Das Amtsgericht lehnte den Entbindungsantrag des Betroffenen ab und verwarf seinen Einspruch, nachdem er nicht zur Hauptverhandlung erschien. Hiergegen legte der Betroffene Rechtsmittel ein, welches sein Verteidiger mit der Verfahrens- und der Sachrüge begründete und hilfsweise die Wiedereinsetzung wegen der versäumten Hauptverhandlung beantragte. Den Wiedereinsetzungsantrag verwarf das Amtsgericht als unbegründet. Auf die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde des Betroffenen hob das Landgericht diesen Beschluss auf, da es davon ausging, das Amtsgericht dürfe über die Wiedereinsetzung erst nach Abschluss des Rechtsbeschwerdeverfahrens entscheiden.

Nach Ansicht des KG steht der Umstand, dass der Wiedereinsetzungsantrag noch nicht erledigt ist, der Entscheidung über den Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde nicht entgegen. Zwar sei gemäß §§ 79, 80 OWiG i.V.m. § 342 Abs. 2 StPO die Entscheidung über den Zulassungsantrag bis zur Erledigung des Wiedereinsetzungsantrags aufzuschieben, auch wenn die Wiedereinsetzung nur hilfsweise beantragt worden ist. Dieser Vorrang gelte hier nicht, da der Wiedereinsetzungsantrag nicht mit dem Rechtsmittel verbunden worden, sondern erst nachträglich gestellt und damit gemäß § 342 Abs. 3 StPO unzulässig sei.

KG, Beschluss vom 11.12.2017 – 3 Ws (B) 310/17

Auf den Antrag des Betroffenen wird die Rechtsbeschwerde gegen das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten in Berlin vom 29. Juni 2017 zugelassen.

Auf die Rechtsbeschwerde wird das vorgenannte Urteil mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde – an das Amtsgericht Tiergarten zurückverwiesen.

Gründe

I.

Der Polizeipräsident in Berlin hat gegen den Betroffenen durch Bußgeldbescheid vom 24. Oktober 2016 wegen fahrlässigen Parkens vor einer Grundstücksein- und -ausfahrt – mit Behinderung der Ein- und Ausfahrenden – eine Geldbuße von 15,- Euro verhängt. Der Betroffene hat hiergegen form- und fristgerecht Einspruch eingelegt. Nach Abgabe durch die Amtsanwaltschaft Berlin hat das Amtsgericht Tiergarten in Berlin unter Ladung des Betroffenen Termin zur Hauptverhandlung für den 29. Juni 2017 anberaumt, woraufhin der Betroffene mit bei Gericht am Vormittag des Hauptverhandlungstages eingegangenem Schriftsatz die Entbindung von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung beantragt hat. Zur Begründung hat er ausgeführt, er werde in der Hauptverhandlung keine Angaben zur Sache tätigen. In der Hauptverhandlung hat das Gericht den Entbindungsantrag des Betroffenen mit der Begründung abgelehnt, seine Anwesenheit erscheine zur Aufklärung wesentlicher Gesichtspunkte des Sachverhaltes, nämlich zur Klärung der Frage der Fahrereigenschaft des Betroffenen, erforderlich. Nachdem zum Hauptverhandlungstermin weder der Betroffene noch für ihn ein Verteidiger erschienen war, hat das Amtsgericht den Einspruch des Betroffenen mit dem angefochtenen Urteil gemäß § 74 Abs. 2 OWiG mit der Begründung verworfen, der Betroffene sei trotz ordnungsgemäßer Ladung ohne genügende Entschuldigung der Hauptverhandlung ferngeblieben. Das Urteil hat das Amtsgericht dem Betroffenen am 14. Juli 2017 zugestellt. Mit beim Amtsgericht am 20. Juli 2017 eingegangenen Schriftsatz hat der Betroffenen ein als „Rekurs“ bezeichneten Rechtsmittel gegen das Urteil eingelegt. Mit unterzeichnetem Verteidigerschriftsatz, eingegangen beim Amtsgericht am 21. August 2017, hat der Betroffene das Rechtsmittel begründet und die Verletzung formellen sowie materiellen Rechts gerügt, wobei er insbesondere auf die Versagung rechtlichen Gehörs abstellt. Er hat in dem Begründungsschriftsatz beantragt, die Rechtsbeschwerde zuzulassen, das angefochtene Urteil mitsamt seinen Feststellungen aufzuheben und die Sache an das Amtsgericht zurückzuverweisen. Hilfsweise hat er ferner beantragt, ihm „Wiedereinsetzung in die Versäumung der Hauptverhandlung“ zu gewähren. Mit Beschluss vom 5. September 2017 hat das Amtsgericht den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand als unbegründet verworfen. Auf die sofortige Beschwerde des Betroffenen hat das Landgericht Berlin diesen Beschluss am 5. Oktober 2017 aufgehoben. Die Generalstaatsanwaltschaft Berlin hat beantragt, die Rechtsbeschwerde zuzulassen, auf die Rechtsbeschwerde das angefochtene Urteil mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht Tiergarten zurückzuverweisen.

Der Zulassungsantrag und die Rechtsbeschwerde haben (vorläufigen) Erfolg.

II.

1. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG zuzulassen, weil es geboten ist, das Urteil wegen Versagung des rechtlichen Gehörs aufzuheben. Entsprechend kann der Rechtsbeschwerde der (vorläufige) Erfolg nicht versagt werden.

a) Die Verfahrensrüge, das Amtsgericht habe dem Antrag des Betroffenen, ihn gemäß § 73 Abs. 2 OWiG von der gesetzlichen Pflicht zum persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung zu entbinden, zu Unrecht nicht entsprochen und daher durch die Verwerfung seines Einspruchs gemäß § 74 Abs. 2 OWiG seinen Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt, ist zulässig und insbesondere ordnungsgemäß ausgeführt.

Die Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs ist mit der Verfahrensrüge geltend zu machen. Nach § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO i.V.m. § 80 Abs. 3 Satz 3, § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG muss die Rechtsmittelbegründung die den Verfahrensmangel begründenden Tatsachen angeben, sodass das Gericht allein aufgrund der Beschwerdeschrift prüfen kann, ob für den Fall, dass das Beschwerdevorbringen zutrifft, ein Verfahrensmangel vorliegt (vgl. OLG Hamm NZV 2010, 214; Meyer-Goßner/Schmitt StPO 60. Aufl., § 344 Rn. 20, 21). Es muss in der Begründungsschrift durch entsprechenden Tatsachenvortrag schlüssig dargelegt werden, aus welchen Gründen das Amtsgericht dem Entbindungsantrag nach § 73 Abs. 2 OWiG hätte stattgeben müssen, wobei grundsätzlich eine genaue Darlegung der Einzelumstände erforderlich ist (vgl. Seitz/Bauer in Göhler, OWiG 17. Aufl., § 74 Rn. 48b).

Die Rechtmittelbegründungsschrift enthält die notwendigen Darlegungen. So hat der Betroffene insbesondere den Tatvorwurf, den Inhalt des Entbindungsantrages mit der Ankündigung, er werde in der Hauptverhandlung keine Angaben zur Sache tätigen, die Begleitumstände des Antrages und den Inhalt des gerichtlichen Ablehnungsbeschlusses mitgeteilt. Der Betroffene hat zur Beweislage ausgeführt, dass allein durch seine physische Präsenz in der Hauptverhandlung keine weitere Sachaufklärung zu erwarten gewesen wäre. Anhaltspunkte dafür, dass die geladenen Zeugen ihn als Täter hätten identifizieren können, seien weder ersichtlich gewesen noch vom Gericht in Erwägung gezogen worden. Weitere Ausführungen zur Beweislage waren nicht erforderlich (vgl. Senat, Beschlüsse vom 19. Mai 2017 – 3 Ws (B) 109/17 – und 3. Januar 2017 – 3 Ws (B) 692/16 –, jeweils juris). Der sonst im Rahmen einer Gehörsrüge erforderlichen Darlegung, was der Betroffene in der Hauptverhandlung vorgetragen hätte, bedurfte es im vorliegenden Fall nicht. Der Betroffene rügt nicht, dass ihm eine Stellungnahme zu entscheidungserheblichen Tatsachen verwehrt worden sei, sondern dass das Gericht seine Erklärung zur Sache in dem die Entbindung beantragenden Schriftsatz aufgrund der Verwerfung des Einspruchs ohne Verhandlung zur Sache nicht ausreichend zur Kenntnis genommen habe (vgl. Brandenburgisches OLG NZV 2003, 432; Senat, Beschlüsse vom 1. Dezember 2016 – 3 Ws (B) 584/16 – und 11. Oktober 2016 – 3 Ws (B) 542/16 –; VRS 130, 246).

b) Die Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs ist auch begründet. Der Betroffene war vorliegend gemäß § 73 Abs. 2 OWiG von seiner Anwesenheitspflicht zu entbinden. Die Verwerfung des Einspruchs gegen den Bußgeldbescheid gemäß § 74 Abs. 2 OWiG nach abschlägiger Bescheidung des Entbindungsantrages war rechtsfehlerhaft.

Nach § 73 Abs. 2 OWiG entbindet das Gericht einen Betroffenen auf seinen Antrag hin von seiner Verpflichtung zum Erscheinen in der Hauptverhandlung, wenn er sich zur Sache geäußert oder erklärt hat, dass er sich in der Hauptverhandlung nicht zur Sache äußern werde, und seine Anwesenheit zur Aufklärung wesentlicher Gesichtspunkte des Sachverhalts nicht erforderlich ist. Dabei ist zu beachten, dass die Entscheidung über den Entbindungsantrag nicht in das Ermessen des Gerichts gestellt wird. Dieses ist vielmehr verpflichtet, dem Antrag zu entsprechen, sofern die Voraussetzungen des § 73 Abs. 2 OWiG vorliegen (vgl. OLG Dresden DAR 2005, 460; Senat in ständiger Rechtsprechung, vgl. etwa Beschlüsse vom 7. November 2017 – 3 Ws (B) 309/17 –; 19. Mai 2017 – 3 Ws (B) 109/17 –; 1. Dezember 2016 – 3 Ws (B) 584/16 – und 11. Oktober 2016 – 3 Ws (B) 542/16 –).

Die Voraussetzungen der genannten Regelung waren vorliegend gegeben. Der Betroffene hat in dem Entbindungsantrag im Hinblick auf die anberaumte Hauptverhandlung erklärt, er werde keine Angaben zur Sachen machen. Damit war klargestellt, dass von der persönlichen Anwesenheit des Betroffenen in dem Hauptverhandlungstermin keine weitere Aufklärung des Tatvorwurfs zu erwarten war (vgl. OLG Düsseldorf NStZ-RR 2012, 258). Die Anwesenheit eines Betroffenen in der Hauptverhandlung, der sein Schweigen zum Tatvorwurf angekündigt hat, kann zwar im Einzelfall unverzichtbar sein, wenn nur dadurch die gebotene Sachaufklärung möglich ist (vgl. Seitz/Bauer in Göhler a.a.O., § 73 Rn. 8 m.w.H.). Dies kann der Fall sein, wenn die Anwesenheit zur Identifizierung seiner Person erforderlich ist, das Gericht zuverlässigere Angaben von Zeugen (oder Mitbetroffenen) erwartet, falls diese in Gegenwart des Betroffenen abgegeben werden oder einem zum Schweigen entschlossenen Betroffenen die im Laufe der Hauptverhandlung zu erwartenden Erkenntnisse die Möglichkeit geben sollen, seine Entscheidung zu überdenken (vgl. Seitz/Bauer in Göhler, a.a.O., § 73 Rn. 8). Rein spekulative Erwägungen, die Anwesenheit eines Betroffenen könne in der Hauptverhandlung zu einem Erkenntnisgewinn führen, genügen jedoch nicht (vgl. OLG Koblenz NZV 2007, 587; OLG Naumburg StraFo 2007, 207; OLG Bamberg VRS 113, 284; Senat DAR 2012, 31; 2011, 146; VRS 113, 63; 111, 429). Das angefochtene Urteil bezeichnet keine konkreten Umstände, warum die Anwesenheit des Betroffenen zur Aufklärung des Sachverhalts hätte beitragen können. Die Rechtsmittelschrift legt dar, dass dem Verfahren eine Kennzeichenanzeige zugrunde liegt. Der Senat hat diese Verfahrenstatsache in der Akte bestätigt gefunden. Er hält es für fernliegend, dass der Betroffene in der Hauptverhandlung wiedererkannt worden wäre oder seine Anwesenheit anderweitig zur Aufklärung des Sachverhaltes hätte beitragen können.

c) Weil der Betroffene bereits mit der Verfahrensrüge durchdringt, kommt es auf die daneben allgemein erhobene Sachrüge nicht mehr an, zumal diese bei einem Urteil nach § 74 Abs. 2 OWiG nur zu der Prüfung des Vorliegens von – hier nicht vorhandenen – Verfahrenshindernissen führt (vgl. Senge in KK, OWiG 4. Aufl., § 74 Rn. 55).

d) Zwar ist das Landgericht Berlin irrtümlich davon ausgegangen, das Amtsgericht dürfe über den Wiedereinsetzungsantrag erst nach Abschluss des Rechtsbeschwerdeverfahrens entscheiden und hat den Beschluss des Amtsgerichts über die Verwerfung des Wiedereinsetzungsgesuches aufgehoben. Jedoch steht der Umstand, dass der Wiedereinsetzungsantrag noch nicht erledigt ist, der Entscheidung über den Zulassungsantrag und über die Rechtsbeschwerde nicht entgegen. Zwar findet die Regelung des § 342 Abs. 2 StPO (i.V.m. §§ 80 Abs. 3 Satz 1, 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG) im Falle des Zusammentreffens von Wiedereinsetzungsantrag und Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde Anwendung. Danach muss die gerichtliche Entscheidung über den Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde aufgeschoben werden, bis der Wiedersetzungsantrag erledigt ist, d.h. die Entscheidung des Amtsgerichts hierüber rechtskräftig ist. Dies gilt auch dann, wenn die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen das Verwerfungsurteil nur hilfsweise beantragt worden ist (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 10. August 1979 – 2 Ss OWi 1782/79 –, juris; Seitz/Bauer in Göhler, a.a.O., § 74 Rn. 49). Keine Anwendung findet diese Vorrangregelung jedoch dann, wenn – wie vorliegend – die Einlegung des Rechtsmittels ohne Verbindung mit dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand erfolgt ist. Der erst nachträglich gestellte Wiedereinsetzungsantrag ist unzulässig und steht der Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts über das Rechtsmittel – auch wenn das Amtsgericht noch nicht über den (unzulässigen) Wiedereinsetzungsantrag entschieden hat – nicht entgegen. Dies folgt aus dem Wortlaut des § 342 Abs. 2 Satz 2 StPO, der für den Vorrang des Wiedereinsetzungsverfahrens die gleichzeitige Einlegung dieses Rechtsbehelfs und des Rechtsmittels, wie in § 342 Abs. 2 Satz 1 StPO geregelt, voraussetzt („dann“). Ferner ergibt sich dies aus der Regelung in § 342 Abs. 3 StPO (i.V.m. §§ 80 Abs. 3 Satz 1, 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG), wonach die Einlegung des Antrages auf Zulassung der Rechtsbeschwerde ohne Verbindung mit dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand als Verzicht auf letzteren gilt (vgl. Senat, Beschluss vom 19. Mai 2017 – 3 Ws (B) 109/17 –).

2. Die somit zuzulassende Rechtsbeschwerde ist aus den vorgenannten Erwägungen begründet und führt gemäß § 353 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG zur Aufhebung des angefochtenen Urteils mit den zugrunde liegenden Feststellungen, weil das ohne Verhandlung zur Sache zustande gekommene Urteil auf einer Verletzung des rechtlichen Gehörs beruht. Die Sache wird daher insgesamt zu erneuter Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, nach § 79 Abs. 6 OWiG an das Amtsgericht Tiergarten zurückverwiesen.