Angesichts der Probleme mit dem Messgerät Leivtec XV3 versuchen natürlich einige Betroffene, “alte” Verfahren, die durch Bußgeldbescheid oder Verurteilung geendet haben, wiederaufzunehmen; besonders, wenn ein angeordnetes Fahrverbot noch nicht vollstreckt wurde. Das AG St. Ingbert meint dazu: Es fehlt an neuen Tatsachen (§ 359 Nr. 5 StPO). Die Ergänzung der Bedienungsanleitung betreffe lediglich die Auswertung und Verwertbarkeit von Messfotos in der Zukunft. Sie beduete auch nicht, dass zuvor durchgeführte Messungen fehlerhaft oder Messergehnisse nicht verwertbar gewesen wären.

AG St. Ingbert, Beschluss vom 26.05.2021 – 22 OWi 65 Js 1465/18 (1231/21)

Der Antrag des Betroffenen auf Wiederaufnahme des Verfahrens vom 19.01.2021 wird als unbegründet verworfen.

Der Antragssteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe:

I.

Vorliegend wurde gegen den Betroffenen der Bußgeldbescheid vom 04.05.2018, Az. … (Bl. 1 d.A.), wegen Geschwindigkeitsüberschreitung. Die Geschwindigkeitsüberschreitung wurde mit dem Lasermessverfahren Leivtec XV3 gemessen.

Gegen den Bußgeldbescheid legte der Betroffene mit Schriftsatz vom 09.05.2018 (Bl. 6 d.A.) Einspruch ein. Durch Einspruchsrücknahme am 07.02.2019 (Bl. 103, 109, 131, 133 d.A.) wurde der Bußgeldbescheid rechtskräftig.

Mit Schriftsatz vom 19.01.2021 beantragt die Verteidigung des Antragsstellers, das vom Landesverwaltungsamt des Saarlandes – Zentrale Bußgeldbehörde – gegen den Betroffenen geführte Bußgeldverfahren 281003917 wiederaufzunehmen und den Betroffenen freizusprechen (Bl. 145-172 d.A.).

Begründet wird der Antrag damit, dass neue Tatsache bzw. Beweismittel vorlägen, welche eine Freisprechung des Betroffenen zu begründen geeignet wären. Neue Tatsachen und Beweismittel seien die Ergebnisse von Untersuchungen am Leivtec XV3 Messgerät durch Sachverständigenbüros im August und Oktober 2020 sowie die Ergänzung der Firma Leivtec vom 14.12.2020 für die Leivtec XV3 Gebrauchsanweisung vom 01.12.2014.

II.

Der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens nach § 85 OWiG, § 359 Nr. 5 StPO ist zulässig aber unbegründet, und zwar aus den folgenden Gründen:

Entgegen der Auffassung des Verteidigers liegen keine neuen Tatsachen bzw. Beweismittel vor, die die Freisprechung des Betroffenen zu begründen geeignet wären.

Das Vorliegen neuer Tatsachen oder Beweismittel nach § 359 Nr. 5 StPO setzt voraus, dass diese zum Zeitpunkt der Entscheidung vorhanden waren und der Überzeugungsbildung der Verwaltungsbehörde nicht zugrunde gelegt worden sind (siehe Ganter, in: BeckOK OWiG, 30. Edition 2021, § 85 Rn. 8 m. w. N.; Göhler, in: Göhler/Gürtler/Seitz/Bauer, OWiG, 17. Aufl. 2017, § 85 Rn. 8 mit Verweis auf Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, 63. Aufl. 2020, § 359 Rn. 30).

“Entscheidendes Kriterium sowohl bei Tatsachen als auch Beweismitteln ist, dass sie “neu” sind. Da es darum geht, ein mögliches Fehlurteil zu beseitigen, das nicht alle entscheidungserheblichen Tatsachen in die Beweiswürdigung mit einbezogen hatte, und die neuen Tatsachen und Beweismittel geeignet sein müssen, die ursprüngliche Beweisgrundlage aus den Angeln zu heben, ist unabdingbare Voraussetzung, dass alle Tatsachen, die als neu vorgebracht werden und die mit neuen Beweismitteln untermauert werden sollen, ihren Entstehungsgrund bis zum Zeitpunkt der inzwischen rechtskräftig gewordenen Tatsachenentscheidung haben. Ein Fehlurteil kann nicht vorliegen, wenn nachträglich Tatsachen entstehen, die die Beweisgrundlagen des Urteils erschüttern könnten, die aber der damals entscheidenden Stelle nicht bekannt sein konnten. Solche “objektiv” neuen Tatsachen haben hier auszuscheiden” (Lutz, in: Karlsruher Kommentar zum OWiG, 5. Aufl. 2018, § 85 Rn. 10, ebenso BohnerUKrenberger/Krumm, in: Krenberger/Krumm, 6. Aufl. 2020, § 85 Rn. 19 f.). Beim Bußgeldbescheid ist hierbei auf die Aktenkundigkeit abzustellen (Bohnert/Krenberger/Krumm, in: Krenberger/Krumm, 6. Aufl. 2020, § 85 Rn. 20).

Vorliegend wurde der Bußgeldbescheid vom 04.05.2018 durch Einspruchsrücknahme am 07.02.2019 (Bl. 103, 109, 133 d.A.) rechtskräftig.

Zutreffend ist zwar, dass ein Sachverständigenbüro im Sommer/Herbst 2020 darüber informiert hat, es seien bei Untersuchungen betreffend Messungen mit dem Messgerät der Firma Leivtec XV3 signifikante Messwertabweichungen festgestellt worden. Die Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB) hat sich in einer Stellungnahme vom 27.10.2020 dem Verdacht, dass das Geschwindigkeitsmessgerät Leivtec XV 3 möglicherweise in sehr speziellen Konstellationen für manche aktuellen Fahrzeugtypen geeichte Geschwindigkeitsmesswerte mit unzulässigen Messwertabweichungen ausgeben könne, gewidmet und die Situation an ihrer Referenzanlage nachgestellt; bis zu dieser Stellungnahme konnte die PTB die gemeldeten Effekte nicht produzieren. Nach weiteren Prüfungen formulierte die PTB am 14.12.2020 eine Ergänzung zur Bedienungsanleitung auf Grundlage der Ergänzung des Geräteherstellers vom selben Tag.

Diese Ergänzung ist keine neue Tatsache i.S.d. § 359 StPO, sondern Anweisung für die Zukunft betreffend die Auswertung bzw. Verwertbarkeit von Messfotos. Bis dahin galt für die Bedienungsanleitung die PTB-Bauartzulassung PTB-Zul. 11/09.04.

Insbesondere bedeutet diese Ergänzung nicht, dass zuvor durchgeführte Messungen fehlerhaft oder Messergebnisse nicht verwertbar gewesen wären, wenn die durch die nun erfolgte Ergänzung erweiterten Anforderungen nicht erfüllt waren.

Dem Umstand, dass im März 2021 von Sachverständigenbüros erneut Messwertabweichungen mitgeteilt wurden, hat die PTB Rechnung getragen durch eine Aktualisierung vom 01.04.2021: Am 31.03.2021 traten bei einer umfangreichen PTB-Versuchsreihe mit präparierten Testfahrzeugen, die über spezielle Reflektoren im Fahrgastinnenraum verfügten, unzulässige Messwertabweichungen auf, die allesamt zu Gunsten Betroffener ausfielen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 46 I OWiG i.V.m. § 473 I 1, VI Nr. 1 StPO.

Die Entscheidung kann nach § 46 I OWiG, § 372 S. 1 StPO mit der sofortigen Beschwerde angefochten werden.

Mitgeteilt von Rechtsanwälte Zimmer-Gratz, Bous.