Der Betroffene wurde mit Schreiben vom 17.06.2020 zum Tatvorwurf der Geschwindigkeitsüberschreitung angehört. Auf den Einwand der Verteidigung hin, dass die Tatzeit nach dem Inkrafttreten des (unwirksamen) Bußgeldkatalogs liege, erklärte die Verwaltungsbehörde das Schreiben vom 17.06.2020 für “unwirksam” und übersandte einen neuen Anhörungsbogen, mit dem zugleich ein Verwarngeld angeboten wurde. Dieser konnte die Verjährung nicht nochmals gemäß § 33 Abs. 1 Nr. 1 OWiG unterbrechen, so das AG Dillingen, da dies lediglich in Bezug auf die erste Anhörung bzw. Anordnung der Anhörung der Fall sei. Die Nichtigkeit des Bußgeldkatalogs im Jahr 2020 führe nicht dazu, dass die Verwaltungsbehörde erfolgte Anhörungen für unwirksam erklären könne.

AG Dillingen, Beschluss vom 19.01.2021 – 303 OWi 611 Js 142243/20

1. Das Verfahren wird eingestellt.

2. Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Betroffenen trägt die Staatskasse.

Angewendete Vorschriften: §§ 206a, 467 StPO i.V.m. §§ 31, 46 OWiG.

Gründe

Es ist Verfolgungsverjährung eingetreten, § 31 Abs. 1 OWiG, § 26 StVG. Das Verfahren war daher im Beschlusswege einzustellen. Beschlussentscheidungen nach § 206a StPO iVm § 46 OWiG bedürfen ohnehin keiner Zustimmung, gleichwohl läge eine solche Seitens der Staatsanwaltschaft mit Verfügung vom 08.12.2020 grundsätzlich vor und von Seiten der Verteidigung oder des Betroffenen ist die Zustimmung darüber hinaus entbehrlich, Rechtsgedanke des § 72 Abs. 1 Satz 3 OWiG, nachdem keine negativen Rechtsfolgen für den Betroffenen ausgesprochen werden.

Im Einzelnen:

I.

Dem Betroffenen liegt eine fahrlässige Überschreitung der innerorts zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 16 km/h zur Last. Die im Raum stehende Tat datiert vom 03.06.2020, 16:07 Uhr.

Mit Schreiben vom 17.06.2020 (Bl. 10 d.A.) eröffnete die Verwaltungsbehörde dem Betroffenen den Tatvorwurf unter Nennung von Tatzeit, Tatort und den ihrer Einschätzung nach einschlägigen Vorschriften der §§ 3 Abs. 3, 49 StVO, § 24 StVG und 11.3.3. BKat und benannte die Beweismittel “Sensormessung mit Foto (ES 3.0)” und “Zeuge” ohne Nennung einer konkret beabsichtigten Rechtsfolge.

Mit Schriftsatz vom 23.06.2020 (Bl. 12 d.A.) zeigte sich RA P. als Verteidiger des Betroffenen an und bat um – und erhielt – Akteneinsicht.

Mit Schriftsatz vom 27.07.2020 (Bl. 20 d.A.) wies die Verteidigung darauf hin, dass die Tatzeit nach der – missglückten – Bußgeldkatalogreform liege und daher eine Rechtsgrundlage für eine Ahndung nicht vorläge. Ersteres ist zutreffend, letztere rechtliche Würdigung indes nicht. Vielmehr gilt der vorangegangene Bußgeldkatalog fort, was zwischenzeitlich auch obergerichtlich geklärt ist (vgl. nur BayObLG, Beschl. v. 11.11.2020 – 201 ObOWi 1043/20).

In Reaktion hierauf schrieb die Bußgeldbehörde unter dem 14.08.2020 den Verteidiger erneut an, erklärte unter Bezugnahme auf eine Bund-Länder-Besprechung vom 13.07.2020, dass das Schreiben vom 17.06.2020 “unwirksam” sei und übersandte einen geänderten Anhörungsbogen.

Die Verteidigung geht davon aus, dass dieses zweite Schreiben nicht erneut die verjährungsunterbrechende Wirkung des § 33 Abs. 1 Nr. 1 OWiG herbeiführen konnte.

Die Staatsanwaltschaft sieht durch das Schreiben vom 14.08.2020 die Verjährung erneut als unterbrochen an und steht auf dem Standpunkt, es sei daher noch keine Verjährung eingetreten, da der Bußgeldbescheid vom 21.09.2020 – zugestellt am Folgetage – die Verjährung wiederum wirksam unterbrochen habe.

II.

Der Rechtsauffassung der Verteidigung ist zuzustimmen. Die Verjährungsfrist betrug zum hier maßgeblichen Zeitpunkt 3 Monate, § 26 Abs. 3 StVG, da ein gerichtliches Verfahren zum entscheidenden Zeitpunkt noch nicht bestand und der Bußgeldbescheid erst vom 21.09.2020 datiert.

Die einzige zwischen diesen Zeitpunkten, die mehr als drei Monate auseinanderliegen, in Betracht kommende verjährungsunterbrechende Maßnahme wäre die erste Vernehmung des Betroffenen, die erste Bekanntgabe, dass gegen ihn das Ermittlungsverfahren eingeleitet ist, oder die erste Anordnung einer Vernehmung oder ihre erstmalige Durchführung, § 33 Abs. 1 Nr. 1 OWiG. Andere Unterbrechungstatbestände liegen hier augenscheinlich fern.

Wie sich aus dem Gesetzeswortlaut schon ergibt, kann nur jeweils die “erste” der dort genannten Maßnahmen die Verjährung unterbrechen. Eine wiederholte Unterbrechung durch mehrfache Anhörung zur selben Tat kommt nicht in Betracht. Der Anhörung des Betroffenen oder der Mitteilung an ihn, dass Ermittlungen eingeleitet wurden, geht – als reines Verwaltungsinternum, für dessen Wirksamkeit die Kenntnisnahme durch den Betroffenen irrelevant ist – die Anordnung der Bekanntgabe gedanklich notwendig stets voraus.

Diese Anordnung erfolgte vorliegend ausweislich Bl. 9/10 d.A. am 17.06.2020 und wurde durch Schreiben vom selben Tage dem Betroffenen auch bekanntgegeben. Die Übersendung eines Anhörungsbogens genügt diesen Voraussetzungen stets, selbst wenn der Anhörungsbogen dem Betroffenen nicht zugeht (vgl. etwa BeckOK zum OWiG, 28. Auflage vom 01.10.2020, § 33, Rn. 30 mit zahlreichen Nachweisen). Aus der zeitnahen und inhaltlich zum Vorwurf passenden Reaktion der Verteidigung vom 23.06.2020 darf aber wohl ohnehin mit Sicherheit darauf geschlossen werden, dass der Bogen seinerzeit zugegangen sein muss.

Eine weitere Unterbrechung der Verjährung durch das Schreiben vom 14.08.2020 trat darüber hinaus nicht mehr ein. Es handelt sich bei diesem nicht um die erste Anordnung einer Vernehmung oder die erste Durchführung einer Vernehmung, sondern allenfalls um eine – erneute – Bekanntgabe des Ermittlungsverfahrens – da sich das Schreiben auf denselben Tatvorwurf bezieht wie schon das Schreiben vom 17.06.2020. Dass über den Inhalt des seinerzeitigen Schreibens hinaus nun auch – erstmals – ein Verwarngeld angeboten wurde, ändert hieran nichts. Maßgeblicher Inhalt der Anhörung bzw. Bekanntgabe ist die Tat (die nach Ort, Zeit und Art des Verstoßes hinreichend konkretisiert sein muss und als Tat im prozessualen Sinne verstanden werden muss, § 264 StPO), nicht die hierfür beabsichtigte Rechtsfolge oder gar die von der Verwaltungsbehörde vorgenommene rechtliche Würdigung.

Entscheidend ist lediglich das tatsächliche Geschehen. Bekannt gegeben werden kann nur, was dem Betroffenen nicht bereits durch ein vorangegangenes Geschehen bekannt ist.

Die Unwirksamkeit der Bußgeldkatalognovelle steht in keinem rechtlichen Zusammenhang mit der Frage der Verjährung. Insbesondere gibt die Erkenntnis, dass die Novelle – diplomatisch ausgedrückt – “missglückt” war der Verwaltungsbehörde nicht die Befugnis, bereits ausgereichte Anhörungsschreiben zurückzunehmen oder für gegenstandslos zu erklären.

Durch die somit am 17.09.2020 eingetretene Verjährung ist die Verfolgung und Ahndung der Tat ausgeschlossen, § 31 Abs. 1 Satz 1 OWiG. Der Bußgeldbescheid vom 21.09.2020 vermag die einmal eingetretene Verjährung nicht mehr nachträglich zu beseitigen.

III.

Das Verfahren war wegen eines nicht mehr zu beseitigenden Verfahrenshindernisses daher endgültig und außerhalb einer Hauptverhandlung im Beschlusswege einzustellen, § 206a StPO und zwar mit der Kostenfolge des § 467 StPO.