Der Schriftsatz des Verteidigers, der auch den Entbindungsantrag enthielt, ging 53 Minuten vor dem Termin beim Amtsgericht ein. Er bestand aus fünf Seiten, die mit ca. 50 Zeilen pro Blatt sehr eng beschrieben waren. Eingangs enthielt der Schriftsatz den Hinweis “Eilt!” mit der Bitte um sofortige Vorlage und Hinweis auf den bevorstehenden Termin. Der eigentliche Antrag auf Entbindung des Betroffenen von der Teilnahme an der Hauptverhandlung war auf der vierten Seite in einem Ablehnungsgesuch “versteckt”. Eine solche Vorgehensweise fällt, zumindest beim OLG Rostock, unter arglistiges Verteidigungsverhalten, so dass bei unterlassener Entbindung und Verwerfung des Einspruchs keine Verletzung rechtlichen Gehörs vorliegt (Beschluss vom 15.04.2015, Az. 21 Ss OWi 45/15 (Z)).
1. Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist in einem Fall wie diesem nur dann verletzt, wenn die erlassene Entscheidung auf einem Verfahrensfehler beruht, der seinen Grund in pflichtwidrig unterlassener Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrages einer Partei (hier: eines Entbindungsantrages nach § 73 Abs. 2 OWiG) hat.
2. Das ist hier nicht der Fall. Der Entbindungsantrag als solcher ist nicht rechtzeitig und in ordnungsgemäßer Form gestellt – weswegen ihn das Amtsgericht offensichtlich nicht zur Kenntnis genommen und deshalb nicht beschieden hat.
a. Der – auch den gegenständlichen Entbindungsantrag enthaltene – Schriftsatz des Verteidigers vom 05.12.2014 ist am selben Tage um 10:37 Uhr – mithin lediglich 53 Minuten vor dem Termin um 11:30 Uhr – beim Amtsgericht Neubrandenburg eingegangen. Er umfaßt insgesamt 5 eng beschriebene (rund 50 Zeilen/Blatt) Seiten. Zwar enthält er eingangs unter „eilt” die Bitte um sofortige Vorlage an den Abteilungsrichter und einen Hinweis auf die Terminsstunde um 11:30 Uhr desselben Tages; schon hier ist allerdings auffällig, dass – im Unterschied zu anderen Stellen des Schriftsatzes – kein Fettdruck, Vergrößerung o.ä. Verwendung findet. Sodann beginnt das Schreiben – in Fettdruck hervorgehoben – mit einer Beschwerdeeinlegung gegen die nicht erfolgte Terminsverlegung sowie dem Antrag auf umgehende Vorlage der Verfahrensakte an das Beschwerdegericht, und führt hierzu näher aus. In der zweiten Hälfte der 4. Seite münden die Ausführungen allmählich in die Besorgnis der Befangenheit des zuständigen Richters und einen entsprechenden, abgesetzten und durch Fettdruck hervorgehobenen Antrag. Im Zuge dieser Ausführungen, ohne dass dies an dieser Stelle notwendig oder zu erwarten gewesen wäre, ohne jedweden Absatz oder Hervorhebung im Text, wird erstmalig – in etwa 2 1/2 Zeilen – und eher beiläufig erwähnt, dass der Betroffene am Hauptverhandlungstermin berufsbedingt ortsabwesend sei, an der Hauptverhandlung nicht teilnehmen wolle, einräume, der verantwortliche Fahrzeugführer zu sein (nachdem er zuvor seine Fahrereigenschaft vehement bestritten und sogar die Einholung eines anthropologischen Sachverständigengutachtens beantragt hatte) und beantrage, ohne ihn in der Sache zu verhandeln.
b. Die Ausführungen der Verteidigung sind zwar – auch – als Entbindungsantrag nach § 73 Abs. 2 OWiG zu werten. Dieser Antrag ist jedoch nicht ordnungsgemäß vorgebracht worden.
aa. Hinsichtlich der Frage, wann ein Entbindungsantrag als noch „rechtzeitig” bei Gericht eingegangen anzusehen ist, dürfte sich zwar jede schematische Lösung verbieten. Soweit die Obergerichte hier bestimmte Zeitspannen nennen (nach OLG Bamberg – Beschluss vom 25.03.2009 – 3 Ss OWi 1326/08 [unveröffentlicht] – soll es einem ordnungsgemäßen Geschäftsbetrieb entsprechen, dass ein erst 30 Minuten vor dem Beginn der Hauptverhandlung per Fax übermittelter Schriftsatz mit einem Antrag des Betroffenen auf Entbindung vom persönlichen Erscheinen dem zuständigen Tatrichter noch zur Kenntnisnahme vorgelegt wird und der Antrag damit rechtzeitig bei Gericht eingegangen ist; OLG Hamm – Beschluss vom 22.06.2011 – DAR 2011, 539 – hält dies bereits bei einem eineinhalb Stunden vor dem Hauptverhandlungstermin per Fax gestellten Entbindungsantrag für fraglich), ist dies nur ein Aspekt der Betrachtung. Es kommt es nach Auffassung des Senats stets auf alle Umstände des Einzelfalles an.
Ein Entbindungsantrag ist so rechtzeitig und in einer solchen Aufmachung anzubringen, dass das Gericht – angelehnt an den Zugang von Willenserklärungen im Zivilrecht – unter gewöhnlichen Umständen bei üblichem Geschäftsgang und zumutbarer Sorgfalt ihn als solchen erkennen, von ihm Kenntnis nehmen kann und muss und ihn deshalb einer Bearbeitung zuzuführen hat.
bb. Das ist hier nicht geschehen. Vorliegend geht der Senat angesichts der Zusendung des Schriftsatzes am Terminstag per Fax erst 53 Minuten vor dem Termin, der optischen Hervorhebung sowohl der Beschwerdeeinlegung als auch der Richterablehnung, nicht aber des – zudem verklausulierten – Entbindungsantrages, der gewählten Formulierungen sowie des Aufbaus und des hierdurch erzielten optischen Eindrucks davon aus, dem Tatrichter habe die Kenntnisnahme vom Entbindungsantrag des Betroffenen gerade nicht ermöglicht, sondern im Gegenteil – erfolgreich – gezielt erschwert bzw. unmöglich gemacht werden sollen. Der Entbindungsantrag wird in keinster Weise optisch hervorgehoben, gleichsam versteckt in rund 2 1/2 Zeilen eines fünfseitigen, eng beschriebenen Schriftsatzes und eingebettet in Ausführungen zur angeblichen Befangenheit des Vorsitzenden. Es fehlt auch an einer konkreten Antragstellung auf Entbindung; verwendet werden nur die eher schwammigen Formulierungen ” … der Betroffene … will an der Hauptverhandlung nicht teilnehmen …, räumt ein, der verantwortliche Fahrzeugführer zu sein und beantragt, ohne ihn in der Sache zu verhandeln …Es war dem Tatrichter in vorliegender Sache kaum möglich, jedenfalls aber nicht zuzumuten, den verklausulierten und versteckten Antrag in dem umfangreichen Schriftsatz überhaupt zu finden, zumindest nicht in der kurzen Zeitspanne zwischen Eingang des Schriftsatzes bis zum anberaumten Termin, allzumal bei einer auf 11:30 Uhr anberaumten Hauptverhandlung üblicherweise auch zuvor schon verhandelt wird und der Richter hiermit beschäftigt ist.
3. Nach alledem liegt für den Senat ein Fall arglistigen Verteidigungsverhaltens vor, bei dem ein Entbindungsantrag ohne ersichtlichen Anlass erst ganz kurz vor der Terminsstunde in unlauterer Art und Weise angebracht wird in der (begründeten) Erwartung, dieser werde deshalb dem Tatrichter nicht rechtzeitig vorgelegt werden oder ihm nicht auffallen, um dann auf diesem Versehen eine Verfahrensbeanstandung aufzubauen. Das kann hier nicht zum Erfolg führen. Insoweit unterscheidet sich diese Sache einerseits von der von der Verteidigung vorgelegten Entscheidung im Verfahren 2 Ss (OWi) 50/11 I 63/11 (Senatsbeschluss vom 27.04.2011), in dem immerhin frühzeitig und mehrfach eine als Entpflichtungsantrag auszulegende Erklärung abgegeben worden ist, andererseits ist hier wie dort ein verklausuliertes, auf Irreführung der Gerichte angelegtes Verteidigungsverhalten zu konstatieren.
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