Das AG erkannte gegen den Betroffenen im Beschlussverfahren wegen unachtsamen Rückwärtsfahrens mit Unfallfolge auf eine Geldbuße in Höhe von 55 Euro, ohne ihn zuvor zu der Möglichkeit einer Entscheidung im Beschlussverfahren anzuhören. Lediglich die Staatsanwaltschaft wurde hierzu angehört. Die anschließende Rechtsbeschwerde des Betroffenen war unabhängig von der Höhe der Geldbuße nach § 79 Abs. 1 Nr. 5 OWiG statthaft und führte zur Aufhebung und Zurückverweisung wegen der Versagung rechtlichen Gehörs.
KG, Beschluss vom 20.09.2018 – 3 Ws (B) 235/18
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss des Amtsgerichts Tiergarten vom 15. Juni 2018 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu Verhandlung und neuer Entscheidung – auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde – an das Amtsgericht zurückverwiesen.
Gründe
Der Polizeipräsident in Berlin hat mit Bußgeldbescheid vom 19. April 2018 gegen den Betroffenen wegen unachtsamen Rückwärtsfahrens mit Unfallfolge eine Geldbuße von 100,00 Euro verhängt (§ 9 Abs. 5, § 1 Abs. 2, § 49 StVO [konkret: § 49 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 9 StVO]; zur Tateinheit zwischen den Verstößen gegen § 1 Abs. 2 StVO und § 9 StVO bei einem eingetretenen Schaden vgl. Senat VRS 63, 380; König in: Hentschel/König/Dauer, StVR 44. Aufl., § 9 StVO Rn. 54 mwN).
Gegen den Bußgeldbescheid hat der verteidigte Betroffene Einspruch eingelegt, über den das Amtsgericht Tiergarten mit Beschluss vom 15. Juni 2018, zugestellt am 19. Juni 2018, im schriftlichen Verfahren nach § 72 OWiG entschieden hat. Unter Bezugnahme auf den Inhalt des Bußgeldbescheids hat der Bußgeldrichter auf eine Geldbuße von 55,00 Euro erkannt. Hiergegen richtet sich die mit Verteidigerschriftsatz vom 26. Juni 2018 eingelegte Rechtsbeschwerde des Betroffenen. In der Begründung des Rechtsmittels heißt es, dass „eine vorherige Anhörung des Betroffenen bzw. Verteidigers“ nicht erfolgt sei.
Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg.
1. Das in der Rechtsmittelschrift zum Ausdruck kommende Rechtsschutzbegehren des Betroffenen ist nach § 300 StPO auszulegen. Insoweit schließt sich der Senat den zutreffenden Ausführungen der Generalstaatsanwaltschaft in deren Zuschrift vom 12. September 2018 an, die hierzu wie folgt Stellung genommen hat:
„1. Es ist unschädlich, dass der Beschwerdeführer keinen Rechtsbeschwerdeantrag gestellt hat, weil aus dem Inhalt der Rechtsbeschwerdebegründung das Ziel der Aufhebung des angefochtenen Beschlusses eindeutig hervorgeht (vgl. Göhler, OWiG, 17. Aufl. § 79 Rn. 27a).
2. Mit der Erklärung, der Betroffene bzw. sein Verteidiger seien – bezogen offensichtlich auf die Entscheidung im Beschlussweg – vorher nicht angehört worden, ist hinreichend klar erkennbar, dass der Betroffene die Verfahrensrüge der Verletzung des § 72 Abs. 1 OWiG erhebt.“
2. Die Rechtsbeschwerde ist unabhängig von der Höhe der verhängten Geldbuße nach § 79 Abs. 1 Nr. 5 OWiG statthaft, wobei sich die Prüfung des Rechtsbeschwerdegerichts auf den geltend gemachten Verfahrensverstoß der Verletzung von § 72 Abs. 1 OWiG beschränkt (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. etwa Beschlüsse vom 23. Juni 2016 – 3 Ws (B) 339/16 -, 21. Januar 2013 – 3 Ws (B) 31/13 – und 20. August 2010 – 3 Ws (B) 418/10 – jeweils mwN).
Die Verfahrensrüge ist auch in zulässiger Form erhoben, denn sie entspricht trotz ihrer knappen Ausführungen (noch) den Anforderungen der § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO. Dem Rechtsbeschwerdevorbringen ist zu entnehmen, dass das Amtsgericht überraschend im Beschlussverfahren gemäß § 72 OWiG entschieden habe, ohne dem Betroffenen zuvor einen Hinweis auf die Möglichkeit eines derartigen Vorgehens und/oder des Widerspruchs hiergegen erteilt zu haben. Der Darstellung ist weiter immanent, dass der Betroffene weder auf sein Widerspruchsrecht verzichtet noch sein Einverständnis mit der beabsichtigten Verfahrensweise erklärt hat (vgl. Senat, Beschluss vom 20. August 2010 – 3 Ws (B) 418/10 -). Stillschweigend bringt der Betroffene zudem zum Ausdruck, dass er, wenn er auf die Möglichkeit einer Entscheidung nach § 72 OWiG hingewiesen worden wäre, einer Entscheidung im Beschlussverfahren widersprochen hätte.
3. In der Sache ist die Rechtsbeschwerde begründet. Das Amtsgericht hätte nicht durch Beschluss nach § 72 OWiG entscheiden dürfen, denn der Akteninhalt bestätigt, dass dem Betroffenen das ihm nach § 72 Abs. 1 OWiG zu gewährende rechtliche Gehör versagt wurde. Weder der Betroffene noch sein Verteidiger wurden – anders als die Staatsanwaltschaft – zu einer möglichen Entscheidung im Beschlussverfahren gehört. Auch ein Verzicht auf das Widerspruchsrecht wurde ihrerseits nicht erklärt.
Da die Voraussetzungen für eine Entscheidung im schriftlichen Verfahren nach § 72 OWiG nicht vorlagen, hebt der Senat den angefochtenen Beschluss auf und verweist die Sache an das Amtsgericht zurück.
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