Quelle: fdecomite, Wikimedia Commons

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Im europäischen Zivilprozessrecht ist es möglich, dass der Geschädigte eines Verkehrsunfalls eine Klage vor seinem Wohnsitzgericht gegen den Versicherer erhebt (Art. 11 Abs. 2 EuGVVO i. V. m. Art. 9 Abs. 1 lit. b EuGVVO). Da diese Sonderregelung mit der Schutzbedürftigkeit des Klägers begründet wird, hat der EuGH ihre Anwendung in bestimmten Fällen abgelehnt (z. B. bei einem Sozialversicherungsträger, der Ansprüche aus übergeganenem Recht geltend machte). Die Rechtslage bei juristischen Personen als Geschädigten ist also umstritten und einzelfallabhängig. Das OLG Frankfurt hatte über die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte zu entscheiden, wenn es sich bei der Klägerin um eine Leasinggesellschaft handelt (Urteil vom 23.06.2014, Az. 16 U 224/13):

Wie der EuGH entschieden hat, ist die Verweisung in Art. 11 Abs. 2 EuGVVO auf Art. 9 Abs. 1 lit b EuGVVO dahin auszulegen, dass der Geschädigte vor dem Gericht des Orts in einem Mitgliedsstaat, an der er seinen Wohnsitz hat, eine Klage unmittelbar gegen den Versicherer erheben kann, sofern eine solche unmittelbar Klage zulässig ist und der Versicherer im Hoheitsgebiet eines Mitgliedsstaats ansässig ist. Da die Möglichkeit einer Direktklage gegen den … Haftpflichtversicherer des gegnerischen Fahrzeugs unstreitig gegeben ist, richtet sich die (internationale) Zuständigkeit des angerufenen Gerichts nach Art. 9 Abs. 1 lit. b EuGVVO i.V.m. Art. 11 Abs. 2 EuGVVO.

Geschädigter i.S. von Art. 11 Abs. 2 EuGVVO ist jede Person, die ein Recht auf Ersatz eines von einem Fahrzeug verursachten Schadens hat. Dies kann auch eine juristische Person wie die Klägerin sein, deren Eigentum beschädigt wurde.

Der Beklagten ist allerdings zuzugeben, dass für die Sonderregelung der Abschnitte 3 bis 5 des Kapitels II sozialpolitische Erwägungen maßgebend sind.

Der Zweck dieser Vorschriften liegt laut Erwägungsgrund 13 der Verordnung Nr. 44/2001 (= EuGVVO) darin, die wirtschaftlich schwächere und rechtlich weniger erfahrene Partei durch Zuständigkeitsvorschriften zu schützen, die für sie günstiger sind als die allgemeine Regelung. Aus diesem Schutzzweck ergibt sich, dass die Abweichungen von den Zuständigkeitsregeln in Versicherungssachen eng ausgelegt werden müssen. Die in Rede stehenden besonderen Zuständigkeitsregeln dürfen nicht auf Personen erstreckt werden, die dieses Schutzes nicht bedürfen.

So hielt der EuGH im Rahmen der Beziehungen zwischen gewerblich Tätigen des Versicherungssektors einen besonderen Schutz nicht für gerechtfertigt, da keiner als der gegenüber dem anderen Schwächere angesehen werden könne. Gleichermaßen hat der EuGH im Verhältnis zwischen Rückversicherten und Rückversicherer als auch bei einem Sozialversicherungsträger als Legalzessionar, der Ansprüche des bei einem Unfall unmittelbar Geschädigten geltend machte, eine Anwendung dieser Zuständigkeitsvorschriften verneint.

Unter Übertragung dieser Grundsätze lässt sich eine Schutzbedürftigkeit bzw. Unterlegenheit der hiesigen Klägerin nicht verneinen. Die Klägerin hat Umstände vorgebracht, die sie im Verhältnis zur beklagten Haftpflichtversicherung als die schwächere Partei erscheinen lassen.

Die Beziehung der Parteien ist in Ansehung des Prozessgegenstands und des anwendbaren materiellen Rechts durch ein Ungleichgewicht gekennzeichnet.

Nur die Beklagte ist im Bereich der Versicherungswirtschaft gewerblich in Land1 tätig; Streitfälle der vorliegenden Art in dem zugrunde zu legenden belgischen Recht gehören zum Kern ihrer Geschäftstätigkeit. Feststellungen des Landgerichts dazu, dass die Klägerin, eine europaweit agierende Leasinggesellschaft, gleichermaßen über eine besondere Sachkunde im belgischen Haftpflichtversicherungs- und Straßenverkehrsrecht verfügt, fehlen. Die Geltendmachung oder Abwehr von Ansprüchen aus Verkehrsunfällen unter Beteiligung ihrer Leasingfahrzeuge stellt sich für die Klägerin als großes Leasingunternehmen lediglich als Nebentätigkeit dar. Auch wenn die Klägerin eine Niederlassung in Land1 unterhält, tritt sie ihrem unwidersprochenen und damit gemäß § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden geltenden Vortrag zufolge dort nicht als Leasinggeber für Fahrzeuge auf und hält keine eigene Rechtsabteilung vor, die mit der Bearbeitung und Abwicklung von Kfz-Schadensregulierungen nach belgischem Recht befasst ist. Dass sie auf dem maßgebenden Rechtsgebieten über die gleiche Erfahrung verfügt wie die beklagte Versicherung, kann demnach nicht angenommen werden.

Das geht zu Lasten der Beklagten, die sich auf eine Ausnahme von der Zuständigkeitsregelung in Art. 9 Abs. 1 lit. b i.V.m. Art. 11 Abs. 2 EuGVVO beruft.

Insoweit erscheint dem Senat die Position der Klägerin gegenüber dem Versicherer auch nicht vergleichbar mit der eines regressierenden Sozialversicherungsträgers.

Zutreffend weist die Klägerin zunächst darauf hin, dass in dem Verfahren vor dem EuGH offensichtlich überhaupt nicht vorgebracht wurde, dass ein Sozialversicherungsträger als Partei wirtschaftlich schwächer und rechtlich weniger erfahren sei als ein Haftpflichtversicherer. Demgegenüber hat die hiesige Klägerin zu diesem Punkt vorgetragen.

Darüber hinaus besteht ein Unterschied auch insoweit, dass der Sozialversicherungsträger seine Legitimation aus übergeleitetem Recht herleitet, während die Klägerin hier als primär Geschädigte ihren Anspruch kraft eigenen Rechts geltend macht.

Entgegen der Ansicht des Landgerichts vermindert auch die Befähigung der Klägerin, aufgrund ihrer nationalen Beziehungen mit einer eigenen Niederlassung einen Rechtsbeistand am Unfallort in Anspruch zu nehmen, nicht ihre Unterlegenheit gegenüber der Beklagten. Denn diese Möglichkeit ist über einen inländischen Korrespondenzanwalt stets gegeben.

Schließlich weist die Klägerin auch zu Recht darauf hin, dass die Rechtsauffassung des Landgerichts gerade im Zusammenhang mit Kfz-Leasingverträgen ein Auseinanderfallen gerichtlicher Zuständigkeiten für Ansprüche aus demselben Unfallereignis zur Folge hätte, wenn ein im Inland ansässiger (privater) Leasingnehmer der Klägerin, der im Ausland in einen Unfall verwickelt würde, Ansprüche wegen erlittener materieller und immaterieller Schäden vor den inländischen Gerichten geltend machen könnte, während die Klägerin bezüglich ihrer Ansprüche aus Eigentumsverletzung auf das zuständige Gericht am Sitz des ausländischen Haftpflichtversicherers verwiesen würde.

In diesem Zusammenhang ist auch von Bedeutung, dass dem Ort der Klage auch nach Inkrafttreten der Rom II-VO für den Ausgang des Rechtsstreits relevant bleibt im Hinblick auf die unterschiedliche Praxis der mitgliedstaatlichen Gerichte bei der Bemessung des Schadensersatzes.

Nach alldem ist die Klägerin in Versicherungsfragen im Verhältnis zur Beklagten hinsichtlich rechtlicher Erfahrung als die schwächere Partei anzusehen.

Damit sind die deutschen Gerichte für die Entscheidung über die streitgegenständliche Klage zuständig, denn die Klägerin hat ihren Wohnsitz i.S. des Art. 11 Abs. 2, 9 Abs. 1 lit. b EuGVVO in Deutschland, weil sich hier ihr satzungsmäßiger Sitz befindet (vgl. Art. 60 EuGVVO). Daraus ergibt sich zugleich auch die örtliche Zuständigkeit des angerufenen Landgerichts.