Auch dieses Verfahren, dem eine Geschwindigkeitsmessung mit PoliScan Speed in Saarbrücken zugrundeliegt (Zulassungsrechtsbeschwerde), wurde zwischenzeitlich durch das dortige OLG eingestellt. Die Begründung stimmt dabei weitestgehend mit der zu dem schon veröffentlichten XV3-Beschluss überein.

OLG Saarbrücken, Beschluss vom 03.09.2019 – Ss Rs 34/2019 (43/19 OWi)

In der Bußgeldsache

g e g e n …, geboren am … in …
wohnhaft …

w e g e n Verkehrsordnungswidrigkeit

Verteidiger: Rechtsanwalt Rainer Strauß, Püttlingen
Rechtsanwältin Monika Zimmer-Gratz, Bous

hat der Bußgeldsenat des Saarländischen Oberlandesgerichts in Saarbrücken am 3. September 2019 gemäß § 80 a Abs. 1 OWiG durch den Richter am Oberlandesgericht Chimann als Einzelrichter mit Zustimmung der Generalstaatsanwaltschaft und nach Anhörung der Verteidiger  b e s c h l o s s e n :

1. Das Verfahren wird gemäߧ 47 Abs. 2 Satz 1 OWiG  e i n g e s t e l l t .

2. Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Betroffenen trägt die Landeskasse.

Gründe:

I.

Mit Urteil vom 21. Mai 2019 hat das Amtsgericht St. Ingbert den Betroffenen wegen fahrlässiger Überschreitung der innerorts zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h um 21 km/h zu einer Geldbuße in Höhe von 80,– € verurteilt. Hiergegen wendet sich der Betroffene mit seinem form- und fristgerecht angebrachten Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde, mit der seine Verteidigerin die Versagung rechtlichen Gehörs sowie die Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren und materiellen Rechts rügt. Unter anderem wendet sich die Verteidigerin mit der – bereits in der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht vorgetragenen – Begründung gegen die Verwertung des Messergebnisses, das bei der Geschwindigkeitsmessung verwendete Messgerät PoliScan F1 HP der Firma Vitronic speichere nicht alle Rohmessdaten, so dass eine Überprüfung der Geschwindigkeitsmessung nicht möglich sei.

II.

Der zulässige Rechtsbehelf führt zur Einstellung des Verfahrens, da eine Ahndung der dem Betroffenen zur Last gelegten Ordnungswidrigkeit aus Gründen der Prozesswirtschaftlichkeit nicht geboten ist.

1. Die nach § 47 Abs. 2 OWiG in jeder Lage des Verfahrens, also auch noch im Verfahren über die Rechtsbeschwerde (vgl. Göhler/Seitz/Bauer, OWiG, 17. Aufl., § 47 Rn. 41 m.w.N.) bzw. im Verfahren über deren Zulassung (vgl. z.B. Senatsbeschlüsse vom 8. Dezember 2008 – Ss (Z) 223/2008 (92/08) -, 25. Januar 2018 – Ss Bs 111/2017 (76/17 OWi) – und vom 16. August 2019 – Ss Rs 20/2018 (69/18 OWi) -; KK-OWiG/Mitsch, 5. Aufl., § 47 Rn. 24, jew. m.w.N) zulässige Einstellung des Verfahrens ist jedenfalls dann geboten, wenn mit der Rechtsbeschwerde die Verletzung von Grundrechten gerügt wird und diese Rüge mit einer Verfassungsbeschwerde hinreichende Aussicht auf Erfolg hätte (vgl. Göhler/Seitz/Bauer, a. a. 0., § 47 Rn. 41; vgl. auch BayObLG NZV 1996, 44 f.). § 47 Abs. 2 OWiG gibt den Fachgerichten in einem solchen Fall die Möglichkeit, aus prozesswirtschaftlichen Gründen korrigierend einzugreifen, um weitere Verfahren vor einem Verfassungsgericht oder dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu vermeiden (vgl. Göhler/Seitz/Bauer, a. a. O.).

2. Von einer solchen Sachlage ist hier beim gegenwärtigen Stand des Verfahrens auszugehen.

a) Der Verfassungsgerichtshof des Saarlandes hat mit Urteil vom 5. Juli 2019 (Az.: Lv 7/17) auf die Verfassungsbeschwerde eines Betroffenen hin in einem eine Geschwindigkeitsmessung mit dem Messgerät TraffiStar S350 der Firma Jenoptik betreffenden Fall den Beschluss des Saarländischen Oberlandesgerichts vom 26. Juni 2017 (Ss Rs 22/2017 (40/17 OWi) und das Urteil des Amtsgerichts Saarbrücken vom 28. März 2017 (22 OWi 859/16) aufgehoben, da diese Entscheidungen den Beschwerdeführer in seinen Grundrechten auf ein faires Verfahren aus Art. 60 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 SVerf und auf wirksame Verteidigung aus Art. 14 Abs. 3 SVerf verletzten. Zur Begründung hat der Verfassungsgerichtshof im Wesentlichen ausgeführt, dass eine Geschwindigkeitsmessung mit dem Geschwindigkeitsmessgerät TraffiStar S350 der Firma Jenoptik zwar ein standardisiertes Messverfahren darstelle und die in einem solchen Verfahren gewonnenen Ergebnisse daher einer Verurteilung grundsätzlich als tragend zugrunde gelegt werden könnten. Davon unberührt bleibe aber die Beachtung der verfahrensrechtlichen Grundrechte. Fehle es – wie bei dem Geschwindigkeitsmessgerät TraffiStar S350 der Firma Jenoptik, das Rohmessdaten, ohne dass es hierfür zwingende Gründe gebe, nicht speichere und daher nicht erlaube, “das Ergebnis eines Messvorgangs nachzuvollziehen” – an Rohmessdaten für den konkreten Messvorgang, so fehle es an einem fairen rechtsstaatlichen Verfahren, wenn sich ein Betroffener- selbst ohne nähere Begründung – gegen das Messergebnis wende und ein Fehlen von Rohmessdaten rüge. Zudem hat der Verfassungsgerichtshof in dem vorgenannten Urteil darauf hingewiesen, dass er in gleich gelagerten Fällen von seiner Entscheidung abweichende Entscheidungen saarländischer Instanzgerichte korrigieren werde.

b) Zwar liegt der dem Betroffenen im vorliegenden Verfahren zur Last gelegten Geschwindigkeitsüberschreitung – anders als in dem dem Urteil des Verfassungsgerichtshofs des Saarlandes vom 5. Juli 2019 (Az.: Lv 7/17) zugrunde liegenden Fall – keine Geschwindigkeitsmessung mit dem Messgerät TraffiStar S350 der Firma Jenoptik, sondern eine solche mit dem Geschwindigkeitsmessgerät PoliScan F1 HP der Firma Vitronic zugrunde. Der Betroffene wendet sich jedoch unter anderem mit der Behauptung, auch dieses Messgerät speichere die Rohmessdaten des konkreten Messvorgangs nicht in einem ausreichenden, eine sachverständige Überprüfung ermöglichenden Umfang, gegen das Messergebnis. Ob diese Behauptung zutrifft, hat das Amtsgericht indes nicht festgestellt, sondern ist in dem angefochtenen Urteil im Hinblick darauf, dass konkrete Messfehler nicht vorgetragen wurden und auch sonst nicht ersichtlich gewesen seien, ohne weiteres von einer verwertbaren Messung im standardisierten Messverfahren ausgegangen. Im Hinblick darauf, dass sich das Amtsgericht mit dieser Auffassung im Einklang mit der insoweit ergangenen obergerichtlichen Rechtsprechung befindet (zur gleichgelagerten Problematik bei dem Geschwindigkeitsmessgerät Leivtec XV3: vgl. OLG Celle, Beschl. v. 17.05.2017-2 Ss OWi 93/17; OLG Stuttgart, Beschl. v. 23.05.2018-4 Rb 16 Ss 380/18) und das Urteil des Verfassungsgerichtshofs des Saarlandes vom 5. Juli 2019 (Az.: Lv 7/17) zum Zeitpunkt der Entscheidung des Amtsgerichts noch nicht ergangen war, sieht der Senat eine Aufhebung des angefochtenen Urteils und eine Zurückverweisung zwecks Klärung, ob auch das vorliegend verwendete Messgerät PoliScan F1 HP der Firma Vitronic Rohmessdaten nicht bzw. nicht ausreichend speichert und deshalb eine nachträgliche Überprüfung des Messergebnisses auf seine Richtigkeit hin nicht möglich ist, als nicht sachgerecht an. Andererseits unterliegt es keinem Zweifel, dass eine Verfassungsbeschwerde des Betroffenen zum Verfassungsgerichtshof des Saarlandes hinreichende Aussicht auf Erfolg hätte, wenn auch der Senat die Frage, ob auch das Geschwindigkeitsmessgerät PoliScan F1 HP der Firma Vitronic Rohmessdaten nicht in einem eine sachverständige Überprüfung des Messergebnisses ermöglichenden Umfang speichert, offen ließe und den Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde als unbegründet verwerfen würde, sich im Verfassungsbeschwerdeverfahren aber herausstellte, dass eine solche Speicherung nicht erfolgt.

3. Allerdings wird das Amtsgericht diese Frage in künftigen, nach dem Urteil des Verfassungsgerichtshofs des Saarlandes vom 5. Juli 2019 (Az.: Lv 7/17) zu entscheidenden Fällen zu klären haben. Denn jenes Urteil entfaltet gemäߧ 10 Abs. 1 VerfGHG über den entschiedenen Einzelfall hinaus Bindungswirkung insofern, als die sich aus dem Tenor und den tragenden Gründen der Entscheidung ergebenden Grundsätze für die Auslegung der Verfassung des Saarlandes von allen saarländischen Gerichten und Verwaltungsbehörden beachtet werden müssen (vgl. zu § 31 Abs. 1 BVerfGG: BVerfGE 40, 88, 93 f.; BVerfG, Beschl. v. 08.09.2010-2 BvL 3/10, juris). Das Urteil des Verfassungsgerichtshofs des Saarlandes vom 5. Juli 2019 entfaltet daher über den Einzelfall hinaus insoweit Bindungswirkung für alle saarländischen Gerichte und Verwaltungsbehörden, als eine Verletzung der Grundrechte auf ein faires Verfahren gemäß Art. 60 Abs. 1 i. V. mit Art. 20 SVerf und auf wirksame Verteidigung gemäß Art. 14 Abs. 3 SVerf dann anzunehmen ist, wenn es bei einer Geschwindigkeitsmessung an Rohmessdaten für den konkreten Messvorgang fehlt und sich ein Betroffener- selbst ohne nähere Begründung – gegen das Messergebnis wendet und ein Fehlen von Rohmessdaten rügt.

Die Entscheidung hinsichtlich der Kosten und notwendigen Auslagen des Betroffenen beruht auf § 467 Abs. 1 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG. Von der Ausnahmeregelung des § 467 Abs. 4 StPO, wonach im Falle der Einstellung des Verfahrens nach richterlichem Ermessen davon abgesehen werden kann, die notwendigen Auslagen des Betroffenen der Landeskasse aufzuerlegen, macht der Senat keinen Gebrauch, da die Ordnungswidrigkeit zum jetzigen Zeitpunkt nicht prozessordnungsgemäß erwiesen ist (vgl. Senatsbeschlüsse vom 2. März 2009 – Ss (B) 18/2009 (22/09) -, 18. September 2009 – Ss (Z) 218/2009 (94/09) – und vom 25. Januar 2018 – Ss Bs 111/2017 (76/17 OWi) -; Göhler/Seitz/Bauer, a. a. 0., § 47 Rn. 48).

Vielen Dank an Frau Rechtsanwältin Monika Zimmer-Gratz, Bous, für die Zusendung der Entscheidung.