Ein Bezirk eines schweizerischen Kantons beantragte beim LG Potsdam die Erteilung einer Vollstreckungsklausel für den Abschreibungsbeschluss des Bezirksgerichts unter Berufung auf das Lugano-Übereinkommen. Dem lag ein rechtskräftiger Strafbefehl einer Staatsanwaltschaft zugrunde, der auf Grund eines angeblichen Verkehrsverstoßes des Schuldners erging und gegen diesen eine Buße von CHF 100.00 sowie einen insgesamt zu zahlenden Betrag von CHF 305.00 festsetzte. Der Bezirk verwies auf mehrere von ihm vorgelegte landgerichtliche Entscheidungen, mit denen in der Vergangenheit bereits ähnliche Vollstreckungen zugelassen wurden. Das LG Potsdam gab dem Antrag ebenfalls statt, das OLG Brandenburg hob ihn auf Beschwerde des Schuldners wieder auf, da sich weder aus dem Lugano-Übereinkommen noch dem deutsch-schweizerischen Polizeivertrag eine Vollstreckungsmöglichkeit ergebe (OLG Brandenburg, Beschluss vom 25.01.2017 – 7 W 115/16); ähnlich hatte auch das AG München vor einiger Zeit entschieden.
Das verwundert nicht: Das Lugano-Übereinkommen regelt u. a. die internationale, mitunter auch die örtliche Zuständigkeit der Gerichte sowie die Vollstreckung bei Auslandsbezug. Die Auslegung entspricht regelmäßig der – teilweise wörtlich übereinstimmenden – Regelungen des EuGVÜ sowie der (EU-)Nachfolgeverordnungen 44/2001 (EuGVVO aF = Brüssel-I-VO) und 1215/2012 (EuGVVO = Brüssel-Ia-VO). Nach Art. 1 Abs. 1 des jeweiligen Übereinkommens bzw. der jeweiligen Verordnung sind diese nur in Zivil- und Handelssachen anzuwenden. Die Abgrenzung zum öffentlichen Recht hängt nach der Rechtsprechung des EuGH davon ab, ob eine Behörde in Ausübung hoheitlicher Befugnisse tätig wird (siehe etwa EuGH, Urteil vom 12.09.2013 – C-49/12, Rn. 34 – Sunico), daher sind diese Regelungswerke durchaus auch bei Strafurteilen anwendbar, soweit sie einen Adhäsionsausspruch enthalten (vgl. auch Art. 5 Nr. 4 LugÜ und Art. 7 Nr. 3 EuGVVO). Bei der hier vorliegenden Bußgeld- bzw. Kostenentscheidung eines Bezirks in der Schweiz ist das LugÜ daher nicht anwendbar.
Gleiches gilt für den genannten Polizeivertrag, da die gegenseitige Vollstreckungshilfe bei Sanktionen wegen Zuwiderhandlung gegen Vorschriften des Straßenverkehrs noch nicht in Kraft getreten ist. Für diese Vollstreckungshilfe dürfte ein Landgericht ohnehin nicht zuständig sein, da diese Aufgabe von den obersten Landesbehörden oder den von ihnen bestimmten Stellen wahrzunehmen wäre (Art. 3 des Gesetzes vom 25.09.2001, BGBl. II 2001, S. 946 ff.).
Auf die Beschwerde des Schuldners wird der Beschluss des Vorsitzenden der 12. Zivilkammer des Landgerichts Potsdam vom 25. Oktober 2016 aufgehoben und der Antrag des Gläubigers auf Erteilung einer Vollstreckungsklausel für den Abschreibungsbeschluss des Bezirksgerichts H… vom 16. Februar 2016 – Proz. Nr. 515-2016-2 zurückgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens hat der Gläubiger zu tragen.
Gründe
I.
Mit seinem Antrag begehrt der Gläubiger, ein Bezirk eines schweizerischen Kantons, die Erteilung einer Vollstreckungsklausel für den Abschreibungsbeschluss des Bezirksgerichts H…, Erstinstanzliches Strafgericht, vom 16. Februar 2016 (Bl. 38 ff), mit welchem das dort gegen den Schuldner geführte Strafverfahren wegen Verletzung von Verkehrsregeln infolge seines unentschuldigten Fernbleibens von der Hauptverhandlung abgeschrieben wurde. Damit wurde der dem Verfahren zugrunde liegende Strafbefehl der Staatsanwaltschaft G… rechtskräftig, was heißt:
2. Die beschuldigte Person wird bestraft mit einer Buße von CHF 100.00. Bei schuldhafter Nichtbezahlung tritt an Stelle der Buße eine Ersatzfreiheitsstrafe von 1 Tag.
3. Die Kosten des Verfahrens werden der beschuldigten Person auferlegt.
4. Demgemäß hat die beschuldigte Person zu bezahlen:
– Buße CHF 100.00
– Barauslagen CHF 80.00
– Gebühren CHF 125.00
Rechnungsbetrag CHF 305.00Sodann erkannte das Bezirksgericht dahin, dass die Kosten des Strafbefehls und die Buße von total CHF 305.00, die zusätzlichen Untersuchungskosten der Staatsanwaltschaft G… von CHF 375.00 sowie die Kosten des Bezirksgerichts H… von CHF 1000.00 zu Lasten des Schuldners gehen.
Mit dem angefochtenen Beschluss (Bl. 9 f.) hat der Vorsitzende der Zivilkammer dem Antrag stattgegeben und angeordnet, den Titel mit der Vollstreckungsklausel zu versehen, die am 3. November 2016 erteilt wurde (Bl. 29 f.). Gestützt hat das Landgericht diese Entscheidung auf das Lugano-Übereinkommen von 1988 (LugÜ).
Gegen den ihm am 4. November 2016 zugestellten Beschluss hat der Schuldner am 11. November 2016 Beschwerde eingelegt: Das Lugano-Übereinkommen (LugÜ) ermögliche die Vollstreckung von Geldbußen und Kosten des schweizerischen Strafverfahrens nicht.
Der Schuldner beantragt,
den angefochtenen Beschluss aufzuheben und die Vollstreckungsklausel vom 03.11.2016 für unwirksam zu erklären.
Der Gläubiger beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen und
hilfsweise für diesen Abschreibungsbeschluss in Höhe von 1.580,00 CHF eine Vollstreckungsklausel zu erteilen.
Er verteidigt die angefochtene Entscheidung und hält das LugÜ und das AVAG insgesamt, jedenfalls aber hinsichtlich der Kostenentscheidung für anwendbar.
II.
Die Ausführung des in Lugano geschlossenen Übereinkommens vom 16. September 1988, auf welches der Gläubiger seinen Antrag und das Landgericht seine Entscheidung gestützt hat, unterliegt nach § 1 Abs. 1 lit. b) des Gesetzes zur Ausführung zwischenstaatlicher Verträge und zur Durchführung von Abkommen der Europäischen Union auf dem Gebiet der Anerkennung und Vollstreckung in Zivil- und Handelssachen (AVAG) dessen Vorschriften.
Die gemäß Artikel 36, 37 LugÜ und § 11 Abs. 1 AVAG zulässige Beschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Abweisung des Antrages auf Vollstreckbarerklärung, weil die zu Grunde liegende Entscheidung dem öffentlichen Recht angehört und deshalb keine Entscheidung ist, die nach Artikel 31 LugÜ für vollstreckbar erklärt werden könnte.
Das Lugano-Übereinkommen ist nach seinem Artikel 1 Abs. 1 nur in „Zivil- und Handelssachen“ anzuwenden, nicht aber in Strafsachen. Es beruht – ebenso wie das Brüsseler Übereinkommen vom 27. September 1968 (EuGVÜ) und die jetzt geltende Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 (EuGVVO) – auf dem Prinzip, dass öffentliches Recht extraterritorial nicht durchsetzbar ist.
Für die Abgrenzung kommt es allein auf die Qualifikation in der Sache an, nicht auf die Art des angerufenen Gerichts. Das Übereinkommen erfasst nur solche Verfahren, deren Streitgegenstand zivilrechtlicher Natur ist – diese aber auch dann, falls sie etwa vor einem Strafgericht verhandelt wurden wie im Adhäsionsverfahren (Rauscher/Mankowski, EuZPR/EuIPR, Band I, 4. Auflage, Art. 1 Brüssel Ia-VO Rn. 1 f.). Bei der gebotenen autonomen Auslegung und Qualifikation sind allein materiell-rechtliche Kriterien maßgebend. Eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit liegt vor, wenn die Behörde in Ausübung hoheitlicher Befugnisse gehandelt hat und dieses Handeln Streitgegenstand ist (vgl. Zöller-Geimer, ZPO 31. Aufl., Art. 1 EuGVVO Rn. 19 m. w. N.).
Die hier zu Grunde liegende schweizerische Verkehrsbußgeldentscheidung in Gestalt des Strafbefehls der Staatsanwaltschaft und des auf Einspruch des hiesigen Schuldners ergangenen Abschreibungsbeschlusses des Bezirksgerichtes als erstinstanzliches Strafgericht gehört nach ihrem Inhalt allein dem Strafrecht an und ist keine Zivilsache (vgl. Rauscher/Mankowski, a.a.O., Rn. 35). Die Kosten, Barauslagen und Gebühren, welche zu Gunsten der schweizerischen Behörden mit festgesetzt wurden, sind ebenfalls öffentlich-rechtlichen Ursprungs (Geimer/Schütze, Europäisches Zivilverfahrensrecht, 3. Auflage, EuGVVO Art. 1 Rn. 12).
Den vom Gläubiger vorgelegten Entscheidungen der Zivilkammervorsitzenden verschiedener Landgerichte (Münster, München II, Hannover, Hof und Trier) ist teilweise zu entnehmen, dass diese in materiellen Strafsachen die Vollstreckung nach dem LugÜ zugelassen haben. Eine Auseinandersetzung mit der Frage, ob das im Hinblick auf die vorstehend erörterten Gesichtspunkte überhaupt zulässig ist, hat dort nicht stattgefunden. Der Senat kann jenen Entscheidungen nicht beipflichten.
Der Vollständigkeit halber sei noch folgendes angemerkt: Zwar ist in Artikel 37 – 41 des am 27. April 1999 in Bern unterzeichneten Vertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über die grenzüberschreitende polizeiliche und justitielle Zusammenarbeit (deutsch-schweizerischer Polizeivertrag) eine gegenseitige Vollstreckungshilfe bei Sanktionen wegen Zuwiderhandlung gegen Vorschriften des Straßenverkehrs vorgesehen. Gemäß Artikel 50 Abs. 1 des Polizeivertrages ist aber dessen Kapitel VI, zu dem auch Artikel 37 – 41 gehören, bislang nicht in Kraft getreten. Das Zustimmungsgesetz des Bundestages vom 25. September 2001 (BGBl. 2001 II Seite 946) enthält in Artikel 6 Abs. 2 auch einen entsprechenden Vorbehalt. Somit besteht auch nach dem Polizeivertrag keine Möglichkeit, ein in der Schweiz für Verkehrsvergehen verhängtes Bußgeld in Deutschland zu vollstrecken.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.
Eine Wertfestsetzung nach §§ 62, 63 GKG unterbleibt, weil für die Beschwerde eine Festgebühr gilt (KV Nr. 1520, Anlage I zum GKG).
Ich denke gegen Schweizer Strafbefehle sollte es ohnehin ein Problem mit dem ordre public geben .Strafbefehle eines Schweizer Staatsanwalts sind noch eine größerer rechtsstaatliche Zumutung als das der deutsche Strafbefehl schon ist. Nach dem Grundgesetz haben Behörden und dazu zählt die Staatsanwaltschaft nun einmal keine Strafgewalt. Und einfach Schweizer Straftaten zu einer deutschen Ordnungswidrigkeit machen zu wollen ist zwar eine pfiffige Idee, aber mit dem Bestimmtheitsgrundsatz nicht zu vereinbaren.