LG Trier, Beschluss vom 20.05.2020 – 1 Qs 34/20
Die sofortige Beschwerde des Verurteilten vom 4. Mai 2020 gegen den Beschluss des Amtsgerichts Daun vom 27. April 2020 wird auf seine Kosten als unbegründet verworfen.
Gründe:
I.
Durch Bußgeldbescheid des Polizeipräsidiums Rheinpfalz vom 24. Januar 2019 wurde gegen den Beschwerdeführer wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 41 km/h am 11. Oktober 2018 um … Uhr eine Geldbuße in Höhe von 160 € sowie ein Fahrverbot für die Dauer eines Monats verhängt. Gegen den Bußgeldbescheid legte der Verurteilte über seinen seinerzeitigen Verteidiger … rechtzeitig Einspruch ein.
Das Amtsgericht Trier bestimmte – nach vorausgegangener Verlegung – Hauptverhandlungstermin über den Einspruch auf den 15. Juli 2019, 15:30 Uhr. Mit Schreiben vom 10. Mai 2019 bestritt der Verurteilte über seinen Verteidiger seine Fahrereigenschaft und trug vor, Fahrer sei Herr … gewesen. Ferner hätten sich im Auto die Zeugen … sowie die Ehefrau des Beschwerdeführers, Frau …, befunden, die bestätigen könnten, dass Herr … Führer gewesen sei. Das Amtsgericht lud daraufhin die Zeugen … und … zum Termin am 15. Juli 2019. Zur Hauptverhandlung am 15. Juli 2019 erschien lediglich der Verteidiger …, der Betroffene nicht. Das Amtsgericht verwarf daraufhin den Einspruch des Betroffenen durch Urteil vom selben Tag, welches dem Betroffenen am 18. Juli 2019 zugestellt wurde. Dem bei der Verkündung des Urteils anwesenden Verteidiger … wurde das Urteil formlos übermittelt.
Mit Schreiben vom 23. Juli 2019 beantragte der Beschwerdeführer über seine neue Verteidigerin … Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, der durch Beschluss des Amtsgerichts vom 23. Juli 2019 als unbegründet zurückgewiesen wurde.
Die hiergegen eingelegte sofortige Beschwerde sowie die Gegenvorstellung und die Anhörungsrüge blieben erfolglos.Durch Beschluss des Oberlandesgerichts Koblenz vom 18. Dezember 2019 wurde schließlich auch die eingelegte Rechtsbeschwerde gegen das Urteil des Amtsgerichts Daun vom 15. Juli 2019 als unbegründet verworfen.
Mit Schreiben vom 8. April 2020 hat der Verurteilte über seine Verteidigerin beantragt, das gegen ihn geführte Bußgeldverfahren wiederaufzunehmen und ihn freizusprechen. Es lägen neue Tatsachen bzw. Beweismittel vor, dass er das Fahrzeug nicht geführt habe. Hierzu benennt er die Zeugen …, … und … und gibt die Zeugenaussagen wieder. Zudem liege eine Bescheinigung seiner Arbeitgeberin (…) vor, dass er gemäß Auswertung seiner Einloggdaten seines elektronischen Chips am 11. Oktober 2018 von 17:47 Uhr bis 05:56 Uhr im Dienst gewesen sei. Das Schreiben könne als Urkunde verlesen und die zuständige Mitarbeiterin der Personalabrechnung Frau …, als Zeugin gehört werden. Schließlich sei auch seine Einlassung, dass er sich in der Zeit im Dienst befunden habe, als neue Tatsache zu werten.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf das Antragsschreiben Bezug genommen.Das Amtsgericht hat den Antrag des Betroffenen auf Wiederaufnahme des Verfahren auf Antrag der Staatsanwaltschaft durch Beschluss vom 27. April 2020 als unzulässig verworfen, da kein geeignetes Beweismittel angeführt worden sei. Der Betroffene sei der ihm obliegenden gesteigerten Darlegungspflicht nicht nachgekommen. Es sei nicht ersichtlich, warum er die Tatsachen und Beweismittel nicht schon gegenüber der Verwaltungsbehörde bekannt gegeben habe.
Gegen diesen Beschluss richtet sich die sofortige Beschwerde des Betroffenen, die am 4. Mai 2020 beim Amtsgericht eingegangen ist. Hinsichtlich der Begründung wird auf den Inhalt der Beschwerde Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.
Das Amtsgericht hat den Wiederaufnahmeantrag im Ergebnis zu Recht als unzulässig verworfen.
Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts fehlt es jedoch bereits an “neuen Tatsachen oder Beweismitteln”.
Im Fall des § 359 Nr. 5 StPO (i.V.m. § 85 Abs. 1 OWiG) ist auf Grund des Urteils oder des sonstigen Akteninhalts die Neuheit der Tatsachen bzw. Beweismittel zu prüfen. Tatsachen sind nicht deshalb neu, weil sie in dem Urteil nicht erwähnt sind. Ergeben sie sich aus den Akten, so spricht das dafür, dass sie dem Gericht bekannt waren (KK-StPO/Schmidt, 8. Aufl. 2019, StPO § 368 Rn. 8 mwN).
Die Entscheidung über die Frage der Neuheit setzt einen Vergleich voraus zwischen dem, was Gegenstand des ursprünglichen Bußgeldverfahrens war, und dem, was nun für das Wiederaufnahmeverfahren an Tatsachen und Beweismitteln vorliegt. Entscheidender Zeitpunkt, ab dem sich Neuheit ergeben kann, ist der Erlass des Urteils, soweit es in Rechtskraft erwächst. Bei Beschlüssen ohne vorangegangene Hauptverhandlung sowie bei Strafbefehlen ist der Akteninhalt entscheidender Anknüpfungspunkt, wobei auch erkennbar unberücksichtigte Akteninhalte als neu anzusehen sind (BeckOK StPO/Singelnstein, 36. Ed. 1.1.2020, StPO § 359 Rn. 24-28). Gleiches gilt für Bußgeldbescheide.
Neu sind solche Tatsachen, die bei der Überzeugungsbildung des erkennenden Gerichts nicht berücksichtigt wurden. Der Grund der Nichtberücksichtigung ist dabei grundsätzlich unerheblich. Es kommt daher nicht darauf an, ob das Gericht die Tatsachen aus dem Akteninhalt hätte kennen und berücksichtigen müssen oder ob der Angeklagte die Tatsache zwar kannte, aber (ggf. sogar absichtlich) nicht vorgebracht hat (BeckOK StPO/Singelnstein, 36. Ed. 1.1.2020, StPO § 359 Rn. 24-28).
Beweismittel sind neu, wenn sie vom Gericht erkennbar nicht berücksichtigt wurden. Dies kann jedoch nicht schon daraus geschlossen werden, dass eine Auseinandersetzung mit Beweisergebnissen im Urteil nicht stattgefunden hat (BeckOK StPO/Singelnstein, 36. Ed. 1.1.2020, StPO § 359 Rh. 24-28).Zwar weist die Verteidigerin zutreffend darauf hin, dass bei Bußgeldbescheiden, die ohne Hauptverhandlung rechtskräftig werden, für die Frage der Neuheit grundsätzlich der Zeitpunkt des Erlasses des Bußgeldbescheides maßgeblich ist. Zu diesem Zeitpunkt waren die benannten Beweismittel nicht bekannt.
Vorliegend hat der Betroffene jedoch gegen den Bußgeldbescheid rechtzeitig Einspruch eingelegt und anschließend vor dem Einspruchstermin die
Fahrereigenschaft bestritten und den Zeugen … als Fahrer benannt. Zudem hat er als weitere Zeugen … und … benannt. Das Amtsgericht
hat dies auch zur Kenntnis genommen und die Zeugen … und … zum Einspruchstermin geladen.
Die Zeugen wurden zwar letztlich nicht gehört. Dies jedoch nur deshalb nicht, da der Angeklagte zum Einspruchstermin unentschuldigt nicht erschienen ist.
Für einen solchen Fall muss für die Frage der Neuheit der Zeitpunkt der Verwerfung des Einspruchs maßgeblich sein, auch wenn die Zeugen im Termin nicht gehört wurden. Anderenfalls könnten die Vorschriften über das – zeitlich begrenzte – Wiedereinsetzungsverfahren durch das – zeitlich grundsätzlich unbegrenzte – Wiederaufnahmeverfahren umgangen werden.Was das Bestreiten der Fahrereigenschaft angeht, so stellt dies ohnehin keinen neuen Tatsachenvortrag im Sinne des § 359 Nr. 5 StPO dar und wäre entsprechend in dem originär vorgesehenen Rechtsbehelf, des Einspruchs gegen den Bußgeldbescheid vorzubringen und zu prüfen gewesen. Das nachträgliche Bestreiten der dem Bußgeldbescheid zugrundeliegenden Tatsachen vermag einen Wiederaufnahmeantrag nicht zu rechtfertigen, da ansonsten das Wiederaufnahmeverfahren zu einer zeitlich unbefristeten Rechtsbeschwerde umfunktioniert würde (LG Köln Beschl. v. 21.3.2017- 105 Qs 36/17, BeckRS 2017, 112849 Rn. 2).
Damit bleibt für die Frage der Neuheit nur das Schreiben der als Zeugin benannten Mitarbeiterin der Personalabrechnung, Frau …
Insoweit fehlt es jedoch an der für ein Wiederaufnahmeverfahren erforderlichen Beweiseignung, denn der Umstand, dass der elektronische Chip des Verurteilten zur Tatzeit an der Arbeitsstelle eingeloggt war, bedeutet nicht zwingend, dass der Verurteilte tatsächlich zur Tatzeit dort anwesend war. Zum einen besteht die Möglichkeit, dass eine andere Person den Verurteilten mit dem Chip eingeloggt hat, um etwa eine unentschuldigte Abwesenheit zu vertuschen. Zum anderen könnte sich der Verurteilte auch nach dem Einloggen für eine gewisse Zeit wieder entfernt haben, ohne sich zwischendurch auszuloggen, oder regulär in dieser Zeit eine dienstliche Fahrt vorgenommen haben, denn auch in diesem Fall hätte sich der Verurteilte “im Dienst” befunden. Eine Angabe über den Ort der Dienstausübung ist damit nicht verbunden. Bei einem Wachdienst ist es sogar üblich, dass die Arbeitgeber sich nicht ständig am Firmensitz aufhalten.
Hier hätte der Betroffene näher darlegen müssen, warum aus dem Umstand, dass er sich im Dienst befand, gefolgert werden soll, dass er nicht am Tatort gewesen sein kann. Dies ist nicht geschehen. Auf seine gesteigerte Darlegungspflicht war er durch das Amtsgericht auch bereits hingewiesen worden.
Nach alledem ist die sofortige Beschwerde als unbegründet mit der Kostenfolge des § 473 Abs. 1 S.1 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG zu verwerfen.
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