Für den Betroffenen wurde gegenüber dem erkennenden Gericht die Herausgabe verschiedener Messdaten beantragt, was dieses ablehnte. Hiergegen legte der Betroffene Beschwerde ein. Das Amtsgericht legte die Beschwerde nach der Nichtabhilfe dem Landgericht vor, forderte die Akte indes einige Tage später wegen des bevorstehenden Hauptverhandlungstermins zurück. Über die Beschwerde wurde nicht entschieden; der Betroffene am 09.12.2019 verurteilt. Auf den hiergegen gerichteten Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde hob das Oberlandesgericht das Urteil des Amtsgericht mit Beschluss vom 04.02.2021 auf und verwies die Sache zur erneuten Verhandlung an das Amtsgericht zurück. In der Folge setzte das Amtsgericht am 17.03.2021 im Beschlussverfahren eine Geldbuße unterhalb der Eintragungsgrenze fest. Nachdem das Landgericht noch während des laufenden Zulassungsverfahrens die Akte sechsmal erfolglos bei verschiedenen Stellen angefordert hatte, wurde sie ihm auf eine erneute Anforderung vom 21.09.2021 hin erst im November 2021 wieder vorgelegt; die Beschwerde wurde in der Folge für erledigt erklärt.

Das Landgericht spricht zunächst zur Klarstellung die Erledigung in der Entscheidungsformel aus. Für eine Kostenentscheidung zu Lasten der Staatskasse bestehe kein Anlass, da der Zulässigkeit der Beschwerde § 305 Satz 1 StPO entgegengestehen habe. Eine rechtsstaatswidrige Verzögerung des Beschwerdeverfahrens sei nicht festzustellen gewesen. Eine solche Feststellung beziehe sich auf das Verfahren insgesamt, nicht nur einen einzelnen Verfahrensabschnitt. Die Feststellung, ob es im Verfahren insgesamt zu einer solchen Verzögerung kam, obliege aber dem Tatrichter bzw. dem Rechtsbeschwerdegericht, nicht der Beschwerdeinstanz.

LG Kaiserslautern, Beschluss vom 15.12.2021 – 5 Qs 114/19

1. Die Beschwerde des Betroffenen gegen den Beschluss des Amtsgerichts Kaiserslautern vom 19.11.2019 wird für erledigt erklärt.

2. Es wird davon abgesehen, der Staatskasse die dem Betroffenen im Beschwerdeverfahren entstandenen notwendigen Auslagen aufzuerlegen.

Gründe:

I.

Mit Bußgeldbescheid des Polizeipräsidiums Rheinpfalz vom 05.07.2019 (Bl. 27 d.A.) wurde dem Betroffenen zur Last gelegt, am 22.05.2019 um … Uhr in Mehlingen, Gemarkung Mehlingen, BAB 63 bei Kilometer 70,9 in Fahrtrichtung Mainz mit dem PKW, amtliches Kennzeichen … fahrlässig die zulässige Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 28 km/h überschritten zu haben. Als Geldbuße wurde ein Betrag von 80,00 € festgesetzt.

Nachdem gegen diesen Bußgeldbescheid form- und fristgerecht Einspruch eingelegt worden war, beantragte die Verteidigerin mit Schreiben vom 02.08.2019 die Herausgabe der digitalen Falldatensätze der gesamten Messreihe, der Token-Datei und Passwort, der Statistikdatei mit Case-List, die Gerätebegleitkarte sowie vorhandene Wartungs-, Instandhaltungs- und Eichunterlagen des Messgerätes, die Aufbau- und Einbauvorschriften der Firma Vitronic für das Messgerät PoliScan Fm1 bei Verwendung in einem Trailer, Verwendungsanzeige(n) bei der zuständigen Landesbehörde gemäß § 32 Abs. 1 und 2 MessEG sowie den Beschilderungsplan und verkehrsrechtliche Anordnungen der Geschwindigkeitsbeschränkung. Nachdem diesem Antrag seitens der Bußgeldbehörde nicht in vollem Umfang entsprochen wurde, beantragte die Verteidigerin die gerichtliche Entscheidung. Dieses Verfahren wurde unter Az. 5 Owi 1563/19 beim Amtsgericht Kaiserslautern geführt und die- Herausgabe der beantragten Unterlagen mit Beschluss vom 01.10.2019 abgelehnt.

Das Amtsgericht Kaiserslautern bestimmte in der Sache Hauptverhandlungstermin auf den 09.12.2019. Mit Schriftsatz vom 18.11.2019 (Bl. 106 d.A.) beantragte die Verteidigerin die Herausgabe folgender Unterlagen beim Amtsgericht: die Falldatensätze der gesamten Messreihe mit Rohmessdaten, die Statistikdatei mit Case-List, die Konformitätsbescheinigung und Konformitätserklärung zum Messergerät, die Aufbau- und Einbauvorschriften der Firma Vitronic für das Messgerät PoliScan FM1 bei Verwendung in einem Trailer, sowie den Beschilderungsplan und verkehrsrechtliche Anordnungen der Geschwindigkeitsbeschränkung. Das Amtsgericht Kaiserslautern verwies diesbezüglich am 19.11.2019 auf den Beschluss vom 01.10.2019 im Verfahren Az. 5 Owi 1563/19. Die Verteidigerin legte hiergegen mit Schriftsatz vom 19.11.2019 (Bl. 108 ff. d.A.) Beschwerde ein. Dieser Beschwerde half das Amtsgericht Kaiserslautern mit Beschluss vom 21.11.2019 (Bl. 114 ff. d.A.) nicht ab, da es die Beschwerde bereits für unzulässig, aber in der Sache auch unbegründet hielt. Die Beschwerde wurde dem Landgericht am 26.11.2019 vorgelegt (Bl. 120 d.A.), die Akte wurde allerdings am 06.12.2019 vom Amtsgericht aufgrund der anstehenden Hauptverhandlung zurückgefordert (Bl. 130).

Das Amtsgericht führte die Hauptverhandlung am 09.12.2019 durch und verurteilte den Betroffenen wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 28 km/h zu einer Geldbuße von 100,00 €. Mit Schriftsatz vom 16.12.2019 wurde die Zulassung der Rechtsbeschwerde beantragt.

Am 11.03.2020 (Bl. 302 d.A.) forderte das Landgericht Kaiserslautern die Akte beim Amtsgericht an und erhielt die Mitteilung, dass sich die Akte derzeit aufgrund der Rechtsbeschwerde beim Pfälzischen Oberlandesgericht Zweibrücken befindet. Am 02.04.2020 (Bl. 303 d.A.) forderte das Landgericht Kaiserslautern die Akte bei dem Pfälzischen Oberlandesgericht Zweibrücken an und erhielt die Mitteilung, dass das Verfahren dort nicht anhängig sei. Bei telefonischer Nachfrage am 23.04.2020 (Bl. 304 d.A.) bei der Staatsanwaltschaft wurde mitgeteilt, dass die Akte von dort aus an die Generalstaatsanwaltschaft Zweibrücken geschickt wurde. Am 02.06.2020 (Bl. 272 d.A.) forderte das Landgericht Kaiserslautern die Akte bei der Generalstaatsanwaltschaft Zweibrücken an. Am 30.06.2020 (Bl. 305 d.A.) und am 14.10.2020 (Bl. 306 d.A.) forderte das Landgericht Kaiserslautern die Akte jeweils beim Amtsgericht Kaiserslautern an und erhielt beide Male die Mitteilung, dass sich die Akte noch immer aufgrund der Rechtsbeschwerde beim Pfälzischen Oberlandesgericht Zweibrücken befindet.

Das Pfälzische Oberlandesgericht Zweibrücken ließ die Rechtsbeschwerde mit Beschluss vom 04.02.2021 (Bl. 274 ff. d.A.) zu, hob das Urteil auf und verwies die Sache zur erneuten Verhandlung an das Amtsgericht zurück. Mit Beschluss vom 17.03.2021 (Bl. 296 ff. d.A.), rechtskräftig seit dem 30.03.2021, verurteilte das Amtsgericht Kaiserslautern den Betroffenen erneut wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 28 km/h und setzte diesmal eine Geldbuße von 55,00 € fest.

Am 21.09.2021 (Bl. 306 d.A. Rückseite) wurde vom Landgericht erneut telefonisch bei der Staatsanwaltschaft hinsichtlich des Sachstandes nachgefragt. Die Akte liegt dem Landgericht nunmehr seit November 2021 wieder vor. Auf die gerichtliche Anfrage 23.11.2021 erklärte die Verteidigerin die Beschwerde mit Schriftsatz vom 29.11.2021 (Bl. 310 d.A.) für erledigt.

II.

1. Der Betroffene hat mit der Beschwerde den Beschluss des Amtsgerichts Kaiserslautern vom 19.11.2019 angefochten, in welchem das Amtsgericht die Herausgabe der von der Verteidigung beantragten Unterlagen und Dateien ablehnte. Hinsichtlich der Beschwerde ist durch den rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens prozessuale Überholung eingetreten. Das Rechtsmittel wurde infolge dessen seitens der Verteidigung für erledigt erklärt. Diese Erledigung ist zur Klarstellung in der Entscheidungsformel auszusprechen (vgl. BGH NJW 2016, 3192; BGH, Beschluss vom 05.10.2018 – StB 9/18, juris).

2. Für eine Kostenentscheidung zu Lasten der Staatskasse besteht kein Anlass. Die Entscheidung über die Überbürdung der notwendigen Auslagen auf die Staatskasse ist am Gesichtspunkt der Billigkeit auszurichten (vgl. BGH NJW 2016, 3192; BGH, Beschluss vom 05.10.2018 – StB 9/18, juris). Vor diesem Hintergrund waren der Staatskasse die notwendigen Auslagen der Betroffenen nicht aufzuerlegen, da die Beschwerde des Betroffenen bereits unzulässig war.

Der Zulässigkeit der Beschwerde steht § 305 S. 1 StPO, wonach Entscheidungen der erkennenden Gerichte, die der Urteilsfällung vorausgehen, nicht der Beschwerde unterliegen, entgegen. Der Ausschluss greift, um Verfahrensverzögerungen zu verhindern, wenn das Urteil anfechtbar ist und nur für Entscheidungen, die in innerem Zusammenhang mit der Urteilsfällung stehen, ausschließlich ihrer Vorbereitung dienen, bei der Urteilsfällung selbst der nochmaligen Prüfung des Gerichts unterliegen und keine weiteren Verfahrenswirkungen äußern (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StGB, 62. Aufl., § 305 Rn 1 mwN). Anfechtbar mit der Beschwerde sind hingegen Entscheidungen, bei denen die Beschwer des Betroffenen durch Anfechtung des Urteils nicht mehr beseitigt werden kann.

Entsprechend der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs von Rheinland-Pfalz vom 15. Januar 2020 (Az. VGH B 19/19 in NZV 2020, 92 ff.) sowie obergerichtlicher Rechtsprechung (vgl. u.a. OLG Zweibrücken, Beschluss vom 11.02.2020 – Az. 1 Owi 2 SsBs 122/19) geht die Kammer nunmehr davon aus, dass die Frage der Herausgabe der geforderten Messreihen bzw. Unterlagen, vorbehaltlich der Erhebung einer Rüge in zulässiger Art und Weise im Rechtsbeschwerdeverfahren, der obergerichtlichen Überprüfung unterliegt, wie sie hier im Verfahren auch erfolgte. Die Kammer sieht deshalb in Abkehr zu der bisherigen Auffassung keinen Raum mehr für die Überprüfung dieser Frage im Beschwerdeverfahren, weshalb die Beschwerde dementsprechend unzulässig war.

3. Eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung des Beschwerdeverfahrens war vorliegend nicht festzustellen. Zwar sind die Grundsätze der vom BGH (vgl. BGHSt 51, 124 ff.) entwickelten Vollstreckungslösung bei einer festgestellten rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung entsprechend im Bußgeldverfahren anwendbar (vgl. BVerfG, Entscheidung vom 02.07.2003 – 2 BvR 273/03; OLG Hamm, Beschl. v. 11.2.2021 – 4 RBs 13/21 ). Der Anspruch auf Feststellung einer rechtstaatswidrigen Verfahrensverzögerung erstreckt sich allerdings nicht nur auf einen einzelnen Verfahrensabschnitt, wie hier das Beschwerdeverfahren, sondern auf das Verfahren insgesamt. Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK garantiert, dass das Gericht im Sinne der EMRK über die erhobene Anklage, bzw. den hier erlassenen Bußgeldbescheid in angemessener Frist verhandelt haben muss. Dies wird einhellig und nach dem Sinn und Zweck der Norm so interpretiert, dass nicht lediglich die Zeitdauer der Hauptverhandlung vor dem Gericht oder andere einzelne Verfahrensteile gemeint sind. Vielmehr ist mit der Verhandlung im Sinne der Norm das gesamte Verfahren gemeint, das zu einer verbindlichen und für den Betroffenen wieder Klarheit herstellenden Entscheidung über die Anklage bzw. den Bußgeldbescheid führt (vgl. MüKoStPO/Gaede, 1. Aufl., EMRK Art. 6 Rn. 368). Diese Klarheit konnte für den Betroffenen trotz ausstehender Beschwerdeentscheidung herbeigeführt werden, denn der Beschwerde fehlt es gem. § 307 Abs. 1 StPO an der Suspensivwirkung, sodass das Bußgeldverfahren hier trotz der eingelegten Beschwerde durchgeführt werden konnte.

Ob insgesamt eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung eingetreten ist, wäre grundsätzlich durch den Tatrichter bzw. das Rechtsbeschwerdegericht zu entscheiden. Die seit der Entscheidung des Großen Senats für Strafsachen des Bundesgerichtshofs vom 17. Januar 2008 – GSSt 1/07, BGHSt 52, 124 geltende Vollstreckungslösung verpflichtet den Tatrichter, bei Verzögerungen im strafrechtlichen Verfahren deren Art und Ausmaß sowie ihre Ursachen zu ermitteln und im Urteil konkret festzustellen. Diese Feststellung dient zunächst als Grundlage für die Strafzumessung. Der Tatrichter hat insofern in wertender Betrachtung zu entscheiden, ob und in welchem Umfang der zeitliche Abstand zwischen Tat und Urteil sowie die besonderen Belastungen, denen der Angeklagte wegen der überlangen Verfahrensdauer ausgesetzt war, bei der Straffestsetzung in den Grenzen des gesetzlich eröffneten Strafrahmens mildernd zu berücksichtigen sind. Hat das Tatgericht irrtümlich keine Kompensation für eine in den Urteilsgründen festgestellte rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung ausgesprochen, kann das Revisionsgericht dies in entsprechender Anwendung von § 354 Abs. 1 StPO nachholen (vgl. BGH, Beschluss vom 15.09.2021 – 4 StR 308/21, juris). Eine entsprechende Feststellung ist mithin ausschließlich durch den Tatrichter bzw. das Rechtsbeschwerdegericht zu treffen und nicht durch die Beschwerdeinstanz, welche gerade keine Strafe bzw. Geldbuße gegen den Betroffenen festsetzt.

Mitgeteilt von Rechtsanwälte Zimmer-Gratz, Bous.