Gegen den Betroffenen wird ein Bußgeldverfahren wegen Geschwindigkeitsüberschreitung geführt. Den Antrag des Verteidigers, die Geräte- bzw. Lebensakte des bei der Messung verwendeten Messgeräts vorzulegen, lehnte die Verwaltungsbehörde ab. Das AG Pirna verpflichtete diese jedoch zur Einsichtsgewährung. Ein umfassendes Akteneinsichtsrecht des Betroffenen oder Verteidigers sei bereits im Vorverfahren unerlässlich. Daher seien die Lebensakte, oder, falls diese nicht geführt werde, die nach dem MessEG zu führenden Nachweise vom Akteneinsichtsrecht umfasst. Hilfsweise könne der für das Messgerät verantwortliche und als Zeuge in Betracht kommende Beamte benannt werden.

AG Pirna, Beschluss vom 06.12.2017 – 24 OWi 320/17

1. Dem Verteidiger des Betroffenen ist Akteneinsicht in die Geräte-/Lebensakte des Messgerätes zu gewähren.

2. Die Kosten des Verfahrens und notwendigen Auslagen des Betroffenen trägt die Staatskasse.

Gründe:

I.

Vorliegend führt das Landratsamt des Landkreises Sächsische Schweiz-Osterzgebirge gegen den Betroffenen ein Verfahren wegen des Verdachts der Geschwindigkeitsüberschreitung innerhalb geschlossener Ortschaften, begangen am …04.2017 auf der Staatsstraße 178 in der Ortslage Mühlbach.

Mit Schreiben vom 11.08.2017 hat der Verteidiger gerichtliche Entscheidung für den Fall gestellt, dass die von ihm begehrte Akteneinsicht in die Geräte-/Lebensakte nicht gewährt werden sollte.

Diese Einsicht wurde durch das Landratsamt nicht gewährt, so dass der Antrag dem Amtsgericht Pirna vorgelegt wurde.

II.

Der zulässige Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist begründet.

Gemäß § 46 Absatz 1 OWiG i.V.m. § 147 StPO hat der Verteidiger des Betroffenen ein Recht auf Akteneinsicht. Dieses bezieht sich auf alle Akten, Aktenteile und weitere Unterlagen oder Daten, auf die der Vorwurf in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht gestützt wird sowie aus denen sich der Schuldvon?vurf ergeben soll und die möglicherweise der Entlastung des Betroffenen dienen können. Im Rahmen der Aktenvollständigkeit gehören hierzu auch beigezogene Akten anderer Behörden (Göhler, Kommentar zum OWiG, 16. Auflage, § 60 Rdnr. 49).

Eine Beschränkung dieses Akteneinsichtsrechtes ist lediglich unter Beachtung der §§ 61 OWiG, 147 Absatz 2 StPO denkbar, mithin der Abschluss der Ermittlungen noch nicht in den Akten vermerkt ist und die vollständige Einsicht des Untersuchungszwecks gefährden kann. Beides ist offensichtlich nicht der Fall.

Auch unter dem Grundsatz eines fairen Verfahrens ist ein umfassendes Akteneinsichtsrecht des Betroffenen und/oder des Verteidigers unerlässlich und sollte ihm bereits im Vorverfahren die Möglichkeit eröffnen, die in Rede stehende Ordnungswidrigkeit (hier: Geschwindigkeitsüberschreitung) zu überprüfen, um zum Beispiel erhöhte Kosten vermeiden zu können oder weitere Ermittlungen anzuregen bzw. Beweisanträge zu stellen.

Unter Beachtung obiger Ausführung gilt für die vorliegend beantragte Akteneinsicht Folgendes:

Einsicht in die sogenannte Lebensakte eines Messgerätes oder – falls nicht geführt – in einen Nachweis gemäß § 31 Absatz 4 MessEG zu gewähren, so dass geprüft werden kann, ob eine der Gültigkeit der Eichung entgegenstehende Reparatur oder sonstiger Eingriff vorliegt. Hilfsweise ist die Benennung eines Zeugen, der für das betreffende Gerät verantwortlich ist und entsprechende Auskunft geben kann, ausreichend.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 62 Absatz 2 Satz 1 OWiG i.V.m. § 473 Absatz 1 StPO. Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Vielen Dank an Herrn Rechtsanwalt Oliver Knapp, Oberursel (Taunus), für die Übersendung dieser Entscheidung.