Dem Betroffenen wird die verbotswidrige Benutzung eines Mobiltelefons vorgeworfen. Der Verteidiger des Betroffenen beantragte für diesen, ihn von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung zu entbinden, da er einräume, der Fahrzeugführer gewesen zu sein und im Übrigen keine Angaben zur Sache machen wolle. Das AG hielt seine Anwesenheit hingegen für notwendig. Der Betroffene habe am Tattag gegenüber dem als Zeugen geladenen Polizeibeamten angegeben, dass sein Handy die ganze Zeit zwischen seinen Beinen gelegen habe. Daher erhoffe sich das Gericht, dass der Zeuge sich anhand des Erscheinungsbildes des Betroffenen genauer an das Ereignis erinnern kann. Laut OLG Düsseldorf ist dies vorliegend eine zulässige Erwägung.
OLG Düsseldorf, Beschluss vom 15. Februar 2018 – IV-2 RBs 16/18
Der Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde wird auf Kosten des Betroffenen als unbegründet verworfen.
Gründe
I.
Der Kreis Wesel hat mit Bußgeldbescheid vom 23. Januar 2017 gegen den Betroffenen wegen der verbotswidrigen Benutzung eines Mobil- oder Autotelefons als Führer eines Kraftfahrzeugs eine Geldbuße von 80 EUR festgesetzt. Den dagegen gerichteten Einspruch hat das Amtsgericht mit dem angefochtenen Urteil verworfen, nachdem der Betroffene zur Hauptverhandlung nicht erschienen ist. Einen vor und einen durch seinen mit besonderer Vertretungsvollmacht ausgestatteten Verteidiger im Hauptverhandlungstermin gestellten Antrag, ihn von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen zu entbinden, hat das Amtsgericht abgelehnt. Zur Begründung der Anträge hat der Verteidiger des Betroffenen jeweils ausgeführt, der Betroffene räume ein, der kontrollierte Fahrzeugführer gewesen zu sein, und werde im Übrigen keine weiteren Angaben zur Sache machen. Das Amtsgericht hat seine ablehnende Entscheidung im Wesentlichen darauf gestützt, dass es sich von dem Erscheinen des Betroffenen erhoffe, dass sich der als Zeuge geladene Polizeibeamte vor dem Hintergrund der ihm durch den Betroffenen am Tattag gemachten Angabe, das Handy liege schon die ganze Zeit zwischen seinen Beinen, anhand dessen äußerlicher Erscheinung genauer an das Ereignis werde erinnern könne.
II.
Der zulässig gestellte Antrag ist nicht begründet.
Ist durch das angefochtene Urteil eine Geldbuße von nicht mehr als 100 Euro und auch keine Nebenfolge verhängt, wird die Rechtsbeschwerde nur zugelassen, wenn es geboten ist, die Nachprüfung des Urteils zur Fortbildung des sachlichen Rechts zu ermöglichen oder das Urteil wegen Versagung des rechtlichen Gehörs aufzuheben (§ 80 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 OWiG). Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor.
1. Die Rechtsbeschwerde ist nicht bereits zur Ermöglichung der Nachprüfung des angefochtenen Urteils auf das Vorliegen einer Gehörsverletzung zuzulassen, sondern erst dann, wenn die Prüfung des Rechtsbeschwerdegerichts auf Grund der Antragsbegründung eine solche ergeben hat (BVerfG NJW 1992, 2811, 2812). Eine Gehörsverletzung deckt die Antragsbegründung indes nicht auf.
Das Amtsgericht hat den Betroffenen nicht von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen entbinden müssen. Insbesondere hat es sich bei dieser Entscheidung auch nicht um eine Entscheidung auf Grundlage vermeintlich bestehenden Ermessens gehandelt, das dem Amtsgericht, wie der Betroffene unter Hinweis auf die Entscheidungen der Oberlandesgerichte Frankfurt (NZV 2011, 561) und Hamm (DAR 2016, 595) zutreffend ausführt, nicht zugestanden hätte. Vielmehr hat das Amtsgericht aufgrund einer Prognose zur Dienlichkeit der Anwesenheit des Betroffenen für die durchzuführende Beweisaufnahme entschieden, die ihm auch zustand.
a) Soweit die Entscheidung über einen Antrag des Betroffenen auf Entbindung von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung wie hier von der Frage abhängt, ob dessen Anwesenheit zur Aufklärung wesentlicher Gesichtspunkte des Sachverhalts erforderlich ist (§ 73 Abs. 2 OWiG), muss der Tatrichter notwendigerweise eine Prognose über den zu erwartenden Verlauf der Beweisaufnahme mit und ohne Anwesenheit des Betroffenen anstellen. Nur auf Grundlage dieser Gegenüberstellung, deren schriftliche Niederlegung regelmäßig entbehrlich sein dürfte, weil eine hinreichend klare Begründung – teils schon wegen des auf der Hand liegenden Ergebnisses – auch ohne eine solche explizite Gegenüberstellung möglich sein wird, kann der Tatrichter seine Entscheidung treffen, ob er auf der Anwesenheit des Betroffenen bestehen muss.
Die Nachprüfung der dieser Entscheidung zugrunde liegenden Erwägungen durch den Senat findet ihre Grenze in dem auch im Bußgeldverfahren Geltung beanspruchenden strafprozessualen Grundsatz der freien Beweiswürdigung (§§ 261 StPO, 71 Abs. 1 OWiG). Danach entscheidet der Tatrichter aufgrund der Beweisaufnahme nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung. An gesetzliche Beweisregeln ist er nicht gebunden, wohl aber an wissenschaftliche Erkenntnisse, Gesetze der Logik und Erfahrungssätze. Die tatrichterliche Überzeugung darf das Rechtsmittelgericht nur dahingehend überprüfen, ob die Erwägungen des Tatrichters ausgehend davon nachvollziehbar sind und insbesondere keine Widersprüchen, Unklarheiten, Lücken und Verstöße gegen Denkgesetze oder gesicherte Lebenserfahrungen aufweisen (BGH NStZ-RR 2008, 146, 147).
Diese Grenzen hat das Rechtsbeschwerdegericht auch bei der Nachprüfung der Anwendung des § 73 Abs. 2 OWiG zu beachten. Nur wenn auf Grundlage der dem Amtsgericht im Rahmen freier Beweiswürdigung zustehenden Erwägungen die Anwesenheit des Betroffenen nicht geeignet ist, dem weiteren Erkenntnisgewinn in der Hauptverhandlung zu wesentlichen Gesichtspunkten förderlich zu sein, ist die Ablehnung der Entbindung des Betroffenen rechtsfehlerhaft. So lag es etwa in dem vom Oberlandesgericht Frankfurt (a. a. O.) entschiedenen Fall, in dem es dem Amtsgericht – so das Oberlandesgericht – gar nicht um eine bessere Sachaufklärung, sondern um die “schulmeisterliche Belehrung” des Betroffenen gegangen ist.
b) Die vom Amtsgericht angestellten Erwägungen erweisen sich ausgehend davon als rechtsfehlerfrei.
Das Amtsgericht hat hier zur Begründung der Erforderlichkeit der Anwesenheit des Betroffenen auf besondere und bemerkenswerte Umstände des Einzelfalls abgestellt.
Auch die Erwägungen des Oberlandesgerichts Hamm (a. a. O.) aus der in der Antragbegründung angeführten Entscheidung würden für den hier zu beurteilenden Sachverhalt nicht zum Erfolg des Zulassungsantrages führen, auch wenn dort im Ergebnis das Erfordernis der Anwesenheit des Betroffenen, dem gleichfalls der Vorwurf der verbotswidrigen Benutzung eines Mobiltelefons gemacht worden war, verneint worden ist. Das Oberlandesgericht Hamm hat ausgeführt, dass es tatsächlicher Anhaltspunkte dafür bedürfe, dass durch die persönliche Anwesenheit des Betroffenen in der Hauptverhandlung ein wesentlicher Beitrag zur Aufklärung des Sachverhalts zu erwarten sein müsse. Deshalb reiche die rein theoretische, durch keine einzelfallbezogenen konkreten Tatsachen gestützte Möglichkeit, polizeiliche Zeugen könnten sich nach längerer Zeit an ein von ihnen beobachtetes Fehlverhalten eines Betroffenen im Straßenverkehr besser oder überhaupt erst erinnern, wenn sie den Betroffenen in der Hauptverhandlung sehen, nicht zur Ablehnung eines Entbindungsantrages aus.
Hier hat das Amtsgericht seine diesbezügliche Erwartung aber gerade auf einzelfallbezogene – und in besonderem Maße prägnante – Tatsachen gestützt.
c) Überdies ist anzumerken, ohne dass dies entscheidungserheblich wäre, dass der 1. Senat des Oberlandesgerichts Düsseldorf bereits mit Beschluss vom 14. Dezember 2011 (Az. IV-1 RBs 144/11; Rn. 5 f nach juris) für Fälle, bei denen es wie bei dem Vorwurf der verbotswidrigen Benutzung eines Mobiltelefons um das körperliches Verhalten des Betroffenen geht, dem optischen Eindruck von dem Betroffenen eine besondere Bedeutung zugemessen hat.
Für den Senat besteht jedenfalls schon in Ermangelung einer Abweichung von der Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamm keine Veranlassung, die Sache dem Bundesgerichtshof entsprechend § 121 Abs. 2 GVG vorzulegen.
Ohnehin könnte der Senat dies selbst dann nicht, wenn eine Divergenz festzustellen wäre. Denn dazu ist der im Zulassungsverfahren allein zuständige Einzelrichter (§ 80a Abs. 1, 2 OWiG) nicht befugt, sondern nur der Senat in der Besetzung mit drei Richtern (BGHSt 44, 144 f.). Die Übertragung der Sache auf den so besetzten Senat ist aber für das Zulassungsverfahren ausdrücklich ausgeschlossen (§ 80a Abs. 3 Satz 2 OWiG). Die Zulassung der Rechtsbeschwerde wegen der vermeintlichen Versagung des rechtlichen Gehörs allein aus Anlass einer Divergenz in der obergerichtlichen Rechtsprechung sieht das Gesetz über Ordnungswidrigkeiten, wie oben ausgeführt, ebenso wenig vor wie für Fälle der vorliegenden Art (Geldbuße bis 100 EUR) deren Zulassung zum Zwecke der Fortbildung des förmlichen Rechts bzw. zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 80 Abs. 2 Halbsatz 1 und Halbsatz 2 Nr. 1 OWiG).
2. Auch die Sachrüge verhilft dem Zulassungsantrag nicht zum Erfolg.
Wird ein nach § 74 Abs. 2 OWiG ergangenes Urteil, durch das ein Einspruch wegen unentschuldigten Ausbleibens in der Hauptverhandlung verworfen worden ist, mit der Sachrüge angegriffen, eröffnet dies dem Rechtsbeschwerdegericht allein die Nachprüfung des Urteils in Bezug auf das Vorliegen von Verfahrenshindernissen (vgl. BGH NJW 1967, 1476). Dafür, dass insoweit ein die Zulassung der Rechtsbeschwerde ermöglichendes Bedürfnis zur Fortbildung des Rechts bestünde (wie aber auch für das Vorliegen eines solchen Verfahrenshindernisses selbst), ist nichts ersichtlich.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 46 Abs. 1 OWiG, 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.
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