Gegen die wegen eines “Handy-” und mehrerer Geschwindigkeitsverstöße vorgeahndete Betroffene verhängte das AG – abweichend von der Verwaltungsbehörde (Bußgeldbescheid: 200 Euro, einmonatiges Fahrverbot) – eine Geldbuße in Höhe von 400 Euro. Das BayObLG beanstandet, dass hier nicht wegen Beharrlichkeit ein Fahrverbot ausgesprochen wurde. Weder das Gericht noch die Beschwerdeführerin (Staatsanwaltschaft) hätten erkannt, dass der abgeurteilte Verstoß wegen seiner durch Blickabwendung bedingten gravierenden Beeinträchtigung der Fahrleistung bei gleichzeitig massiver Steigerung des Gefährdungspotentials für Leib und Leben Dritter wertungsmäßig mit Massenverstößen wie Geschwindigkeitsüberschreitungen und Unterschreitungen des Mindestabstandes vergleichbar sei. Deshalb liege bei entsprechender Vorahndungslage – erst recht bei einschlägigen Vorahndungen – auch außerhalb eines Regelfalls häufig die Verhängung eines Fahrverbots nahe.

BayObLG, Beschluss vom 29.10.2019 – 202 ObOWi 1997/19

I. Auf die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Amtsgerichts vom 21. Juni 2019 im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen sowie in der Kostenentscheidung aufgehoben.

II. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht zurückverwiesen.

Gründe

I.

Das Amtsgericht hat die Betroffene am 21.06.2019 wegen einer als Führerin eines Pkw am 12.12.2018 begangenen Verkehrsordnungswidrigkeit der vorsätzlichen verbotenen Nutzung eines elektronischen Geräts (hier: Mobiltelefon bzw. ‚Handy‘) gemäß § 23 Abs. 1a StVO in der seit dem 19.10.2017 gültigen Fassung aufgrund Art. 1 Nr. 1a der 53. Verordnung zur Änderung straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften v. 06.10.2017 (BGBl. 2017 I, 3549) zu einer Geldbuße von 400 Euro verurteilt; von der Anordnung eines im Bußgeldbescheid vom 24.01.2019 neben einer dort festgesetzten Geldbuße in Höhe von 200 Euro ebenfalls vorgesehenen einmonatigen Fahrverbots hat es abgesehen. Mit ihrer gegen dieses Urteil zu Ungunsten des Betroffenen eingelegten, von der Generalstaatsanwaltschaft vertretenen und ausweislich der näher ausgeführten Rechtsmittelrechtfertigung vom 02.08.2019 sinngemäß auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten Rechtsbeschwerde beanstandet die Staatsanwaltschaft mit der Sachrüge insbesondere, dass das Amtsgericht von der Anordnung eines Fahrverbots wegen eines beharrlichen Pflichtenverstoßes abgesehen hat. Die hierzu abgegebene Stellungnahme des Verteidigers der Betroffenen vom 02.09.2019 lag dem Senat vor.

II.

Die gemäß § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 OWiG statthafte und auch sonst zulässige Rechtsbeschwerde, die ausweislich der Rechtsmittelrechtfertigung wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt ist, erweist sich als erfolgreich, weil die Begründung, mit der das Amtsgericht von der Verhängung eines Fahrverbotes abgesehen hat, einer rechtlichen Überprüfung nicht standhält.

1. Zwar sind die Voraussetzungen eines (benannten) Regelfalls nach § 4 Abs. 2 Satz 2 BKatV nicht erfüllt, weshalb die Anordnungsvoraussetzungen für ein bußgeldrechtliches Fahrverbot, wovon das Amtsgericht im Ansatz zutreffend ausgeht, nur bei Annahme eines beharrlichen Pflichtenverstoßes außerhalb eines Regelfalls im Sinne von § 25 Abs. 1 Satz 1 2. Alt. StVG i.V.m. § 4 Abs. 2 Satz 2 BKatV bejaht werden konnten.

2. Allerdings hält die Begründung, mit welcher das Amtsgericht unbeschadet der Darstellung und Erörterung der Vorahndungslage der Betroffenen einen derartigen beharrlichen Pflichtenverstoß mit stellenweise widersprüchlicher Begründung „im Ergebnis“ gleichwohl verneint hat, einer rechtlichen Überprüfung nicht stand (zu den Maßstäben für die Wertung eines Pflichtenverstoßes als ‚beharrlich‘ vgl. zuletzt nur BayObLG, Beschl. v. 22.03.2019 – 202 ObOWi 96/19 = ZfSch 2019, 588 und 17.07.2019 – 202 ObOWi 1065/19 bei juris, jeweils m.w.N.).

a) Insbesondere ist nicht nachvollziehbar wie das Amtsgericht selbst bei Ausblendung der seit dem 18.01.2017 rechtskräftigen Vorahndung wegen einer am 19.11.2016 begangenen innerörtlichen Geschwindigkeitsüberschreitung um 24 km/h aufgrund dreier weiterer und erst seit dem 03.03.2018, 24.03.2018 sowie 18.09.2018 rechtskräftigen und mit Bußgeldern über 100 Euro, 80 Euro und 160 Euro geahndeten Geschwindigkeitsüberschreitungen vom 20.11.2017, 13.01.2018 und 05.06.2018 und dazu einer weiteren, erst seit dem 11.07.2018 rechtskräftigen einschlägigen Vorahndung der Betroffenen wegen verbotener Nutzung eines elektronischen Geräts (Tatzeit: 04.06.2018) zu einer (erhöhten) Geldbuße über 200 Euro zu der abschließenden Wertung gelangt ist, dass „gerade noch nicht von einer Beharrlichkeit auszugehen“ sei, „wobei man sich im Grenzbereich hierzu“ bewege. Denn schon aufgrund der zeitlichen Abfolge der vier jeweils noch verwertbaren und allesamt erst im Jahre 2018 rechtskräftig gewordenen Vorahndungen ist mehr als hinreichend belegt, dass die Betroffene mit der verfahrensgegenständlichen Ordnungswidrigkeit wiederholt und zeitnah verkehrsrechtliche Vorahndungen missachtet hat, die verdeutlichen, dass es ihr subjektiv an der für die Straßenverkehrsteilnahme notwendigen rechtstreuen Gesinnung und Einsicht in zuvor begangenes Unrecht fehlt, so dass es nunmehr der Anordnung eins Fahrverbots als Denkzettel- und Besinnungsmaßnahme bedarf, um auf die Betroffene nachhaltig einzuwirken.

b) Die knappen und kaum aussagekräftigen Zumessungsgründe („Durchschnittsfall“) lassen überdies besorgen, dass der Tatrichter – und mit ihm die rechtsmittelführende Staatsanwaltschaft selbst („eher leichterer Rechtsverstoß“) – verkannt haben könnte, dass auch der nur zufällig folgenlos gebliebene Verstoß gegen § 23 Abs. 1a StVO allein wegen seiner durch Blick-Abwendung bedingten gravierenden Beeinträchtigung der Fahrleistung bei gleichzeitig massiver Steigerung des Gefährdungspotentials für Leib und Leben Dritter wertungsmäßig in einer Reihe mit anderen typischen Massenverstößen wie Geschwindigkeitsüberschreitungen und Unterschreitungen des Mindestabstandes steht, weshalb die regelmäßig vorsätzliche Verwirklichung des Bußgeldtatbestandes nach § 23 Abs. 1a StVO bei – wie hier – entsprechender Vorahndungslage auch dann, wenn die Voraussetzungen eines Regelfahrverbots nach § 25 Abs. 1 Satz 1 1. Alt. StVG i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BKatV i.V.m. lfd. Nrn. 246.2 und 246.3 BKat (bei Gefährdung bzw. bei Kfz mit Sachbeschädigung) nicht gegeben sind, die Anordnung eines Fahrverbots wegen eines beharrlichen Pflichtenverstoßes außerhalb eines Regelfalls im Sinne von § 25 Abs. 1 Satz 1 2. Alt. StVG i.V.m. § 4 Abs. 2 Satz 2 BKatV vielfach nahelegen werden (BayObLG, Beschl. v. 22.03.2019 – 202 ObOWi 96/19 bei juris). Dies gilt erst recht, wenn die Betroffene – wie hier – bereits wegen eines Verstoßes nach § 23 Abs. 1a StVO einschlägig vorgeahndet ist.

III.

Auf die begründete, nur noch den Rechtsfolgenausspruch betreffende Rechtsbeschwerde ist daher das angefochtene Urteil im Rechtsfolgenausspruch sowie in der Kostenentscheidung aufzuheben (§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, § 353 StPO). Wegen der engen Wechselwirkung zwischen Geldbuße und Fahrverbot (vgl. hierzu u.a. Grube in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht [Stand: 02.01.2018], § 25 StVG, Rn. 54; BeckOK/Bär OWiG [Stand: 15.09.2019 – 24. Ed.] § 79 Rn. 23; KK/Hadamitzky OWiG 5. Aufl. § 79 Rn. 144; Göhler/Seitz/Bauer OWiG 17. Aufl § 79 Rn. 9 und Burhoff [Hrsg.]/Gieg, Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 5. Aufl., Rn. 955, jeweils m.w.N.) betrifft die Aufhebung den gesamten Rechtsfolgenausspruch mit den ihm zugrunde liegenden Feststellungen (§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, § 353 StPO). Eine eigene Sachentscheidung ist dem Senat verwehrt, weil in einer neuen Verhandlung gegebenenfalls Feststellungen zu der Frage getroffen werden können, ob die Anordnung eines (auch nur einmonatigen) Fahrverbots für die Betroffene – auch unter Berücksichtigung der nach Sachlage eröffneten Möglichkeit eines beschränkten Vollstreckungsaufschubs nach § 25 Abs. 2a Satz 1 StVG – eine unverhältnismäßige Härte darstellt.

IV.

Gemäß § 79 Abs. 6 OWiG verweist der Senat die Sache im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Amtsgericht zurück.

V.

Der Senat entscheidet durch Beschluss gemäß § 79 Abs. 5 Satz 1 OWiG.

VI.

Gemäß § 80a Abs. 1 OWiG entscheidet der Einzelrichter.