Der Betroffene wandte sich mit der Rechtsbeschwerde gegen ein Urteil des AG (120 Euro wegen Überschreitung um 32 km/h außerorts); die Begründungsfrist lief am 11.07.2018 ab, wobei sich zunächst bis zum 05.09.2018 ein Protokollberichtungsverfahren anschloss. Die Generalstaatsanwaltschaft legte die Akte dem Senat am 24.09.2018 vor. Eine Bearbeitung erfolgte auf Grund der hohen Belastung mit Haft-, Unterbringungs- und Strafsachen sowie urlaubs- und krankheitsbedingter Vertretungen und eines Einzelrichterwechsels zunächst nicht. Unter Zugrundelegung einer regulären Bearbeitungsdauer von sechs Monaten liege eine rechtsstaatsawidrige Verfahrensverzögerung von zwei Jahren und sechs Monaten vor, wobei die vom OLG Zweibrücken aufgeworfene Frage eines Einsichtsrechts in die Daten einer Messreihe auch vorliegend relevant sei und deshalb die Entscheidung des BGH abzuwarten wäre. Im Falle einer Entscheidung tendiere der Senat dahin, die Geldbuße auf Grund der Verzögerung als ganz oder überwiegend vollstreckt zu erklären. Eine Ahndung sei daher insgesamt nicht mehr geboten.

OLG Düsseldorf, Vermerk vom 20.09.2021 – IV-1 RBs 219/18

Angesichts des erheblichen Zeitablaufs seit der dem Betroffenen vorgeworfenen Tat hält der nunmehr zuständige Einzelrichter nach Prüfung der Sach- und Rechtslage eine Einstellung des Verfahrens gem. § 47 Abs. 2 OWiG für angemessen. Das Verfahren ist nach Ablauf der Rechtsbeschwerdebegründungsfrist am 11. Juli 2018 nicht unter Einhaltung des Beschleunigungsgebots gefördert worden. Das Amtsgericht hat nach der Rüge der Verletzung von § 261 StPO umgehend das Protokollberichtigungsverfahren betrieben und durch Beschluss vom 5. September 2018 abgeschlossen. Die Generalstaatsanwaltschaft hat die Akte dann zeitnah am 24. September 2018 dem Senat zur Entscheidung vorgelegt. Ursprünglich war beabsichtigt, die Sache dem Bußgeldsenat in der Besetzung mit drei Richtern zu übertragen, weil die Überprüfung der angefochtenen Entscheidung der Fortbildung des Rechts gedient hätte, was angesichts des stattgebenden Kammerbeschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 12. November 2020 (NZV 2021, 41 ff.) nun nicht mehr erforderlich erscheint. Infolge der hohen Belastung des Senats mit einer Vielzahl vorrangig zu bearbeitender Haft-, Unterbringungs- und Strafsachen im personengleich besetzten 1. Strafsenat, urlaubs- und krankheitsbedingter Vertretungen sowie eines Einzelrichterwechsels im März 2021 hat der Senat die vorliegende Bußgeldsache bislang nicht abschließend bearbeiten können. Unter Zugrundelegung einer “regulären” Bearbeitungsdauer von sechs Monaten ist damit bislang bereits eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung von zwei Jahren und sechs Monaten eingetreten. Das Verfahren dürfte sich auch noch weiter verzögern. Das Oberlandesgericht Zweibrücken hat am 4. Mai 2021 (in: ZfSch 2021, 349 ff.) dem Bundesgerichtshof eine Bußgeldsache zur Entscheidung folgender Rechtsfrage vorgelegt: “Liegt in der Verweigerung der Einsichtnahme in dritte Verkehrsteilnehmer betreffende Daten (,gesamte Messreihe’) auch dann ein Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens, wenn eine Relevanz der betreffenden Daten für die Beurteilung der Zuverlässigkeit des verfahrensgegenständlichen Messvorgangs und damit für die Verteidigung des Betroffenen nicht erkennbar ist?”. Der Einzelrichter ist der Ansicht, dass die Beantwortung dieser Rechtsfrage auch für das vorliegende Verfahren von Bedeutung sein dürfte, so dass die Entscheidung des Bundesgerichtshofes abzuwarten wäre.

Vor diesem Hintergrund müsste im Falle einer Entscheidung in der Sache und Bestehenbleiben des Schuldspruchs eine Kompensation für die rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung erfolgen, denn die insoweit für das Strafverfahren entwickelten Grundsätze gelten auch im Bußgeldverfahren, wobei es der Erhebung einer entsprechenden Verfahrensrüge nicht bedurfte, da die Verfahrensverzögerung erst nach Ablauf der Rechtsbeschwerdebegründungsfrist eingetreten ist (vgl. OLG Dresden ZfSch 2018, 411 f.). Angesichts dessen erwägt der Einzelrichter im Falle einer Entscheidung in der Sache und Bestehenbleiben des Schuldspruchs die Geldbuße (ganz oder überwiegend) als vollstreckt anzusehen. Aufgrund der dargestellten Umstände und des deswegen nur noch marginalen Sanktionierungsinteresses ist eine Ahndung der Ordnungswidrigkeit aus Sicht des Senats nicht mehr geboten.

Der Senat erwägt daher, das Verfahren gemäß § 47 Abs. 2 OWiG einzustellen, weil das Verschulden des Betroffenen jedenfalls inzwischen als gering zu bewerten ist. Diese Vorgehensweise bedarf der Zustimmung der Generalstaatsanwaltschaft.