Die Ansicht der Oberlandesgerichte zu Messverfahren wie PoliScan Speed oder ESO ES 3.0 dürfte den meisten Lesern hier hinlänglich bekannt sein. Mit dieser bisher unveröffentlichten Entscheidung des OLG Dresden argumentieren in letzter Zeit verschiedene Amtsgerichte, daher möchte ich sie hier der Vollständigkeit halber vorstellen, zumal sie nun auch in der ZfS 2016, 292 veröffentlicht wurde: Der Betroffene wurde wegen eines Geschwindigkeitsverstoßes zu einer Geldbuße von 70 EUR verurteilt. Die Verteidigung rügte, dass die beim Messgerät ES 3.0 verwendete Software in der Version 1.007.1 die Rohdaten verschlüsselt und dadurch die Verteidigungsmöglichkeiten einschränkt würden, da aus diesem Grund keine Analyse der Messdaten möglich sei und Einwendungen gegen die Messung nicht formuliert werden könnten. Außerdem habe der Sachverständige bei 3,1 % der Messungen des Tattages unplausible Fotolinienpositionierungen festgestellt. Das  OLG Dresden vermochte keine Zulassungsgründe für die Rechtsbeschwerde zu erkennen. Weder führe die Verschlüsselung der Rohdaten zur Unverwertbarkeit der Messung, noch würden konkrete Anhaltspunkte für Messfehler dargelegt. Eine Bedeutung der atypischen Fotolinienpositionierungen bei anderen Messungen für den vorliegenden Fall sei nicht ersichtlich (OLG Dresden, Beschluss vom 26.10.2015, Az. OLG 21 Ss 651/15 (Z)).

Aktenzeichen: OLG 21 Ss 651/15 (Z)
Amtsgericht Döbeln 3 OWi 770 Js 21697/15
GenStA Dresden 21 SsRs 651/15

1. Der Antrag der Betroffenen auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gegen das Urteil des Amtsgerichts Döbeln vom 22. Juli 2015 wird als unbegründet verworfen, weil es nicht geboten ist, die Nachprüfung des Urteils zur Fortbildung des Rechts zu ermöglichen oder das Urteil wegen Verletzung des rechtlichen Gehörs aufzuheben (§ 80 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 4 Satz 3 OWiG).

2. Die Beschwerdeführerin hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen (§§ 46 Abs. 1, 80 Abs. 4 Satz 4 OWiG, § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO).

G r ü n d e :

I.

Mit dem angefochtenen Urteil vom 22. Juli 2015 verurteilte das Amtsgericht Döbeln die Betroffene wegen fahrlässiger Nichtbeachtung einer durch Vorschriftszeichen angeordneten Geschwindigkeitsbegrenzung zu einer Geldbuße von 70,00 €. An der Messstelle sei die zulässige Höchstgeschwindigkeit im Rahmen eines beidseitig aufgestellten Geschwindigkeitstrichters durch Verkehrszeichen 274 auf 100 km/h beschränkt gewesen. Abzüglich eines Toleranzwertes von 4 km/h habe die Geschwindigkeit der Betroffenen 125 km/h betragen. Gemessen worden sei mit dem Messgerät ESO ES 3.0 (Softwareversion 1007.1).

Hiergegen richtet sich der durch ihren Verteidiger form- und fristgerecht eingelegte Antrag der Betroffenen auf Zulassung der Rechtsbeschwerde. Der Hersteller … GmbH des Messgerätes ES 3.0 habe die in der Falldatei abgelegten Sensordaten bei der hier verwandten Softwareversion 1007.1 neu verschlüsselt und dadurch eine Messrohdatenanalyse, aus welcher der Messwert und die in der gesamten Messserie aufgetretenen untypischen Fahrzeugstellungen objektiv hätten nachvollzogen werden können, dauerhaft undurchführbar gemacht. Insoweit werde die Betroffene in ihren Verteidigungsmitteln beschränkt und ihr Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt, da von ihr und ihrer Verteidigung keine substantiierten Angriffe gegen die Messung vorgebracht werden könnten.

Die Generalstaatsanwaltschaft Dresden hat beantragt, den Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde als unbegründet zu verwerfen.

II.

Dem Rechtsmittel bleibt der Erfolg versagt.

Da gegen die Betroffene eine Geldbuße von nicht mehr als 100,00 €, nämlich 70,00 €, festgesetzt worden ist, führt der Antrag nur dann zur Zulassung der Rechtsbeschwerde, wenn es geboten ist, die Nachprüfung zur Fortbildung des materiellen Rechts zuzulassen (§ 80 Abs. 2 Nr. 1 OWiG) oder wenn das Urteil wegen Versagung des rechtlichen Gehörs aufzuheben ist (§ 80 Abs. 1 Nr. 1 OWiG).

1.
Die auf die Sachrüge hin vorzunehmende materiell-rechtliche Überprüfung des Urteils führt nicht zur Aufdeckung einer Rechtsfrage, die die Zulassung der Rechtsbeschwerde zur Fortbildung des Rechts gebietet. Eine Fortbildung des Rechts kommt nur bei Rechtsfragen in Betracht, die entscheidungserheblich, klärungsbedürftig uns abstraktionsfähig sind. Sie besteht darin, Leitsätze aufzustellen und zu festigen, die bei der Auslegung von Rechtssätzen und dem Ausfüllen von Gesetzeslücken zur Anwendung kommen (vgl. Göhler OWiG 16. Aufl. § 80 Rdnr. 3). Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Bei dem verwendeten Messverfahren ESO ES 3.0 handelt es sich um ein standardisiertes Messverfahren (vgl. OLG Hamm VRR 2013, 123). Insoweit ist in der obergerichtlichen Rechtsprechung die Frage des erforderlichen Umfangs der tatsächlichen Feststellungen bei standardisierten Messverfahren hinreichend geklärt. Darüber hinaus muss sich der Tatrichter nur dann von der Zuverlässigkeit der Messungen überzeugen, wenn im Einzelfall konkrete Anhaltspunkte für Messfehler gegeben sind (vgl. OLG Hamm NStZ 1990, 546) oder geltend gemacht werden (OLG Dresden VRR 2005, 315). Die mangelnde Kenntnis der genauen Funktionsweise des Geschwindigkeitsmessgerätes ESO ES 3.0, das eine Bauartzulassung der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt erhalten hat, begründet dabei keine rechtliche Unverwertbarkeit des Messergebnisses. Die genaue Funktionsweise von Messgeräten ist den Gerichten auch in den Bereichen der Kriminaltechnik und der Rechtsmedizin nicht bekannt, ohne das insoweit jeweils Zweifel an der Verwertbarkeit der Gutachten aufgekommen wären, die auf den von diesen Geräten gelieferten Messergebnissen beruhen (OLG Zweibrücken DAR 2013, 38). Gleichermaßen steht der Verwertbarkeit mit dem Geschwindigkeitsmessgeräte ESO ES 3.0 vorgenommener Geschwindigkeitsmessungen nach gefestigter obergerichtlicher Rechtsprechung nicht entgegen, dass ein Sachverständiger mangels Zugangs zu patent- und urheberechtlich geschützten Herstellerinformationen die genaue Funktionsweise des Gerätes anhand hierfür relevanter Taten der Messwertermittlung nicht im Einzelnen nachvollziehen kann (OLG Karlsruhe [zu Poliscan Speed], VRS 127, 241). Eine nähere Überprüfung des gemessenen Geschwindigkeitswertes ist danach nur geboten, wenn sich im konkreten Fall Anhaltspunkte für eine Fehlmessung ergeben (OLG Karlsruhe a.a.O.; KG VRS 118, 367). Solche trägt die Beschwerdeführerin aber nicht vor.

2.
Die Beschwerdeführerin dringt mit ihrer Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs ebenfalls nicht durch. Insoweit sind ihre Verfahrensrügen (vgl. Göhler OWiG 16. Aufl. § 80 Rdnr. 16 d) schon nicht ausreichend begründet, so dass der Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde (als unzulässig) zu verwerfen war (Göhler a.a.O.). Eine Versagung rechtlichen Gehörs kommt nur dann in Betracht, wenn die erlassene Entscheidung des Tatrichters auf einem Formfehler beruht, der seinen Grund in unterlassener Kenntnis und Nichtberücksichtigung des Sachvortrages der Parteien hatte (vgl. BVerfG NJW 1992, 2811; OLG Hamm VRs 108, 440; OLG Hamm NZV 2006, 217). Damit kommt eine Zulassung der Rechtsbeschwerde wegen Versagung des rechtlichen Gehörs aber nicht in Betracht, um nur die Nachprüfung des Urteils unter diesem Gesichtspunkt zu ermöglichen. Vielmehr ist bereits im Zulassungsverfahren zu prüfen, ob das rechtliche Gehör verletzt ist (BVerfG NJW 1992, 2811). Hierzu muss das Rechtsbeschwerdegericht schon im Zulassungsverfahren die erforderlichen Feststellungen treffen (Göhler, a.a.O.). Selbst wenn das Amtsgericht einen von der Betroffenen gestellten Beweisantrag entgegen den Grundsätzen des § 77 OWiG abgelehnt hätte, käme danach die Aufhebung des Urteils wegen Versagung des rechtlichen Gehörs nur in solchen Fällen in Betracht, in denen es sich aufdrängt und nicht zweifelhaft erscheint, dass ein Urteil einer Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht nicht standhalten würde. Das Gebot des rechtlichen Gehörs soll als Prozessgrundrecht lediglich sicherstellen, dass der Betroffenen Gelegenheit gegeben werden muss, sich dem Gericht gegenüber zu den gegen sie erhobenen Vorwürfen zu äußern, Anträge zu stellen und Ausführungen zu machen und dass das Gericht ihre Ausführungen zur Kenntnis nehmen und in Erwägung ziehen muss. So lässt etwa § 77 Abs. 2 Nr. 1 OWiG die Ablehnung eines Beweisantrages zu, wenn das erkennende Gericht aufgrund der Beweisaufnahme den Sachverhalt für so eindeutig geklärt hält, dass – nach pflichtgemäßem Ermessen beurteilt – die beantragte Beweiserhebung die eigene Beurteilung der Sachlage nicht zu ändern vermag. Diese Auslegung und Anwendung des Verfahrensrechts ist vom Bundesverfassungsgericht grundsätzlich nicht zu überprüfen (OLG Hamm NZV 2006, 217). Gemessen an diesen Grundsätzen ergibt das Beschwerdevorbringen der Betroffenen keine Anhaltspunkte für eine Verletzung des rechtlichen Gehörs, da nicht vorgetragen wird, dass das Amtsgericht Vortrag bzw. Anträge der Beschwerdeführerin nicht zur Kenntnis genommen, bzw. diese nicht erwogen hätte.

3.
Soweit sich dem Antrag der Beschwerdeführerin eine Verletzung des fairen Verfahrens durch unzulässige Beschränkung der Verteidigung (vgl. § 338 Nr. 8 StPO) aufgrund der durch Sachverständige nicht mehr überprüfbaren Softwareversion 1007.1 im verwendeten Geschwindigkeitsmessgerät ESO ES 3.0 entnehmen ließe, könnte diese Verfahrensrüge einerseits nicht zur Zulassung der Rechtsbeschwerde führen, wäre andererseits auch unzulässig erhoben, da weder vorgetragen wird noch sich aus der in der Rechtsbeschwerdebegründung vorgetragenen zusammenfassenden Stellungnahme des Sachverständigen Dipl.-Ing. D. R. in seinem Gutachten vom 14. Juni 2015 ergibt, welche Relevanz für die konkrete Messung der Betroffenen der Umstand, dass bei 3,1 % der Falldateien atypische Fotolinienpositionierungen vorgelegen hätten, gehabt haben soll.