Hier befasst sich das AG Meiningen – für einen § 62er-Beschluss in durchaus beachtlichem Umfang (die Entscheidungsabschrift kommt auf 10 Seiten)  – mit dem Einsichtsrecht in verschiedene Messdaten/Messunterlagen einer ESO-Messung. Und zeigt dabei beispielhaft auf, welche Anhaltspunkte für Messfehler aus welchen Unterlagen ggf. entnommen werden können.

AG Meiningen, Beschluss vom 21.01.2021 – OWi 1/21

I.

Die Thüringer Polizei -Zentrale Bußgeldstelle in Artern – wird angewiesen der Betroffene nachstehende Dokumente/Daten in unverschlüsselter Form zugänglich zu machen:
1. die Statistikdatei der inkriminierten Messung
2. die Fotografien der inkriminierten Messung, die die Fotomesslinie vor und nach der Messung zeigen,
3. einen Auszug aus der Lebensakte des Messgeräts ES 3.0 mit der Gerätenummer 5650, beginnend ab dem 9. 10. 2019 bis zum Tag des Auszugsfertigung bzw. der erneuten Eichung im Jahr 2020,
4. Schulungsnachweis des Messbeamten und Schulungsnachweis des Auswertebeamten/in.

II.

Der Behörde bleibt es insoweit überlassen, ob diese Auskünfte in analoger oder in digitaler Form erteilt werden. Im Falle der Auskunftserteilung in digitaler Form – wie von der Betroffenen gewünscht – ist die Verteidigung gehalten, zuvor einen geeigneten – nach Wahl der Verwaltungsbehörde – Datenträger zur Verfügung zu stellen.

III.

Im Übrigen wird der Antrag als unbegründet verworfen.

IV.

Die Betroffene trägt die Gerichtskosten.
Die Gerichtsgebühr wird auf die Hälfte ermäßigt.
Eine Kostenentscheidung über die notwendigen Auslagen ist nicht veranlasst.

Gründe:

I.

Der Betroffenen, die im Rahmen ihrer Anhörung eingeräumt hat, das inkriminierte Fahrzeug geführt zu haben, wird in dem form- und fristgerecht angefochtenen Bußgeldbescheid vom 30.10.2020 zur Last gelegt, am 15.09.2020 gegen … Uhr mit dem Fahrzeug, amtliches Kennzeichen … auf der L 1131 , zwischen Schwarza und Viernau die dort zulässige Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h um 42 km/h überschritten zu haben. Die Geschwindigkeitsmessung erfolgte mittels des Messsystems ES 3.0. Diese Messung führte Herr PHM … durch, der auf diesem Gerät eigens geschult und ausgebildet ist.

Nach Zustellung des Bußgeldbescheids zeigte sich der Verteidiger an und beantragte Akteneinsicht unter konkrete Benennung verschiedener Unterlagen, teilweise auch solcher, bei denen von vornherein feststeht, dass sie nicht Bedeutung sein können, weil sie sich auf eine LZA (Lichtzeichenanlage) beziehen, also ein Rotlichtverstoß betreffen, um den es hier überhaupt nicht geht. Die Akteneinsicht wurde grundsätzlich durch Übersenden von Aktenbestandteilen gewährt (in welchem Umfang trägt die Verteidigung nicht vor).

Mit Schriftsatz vom 18.11 .2020 stellte der Verteidiger Antrag nach § 62 OWiG mit der Rüge, er habe keine vollständige und prüffähige Bußgeldakte erhalten und sei insbesondere daran gehindert ein Gutachten zur Prüfung der Messung einzuholen. Konkret wird beantragt, die Verwaltungsbehörde anzuweisen,

• die vollständige, selbstlesbaren digitalen Falldatensätze der gesamten tatgegenständlichen Messreihe (mindestens 300 vor bzw. 300 nach der Messung des Betroffenen mit den Rohmessdaten, der Statistikdatei und dem Public Key sowie die bei Beginn/Ende der Messung angefertigten Test-/Kalibrierfotos),
• die vorhandene Lebensakte sowie alle Wartung-, Reparatur-, Instandsetzung- und Eichunterlagen des Messgerätes seit der 1. Inbetriebnahme bis heute bzw. bis zur mündlichen Verhandlung
• einen Beschilderungsplan (Übergröße der Schilder – Schilder größer 1, 2 oder 3, Reflexionseigenschaften), Aufstellungs-Entfernung und Höhe zur Fahrbahn, Anordnung,
• das Auswerte-Protokoll und die Statistikdatei-Auswertung gegebenenfalls auch das Protokoll zu aufmerksamen Messbetriebs
• die Namhaftmachung des Auswertes
• die aktuellen Ausbildung- und Bestallungsurkunden des Mess- und Auswertebeamten, auf die am Tattag verwendete Software-Geräte Version

zu übersenden.

Ferner wird Antrag nach § 62 OWiG hinsichtlich der geltend gemachten Auslagenpauschale in Höhe von 12 € gestellt, diese sei nicht geschuldet, weil die Akte unvollständig und darüber hinaus um Übersendung im elektronischen Wege begehrt worden sei.

II.

Der Dezernatsrichter vertritt seit 2015 in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, dass die Thüringer Polizei aus Gründen des Rechtsstaatsprinzips (Art. 20 GG) in Verkehrsordnungswidrigkeiten dem Betroffenen Einsicht in diejenigen Unterlagen/Daten zu bewähren hat, deren Sachverwalter sie ist, für deren Richtigkeit ist sie also verantwortlich ist und einzustehen hat.

Ferner hat der Richter- ebenfalls unter dem Gesichtspunkt des Rechtsstaatsprinzips- seit jeher die Rechtsauffassung vertreten, dass es weder der Exekutiven noch der Judikativen erlaubt ist, sich anzumaßen, zu beurteilen, was ein/e Verteidiger/ Verteidigerin für die in seinem/ihrem Verantwortungsbereich liegende Verteidigung für erforderlich halten darf oder nicht. Eine Einschränkung findet dieser Grundsatz nur dort, wo Rechte Dritter tangiert werden. In einem solchen Fall hat die Exekutive/die Judikative eine Interessenabwägung vorzunehmen.

Die jüngere Vergangenheit in der Rechtsprechung hatte keinen Anlass gegeben, diese Rechtsauffassung zu überdenken. Allerdings muss diese Rechtsauffassung nunmehr aufgrund der in der jüngsten Rechtsgeschichte ergangenen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Beschluss vom 12.11 .2020- 2 BvR 1616/18, openJur 2020, 79379) eine Einschränkung dahingehend erfahren, dass im Rahmen der Interessenabwägung im Bereich massenhaft vorkommender Ordnungswidrigkeiten eine sachgerechte Eingrenzung des Informationszugangs geboten ist. um der Gefahr der uferlosen Ausforschung, erheblicher Verfahrensverzögerungen und des Rechtsmissbrauchs entgegenzuwirken zu können (BVerfGE, a.a.O. Rdnr 66).

Das Bundesverfassungsgericht hat es der Rechtsprechung der ordentlichen Gerichtsbarkeit überlassen, die Rechtsbegriffe der uferlosen Ausforschung, erheblicher Verfahrensverzögerungen/Rechtsmissbrauch näher auszuformen. Dementsprechend obliegt diese Pflicht nun einmal zunächst den Amtsgerichten, auch wenn dies nicht ihre eigentliche Domäne ist. Die Amtsgerichte sind nun einmal die ersten, die sich mit der Rechtslage nach der Entscheidung durch das Bundesverfassungsgericht zu beschäftigen haben.

Das heißt u.a., der Richter ist nunmehr auch gehalten im Rahmen seiner Entscheidung einfließen zu lassen, ob der Anspruch auf Zugang zur Information des Betroffenen durch die allgemeine Leistungsfähigkeit der Polizeibehörden im Einzelfall begrenzt ist. Nach dem Verfassungsverständnis des Dezernatsrichters kann im Falle einer chronisch unterbesetzten Behörde dies jedoch nicht dazu führen, dass wegen dieser chronischen Unterbesetzung der Informationsanspruch des Betroffenen eingeschränkt wird. Wie der Bundesgerichtshof -im Ergebnis wohl vergebens – schon ausgeführt hat, sind die Landesregierung gehalten, den sie tragenden Unterbau in Exekutive (insbesondere Polizei) und Judikative personell und technisch so auszustatten, dass sie ihren Aufgaben gerecht werden können. Ferner wird die Landesregierung gehalten sein, im Hinblick auf den nunmehr ergangenen Entscheid des Bundesverfassungsgerichts den Personalbedarf auch danach zu orientieren, dass die Exekutive dem Informationsanspruch des Betroffenen nunmehr endlich gerecht werden kann. Jedenfalls wird die Rechtsprechung dieses als Maßstab anzulegen haben.

Bezüglich einer uferlosen Ausforschung/erheblichen Verfahrensverzögerungen vertritt das Gericht die Auffassung, dass dem Betroffenen grundsätzlich der Zugang zu denjenigen Unterlagen/Daten zu gewähren ist, anhand derer es theoretisch möglich erscheint, Tatsachen festzustellen, die geeignet sein können, das Postulat des standardisierten Messverfahrens >>die Geschwindigkeitsmessung ist ordnungsgemäß << in Zweifel zu ziehen/Zweifel bei dem Gericht zu erwecken. Ein darüberhinausgehendes (allgemeines) Interesse verpflichtet nicht Auskunft/Einsicht zu gewähren.

Vor diesem Hintergrund erweist sich der Antrag in dem stattgegebenen Umfang als begründet und im Übrigen als unbegründet.

1.

Der Anspruch der Betroffene auf Einsicht in die Statistikdatei ist begründet. Der durch das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich festgestellte, verfassungsrechtlich garantierte Anspruch der betroffenen Person eines Bußgeldverfahrens auf Information beinhaltet insbesondere Einsicht in diejenigen Fakten, die sie im Fall des Falles in die Lage versetzen kann/könnte, gegen die vermutete Richtigkeit der Geschwindigkeitsmessung im standardisierten Messverfahren Einwände zu erheben. Dies ist jedoch nur gewährleistet, wenn die Betroffene in die Statistikdatei Einsicht erhält (a.A. Pfälzisches OLG (Zweibrücken), Beschl. vom 20.05.2020, Az.: 1 OWi 2SsBs 94/19). Dies kann anhand eines (theoretischen) Beispiels näher dargelegt werden. Aus Sicht des Dezernatsrichters wäre eine Fehlmessung in Betracht zu ziehen, wenn sich aus der Statistikdatei ergeben würde, dass von 1000 die Geschwindigkeit überschreitenden Fahrzeuge nur ein einziges tatsächlich in die Messung kam und alle weiteren 999 annulliert wurden. Ob das vorliegend der Fall war, kann die betroffene Person nur feststellen, wenn ihr Einsicht in die Statistikdatei gewährt wird. Die Weitergabe dieser Statistikdatei überfordert auch nicht die Verwaltung. Bei einer Messreihe von 101 Datensätzen ergibt sich ausgedruckt eine Statistikdatei von vielleicht 10 Seiten, wobei jeweils in einer Zeile lediglich ein paar Ziffern abgedruckt sind. Unformatiert würde der Umfang vielleicht 2 DIN A4 Seiten ausmachen.

2.

Die betroffene Person eines Bußgeldverfahrens, dem eine Geschwindigkeitsüberschreitung zu Grunde liegt, hat Anspruch auf Einsicht in die Lebensakte -schon durch das Thür. OLG so entschieden – des bei der Messung verwendeten Messsystems, allerdings beschränkt ab dem Zeitpunkt der letzten Eichung, begrenzt bis zum Zeitpunkt der nächsten Eichung bzw. bis zu dem Tag der Auszugserstellung. Nur so kann die Verteidigung feststellen, ob an dem Gerät Eingriffe erfolgten, die Einfluss auf die Korrektheit der fallkonkreten Geschwindigkeitserfassung gehabt haben könnten. Unter dem Gesichtspunkt der von dem Bundesverfassungsgericht genannten uferlosen Ausforschung geht dieser Anspruch jedoch nicht so weit, dass Einsicht in eine lückenlose Dokumentation des Lebenslaufs des Geräts vom Beginn seiner Inbetriebnahme an besteht. Es erschließt sich für das Gericht nämlich nicht, weshalb zum Beispiel eine Auswechslung des Helligkeitssensors im Jahre 2017 noch Auswirkung auf die hier inkriminierte Messung haben könnte. Vielmehr ist das Gericht der Überzeugung, dass durch die Eichung des Geräts festgestellt ist, dass es einwandfrei funktioniert. Aufgrund der Zulassung der PTB steht auch weiterhin zu erwarten, dass das Gerät bis zur nächsten Eichung die Geschwindigkeiten korrekt erfassen wird. Es sei denn, nach dieser letzten Eichung waren an dem Gerät Reparatur-/Wartungsarbeiten erforderlich. Insofern ist es dann das gute Recht der betroffenen Person – gegebenenfalls durch einen Sachverständige/r beraten – zu überprüfen, ob diese Arbeiten Einfluss auf die Korrektheit der Messung gehabt haben könnte und solches dem Gericht vorzutragen. Dies gilt jedoch nur wie bereits ausgeführt für Arbeiten, die nach der letzten Eichung erfolgt sind. Durch die Eichung wird die Korrektheit der Geschwindigkeitsmessung überprüft und durch den Eichschein dokumentiert. Die betroffene Person hat den Anspruch auf Einsicht in diesen Eichschein. Und es kann deshalb konkret festgestellt werden, wann die letzte Eichung erfolgt ist und ob danach relevante Reparaturen erfolgt sind. Aus diesem Grund ist der Einsicht in die Lebensakte begrenzt bis zum Zeitpunkt der nächsten Eichung und wenn eine solche noch nicht stattgefunden hat bis zum Tag, an dem der Sachbearbeiter den Auszug erstellt.

Dem kann auch nicht der Einwand entgegengesetzt werden, dass man gegebenenfalls aus vor der letzten Eichung liegenden Wartungsarbeiten schlussfolgern könne, dass das Gerät nicht mehr bei der letzten Eichung korrekt funktioniert haben könne. Denn in einem solchen Fall müsste der Eichbeamte wider besseres Wissen eine Falschbeurkundung im Amt vorgenommen haben. Solches hält das Gericht jedenfalls in Thüringen für ausgeschlossen. Vielmehr ist durch den Eichschein dokumentiert, dass das Gerät am Tag seiner Eichung einwandfrei funktionierte. Es sind keine – jedenfalls derzeit – Gesichtspunkte erkennbar, weshalb Wartungs- oder Reparaturarbeiten, die vor der letzten Eichung durchgeführt wurden, gleichwohl Relevanz haben könnten. Sollte die Verteidigung jedoch konkret vortragen können, dass sich hier das Gericht in einem Irrtum befindet, wird angeregt im Rahmen einer Gegenvorstellung solches vorzutragen. Die Gefahr eines Zirkelschlusses kann ausgeschlossen werden, einem/er erfahrenen Verteidiger/in Sachverständigen sind die Inhalte einer Lebensakte bekannt und sie können deshalb – weil die generelle Faktenlage bekannt ist – im Fall des Irrtums des Gerichts abstrakt konkret darlegen, weshalb die eine oder andere mögliche Reparatur, die vor der letzten Eichung liegt, gleichwohl auch Einfluss auf Messungen nach dieser Eichung haben kann.

Dementsprechend war dem Antrag der Verteidigung auf unbeschränkte Einsicht in die Lebensakte nun den begrenzten Umfang stattzugeben.

3.

Die betroffene Person eines Bußgeldverfahrens hat Anspruch auf Einsicht in die Bestallungsurkunde/Schulungsnachweis sowohl des/der Messbeamten/in als auch des Auswertebeamten/in. Im Fall des/der Messbeamten/in dient dies zur Überprüfung, ob überhaupt die Grundsätze des standardisierten Messverfahrens Anwendung gefunden haben. Insofern ist selbst das Gericht gehalten, die Schulung des/der Messbeamten/in zu überprüfen. Auch wenn im Fall der Geschwindigkeitsmessung mittels ES 3.0 die Ausbildung des/der Auswertebeamten/in nicht zum standardisierten Messverfahren gehört, beinhaltet das Informationsrecht gleichwohl den Anspruch Einsicht in ein solche Ausbildungsurkunde zu nehmen. Es muss der betroffenen Person unbenommen bleiben, sich darüber Gewissheit zu verschaffen, ob diejenige Person, die ihren Datensatz aufbereitet, geeignet ist.

Mit dem Anspruch auf Einsicht in die Ausbildungsurkunde hat die Betroffene im vorliegenden Fall auch die Möglichkeit die Namen derjenigen Personen festzustellen, die mit ihrem Fall zu tun haben, d.h. der geltend gemachte Anspruch auf Namhaftmachung ist damit auch erfüllt. Im Falle des Messbeamten hatte im Übrigen die Verwaltungsbehörde bereits den Namen mitgeteilt. Es ist lediglich erforderlich, das im Rahmen der Akteneinsicht übersandte Messprotokoll sorgfältig zu lesen.

4.

Die Betroffene hat einen Anspruch auf Einsicht in Lichtbilder, die die Fotomesslinie/n vor und nach der Messung abbilden. Wie das Bundesverfassungsgericht in der oben genannten Entscheidung ausgeführt hat beinhaltet das Informationsrecht insbesondere, sich selbst ein Bild darüber verschaffen zu dürfen [RdNr.65] und nicht auf Auskünfte (z.B. Messprotokoll) anderer angewiesen zu sein. Anhand dieser Lichtbilder kann die Verteidigung selbst feststellen, ob vor und nach der Messung die Fotolinien identisch sind und daraus schlussfolgern, ob oder eben auch nicht zwischen den einzelnen Messungen die Messeinheit verändert wurde.

5.

Soweit der Verteidiger ein Auswerteprotokoll, eine Statistik-Datei Auswertung und ein Protokoll zum aufmerksamen Messbetrieb fordert, kann dem nicht stattgegeben werden. Im Messsystem ES 3.0 gibt es solche Unterlagen nicht. Das Messsystem ES 3.0 erfordert nach der Betriebsanleitung einen aufmerksamen Messbetrieb nicht. Ebenso gibt es kein Auswerte-Protokoll und keine Auswertung der Statistikdatei. Eventuell unterliegt hier der Verteidiger einem Irrtum und verwechselt etwas. Solche Begriffe sind in der Provida Messung eher bekannt.

6.

Der Verteidiger/die Betroffene hat Anspruch auf Einsicht in den den Tatort betreffenden Beschilderungsplan. Der Beschilderungsplan steht in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der ihr vorgeworfenen Tat. Er ist deshalb grundsätzlich geeignet, Einwände gegen die Messung vorzutragen, sei es, dass das die Geschwindigkeit herabsetzende Verkehrsschild danach überhaupt nicht gibt oder so nicht gibt (beispielsweise andere Höchstgeschwindigkeit ausweist). Gleichwohl ist diesem. Antrag im konkreten Fall nicht stattzugeben. Die Thüringer Polizei (Zentrale Bußgeldstelle) ist nicht diejenige Behörde, die Sachverwalter dieses Beschilderungsplanes ist. Sie hat für die Richtigkeit des Beschilderungsplan nicht einzustehen, sie stellt ihn auch nicht auf. Richtiger Adressat e1nes solchen Anspruchs ist in Thüringen vielmehr das Thüringer Landesamt für Bau und Verkehr (Hallesche Straße 15/16 99085 Erfurt; Postanschrift PF 80 03 53 99029 Erfurt).

7.

Die Betroffene hat gegenüber der Thüringer Polizei im derzeitigen Verfahrensstand keinen Anspruch auf Mitteilung der verwendeten Software. Die Thüringer Polizei hat darüber nämlich Auskunft erteilt. Im Rahmen der Akteneinsicht wurde dem Verteidiger das Messprotokoll übersandt. In der 2. Spalte der dortigen tabellarischen Ausgestaltung der Seite ist ausgeführt: “verwendete Software: 1.008”.

8.

a) Soweit die Betroffene Einsicht in die vollständige, selbstlesbaren digitalen Falldatensätze der gesamten tatgegenständlichen Messreihe (mindestens 300 vor bzw. 300 nach der Messung des Betroffenen) mit den Rohmessdaten, der Statistikdatei und dem Public Key begehrt, erweist sich dieser Antrag in dieser gestellten Form als unbegründet. Es ist ersichtlich, dass die Betroffene Einsicht in eine unbearbeitete Falldatei/Falldateien beansprucht. D.h., die Betroffene begehrt auch Lichtbilder, bei denen die Personen – je nach Qualität der Fotografie -deutlich zu erkennen sind und auch eine Rückverfolgung der Halter der Fahrzeuge unproblematisch möglich ist, und zwar anhand der dort abgebildeten Kennzeichen. Auch wenn dies nicht der Rechtsordnung entspricht, kann jeder Verteidiger unter der (falschen) Behauptung, es handele sich einem Unfall, der Halter des unfallgegnerischen Kfz sei unbekannt, letztendlich anhand des Kennzeichens den/die Halter/in einschließlich Adresse ermitteln. Mit anderen Worten die Betroffene begehrt von dem Staat Daten, die dem Grundrecht geschützten Rechtsbereich der informationellen Selbstbestimmung unterliegen. Insofern trifft die Thüringer Polizei ein gesondert sorgsamer Umgang mit solchen sensiblen Daten, deren Weitergabe nur mit Zustimmung der betroffenen Personen zulässig ist (§ 4 Bundesdatenschutzgesetz). Eine Interessenahwägung ergibt insoweit, dass das Interesse des Einzelnen an der Unverletzlichkeit seines Grundrechts der informationellen Selbstbestimmung höher zu bewerten ist als das Interesse eines anderen, Zugang zu einer unbearbeiteten fremden Falldatei zu erhalten. Das Bundesverfassungsgericht hat in dem sogenannten Volkszählungsurteil klare Prioritäten gesetzt. Danach hat das als Ausfluss der unantastbaren Menschenwürde Grundrecht der informellen Selbstbestimmung des Einzelnen Einschränkungen nur im Fall überwiegenden Allgemeininteresse hinzunehmen (BVerfG, Urteil vom 15.12.1983 – 1 BvR 209/83, 1 BvR 269/83, 1 BvR 362/83, 1 BvR 420/83, 1 BvR 440/83, 1 BvR 484/83). Dies muss insbesondere auch deshalb gelten, wenn man berücksichtigt, dass das Interesse, Informationen zu erhalten, die einen in die Lage versetzen, gegen die Richtigkeit der Messung Einwände zu erheben, auch ohne Einsicht in die unbearbeitete Datei möglich ist (siehe dazu unten 8 c). Ohne Erfolg stellt insoweit die Verteidigung auf dem Beschluss des Landgerichts Hanau ab. Das Landgericht Hanau nimmt – nach Auffassung des Dezernatrichters – eine schon im Ansatz falsche Interessenabwägung vor. Es wird nämlich Datenschutz mit Verstoß gegen das Rechtsstaatsgebot gegenübergestellt. Zu einem Verstoß gegen das Rechtsstaatsgebot kann man aber erst gelangen, wenn man – entgegen dem BVerG- das Recht auf Einsicht in fremde unbearbeitete Datensätze höher wertet als das Grundrecht der informationellen Selbstbestimmung. Hierüber hat das Landgericht sich nicht auseinandergesetzt.

Es ist auch nicht erkennbar, weshalb man glaubt im Rahmen der Geschwindigkeitsmessung mittels ES 3.0, auf Lichtbilder angewiesen zu sein, auf denen man das Gesicht, das Geschlecht und gegebenenfalls auch das Alter der fahrzeugführenden Person abschätzen kann. Es sind keinerlei Gesichtspunkte erkennbar, weshalb es im Rahmen einer Geschwindigkeitsmessung darauf ankommen könnte, ob das Fahrzeug von einem Mann oder von einer Frau gesteuert wurde und ob diese Person jung, mittleren Alters oder über eine besonders hohe Lebenserfahrung verfügt. All das ist doch für eine Geschwindigkeitsmessung (ES 3.0) völlig unerheblich. Es kommt auch nicht darauf an, ob an dem Fahrzeug, welches gemessen wird, nun ein Kennzeichen angebracht ist, an dem der B, K, H, M oder welche Buchstaben- und Zahlenfolgen auch immer auf dem Kennzeichen abgebildet sind. Um solches zu beurteilen ist auch keine besondere spezielle Sachkenntnis in Form eines Sachverständigen erforderlich. Vielmehr ist insofern der normale Menschenverstand ausreichend. Erforderlich ist vielleicht im geringen Umfang ein gewisses technisches Interesse/Wissen, um das nachvollziehen zu können. Im Rahmen der durch das Messsystem verwendeten Messart – vereinfacht ausgedrückt – Hell-Dunkel-Messung in Zeitrelation kann es auf das Aussehen eines Kennzeichens oder das Gesicht einer Person nicht ankommen. Maßgeblich für die Messung ist allein der unterschiedliche Helligkeitsgrad, der sich beim Passieren des Messgeräts mit dem PKW ergibt. Und darauf hat weder der Kopf des Fahrzeugführers noch das Kennzeichen Einfluss.

b) Vorsorglich sei noch ausgeführt, dass es im vorliegenden Fall für die Thüringer Polizei auch unmöglich wäre, hinsichtlich der inkriminierten Messreihe der Betroffenen die geforderten insgesamt 600 fremden Messdateien zur Verfügung zu stellen. Die inkriminierte Messreihe beinhaltet nämlich nur 101 Datensätze (inklusive der Betroffenen). Dem Verteidiger wurde im Rahmen der Akteneinsicht das Geschwindigkeit-Mess-Blatt übersandt. In dem Geschwindigkeit-Mess-Blatt (ganz unten) ist festgehalten “Bildnummer: von: 01 bis: 101”.

c) Die betroffene Person, der eine Geschwindigkeitsüberschreitung, gemessen mittels ES 3.0, zur Last gelegt wird, hat Anspruch auf den kompletten Datensatz ihre Messreihe, zumindest soweit die Menge der einzelnen Messungen das der Behörde zumutbare Volumen nicht übersteigt. wobei diese Datensätze so zu anonymisieren sind, dass weder Personen erkannt werden noch die Kennzeichen der erfassten Fahrzeuge gelesen werden können, bzw. Rückschlüsse auf die Fahrzeugführer oder Halter zulassen. Die Pflicht zur Anonymisierung ergibt sich aus den Art. 1 Abs. 1 u. 2 Abs. 2 GG, dem Grundrecht jedes einzelnen Bürgers auf informelle Selbstbestimmung und dem Bundesdatenschutzgesetz (siehe oben). Das Recht des einzelnen auf Information wird dadurch nicht tangiert. Es sei denn man würde den Mitarbeitern in der Zentralen Bußgeldstelle unterstellen, dass sie ganz bewusst Beweismittel manipulieren würden. In diesem Zusammenhang sei der Verteidiger zunächst einmal auf die obigen Ausführungen zu illegalen Halterfeststellung verwiesen, insbesondere was er dabei gedacht hat, als er das las. Er hat für sich zu Recht in Anspruch genommen, dass er das nie tun würde. Mit demselben Recht schließt das Gericht aus, dass Mitarbeiter bei der Zentralen Bußgeldstelle irgendwelche Fälschungen an den Bildern oder sonstigen Datensätzen vornehmen würden. Das Gericht ist sich dabei bewusst, dass es in jeder Berufsgruppe, auch in der Richterschaft sogenannte “schwarze Schafe” gibt. Aber auf diese Einzelfälle ist nicht abzustellen.

Dementsprechend ist erst einmal festzuhalten, dass der Betroffene nur ein Anspruch auf anonymisierte Daten/Lichtbilder hat. Ein solcher Anspruch besteht grundsätzlich, denn es ist nicht von vornherein ausgeschlossen, dass die Verteidigung aufgrund eines solchen Datensatzes (gesamte Messreihe) tatsächlich in die Lage versetzt werden könnte, Einwände gegen die Messung zu erheben, die auf eine Fehlmessung und damit gegen die Richtigkeit der Messung schließen lassen könnte. Sollte sich beispielsweise ergeben, dass Fahrzeuge relativ gleicher Bauart (insbesondere Radstand und Länge), bei relativ gleichem Geschwindigkeitsverstoß sich nicht alle in etwa der gleichen Position (zur Foto-Messlinie) befinden, würde solches bei dem Gericht Zweifel an der Korrektheit der Messung auslösen. Denn Fahrzeuge, die unter relativ gleichen Bedingungen gemessen werden, müssen dann auch in relativ gleicher Position abgebildet werden. Dieser Anspruch der Betroffenen ist im konkreten Fall auch nicht durch die Leistungsfähigkeit der Verwaltung ausgeschlossen. Es muss einer Zentralen Bußgeldstelle personell möglich sein, eine Messreihe von 100 Fremd-Datensätze in der oben beschriebenen Art zu anonymisieren. Die rechtlich anzunehmende Leistungsfähigkeit wird dadurch nicht infrage gestellt. Dies muss insbesondere auch vor dem Hintergrund gesehen werden, dass es softwaretechnisch möglich ist, dass diese Anonymisierung nicht von Menschenhand, sondern durch einen Rechner selbst ausgeführt wird. Es ist allgemein bekannt, dass es heute schon softwaretechnisch möglich ist Person anhand ihrer Gesichter aus einer Vielzahl von abgebildeten (auch gerade gefilmten) zu erkennen. D.h. eine Software ist heute schon in der Lage Köpfe zu erkennen. Auch für den Privatgebrauch bietet eine deutsche Firma, deren Anfänge in sogenannten Brennprogrammen zu finden sind, ein solches Programm zum Preis von ca. 40 € an. Softwaretechnisch ist es keine Frage, dass neben einer Kopferkennung auch eine Kennzeichenerkennung programmierbar ist (wer Kopf kann, kann auch Rechteck; in Thüringen konnte die Polizei sogar Kennzeichen nicht nur via PC-Technik datentechnisch erfassen, sondern sogar auslesen und gegebenenfalls das Fahrzeug nach Verlassen des Rennsteigtunnels schon anhalten). Ferner ist es für Programmierer schließlich auch möglich, diese erkannten Formen digital überschreiben/übermalen zu lassen. Google Maps ist für das der Beleg. In der Satellitenansicht ist – zumindest für den Bereich der Bundesrepublik Deutschland – kein einziger Mensch zu erkennen. Verkehrsschilder oben rund und mit Stangen zum Boden reichend wird man dort ebenfalls vergebens finden, was beweist, dass die Löschung nicht von Menschenhand, sondern mittels einer Software durchgeführt wurde, welche die filigranen Unterschiede zwischen einem menschlichen Kopf nebst Unterbau und rundes Metallschild mit Stange nicht unterscheiden kann. Wäre die Löschung von Menschenhand erfolgt, wäre es nicht erklärbar, weshalb ein Mensch mehr löschen sollte als notwendig.

Da die Betroffene hier aber auf unveränderte Datensätze beharrt, war ihr diesbezüglicher Antrag insgesamt abzulehnen.

8.

Die Betroffene ist verpflichtet, die Gebühr (Aktenpauschale) in Höhe von 12 € zu bezahlen. Ihr wurde Akteneinsicht gewährt, damit ist der Gebührentatbestand erfüllt. Es kommt nicht darauf an, ob die Akte den gewünschten Inhalt hat oder nicht. Allein der Faktor >>Übersendung/Erhalt<< löst die Gebühr aus. Der Verteidiger kann auch nicht mit Erfolg geltend machen, er habe um elektronische Akteneinsicht gebeten. In Thüringen gibt es noch keine elektronische Akte. Allenfalls in Zivilsachen gibt es elektronische Akten bei dem Landgericht Meiningen als sogenanntes Pilot-Gericht. In Straf-/OWi-Sachen wird noch traditionell gearbeitet.

9.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 62 Abs. 2 StPO, 473 Abs. 4 StPO. Gemäß Nr. 4303 Kostenverzeichnis hat das Gericht die Gerichtskosten auf das Maximale reduziert. Im Hinblick auf ein doch deutliches teilweises Unterliegen konnte von der Erhebung der Gerichtsgebühren in Gänze nicht abgesehen werden.

Eine Entscheidung über die außergerichtlichen Kosten ist nicht veranlasst. Nach der fast einhelligen Rechtsauffassung ist ein Antrag nach Paragraph-62-0WiG kein eigenständiger Gebührentatbestand in der Rechtsanwaltsvergütung. Dieser Rechtsauffassung schließt sich das Gericht an.

Mitgeteilt von Herrn Rechtsanwalt Oliver Knapp, Oberursel.