Dass auch bei einem Verkehrsunfall mit Auslandsbezug vor deutschen Gerichten ausländisches Sachrecht zur Anwendung kommen kann, wenn das internationale Privatrecht dies bestimmt, ist nichts Neues. Für den Tatrichter bietet es sich an, insoweit in Rechtsgutachten einzuholen (vgl. § 293 ZPO), er muss es aber nicht in jedem Fall. Die 13. Zivilkammer des LG Saarbrücken hat in einem neuen Urteil ausgeführt, dass sie eines Gutachtens über das französische Verkehrs- und Schadenrecht aufgrund eigener Sachkunde (auch über die Rechtspraxis der französischen Gerichte) nicht bedarf, einerseits wegen ihrer zahlreichen Verkehrsunfallsachen in den letzten Jahren mit Bezug zum französischen Recht, andererseits wegen eines Kammermitglieds mit entsprechender Studienerfahrung. Daher heute ausnahmsweise ein Fall nach französischem Recht (Urteil vom 11.05.2015, Az. 13 S 21/15).
I. Mit der vorliegenden Klage macht die Klägerin Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall geltend, der sich am 24. Juni 2011 in … auf dem Boulevard … in Höhe der Porte … ereignete.
Der Zeuge … befuhr mit dem Lkw der Klägerin bei zähfließendem Verkehr die rechte von vier Fahrbahnen des Boulevard … Die Fahrerin des bei der Beklagten haftpflichtversicherten Pkw fuhr von einer nicht beschilderten Einfahrt in Höhe der Porte … kommend auf den Boulevard … ein. Kurz vor der auf die Einfahrt folgenden Unterführung kollidierte die rechte vordere Ecke des klägerischen Lkw mit der hinteren linken Ecke des Beklagtenfahrzeugs.
Erstinstanzlich hat die Klägerin behauptet, das Beklagtenfahrzeug habe sich vorkollisionär in einem Bereich hinter der Einfahrt rechts an dem klägerischen Fahrzeug vorbeigedrängt.
Mit der Klage hat sie 1.903,39 € Reparaturkosten, 453,50 € Sachverständigenkosten und 26,00 € Auslagenpauschale, insgesamt 2.382,89 € nebst Zinsen geltend gemacht.
Die Beklagte hat sich erstinstanzlich zunächst nicht an dem Verfahren beteiligt.
Nachdem das Erstgericht die Klage mit Urteil vom 29. Dezember 2011 als unzulässig abgewiesen hatte und die Kammer dieses Urteil nach Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union mit Urteil vom 15. November 2013 aufgehoben und das Verfahren an das Erstgericht zurückverwiesen hatte, hat die Klägerin ihren früheren Antrag weiterverfolgt.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie hat behauptet, zwischen der Einmündung und der Unfallstelle lägen allenfalls 20 m, also in etwa die Länge des klägerischen Fahrzeuges.
Das Erstgericht, auf dessen Feststellungen ergänzend Bezug genommen wird, hat die Klage nach Beweisaufnahme abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, der Anscheinsbeweis spreche dafür, dass der Zeuge … den Unfall durch einen Vorfahrtsverstoß verursacht habe. Der Kollisionsort befinde sich im Einmündungsbereich. Der Klägerin sei es nicht gelungen, den gegen sie sprechenden Anscheinsbeweis zu erschüttern. Das Gericht sei von der Unfalldarstellung des Zeugen … nicht überzeugt.
Mit ihrer hiergegen gerichteten Berufung verfolgt die Klägerin ihr erstinstanzliches Klagebegehren in vollem Umfang weiter. Sie rügt, das Erstgericht habe seiner Beweiswürdigung zu Unrecht die von der Beklagten vorgelegten Lichtbilder zugrunde gelegt, die mehrere 100 m vor der Unfallstelle aufgenommen worden seien. Aus den Lichtbildern ergebe sich, dass das Gericht von einer unzutreffenden Unfallstelle ausgegangen sei.
Die Beklagte verteidigt die angegriffene Entscheidung und vertieft ihren erstinstanzlichen Vortrag. Mit Schriftsatz vom 1. April 2015 hat sie nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung unter Vorlage eines Unfallberichts geltend gemacht, der Unfall habe sich an der Einmündung ereignet.
II. Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig. In der Sache hat sie einen überwiegenden Teilerfolg.
1. Im Ausgangspunkt zutreffend hat das Erstgericht angenommen, dass der vorliegende Verkehrsunfall gemäß Art. 4 Abs. 1 i.V.m. Art. 18 der Verordnung (EG) Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht vom 11. Juli 2007 (ABl. EU L Nr. 199, S. 40; im Folgenden Rom II VO) nach französischem Recht zu beurteilen ist. Nach Art. 4 Abs. 1 Rom II VO ist auf ein außervertragliches Schuldverhältnis aus unerlaubter Handlung das Recht des Staates anzuwenden, in dem der Schaden eintritt, unabhängig davon, in welchem Staat das schadensbegründende Ereignis oder indirekte Schadensfolgen eingetreten sind (sog. Erfolgsortprinzip, vgl. Geigel/Haag, Der Haftpflichtprozess, 26. Aufl. 2011, Kap. 43 Rdn. 59). Die Regelung findet hier Anwendung, da es sich um einen Anspruch aus einem Verkehrsunfall handelt (vgl. Kammerurteil vom 9. März 2012 – 13 S 51/11, NJW-RR 2012, 885 ff.; Geigel/Haag, Der Haftpflichtprozess, 26. Aufl. 2011, Kap. 43 Rdn. 59; Wurmnest in: jurisPK-BGB, Art. 4 Rom-II-VO Rdn. 38; Palandt/Thorn, BGB, 74. Aufl. 2015, Art. 4 (IPR) Rom II Rdn. 18), der nach dem 11. Januar 2009 entstanden ist (vgl. Art. 32 Rom II VO). Für die hier geltend gemachten Schäden ist Erfolgsort der Tatort – hier Frankreich (vgl. Kammerurteil vom 9. März 2012 aaO; LG Frankenthal, Urteil vom 14. April 2011 – 4 O 155/09, zitiert nach juris; Bachmeier, Regulierung von Auslandsunfällen, D/EU Rdn. 217; Palandt/Thorn aaO; Riedmeyer, zfs 2008, 602, 608).
2. Die Kammer sieht sich zur Beurteilung der im vorliegenden Fall relevanten Fragen des französischen Rechts – einschließlich der gebotenen Ermittlung der Rechtspraxis der Gerichte des betroffenen Landes (vgl. BGH, Urteil vom 30. Januar 2001 – VI ZR 357/99, ZIP 2001, 675; Saarländisches Oberlandesgericht SVR 2014, 228 ff.) – aufgrund eigener Sachkunde imstande. Die Kammer war in den zurückliegenden Jahren aufgrund ihrer Spezialzuständigkeit für Straßenverkehrsunfallsachen in zahlreichen Verfahren, auch sachverständig beraten, mit einer größeren Zahl von Verkehrsunfällen nach französischem Recht befasst und verfügt über ein Mitglied mit Studienerfahrung im französischen Schuldrecht. Einwendungen hiergegen haben die Parteien auf entsprechenden Hinweis der Kammer hin nicht erhoben.
3. Zu Recht hat das Erstgericht angenommen, dass die Beklagte dem Grunde nach für den Unfallschaden einzustehen hat.
a) Nach Art. 124-3 Code des Assurances besteht ein Direktanspruch gegen das französische Haftpflichtversicherungsunternehmen (vgl. BGH, Urteil vom 7. Dezember 2010 – VI ZR 48/10, MDR 2011, 121; Kammerbeschluss vom 22. Juni 2012 – 13 S 12/12, DAR 2012, 465 ff.; Kammerurteil vom 9. März 2012 aaO). Dieser ist auch nicht dadurch ausgeschlossen, dass die Klägerin ein nach französischem Recht vorgesehenes vorprozessuales Entschädigungsverfahren nicht beschritten hätte (vgl. hierzu etwa Kammerurteil vom 9. März 2012 aaO).
b) Nach Art. 1, 2 Gesetz Nr. 85-677 vom 5. Juli 1985 (Loi tendant à l’amélioration de la situation des victimes d’accidents de la circulation et à l’accélération des procédures d’indemnisation, im Folgenden: Loi Badinter), das die Grundsätze der Verschuldenshaftung nach den Art. 1382 f. Code civil modifiziert, haften Fahrer und Halter dem Grunde nach verschuldensunabhängig allein aufgrund der Beteiligung eines motorisierten Straßenfahrzeugs an einem Unfall, ohne dass dem Geschädigten höhere Gewalt oder das Verschulden eines Dritten entgegengehalten werden könnten (vgl. Mazeaud/Pierre (Hrsg.), Lamy Droit de la Responsabilité, Etude 313 – Le droit à indemnisation des victimes d’accident de la circulation, 2000, Rdn. 15; Lemor in: Feyock/Jacobsen/Lemor, Kraftfahrtversicherung, 3. Aufl. 2009, AuslUnf., Frankreich Rdn. 1; Jantkowiak in: Bachmeier aaO, F Rdn. 9 ff.; Neidhart, Unfall im Ausland, Band 2 – West-Europa, 5. Aufl. 2007, Frankreich Rdn. 13 ff.). Eine solche Beteiligung des Kraftfahrzeugs an dem Unfall liegt jedenfalls immer dann vor, wenn es – wie hier – zu einer Kollision mit dem Kraftfahrzeug gekommen ist (vgl. Cass. 2e civ., Urteil vom 25. Januar 1995 – 92-17.164, zitiert nach www.legifrance.gouv.fr; Ferid/Sonnenberger, Das Französische Zivilrecht, 2. Aufl. 1993 Bd. 4/1 Rdn. 2 O 370g).
4. Im Ausgangspunkt zu Recht hat das Erstgericht angenommen, dass die Haftung durch ein Verschulden des Fahrers des Geschädigtenfahrzeugs gemindert oder ausgeschlossen sein kann. Gemäß Art. 5 Abs. 2 Satz 1 Loi Badinter führt ein Verschulden des Fahrers des Geschädigtenfahrzeugs bei Sachschäden zu einer Reduzierung oder zum Ausschluss des Schadensersatzanspruchs (vgl. dazu auch Mazeaud/Pierre (Hrsg.) aaO Rdn. 20; Neidhart, aaO; Frankreich Rdn. 17; Kühl/Klinkert in: Ausländischer Anwaltverein in Deutschland e.V., Schadensregulierung bei Verkehrsunfällen in Europa, 2010, S. 55). Ist ein Verschulden nachgewiesen, entscheidet der Richter in souveränem Ermessen, ob das Verschulden zu einer Reduzierung oder zum vollständigen Ausschluss des Schadensersatzanspruchs führt (vgl. Cass. 2e civ., Urteil vom 21. Oktober 1999 – 98-11.018, zitiert nach www.legifrance.gouv.fr). Lässt sich ein solches Verschulden hingegen nicht nachweisen, verbleibt es bei der vollen Einstandspflicht des Schädigers (vgl. Cass. 2e civ., Urteil vom 24. Juni 1987 – 86-11.851, zitiert nach www.legifrance.gouv.fr).
5. Entgegen der angegriffenen Entscheidung ist es der Beklagten hier jedoch nicht gelungen nachzuweisen, dass der Zeuge … den Unfall schuldhaft mitverursacht hätte.
a) Die zu beachtenden Verkehrspflichten bestimmen sich nach ausländischem Recht (vgl. Wurmnest in: jurisPK-BGB, Art. 4 Rom II-VO Rdn. 31; Bachmeier aaO D/EU Rdn. 340; Palandt/Thorn aaO Art. 4 Rom II-VO Rdn. 15, jew. mwN.). Danach hat das Erstgericht in der Sache zutreffend und von der Berufung unangegriffen festgestellt, dass der von rechts auf den Boulevard … einfahrende Verkehr an der Unfallstelle mangels gegenteiliger Beschilderung nach Art. R415-5 Abs. 1 Code de la route („rechts vor links“) gegenüber dem auf dem Boulevard … fahrenden Verkehr vorfahrtsberechtigt war.
b) Es begegnet im Ausgangspunkt auch keinen Bedenken, dass das Erstgericht angenommen hat, bei einer Kollision im Einmündungsbereich spreche der Beweis des ersten Anscheins für eine Vorfahrtsverletzung durch den auf dem Boulevard … befindlichen, wartepflichtigen Unfallbeteiligten.
aa) Die Anwendbarkeit des Anscheinsbeweises bestimmt sich in Verfahren mit internationalem Bezug nicht nach dem ausländischen Sachrecht (lex causae), sondern nach den Regeln des deutschen Zivilprozessrechts als dem Recht am Ort des angerufenen Gerichts (lex fori) (vgl. BGH, Urteil vom 4. Oktober 1984 – I ZR 112/82, NJW 1985, 554; Kammerurteil vom 13. Februar 2015 – 13 S 203/15; Prütting in: Münchener Kommentar zur Zivilprozessordnung, 4. Aufl., § 286 Rdn. 50, 55; Prütting/Gehrlein/Laumen, ZPO, 6. Aufl., § 286 Rdn. 29; Schack, IZVR, 5. Aufl., Rdn. 746; Nagel/Gottwald, IZPR, 7. Aufl., § 10 Rdn. 57 f.; Thole, IPrax 2010, 285, 286; a.A. Zöller/Geimer, ZPO, 30. Aufl. 2014, § 363 Rdn. 160; Zöller/Greger aaO vor § 284 Rdn. 29; Greger/Zwickel, Haftungsrecht des Straßenverkehrs, 5. Aufl. 2014, Art. 4 Rom-II-Verordnung, Rdn. 23; Hohloch in: Erman, 14. Aufl. 2014, Art. 15 Rom-II-VO Rdn. 15). Dies wird zutreffend damit begründet, dass es sich beim Anscheinsbeweis um eine Beweiswürdigungsregel handelt, mithin um eine Norm des Verfahrensrechts, die den Richter berechtigt und verpflichtet, die durch Erfahrungssätze begründete Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen einer behaupteten Tatsache zur Überzeugungsbildung und damit zum Beweis ausreichen zu lassen (Prütting/Gehrlein/Laumen aaO; MüKo-ZPO/Prütting aaO; Thole aaO, jew. mwN.; vgl. auch Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 17. Aufl., § 113 Rdn. 16). Würde man der Gegenauffassung folgen, ergäbe sich im Übrigen keine der Beklagten günstigere Beweisposition, wenn man davon ausgeht, dass das französische Recht einen Anscheinsbeweis im Sinne der deutschen zivilprozessrechtlichen Dogmatik nicht kennt (vgl. Brinkmann, Das Beweismaß im Zivilprozess aus rechtsvergleichender Sicht, S. 58 f.; zum luxemburgischen Recht AG Landstuhl, Urteil vom 3. April 2004 – 3 S 384/11, juris).
bb) Nach deutschem Recht spricht der Beweis des ersten Anscheins für eine Vorfahrtsverletzung des Wartepflichtigen, wenn es in dem Einmündungsbereich zu einer Kollision kommt (vgl. BGH, Urteil vom 15. Juni 1982 – VI ZR 119/81, VersR 1982, 903 f.; BGH, Urteil vom 18. November 1975 – VI ZR 172/74, VersR 1976, 364; BGH, Urteil vom 19. März 1964 – III ZR 177/92, VersR 1964, 639 f.; OLG München, Urteil vom 29. Juli 2011 – 10 U 1131/11, juris; KG, SVR 2011, 222; OLG Frankfurt, Urteil vom 21. Januar 2008 – 25 U 220/04, juris; OLG Brandenburg, OLG-Report 2009, 689; OLG München, VersR 1998, 733; OLG Köln, VersR 1992, 68; Kammerurteile vom 28. März 2014 – 13 S 196/13, NJW 2015, 177; vom 21. Oktober 2011 – 13 S 124/11 – und vom 18. Januar 2010 – 13 S 44/10). Hat sich die Kollision allerdings erst hinter dem eigentlichen Einmündungsviereck/-trichter ereignet, greift der Anscheinsbeweis nur ein, wenn sich der Wartepflichtige noch nicht ohne Behinderung des bevorrechtigten Verkehrs eingeordnet hat (vgl. OLG München, Urteil vom 27. Mai 2010 – 10 U 3379/09, juris; OLG Brandenburg, Urteil vom 8. März 2007 – 12 U 173/06; KG-Report 2002, 364; Kammerurteile vom 7. Juni 2013 – 13 S 31/13, NJW-RR 2013, 1249 ff., und vom 10. Juni 2011 – 13 S 40/11, NZV 2011, 607 mwN.; Hinweisbeschluss vom 17. April 2015 – 13 S 29/15).
c) Nach Maßgabe dieser Grundsätze ist es der Beklagten hier nicht gelungen, die Voraussetzungen eines Anscheinsbeweises zu Lasten der Klägerin zu beweisen.
aa) Die Beklagte konnte nicht beweisen, dass sich der Unfall im eigentlichen Einmündungsbereich ereignet hat.
Die Unfallendstellung der Fahrzeuge befand sich auf Höhe des Verkehrsschildes zu Beginn der auf die Einfahrt folgenden Unterführung. Das ergibt sich aus den mit der Klage vorgelegten Lichtbildern, die unstreitig die Unfallendstellung dokumentieren. Nach dem eigenen Vortrag der Beklagten ereignete sich der Unfall auch ungefähr auf Höhe dieses Schildes. Soweit die Beklagte unter Hinweis auf das in Gegenfahrtrichtung aufgenommene Lichtbild auf Seite 6 ihres Schriftsatzes vom 29. Mai 2012 vorträgt, der Unfall habe sich an dem ersten von zwei abgebildeten Verkehrsschildern ereignet, ist damit offenkundig das in Fahrtrichtung zweite Schild gemeint. Denn wie sich aus den weiteren Lichtbildern ergibt, befindet sich das in Fahrtrichtung erste Schild nicht hinter, sondern vor der Einmündung in einem Bereich, in dem sich die Fahrspuren der Unfallbeteiligten noch nicht berühren konnten. Diese Auslegung ist auch allein mit der Schätzung der Beklagten vereinbar, zwischen der Einmündung und dem Unfallort lägen allenfalls 20 Meter. Einer Vernehmung der Zeugin … bedurfte es nicht, da die Beklagte nicht unter ihren Zeugenbeweis gestellt hat, dass sich der Unfall an einer anderen als dieser Kollisionsstelle ereignet hätte.
Die so bestimmte Kollisionsstelle lag bereits hinter der Einmündung. Wie sich anhand des von dem Gericht in die Verhandlung eingeführten Luftbildes nachvollziehen lässt, liegt das Verkehrszeichen auf Höhe der Unfallstelle etwa 37-38 m hinter der beginnenden Zusammenführung beider Fahrbahnen. An dieser Stelle hatte sich die Fahrbahn jedoch schon seit ca. 10 m wieder auf eine normale Fahrbahnbreite verengt. Dem entspricht es, dass auch die durchgezogene Linie, die den Einmündungsbereich zwischen der einmündenden Fahrbahn und der rechten Fahrbahn des Boulevards … von den weiteren Fahrbahnen abschirmt, seit etwa 10 m aufgehoben war. Unter diesen Umständen lässt sich die Unfallstelle nicht mehr dem unmittelbaren Einmündungsbereich zuordnen. Entgegen der Einschätzung des Erstgerichts kommt es insoweit nicht darauf an, wie lang das klägerische Fahrzeug war und inwiefern sich der hintere Fahrzeugteil noch im Einmündungsbereich befand, da sich jedenfalls das Beklagtenfahrzeug, das mit der vorderen rechten Ecke des Klägerfahrzeugs kollidiert ist, im Unfallzeitpunkt nicht mehr im Einmündungsbereich befand.
Der von der Beklagten mit Schriftsatz vom 1. April 2015 vorgelegte Unfallbericht rechtfertigt – unabhängig davon, dass er nach § 296a ZPO nicht mehr zu verwerten war, weil der Beklagten insoweit kein Schriftsatznachlass gewährt worden war – keine abweichende Beurteilung. Im Rahmen der sich nach deutschem Recht vollziehenden Beweiswürdigung kommt einem Unfallbericht („constat amiable“), der in erster Linie dazu dient, die Regulierung unstreitiger Unfälle zu erleichtern, nicht ohne weiteres bindende Wirkung – etwa im Sinne eines Schuldanerkenntnisses – zu (vgl. Kammerurteil vom 2. Mai 2014 – 13 S 34/14). Zwar kann den Erklärungen der Unfallbeteiligten Indizwert für das tatsächliche Unfallgeschehen beizumessen sein. Im vorliegenden Fall lässt der Unfallbericht jedoch nicht den Schluss zu, der Unfall habe sich im Einmündungsbereich ereignet. Zwar würde die in dem Bericht enthaltene Unfallskizze bei maßstabsgetreuer Abbildung der Unfallstelle eine Kollision im Einmündungsviereck nahe legen. Die Aussagekraft der Zeichnung ist jedoch schon deshalb sehr eingeschränkt, weil die tangentiale Annäherung des Boulevard … an die Einfahrt in der stark schematisierten Zeichnung nicht zum Ausdruck kommt. Gerade diese örtliche Besonderheit ist für die Bestimmung des maßgeblichen Einmündungsbereichs vorliegend aber von zentraler Bedeutung. Vor diesem Hintergrund verbleiben erhebliche, im Ergebnis nicht zu überwindende Zweifel daran, ob die Unfallbeteiligten mit ihrer Skizze die Kollisionsstelle gerade im Hinblick auf das Einmündungsviereck genau lokalisieren wollten. Danach kann aufgrund des Unfallberichts nicht von einer Kollision im Einmündungsbereich ausgegangen werden, zumal die Beklagte in ihrem ursprünglichen Vortrag eine gewisse Entfernung zwischen der Einmündung und dem Unfallort ausdrücklich eingeräumt hat.
bb) Es steht auch nicht hinreichend verlässlich fest, dass sich das klägerische Fahrzeug noch nicht vollständig und ohne Behinderung des bevorrechtigten Verkehrs eingeordnet hatte, als sich der Unfall ereignete. Unstreitig war der Verkehr an der Unfallstelle zum Unfallzeitpunkt zähfließend. Danach verbleibt zumindest die Möglichkeit, dass der klägerische Lkw die Kollisionsstelle hinter dem Einmündungsbereich bereits erreicht hatte, ohne den von der Einfahrt her kommenden Verkehr zu behindern, und er erst im Anschluss hieran mit dem übrigen bevorrechtigten Verkehr durch eine Verkehrsstockung aufgehalten wurde. Dass das Beklagtenfahrzeug sowohl auf der rechten als auch auf der linken Seite beschädigt wurde, spricht entgegen der Auffassung der Beklagten nicht gegen diese Möglichkeit. Denn eine solche Beschädigung kann dadurch entstanden sein, dass das Beklagtenfahrzeug hinter dem Einmündungsbereich auf der hierfür nicht mehr ausreichend breiten Fahrbahn an dem klägerischen Fahrzeug vorbei geführt wurde und gerade mangels ausreichender Breite auch mit der rechts befindlichen Wand kollidiert ist.
d) Der Zeuge … hat den Unfall auch nicht nachweislich durch eine Unaufmerksamkeit (Art. R412-6 Abs. 1 Code de la route) oder einen zu geringen Abstand (Art. R412-12 Abs. 1 Code de la route) verursacht. Der Beweis des ersten Anscheins spricht hier nicht für einen Verkehrsverstoß des Zeugen … bei einem Auffahrunfall. Zwar weist die Berufung im Ausgangspunkt zutreffend darauf hin, dass im Falle eines Auffahrunfalls der Beweis des ersten Anscheins dafür spricht, dass der Auffahrende zu schnell oder unaufmerksam war oder den gebotenen Sicherheitsabstand nicht eingehalten hat (vgl. BGH, Urteile vom 30. November 2010 – VI ZR 15/10, VersR 2011, 234; vom 18. Oktober 1988 – VI ZR 223/87, VersR 1989, 54 und vom 23. Juni 1987 – VI ZR 188/86, VersR 1987, 1241, Kammerurteile vom 15. November 2013 – 13 S 134/13; vom 11. Februar 2011 – 13 S 150/10 – und vom 26. Juni 2009 – 13 S 141/09; Kammerbeschlüsse vom 22. April 2009 – 13 S 137/09 – und vom 14. Juni 2011 – 13 S 90/11). Jedoch fehlt es an der für die Anwendung des Anscheinsbeweises erforderlichen Typizität, wenn die Fahrzeuge – wie hier – versetzt zueinander lediglich im Eckbereich kollidiert sind (vgl. OLG Hamburg, Schaden-Praxis 2012, 392; OLG Bamberg, Schaden-Praxis 2010, 427; OLG Dresden, OLG-Report Ost 46/2010; KG NZV 2009, 458; Hinweisbeschluss der Kammer vom 21. Mai 2013 – 13 S 72/13). Da sich nicht feststellen lässt, wann der Zeuge … die gefährliche Annäherung an das Beklagtenfahrzeug feststellen und inwiefern er danach den Unfall noch durch eine geeignete Reaktion hätte vermeiden können, kann zu Lasten der Klägerin auch kein sonstiger Sorgfaltsverstoß angenommen werden, zumal die Beklagte selbst es für möglich hält, dass das Fahrzeug im toten Winkel seitlich vor das klägerische Fahrzeug gefahren war.
6. Der von der Klägerin geltend gemachte Schaden ist auch ganz überwiegend ersatzfähig.
a) Nach französischen Recht kann der Geschädigte die Kosten für die Reparatur des beschädigten Fahrzeugs grundsätzlich ersetzt verlangen, ohne den Nachweis einer Reparatur erbringen zu müssen (vgl. Casson, Répertoire de droit civil Dalloz, Dommages et intérêts; Stand November 2011, Rdn. 39). Ein Totalschadensfall, in dem Ausnahmen von diesem Grundsatz gelten (vgl. Kammerurteil vom 9. März 2012 aaO), liegt angesichts des geringen Schadens an dem Lkw der Klägerin offenkundig nicht vor.
b) Auch Sachverständigenkosten sind nach französischem Recht zu ersetzen (vgl. Lemor in: Feyock/Jacobsen/Lemor, aaO, AuslUnf, VII Rdn. 2; Neidhart, aaO, Frankreich Rdn. 72, mwN.).
c) Eine Unkostenpauschale, wie sie im deutschen Recht als Schadensposition anerkannt ist, kann der Kläger nicht verlangen, da diese nach französischem Recht nicht geschuldet ist (vgl. Kammerurteil vom 9. März 2012 aaO; Neidhart aaO Rdn. 87; Jantkowiak aaO F Rdn. 191).
d) Danach kann die Klägerin Reparaturkosten von unstreitig 1.903,39 € und Sachverständigenkosten von unstreitig 453,50 €, insgesamt 2.356,89 € ersetzt verlangen.
7. Aus dem danach geschuldeten Betrag kann die Klägerin auch gesetzliche Zinsen beanspruchen.
a) Nach Art. 15 b) Rom-II-Verordnung richten sich die Zinsforderung als Teil des Haftungsumfangs nach dem Deliktsstatut (vgl. Kammerurteil vom 9. März 2012 aaO; LG Düsseldorf IPRspr 2011, 92; AG Frankenthal, Urteil vom 15. Oktober 2014 – 3a C 158/13, juris; wohl auch AG München zfs 2013, 566; aA LG Lübeck, IPRspr 2010, 120). Gemäß Art. 1153-1 Abs. 1 Code civil schuldet der Schädiger gesetzliche Zinsen (vgl. Cass. civ. 2e, Urteil vom 20. Juni 1990 – 89.10347; Kammerurteil vom 9. März 2012 aaO).
b) Die Beklagte hat die geschuldete Hauptforderung auch antragsgemäß ab dem auf die Zustellung an die Schadensregulierungsbeauftragte der Beklagten am 26. Oktober 2011 folgenden Tag zu verzinsen. Die französische Rechtsprechung lässt die Pflicht zur Zahlung von Verzugszinsen verbreitet mit der Urteilsverkündung beginnen (vgl. Cass. civ. 1re, Urteil vom 7. Januar 1997 – 94.17947, zitiert nach www.legifrance.gouv.fr; Cass. civ. 1re, Urteil vom 12. Dezember 1995 – 93-12.561, zitiert nach www.legifrance.gouv.fr; Cass. civ. 2e, Urteil vom 25. November 1981 – 80-13160, zitiert nach www.legifrance.gouv.fr), hält es aber insbesondere bei einem lange zurückliegenden Entstehungsgrund der Forderung für zulässig, gesetzliche Verzugszinsen ab dem Zeitpunkt des Unfalls zuzubilligen, um eine gerechte Entschädigung zu gewährleisten (vgl. Cass. civ. 2e, Urteil vom 20. Juni 1990 – 89-10347, zitiert nach www.legifrance.gouv.fr; Kammerurteil vom 15. November 2013 – 13 S 12/12). Nach Maßgabe dieser Grundsätze hält die Kammer es hier angesichts der bedingt durch das Vorlageverfahren und zwei Berufungen langen Verfahrensdauer für angemessen, den Verzugsbeginn antragsgemäß zu bestimmen.
c) Die Höhe des gesetzlichen Zinssatzes folgt hier aus den Dekreten Nr. 2012-182 vom 7. Februar 2012, Nr. 2013-178 vom 1. März 2013, Nr. 2014-98 vom 4. Februar 2014 und Nr. 2014-1115 vom 2. Oktober 2014 in Verbindung mit der Verordnung vom 23. Dezember 2014 (Arrêté du 23 décembre 2014 relatif à la fixation du taux d’intérêt légal).
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