Auswertung, ein dauerhafter Erwerb des Zugangs zur Auswertung durch den Hersteller mit nur einmalig anfallenden Kosten sei nicht möglich. Dies sei zu vergleichen mit den Kosten für den Zugriff auf Datenbanken im Internet, welche als erstattungspflichtig anerkannt seien. Bei der Frage der Erforderlichkeit der Auswertung könne die Stellungnahme der PTB nicht unberücksichtigt bleiben.

Ob die Forderung der PTB, die Messdaten durch das gleiche Unternehmen auswerten zu lassen, welches  auch das Messgerät hergestellt hat, als sachgerecht anzusehen ist, ließ das AG allerdings ausdrücklich offen. Eine weitere Auswertung der Daten mit einer eigenen, herstellerunabhängigen Software durch den Sachverständigen, wie hier vorgenommen, sei jedenfalls sachgerecht (AG Tübingen, Beschluss vom 04.09.2017 – 16 OWi 46 Js 1217/17 jug.).

1. Dem Sachverständigen steht eine weitere Vergütung in Höhe von 124,95 Euro zu.

2. Die Beschwerde wird zugelassen.

Gründe:

I.

Der gerichtlich bestellte Sachverständige in einem Bußgeldverfahren begehrt eine höhere als die festgesetzte Vergütung.

Im Ausgangsverfahren legte das Landratsamt Tübingen dem Betroffenen eine Geschwindigkeitsüberschreitung zur Last. Die Messung erfolgte mit einem Sensormeßsystem des Herstellers ESO aus Tettnang, bei dem auch die Rohdaten zur Messung hinterlegt sind.

Wegen Zweifel am Meßvorgang hat das Gericht den Sachverständigen mit Beschluß vom 23. Februar 2017 damit beauftragt, zur Geschwindigkeitsmessung am 2. Juni 2016 ein technisches Sachverständigengutachten einzuholen. Das Gutachten soll sich insbesondere damit beschäftigen, ob die Meßstelle entsprechend den Vorgaben der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) eingerichtet wurde (Bl. 62-64 d. A.). Der Sachverständige wertete die Messung anhand der beim Hersteller ESO gespeicherten Rohdaten aus. Zur Auswertung verwendete er ein eigenes Auswerteprogramm. Darüber hinaus griff er auf das Auswerteprogramm des Herstellers zurück. Der Hersteller stellte dem Sachverständigen hierfür 105,- Euro netto (124,95 Euro brutto) in Rechnung.

Der Sachverständige machte diesen Betrag mit seiner Abrechnung gegenüber der Staatskasse geltend.

Die Kostenbeamtin hielt diesen Betrag nicht für erstattungsfähig. Sie begründete dies damit, daß der Hersteller zur Berechnung einer Gebühr nicht berechtigt sei und berief sich auf Urteile des LG Halle/OLG Naumburg und eine Verfügung des AG Reutlingen.

Der Sachverständige beantragte die gerichtliche Festsetzung seiner Vergütung.

Er macht insbesondere geltend, daß die PTB propagiere, eine sachgerechte Auswertung der mit der Messung erlangten Daten könne nur mit dem Auswerteprogramm der Herstellerfirma erfolgen, da Messung und Auswertung demselben Rechenalgorythmus folgten. Er beruft sich auf ein Papier der PTB eines B. eng. Steffen Schulze mit dem Titel “Retrospektive Korrelationsanalyse beim Geschwindigkeitsüberwachungsgerät Es 3.0”.

Das Gericht hat die Bezirksrevisorin angehört. Sie ist der Auffassung, der Hersteller dürfe keine Gebühr verlangen, da die Daten der Behörde gehörten. Für die Überlassung der Daten dürfe der Hersteller daher keine Gebühr verlangen, die Behörde sei “Herr der Daten”. Es sei paradox, wenn der Hersteller für die Daten selbst keine Gebühr verlangen dürfe, aber für deren Auswertung. Jedenfalls handle es sich um die übliche Ausstattung eines Sachverständigenbüros.

II.

Der Antrag ist vor dem Amtsgericht Tübingen nach § 4 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 1 JVEG zulässig.

Das Gericht hält den Antrag für begründet.

1.)

Bei den Kosten für die Nutzung eines fremden Computerprogramms handelt es sich zur Überzeugung des Gerichts um “besondere Kosten” im Sinne des § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 JVEG.

Das JVEG trennt in § 12 bei der Sachverständigenvergütung zwischen “üblichen Gemeinkosten” und “besonderen Kosten”. Dabei sind “übliche Kosten” nach einer verbreiteten Auffassung diejenigen Kosten, die nicht anläßlich des konkreten Gutachtenauftrags entstanden sind (vgl. KG Berlin, Beschluß vom 24. März 2009 – 2 U 76/06 – KGR 2009, 552).

Im vorliegenden Fall handelt es sich jedoch nach Angabe des Sachverständigen um eine einmalige Nutzungsgebühr. Dies ergibt sich auch aus der Fremdrechnung, die der Sachverständige seiner Abrechnung beigelegt hat (BI. 96). Es handelt sich danach um eine fallabhängige Pauschalgebühr für den Programmzugriff.

Sofern der Sachverständige dieses Programm erworben hätte und problemlos in jedem Fall selbst das Programm aufrufen könnte, wären die Anschaffungskosten für die Software sicherlich als übliche Gemeinkosten anzusehen. Die Anschaffung dieses Auswerteprogramms gehörte dann zur Grundausstattung des Sachverständigenbüros.

Nun ist es allerdings so, daß die Herstellerfirma nur auf konkreten Antrag des Sachverständigen einen Zugriff auf die Auswertesoftware erlaubt und hierfür eine Vergütung verlangt. Der Sachverständige kann die Software gar nicht erwerben, er kann sie lediglich auf Antrag nutzen. Der jeweilige Nutzungsantrag erfolgt jedoch fallabhängig und steht damit im Zusammenhang mit einem besonderen Gutachtenauftrag. Ist also der Zugriff auf das Programm so geregelt, daß die Nutzung entgeltpflichtig ist, handelt es sich um besondere Kosten. Der Sachverständige kann diese Kosten nicht vermeiden, indem er eine höherwertige Büroausstattung erwirbt und die Auswertesoftware anschafft.

Greift ein Sachverständiger auf Datenbanken im Internet zu, sind die Kosten als “besondere Kosten” erstattungspflichtig (vgl. Schneider, JVEG, 2. Aufl. München 2014, § 12, Rn 16). Das Gericht hält den beschränkten Zugriff auf Software mit dem Zugriff auf Datenbanken für vergleichbar. Deshalb ordnet das Gericht die dem Sachverständigen entstandenen Auslagen als besondere Kosten im Sinne des JVEG ein.

2.)

Die Auswertung mittels der ESO-Software war zur vollständigen Gutachtenerstattung erforderlich.

Zunächst waren aufgrund des Meßaufbaus Zweifel an der Messung aufgekommen. Es ist deshalb folgerichtig, daß der Sachverständige die Rohdaten selbst ausgewertet hat.

Wenn nun aber die PTB vorschreibt, daß “eine sachgerechte Auswertung … nur mit dem Tool der Fa. Eso GmbH vorgenommen werden [kann], da dieses nach Herstellerangaben mit dem selben Auswertealgorithmus entwickelt wurde, der auch im Messgerät implementiert ist”, muß sich der Sachverständige auch hieran halten. Verstieße der Sachverständige gegen diese Vorgabe der PTB, böte sein Gutachten Angriffsflächen und entspräche nicht den Vorgaben der PTB.

Ob und inwieweit es sachgerecht ist, die Geräteherstellung und die Auswertung durch denselben Hersteller programmieren zu lassen, vermag das Amtsgericht Tübingen nicht zu entscheiden. Objektiv erscheint es jedenfalls sachgerecht, daß der Sachverständige die Daten zusätzlich auch mit einer eigens konzipierten Software ausgewertet hat. Gleichwohl vermag dies nicht die Vorgaben der PTB zu überdecken.

3.)

Der Nutzungsgebühr für die Auswertesoftware steht nicht entgegen, daß die Verwaltungsbehörde “Herrin” der durch Geschwindigkeitsmessungen gewonnenen Daten ist. Es ist Aufgabe der Verwaltungsbehörde selbst zu regeln, welche Daten wie erhoben werden, aber auch, wie sie gespeichert und weiterverwendet werden. Offensichtlich hat sich die Verwaltungsbehörde mit der Firma ESO geeinigt, ihre Daten in der vom Sachverständigen vorgefundenen Form beim Hersteller abzulegen. Ob die Lagerung der Daten beim Hersteller entgeltpflichtig ist oder nicht, ist an dieser Stelle nicht entscheidungserheblich. Im vorliegenden Fall geht es – anders als in den Entscheidungen des OLG Naumburg vom 27. August 2014 (6 U 3/14- VersR 2015, 1525) und des LG Halle (Vorinstanz, 5 0 11 0/13) – nicht darum, wer der Herr der Daten ist, sondern um die davon zu trennende Frage, ob die Herstellerin für die Verwendung ihrer Auswertesoftware ein Entgelt verlangen darf. Die Herstellerin bietet hier gegen Entgelt einen Zugriff auf ein Datenverarbeitungsprogramm an. Für die Nutzung muß der Sachverständige ein besonderes Entgelt zahlen.

4.)

Die Entscheidung ergeht gebührenfrei, § 4 Abs. 8 JVEG.

Das Gericht hat auf Antrag der Bezirksrevisorin die Beschwerde zugelassen, § 4 Abs. 3 JVEG. Soweit ersichtlich, ist die Frage nicht entschieden, ob der Hersteller für die Nutzung der Auswertesoftware ein besonderes Entgelt verlangen darf oder ob diesem die Datenhoheit der Verwaltungsbehörde entgegensteht (jedenfalls nicht unter den Schlagworten “Auswerteprogramm” “JVEG § 12” und “ESO” in juris). Aus seiner Tätigkeit als Bußgeldrichter ist dem Vorsitzenden (leider) bekannt, daß Geschwindigkeitsmessungen von den Betroffenen oftmals nicht akzeptiert und stets neue Fehlerquellen in den Meßsystemen gesucht werden. Daraus folgt, daß auch stets neue Sachverständigenaufträge erteilt werden müssen, so daß die hier anstehende Problematik wohl häufiger auftauchen wird.