Quelle: Jepessen, Wikimedia Commons

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Bei dem Geschwindigkeitsmesssystem ES 3.0 besteht für Betroffene noch immer das Problem, dass auf Grund der verschlüsselten Rohdaten eine Messung unter Umständen nur unzureichend auf ihre Richtigkeit überprüft werden kann. Während viele Gerichte dies hinnehmen mit der Begründung, es handele sich eben um ein standardisiertes Messverfahren, werden teilweise die Messgerätehersteller oder Bußgeldbehörden in die Pflicht genommen, dem betroffenen die unverschlüsselten Daten zur Begutachtung durch einen privaten Sachverständigen zur Verfügung zu stellen. Das AG Weißenfels hat jetzt ebenfalls eine Bußgeldbehörde im Verfahren nach § 62 OWiG zur Herausgabe unverschlüsselter Rohmessdaten verpflichtet. Ein Anspruch des Betroffenen auf diese Daten folge aus dem Recht auf ein faires Verfahren. Es sei nun Sache der Verwaltungsbehörde, diese Daten zu beschaffen, zumal nach einem Urteil des OLG Naumburg nur diese und nicht der Gerätehersteller verfügungsbefugt hinsichtlich der Daten sei (Beschluss vom 03.09.2015, Az. 10 AR 1/15).

1. Der Verwaltungsbehörde wird aufgegeben, die sog. Rohmessdaten der dem Bußgeldbescheid zugrunde liegenden Geschwindigkeitsmessung vom 28. Nov. 2014 (A 9, km 140,200 Fahrtrichtung München, 16.39 Uhr) in unverschlüsselter Form an den Betroffenen herauszugeben.

2. Die Kosten des Verfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen des Betroffenen hat die Landeskasse zu tragen.

Gründe:

I. Gegen den Betroffenen wurde durch die Zentrale Bußgeldstelle des Landes Sachsen Anhalt unter dem 09. Jan. 2015 ein Bußgeldbescheid erlassen, mit dem ihm eine Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit vorgeworfen und ein Bußgeld von 120,- € festgesetzt wurde.

Gegen diesen Bußgeldbescheid hat der Verteidiger des Betroffenen fristgerecht Einspruch eingelegt. Mit Schriftsatz vom 28. Mai 2015 hat der Verteidiger die Zentrale Bußgeldstelle nach vorangegangener Gewährung von Akteneinsicht ersucht, ihm die sog. Rohmessdaten der Messserie in unverschlüsselter Form zur Verfügung zu stellen und dies damit begründet, dass es ihm nur so möglich sei, die Ordnungsgemäßheit der dem Bußgeldbescheid zu Grunde liegenden Messung zu bewerten.

Die Verwaltungsbehörde hat hierauf mit Schreiben vom 16. Juni 2015 mitgeteilt, die Originaldaten der Messung seien digital signiert und verschlüsselt, eine Übersendung unverschlüsselter Daten komme nicht in Betracht.

Hiergegen wendet sich der Betroffene mit dem Antrag auf gerichtliche Entscheidung, mit dem er das Ziel verfolgt, die Verwaltungsbehörde anzuweisen, ihm die sog. Rohmessdaten in unverschlüsselter Form zur Verfügung zu stellen. Zur Begründung macht er geltend, zur Überprüfung der Ordnungsgemäßheit der Messung und damit zur Gewährleistung einer ordnungsgemäßen Verteidigung sei es erforderlich, dass ihm die Rohmessdaten unverschlüsselt zur Verfügung gestellt würden, damit ein von ihm beauftragter Sachverständiger mit einer vom Messgerätehersteller unabhängigen Software die Messung überprüfen könne.

II. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist gemäß § 62 OWiG zulässig, insbesondere statthaft. Die Verweigerung der Herausgabe der sog. Rohmessdaten in unverschlüsselter Form stellt eine Maßnahme von selbständiger Bedeutung dar.

In der Sache ist der Antrag auch begründet.

Aus den Grundsätzen des fairen Verfahrens und der Gewährung rechtlichen Gehörs folgt, dass dem Betroffenen auf dessen Antrag hin die sog. Rohmessdaten in unverschlüsselter Form zur Verfügung zu stellen sind.

Bei dem hier angewandten Messverfahren unter Verwendung des Messgeräts ES 3.0 der Fa. ESO GmbH handelt es sich um ein standardisiertes Messverfahren (so etwa OLG Hamm, Beschl. v. 29. Jan. 2013 – 1 RBs 2/13 –; OLG Zweibrücken, Beschl. v. 19. Okt. 2012 – 1 Ss Bs 12/12 –, jew. zit. n. juris). Liegt ein standardisiertes Messverfahren dem Bußgeldbescheid zu Grunde, so obliegt es dem Betroffenen, konkrete und einer Beweiserhebung zugängliche Umstände zu einem Messfehler vorzutragen. Hierzu bedarf es zunächst neben dem Einsichtsrecht in das Messprotokoll und den Eichschein des Messgeräts auch der Einsichtnahme in die Bedienungsanleitung sowie in die erforderlichen Fotos, beim Gerät ES 3.0 also das Messfoto und das sog. Fotolinienbild. Darüber hinaus muss dem Betroffenen auf sein Verlangen hin aber auch die bei der Messung erstellte Messdatei zugänglich gemacht werden, um ihm – unter Hinzuziehung eines privaten Sachverständigen – die Möglichkeit zu geben, eventuelle Messfehler zu entdecken und im Verfahren substantiiert behaupten zu können.

Würde man – wie hier die Verwaltungsbehörde – dem Betroffenen dieses Einsichtsrecht unter Hinweis darauf versagen, dass die Daten vom Gerätehersteller verschlüsselt werden und nur durch diesen in unverschlüsselter Form zur Verfügung gestellt werden können, würde der Betroffene in seinen Verfahrensrechten unzulässig eingeschränkt.

Ein zentrales Anliegen eines rechtsstaatlich geordneten Bußgeldverfahrens ist die Ermittlung des wahren Sachverhalts als der notwendigen Grundlage eines gerechten Urteils. Ausgestaltungen des Verfahrens, welche die Ermittlung der Wahrheit zu Lasten des Betroffenen behindern, können daher seinen Anspruch auf ein faires Verfahren verletzen. Ferner sichert dieser Anspruch dem Betroffenen, der nicht bloßes Objekt des Verfahrens sein darf, den erforderlichen Bestand an aktiven verfahrensrechtlichen Befugnissen, damit er zur Wahrung seiner Rechte auf den Gang und das Ergebnis des Verfahrens Einfluss nehmen kann (so für das Strafverfahren: BVerfGE 46, 202, 210; 63, 45, 61). Hiergegen würde aber verstoßen, wenn dem Betroffenen die Möglichkeit versagt würde, gerade die Daten, auf denen der Vorwurf einer Ordnungswidrigkeit beruht, nicht prüfen (lassen) zu können.

Der Betroffene kann diesbezüglich auch nicht auf die Möglichkeit des Einspruchs und das anschließende gerichtliche Verfahren verwiesen werden. Wie bereits vorstehend ausgeführt kommt eine Beweiserhebung regelmäßig nur in Betracht, wenn der Betroffene konkrete Umstände zu einem Messfehler vorträgt. Kennt er die Rohdaten nicht bzw. kann diese nicht unverschlüsselt auslesen, so wird ihm diese Möglichkeit zumindest teilweise genommen. Ein Beweisantrag des Betroffenen wäre dann durch das Gericht als „ins Blaue hinein gestellt“ möglicherweise abzulehnen.

Die Verwaltungsbehörde kann sich auch nicht darauf zurückziehen, dass die Daten durch den Hersteller verschlüsselt werden und derzeit lediglich dieser zur Entschlüsselung in der Lage ist. Wie durch das Urteil des OLG Naumburg vom 27. Aug. 2014 (OLG Naumburg, DAR 2015, 27 – 29) eindeutig festgestellt wurde, steht die Befugnis, über die Messdaten zu verfügen, der Behörde zu, die diese Daten erzeugt und abgespeichert hat. Es ist insoweit Sache der Verwaltungsbehörde, die Rohdaten in unverschlüsselter Form zu beschaffen und dem Betroffenen auf sein Verlangen hin zur Verfügung zu stellen. Genauso wenig kann der Betroffene darauf verwiesen werden, die unverschlüsselten Rohdaten unmittelbar bei der Fa ESO GmbH abzufordern, denn diese wäre zu einer Herausgabe an den Betroffenen gar nicht berechtigt, da sie keine Befugnis hat, über diese Daten zu verfügen (OLG Naumburg, a.a.O.).

Sieht sich die Verwaltungsbehörde auf das Verlangen des Betroffenen hin zu einer Überlassung der unverschlüsselten Rohdaten nicht in der Lage, so wird das Gericht bei Vorlage der Akten gegebenenfalls von der Möglichkeit des § 69 Abs. 5 OWiG Gebrauch zu machen haben.

Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist nach alledem begründet, so dass die Verwaltungsbehörde wie geschehen zu verpflichten war.

Die Kostenentscheidung folgt aus der entsprechenden Anwendung des § 467 Abs. 1 StPO.