Nach den Entscheidungen des BVerfG zur Einsicht in Messunterlagen konnte man den Eindruck haben, dass auch Beschwerden gegen Einsichtsversagungen durch das erkennende Gericht großzügiger gehandhabt würden (etwa vom LG Hagen). Das LG Memmingen hält sie weiterhin wegen § 305 Satz 1 StPO für unzulässig. Der Betroffene könne – auch bei einer Geldbuße von nur 80 Euro – die Entscheidung des Amtsgerichts in einem Rechtsbeschwerde- bzw. Zulassungsverfahren überprüfen lassen.

LG Memmingen, Beschluss vom 24.01.2022 – 4 Qs 135/21

Die Beschwerde des Betroffenen vom 10.12.2021 gegen die Verfügung des Amtsgerichts Günzburg vom 02.12.2021 wird kostenfällig als unzulässig zurückgewiesen.

Gründe:

I.

Dem Betroffenen liegt aufgrund Bußgeldbescheids vom 13.08.2021 ein Geschwindigkeitsverstoß vom 09.05.2021 zur Last. Gegen ihn wurde eine Geldbuße in Höhe von 80 € verhängt. Gegen den Bußgeldbescheid hat der Betroffene durch Schriftsatz seines Verteidigers Einspruch einlegen lassen. Das Verfahren ist beim Amtsgericht Günzburg anhängig.

Mit Schriftsatz vom 24.11.2021 beantragt der Verteidiger des Betroffenen, der Verteidigung zwecks Prüfung des Tatvorwurfs verschiedene Daten und Unterlagen zur Verfügung zu stellen.

Das Amtsgericht Günzburg machte dem Verteidiger mit Verfügung vom 02.12.2021 den bei der Akte befindlichen Beschilderungsplan zugänglich. lm Übrigen lehnte es den weitergehenden Antrag vom 24.11.2021 mit Verfügung vom 02.12.2021 unter Verweis auf den Beschluss des Amtsgerichts Günzburg vom 29.09.2021, mit dem über einen vorangegangenen Antrag der Verteidigung auf gerichtliche Entscheidung entschieden worden war, ab.

Mit Schriftsatz vom 10.12.2021, eingegangen am 13.12.2021, legte der Verteidiger gegen die Verfügung des Amtsgerichts Günzburg vom 02.12.2021 Beschwerde ein. Dieser hat das Amtsgericht nicht abgeholfen. Die Staatsanwaltschaft beantragt, die Beschwerde als unbegründet zu verwerfen.

II.

Die Beschwerde ist bereits unzulässig, weil sie gegen die Entscheidung des Amtsgerichts schon nicht statthaft ist, § 305 Satz 1 StPO.

Diejenigen Entscheidungen des erkennenden Gerichts, die der Urteilsfindung vorausgehen und in einem inneren, sachlichen Zusammenhang hierzu stehen, ausschließlich der Vorbereitung des Urteils dienen, mit diesem überprüft werden können und keine weiteren Verfahrenswirkungen äußern, sind von der isolierten Anfechtung mit der Beschwerde ausgenommen, § 305 Satz 1 StPO. Nur Maßnahmen, die eine vom Urteil nicht umfasste, selbständige Beschwer eines Verfahrensbeteiligten bewirken sowie vom erkennenden Gericht nicht bei Erlass des Urteils und auch nicht im Rahmen einer Urteilsanfechtung nachprüfbar sind, bleiben selbständig anfechtbar (vgl. BeckOK StPO/Cirener, 41. Ed. 1.10.2021, StPO § 305 Rn. 2).

Vor allem Entscheidungen zur Vorbereitung der Beweisaufnahme und deren Durchführung, zur Gestaltung des Verfahrens oder zu Art und Weise der Hauptverhandlung sind grundsätzlich der Anfechtung durch die isolierte Beschwerde entzogen. Hierdurch droht dem Betroffenen kein Rechtsverlust, weil diese Entscheidungen mit dem Urteil zusammen überprüft werden und darüber hinaus keine Wirkungen entfalten. (vgl. Cirener, a. a. O., StPO § 305 Rn. 3, 4). Vom Beschwerdeausschluss sind damit insbesondere auch Entscheidungen wie die Zurückweisung eines Antrags auf Aktenbeiziehung oder die Zurückweisung eines Antrags auf Beiziehung von anderen, dem Akteneinsichtsrecht unterfallenden Unterlagen, umfasst (vgl. MüKoStPO/Neuheuser, 1. Aufl. 2016, StPO § 305 Rn. 16 m. w. N.; KK-StPO/Zabeck, 8. Aufl. 2019, StPO § 305 Rn. 6 m. w. N.).

Ein solcher Antrag liegt hier vor, weil es sich bei dem Antrag der Verteidigung, Zugang zu Daten und Unterlagen, die im Zusammenhang mit der gegenständlichen Messung stehen, zu gewähren, faktisch um einen Antrag auf Akteneinsicht handelt. Die Akteneinsicht gewährleistet den Anspruch des Betroffenen auf rechtliches Gehör und ein faires Verfahren, dient vornehmlich der Vorbereitung und/oder Begründung von Beweisanträgen bzw. Beweisanregungen in der laufenden Hauptverhandlung und soll eine effektive Verteidigung ermöglichen. Da die Gewährleistung dieser grundlegenden Prozessrechte vorrangige Aufgabe jeden Gerichts ist, muss diese Entscheidung durch das erkennende Gericht vor der Urteilsfällung erneut auf ihre Rechtmäßigkeit überprüft werden. Die Verletzung der Prozessgrundrechte aus Art. 103 Abs. 1 GG und des Rechts auf ein faires Verfahren wird zudem – unter bestimmten Voraussetzungen – auch durch den Revisionsgrund des § 338 Nr. 8 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 OWiG geschützt. Jede diese Rechte tangierende Entscheidung des erkennenden Gerichts steht mithin in engem inneren Zusammenhang mit der Urteilsfällung und kann geeignet sein, den Ausgang des Verfahrens zu beeinflussen. Dies gilt unabhängig davon, ob es sich bei den hier in Frage stehenden Unterlagen überhaupt um Aktenbestandteile handelt (vgl. LG Hannover Beschl. v. 7.3.2018 – 48 Qs 16118, BeckRS 2018, 3954 Rn. 8, beck-online und auch Saarl. OLG, Beschluß vom 30. 4. 2004 – 1 Ws 72/04, NStZ 2005, 344, beck-online und auch Cirener, a. a. O., StPO § 305 Rn. 4.1 mit zutreffender Kritik an beispielsweise LG Hagen BeckRS 2021, 12196).

Die Kammer verkennt nicht, dass hierzu in Literatur und Rechtsprechung auch abweichende Meinungen vertreten werden. Die Kammer schließt sich aber nach Prüfung den nach wie vor überzeugenden Ausführungen, insbesondere des LG Hannover im vorzitierten Beschluss vom 07.03.2018, an.

Dem Betroffenen, dem im vorbereitenden Verfahren sowohl von der Verwaltungsbehörde als auch dem erkennenden Gericht Zugang zu zahlreichen von ihm eingeforderten Daten und Unterlagen gewährt worden ist, ist auch im hier vorliegenden Fall zuzumuten, einen etwaig weitergehenden Informationsanspruch gegenüber dem erkennenden Gericht in der Hauptverhandlung geltend zu machen und/oder eine Überprüfung des Urteils durch das Rechtsmittelgericht zu erwirken. Das Urteil des Amtsgerichts ist auch nicht von vornherein unanfechtbar, sondern zumindest mit dem Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde angreifbar.

III.

Die Kostenfolge ergibt sich aus § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.