In diesem Hinweisbeschluss geht nun auch das OLG Hamburg von einer Haftung des Motorenherstellers bei Einsatz einer Software, die einen Betrieb auf dem Prüfstand erkennt und das Abgasverhalten manipuliert, aus (betreffend VW-Motor EA 189). Anders als der überwiegende Teil der Rechtsprechung will es dem Fahrzeugeigentümer Nutzungen des Fahrzeugs allerdings nur bis zu dem Zeitpunkt anrechnen, an dem dieser den Hersteller zur Rückabwicklung auffordert und ihn ggf. in Annahmeverzug setzt.

OLG Hamburg, Hinweisbeschluss vom 13.01.2019 – 15 U 190/19

Der Senat weist nach Vorberatung darauf hin, dass die Berufung der Klägerin jedenfalls überwiegend Aussicht auf Erfolg haben dürfte (dazu unter 1. und 2.). Der Senat legt den Parteien nahe, auf Grundlage der hier gegebenen Hinweise eine gütliche Einigung zu finden (dazu unter 3.) und bittet dazu um Stellungnahme (dazu unter 4.).

1.
Die Klage ist nach dem Antrag zu 1. auf die Erstattung der von der Klägerin an einen Autohändler geleisteten Kaufpreissumme, Zug um Zug gegen Übereignung des von der Klägerin erworbenen Fahrzeugs Skoda Yeti mit dem von der Beklagten hergestellten Dieselmotor EA 189 an die Beklagte-, gerichtet. Dieser Klagantrag dürfte nicht mit der vom Landgericht gegebenen Begründung abzuweisen sein. Im Gegenteil dürfte der Klägerin der eingeklagte Anspruch dem Grunde nach gemäߧ 826 BGB zustehen (vgl. insofern nur OLG Koblenz, Urteil vom 12.6.2019, 5 U 1318/18, ·abgedruckt u.a. in NJW 2019, 2237). Dass die Beklagte nicht das ganze Fahrzeug hergestellt hat, sondern nur den darin verbauten Motor, dürfte ihrer deliktischen Haftung nicht entgegenstehen (vgl. u.a. OLG Köln, 01.07.2019, 27 U 7/19, BeckRS 2019, 13560 Rn. 3 ff.).

Weiterhin dürfte der Beklagten das Handeln derjenigen ihrer Mitarbeiter, welche die in Rede stehende Software entwickelt und zum Einsatz gebracht haben, aufgrund der Nichterfüllung der ihr obliegenden sekundären Darlegungslast zuzurechnen sein (s. dazu OLG Koblenz, a.a.O. Rn. 50-62). Die Klägerin dürfte in prozessual zulässiger Weise behauptet haben, dass die vertretungsberechtigten Organe der Beklagten Kenntnis von der softwarebasierten Abgasregulierung gehabt, dennoch das Inverkehrbringen der jeweiligen Motoren veranlasst und so den objektiven und subjektiven Tatbestand des§ 826 BGB verwirklicht hätten. In Kenntnis vom Einsatz der entsprechenden Software hätten die verfassungsmäßig berufenen Vertreter der Beklagten eine Schädigung der Kunden damit billigend in Kauf genommen. Insbesondere habe die Vorstandsebene der Beklagten von dem Softwareeinsatz Kenntnis gehabt. Der Vorstand der Beklagten wisse oder könne sich zumindest das Wissen darüber verschaffen, wer die Entscheidung getroffen hat, die Software zu entwickeln und einzusetzen. Damit dürfte die notwendige Kenntnis der haftungsbegründenden Umstände beim Vorstand dargelegt sein. Es dürfte der Klägerin nicht abzuverlangen sein, konkret die Kenntnis einzelner Personen zu behaupten – sie liefe damit Gefahr, dass dies als unzulässiger Vortrag ins Blaue hinein gewertet werden könnte, da ihr der Einblick insofern gerade fehlt. In Zusammenschau mit ihrem weiteren Vortrag dürfte die Klägerin damit die den Tatbestand des § 826 BGB ausfüllenden Tatsachen entgegen der landgerichtlichen Bewertung schlüssig vorgetragen haben.

Nach ihrem eigenen Vorbringen wisse die Beklagte nicht, welche/r ihrer Mitarbeiter wann Kenntnis von der Entwicklung und / oder dem Einsatz der Software hatte/n. Sie zieht sich auf den Standpunkt zurück, nach ihrem derzeitigen Kenntnisstand sei von Unkenntnis (der Vorstandsmitglieder) auszugehen, obwohl es sich um Vorgänge handelt, die in ihre eigene Unternehmensverantwortung und Wahrnehmungssphäre fallen. Dies zeigt bereits, dass die Klägerin das ihr Mögliche vorgetragen hat und dieser Vortrag entgegen der Ansicht des Landgerichts nicht als zu pauschal angesehen werden kann. Demgegenüber ist es der Beklagten zumutbar, nähere Angaben zu machen. Ihr Vortrag impliziert, die Entscheidung über die Verwendung der Software sei von Mitarbeitern unterhalb der Vorstandsebene, mithin auf nachgeordneten Arbeitsebenen getroffen worden. Damit macht sie deutlich, diesbezügliche Kenntnisse zu haben, da sie anderenfalls einen entsprechenden Vortrag nicht hätte halten können. Wenn sie aber weiß und auch wissen muss, wer unterhalb der Vorstandsebene wann welche Kenntnis gehabt hat, ist es ihr auch möglich nachzuvollziehen, ob entsprechende Kenntnis an den Vorstand weitergegeben wurde oder nicht. So oder so muss eine entsprechende Entscheidung von jemandem getroffen worden sein. Warum es ihr nicht möglich sein soll, dass in Erfahrung zu bringen und vorzutragen, ist nicht plausibel. Die Beklagte hat allgemein- und gerichtsbekannt eigene Untersuchungen durch eine Anwaltskanzlei veranlasst. Zudem hat sie sich unterschiedlichen staatsanwaltschaftlichen und behördlichen Untersuchungen ausgesetzt gesehen. Obwohl mithin mehrere Erkenntnisquellen zur Verfügung standen, hat sie – trotz des Ablaufs mehrerer Jahre – nichts Konkretes zu den hieraus gewonnenen Erkenntnissen mitgeteilt.

2.
Die nachfolgenden Ausführungen erfolgen sämtlich unter der Prämisse, dass die Beklagte gegenüber der Klägerin den Tatbestand einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung objektiv und subjektiv verwirklicht hat.

In Bezug auf die Rechtsfolge bzw. die Höhe des Anspruchs würde sich dann aufgrund des Berufungsvorbringens der Klägerin die Frage stellen, ob überhaupt und wenn ja in welchem Umfang von dem von der Beklagten geschuldeten Schadensersatzbetrag (Erstattung des an den Händler gezahlten Kaufpreises) ein Abzug wegen gezogener Nutzungen durch die Klägerin zu machen ist.

a.
Die Klägerin beantragt mit ihrer Berufung, die Beklagte zur Erstattung des ursprünglich gezahlten Kaufpreis ohne Abzug irgendeiner Nutzungsentschädigung zu verurteilen, nachdem sie in erster Instanz noch auf Zahlung der Kaufpreissumme unter Abzug einer Nutzungsentschädigung geklagt hatte. Darin dürfte eine nach§ 533 ZPO zulässige Klagerweiterung zu sehen sein.

b.
Rechtsfolge des auf den Ersatz des negativen Interesses gerichteten Anspruchs gemäß § 826 BGB ist hier die Erstattung des gezahlten Kaufpreises Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des erworbenen Fahrzeugs. Der der Klägerin entstandene Schaden in Gestalt der Beeinträchtigung ihrer Dispositionsfreiheit ist dadurch zu beheben, dass der Kaufvertrag “rückabgewickelt“ wird. Dies entspricht dem Grundsatz der Naturalrestitution, § 249 Abs. 1 BGB.

c.
Der Schaden ist nach der Differenzmethode durch einen rechnerischen Vergleich zwischen dem im Zeitpunkt der Schadensberechnung vorhandenen Vermögen des Geschädigten und dem Vermögen, das der Geschädigte ohne das schädigende Verhalten gehabt hätte, zu ermitteln. Bei der Differenzberechnung kommen die allgemeinen Grundsätze der Schadenszurechnung und der Vorteilsausgleichung zur Anwendung. Zu solchen in die Differenzrechnung einzustellenden Vorteilen gehört grundsätzlich auch der Wert der von dem Geschädigten vor der Rückgabe der aufgrund nicht gewollter Verpflichtung erlangten Gegenleistung aus dieser gezogenen Nutzungen (vgl. BGH NJW 2009, 1870 und NJW 2006, 1582).

aa.
Der Senat neigt demgemäß dazu, eine Nutzungsentschädigung im Grundsatz in Abzug zu bringen (so auch u.a. OLG Koblenz, NJW 2019, 2237 Rn. 82 ff.). Indes hält es der Senat, anders als andere Oberlandesgerichte und insbesondere auch das Oberlandesgericht Koblenz in der zitierten Entscheidung, für erwägenswert, ob sich die Klägerin die von ihr gezogenen Nutzungen nur bis zu dem Zeitpunkt anrechnen lassen muss, zu dem sie die Beklagte zur „Rückabwicklung“ des Kaufvertrags aufgefordert und sie damit ggf. auch in Annahmeverzug gesetzt hat (so LG Hamburg, 19.02.2019, 310 O 99/18 – juris, dort Rn. 53 ff.; ebenso LG Nürnberg-Fürth, 16.04.2019, 9 O 8773/18, BeckRS 2019, 7977 Rn. 22; LG Ellwangen, 20.12.2019, 2 O 178/19, BeckRS 2019, 33130 Rn. 46 ff.; noch weitergehend und gar keinen Nutzungsersatz in Abzug bringend LG Augsburg, 14.11.2018, 021 O 4310/16, BeckRS 2018, 33801 Rn. 13). Das ließe sich auf die Billigkeitsgesichtspunkte stützen, die der Vorteilsausgleichung zugrunde liegen.

Die letztlich auf dem Grundsatz von Treu und Glauben gemäß § 242 BGB beruhende Vorteilsausgleichung (dazu BGH, NJW 1984, 2457, 2458) hat nach ständiger Rechtsprechung zwei Voraussetzungen, eine tatsächliche und eine normative: Erstens muss ein adäquater Kausalzusammenhang zwischen dem schädigenden Ereignis und dem dem Geschädigten zugeflossenen Vorteil bestehen. Zweitens muss die Anrechnung dieses Vorteils auf den Schadensersatzanspruch dem Zweck des Schadensersatzes entsprechen, d.h. sie darf insbesondere nicht den Schädiger unbillig entlasten und den Geschädigten nicht unzumutbar belasten (Grüneberg in: Palandt, BGB, 79. Aufl. 2020, Vorb § 249 Rn. 68 m.w.N.). Ob eine Anrechnung dem Zweck des Schadensersatzes entspricht oder nicht, ist eine Wertungsfrage: Nach- und Vorteil müssen bei wertender Betrachtung gleichsam zu einer Rechnungseinheit verbunden sein (Grüneberg, a.a.O. Rn. 70 m.w.N.).

Die erforderliche wertende Betrachtung könnte hier dazu führen, dass die Klägerin sich nur diejenigen Nutzungsvorteile in Abzug bringen lassen muss, die sie genossen hat, während sie das Auto vorbehaltlos genutzt hat. Hingegen könnte eine weitergehende, den Zeitraum nach Äußerung ihres Rückabwicklungsverlangens bis zur tatsächlichen Rückabwicklung (ggf. nach rechtskräftiger Entscheidung erst in einigen Jahren) vorzunehmende Anrechnung von Nutzungsvorteilen – unter der Prämisse, dass die Beklagte die Klägerin vorsätzlich sittenwidrig geschädigt hat – eine unbillige Entlastung der Beklagten darstellen. Das Vorliegen einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung für sich allein gesehen könnte bereits die Frage aufwerfen, ob eine Vorteilsausgleichung überhaupt billig oder nicht im Gegenteil prinzipiell unbillig und daher ausgeschlossen ist (in diese Richtung wohl LG Augsburg, 14.11.2018, 021 O 4310/16BeckRS 2018, 33801 Rn. 13 – dem würde der Senat indes nicht folgen). Nunmehr verweigert sich die Beklagte jedoch außerdem dem berechtigten Anliegen der Klägerin auf „Rückabwicklung“ des Kaufvertrages. Sie zwingt die Klägerin dadurch nicht nur dazu, einen Gerichtsprozess darüber zu führen, sondern (wirtschaftlich) gleichsam dazu, das Fahrzeug weiter zu nutzen. Aufgrund der – von der Beklagten· faktisch erzwungenen – Weiternutzung des Fahrzeugs, welches die Klägerin nicht mehr fahren will bzw. von dessen unter Willensbeeinträchtigung erfolgtem Erwerb sie befreit werden möchte, über die weitere Dauer eines Rechtsstreits und damit ggf. noch über mehrere Jahre könnte der erst im Zeitpunkt der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung festzustellende und in Abzug zu bringende Gebrauchsvorteil der Klägerin sich auf einen Betrag belaufen, der dem gezahlten Kaufpreis (sehr) nahekommt oder diesen sogar erreicht. Die Beklagte wäre also bei entsprechend langer Prozessdauer, auf die sie durchaus Einfluss hat, weitgehend oder gar vollständig der Pflicht zur Erstattung des Kaufpreises enthoben, wenn man durchgängig einen Abzug der Gebrauchsvorteile vornehmen würde. Sie würde dann gegen Zahlung eines noch (sehr) geringen oder gar keines Geldbetrages das Fahrzeug übereignet bekommen. Das wäre ein offensichtlich mit Billigkeitserwägungen nicht zu vereinbarendes Ergebnis, weil es die vorsätzlich sittenwidrig schädigende Beklagte in erheblichem Maße entlasten würde. Ebenso wie in Fällen, in denen Vorteile des Anspruchstellers auf einer Verzögerung der Mängelbeseitigung durch den Anspruchsgegner beruhen (vgl. zum Werkvertragsrecht BGH, NJW 1984, 2457, 2459 unter 3.; OLG Koblenz, NJW-RR 2009, 1318, 1319 unter 4.a)), kommt eine so weitgehende Anrechnung als den Geschädigten unzumutbar belastend und den Schädiger unbillig entlastend hier nicht in Betracht. Der Grundgedanke ist derselbe: Der Anspruchsgegner darf dadurch, dass er dem berechtigten (dort Nachbesserungs-, hier „Rückabwicklungs“ -) Verlangen nicht nachkommt und der Anspruch erst im Rahmen eines gerichtlichen Prozesses durchgesetzt werden kann, keine Besserstellung durch eine Vorteilsausgleichung erfahren. Wenn dies schon für vertragliche, verschuldensunabhängige Gewährleistungsansprüche gilt, muss dieser Gedanke erst Recht Geltung beanspruchen im Falle einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung.

In Anbetracht dessen hält der Senat die Entscheidung des Oberlandesgerichts Koblenz (NJW 2019, 2237 Rn. 86; ebenso OLG Naumburg, 27.09.2019, 7 U 24/19, BeckRS 2019, 24547 Rn. 96 ff. m.w.N. zur Rspr.) insofern für nicht überzeugend. Das Oberlandesgericht Koblenz geht ebenfalls davon aus, dass die Beklagte es in der Hand habe, den Rückabwicklungsanspruch zu ihren eigenen Gunsten zu beeinflussen, indem sie die berechtigten Ansprüche der klagenden Partei nicht befriedigt. Es meint sodann jedoch, diese Argumentation verkenne, dass im Falle der Nichtbefriedigung von Ansprüchen in einem Rechtsstaat zeitnah der Rechtsweg beschritten werden könne und zu beschreiten sei, wovon die klagende Partei auch Gebrauch gemacht habe. Es sei daher legitim, wenn eine Partei das Bestehen von Ansprüchen verneine und sich in einem Prozess entsprechend verteidige. Es könne nicht die Aufgabe des Schadensersatzrechts sein, ein legitimes Verhalten zu sanktionieren. Im Übrigen habe es die klagende Partei selbst in der Hand, das Fahrzeug durch Stilllegung einem weiteren Anstieg des Nutzungsvorteils zu entziehen und etwaige daraus resultierende Folgen im Wege des Verzugsschadens geltend zu machen.

Nach Dafürhalten des erkennenden Senats kommt darin nicht hinreichend zum Ausdruck, dass es hier nicht um die Sanktionierung eines Prozessverhaltens geht, sondern um eine auf materiell-rechtlicher Ebene zu treffende Billigkeitsentscheidung bzw. insbesondere die Vermeidung einer unbilligen Entlastung des Schädigers. Das Oberlandesgericht Koblenz setzt sich mit der oben genannten Rechtsprechung zur Verzögerung der Mängelbeseitigung im Werkvertragsrecht (BGH, NJW 1984, 2457, 2459; OLG Koblenz, NJW-RR 2009, 1318, 1319 unter 4.a)) nicht auseinander, wobei die zweitgenannte Entscheidung nicht nur von demselben Gericht, sondern ausweislich des Aktenzeichens auch von demselben Senat stammt. Es ist zwar im Grundsatz zutreffend, dass streitige Ansprüche durch Beschreiten des Rechtsweges durchzusetzen sind und die Verneinung von Ansprüchen im Prozess legitim ist. Die beiden genannten Entscheidungen zeigen aber, dass zumindest auf der Wertungsebene im Rahmen der Frage nach einer Vorteilsausgleichung auch dieses an sich legitime Verhalten des Schädigers zu berücksichtigen ist.

Die klagende Partei darauf zu verweisen, das in Streit stehende Auto stillzulegen (und sich aus eigenen Mitteln ein Ersatzfahrzeug anzuschaffen), um keinen Nutzungsersatz leisten zu müssen, erscheint dem erkennenden Senat als der Klägerin unzumutbar und überdies für alle Beteiligten (prozess-) unökonomisch. Da die Anrechnung des Vorteils nach dem oben Gesagten für den Geschädigten zumutbar sein muss, kann mit dieser Argumentation ein Nichtabzug von Nutzungen nach Dafürhalten des Senats nicht begründet werden. Nicht nur würde damit eine erhebliche wirtschaftliche Belastung der Klägerin einhergehen, sondern es würde zudem neuer Streitstoff geschaffen, der sodann ggf. wiederum unter Zuhilfenahme von Rechtsanwälten und Gerichten zu hohen Kosten einer Klärung zugeführt werden müsste. Überdies würde damit die Verantwortung für das Nichtentstehen weiterer abzugsfähiger Nutzungsvorteile von der vorsätzlich sittenwidrig schädigenden Beklagten, die dem berechtigten Anliegen der Klägerin nur hätte entsprechen müssen, auf die redliche und von der Beklagten in rechtlich zu missbilligender Weise getäuschte Klägerin verlagert. Auch das erscheint dem Senat als mit dem hier anzulegenden Maßstab der Billigkeit nicht vereinbar.

Der Senat meint auch, dass das von anderen Land- und Oberlandesgerichten herangezogene Argument einer drohenden, dem deutschen Schadensersatzrecht jedoch fremden Überkompensation des Geschädigten (s. dazu OLG Naumburg, 27.09.2019, 7 U 24/19, BeckRS 2019, 24547 Rn. 96 ff. m.w.N.) für sich allein der Nichtberücksichtigung der nach erfolgloser Aufforderung zur „Rückabwicklung“ des Kaufvertrags noch gefahrenen Kilometer nicht entgegensteht (ebenso Bruns, NJW 2019, 801, 804 f.). Denn nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung reicht eine bloße Überkompensation des Geschädigten im Sinne eines kausal-adäquaten Vorteils nicht aus, um zu einer Vorteilsausgleichung zu gelangen. Vielmehr muss – bei wertender Betrachtung – noch etwas hinzukommen. Der Bundesgerichtshof führt dazu aus (BGH NJW 2007, 3130, 3132 Rn. 20):

„Die im Bereich des Schadensersatzrechts entwickelten Grundsätze der Vorteilsausgleichung beruhen auf dem Gedanken, dass dem Geschädigten – jedenfalls in gewissem Umfang – diejenigen Vorteile zuzurechnen sind, die ihm in adäquatem Zusammenhang mit dem Schadensereignis zufließen. Angesichts der dem Gesetz zu Grunde liegenden Differenzhypothese ist jeweils klärungsbedürftig, ob die dem Geschädigten zufließenden Vorteile auf den Schadensersatzanspruch anzurechnen sind, sie also den Schädiger entlasten. Es soll damit ein gerechter Ausgleich zwischen den bei einem Schadensfall widerstreitenden Interessen herbeigeführt werden. Dazu reicht nicht aus, dass der aus dem schädigenden Ereignis herrührende Vorteil – wie hier unzweifelhaft ist und wie das BerGer. richtig angenommen hat – durch dieses adäquat-kausal verursacht worden ist. Zu der Adäquanz des Vorteils muss hinzutreten, dass die Anrechnung dem Zweck der Ersatzpflicht entspricht. Insbesondere ist eine unbillige Entlastung des Schädigers zu vermeiden. Vor- und Nachteile müssen bei wertender Betrachtungsweise gleichsam zu einer Rechnungseinheit verbunden sein.“

In einer weiteren Entscheidung (BGH NJW 1984, 2457, 2458) hat der Bundesgerichtshof ausgeführt:

„Es soll ein gerechter Ausgleich zwischen den bei einem Schadensfall widerstreitenden Interessen herbeigeführt werden. Der Geschädigte darf nicht besser gestellt werden, als er ohne das schädigende Ereignis stünde; das wäre ein unbilliges Ergebnis. Andererseits sind nicht alle durch das Schadensereignis bedingten Vorteile auf den Schadensersatzanspruch anzurechnen, sondern nur solche, deren Anrechnung mit dem jeweiligen Zweck des Ersatzanspruchs übereinstimmt, d. h. dem Geschädigten zumutbar ist und den Schädiger nicht unangemessen entlastet.“

Der Grundsatz der Vorteilsausgleichung bedeutet demnach nicht, dass schematisch jegliche Überkompensation zu vermeiden ist – dementsprechend heißt es, dass dem Geschädigten die Vorteile nur ,jedenfalls in gewissem Umfang“ bzw. dass „nicht alle Vorteile“ anzurechnen sind. Vielmehr muss die Anrechnung auch dem Zweck der Ersatzpflicht entsprechen und darf insbesondere keine unbillige Entlastung des Schädigers bedeuten. Sie muss zudem dem Geschädigten zumutbar sein; letztlich muss ein gerechter Interessenausgleich herbeigeführt werden.

Dementsprechend hat das Oberlandesgericht Saarbrücken (NJW-RR 1987, 470, 471 unter 11.), dem hiesigen Fall in gewissem Sinne vergleichbar, eine Anrechnung der gezogenen Wohnnutzung in einem Fall verneint, in dem die geschädigte Klägerin tatsächlich das von der Beklagten schuldhaft mangelhaft errichtete Gebäude bewohnt hat, obwohl dieses wegen einer von den eingebauten Materialien ausgehenden ständigen und penetranten Geruchsbelästigung an sich nicht bewohnbar war. Hier wie dort findet eine tatsächliche Nutzung durch den Geschädigten statt; welche an die Stelle der ansonsten notwendigen Nutzung einer anderen Sache (eines anderen Wohnraums bzw. eines anderen Fahrzeugs) tritt und damit einen Vorteil des Geschädigten bedeutet, der kausal auf die schädigende Handlung zurückgeht. Dennoch reicht dies allein nicht aus, um zu einer Anrechnung der Nutzungsvorteile zu gelangen, wenn die Nutzung ungewollt bzw. aufgedrängt geschieht.

Der Zweck der hier berührten Vorschriften über die unerlaubten Handlungen ist neben dem Schutz des einzelnen vor Eingriffen in seinen Rechtskreis auch in der Prävention im Sinne der Steuerung sozialen Verhaltens zu sehen (Sprau in: Palandt, BGB, 79. Aufl. 2020, Einf v § 823 Rn. 1 ). Zwar ist es deswegen noch nicht geboten, die Vorteilsausgleichung bei deliktischem Handeln grundsätzlich auszuschließen. Wenn aber, wie bereits in zahlreichen instanzgerichtlichen und auch einigen obergerichtlichen Entscheidungen festgestellt, davon auszugehen wäre, dass die Beklagte als Automobil- und Motorenhersteller den Tatbestand des § 826 BGB aus bloßem Gewinnstreben verwirklicht und dabei zahlreiche Käufer getäuscht, Wettbewerber benachteiligt und die Umwelt geschädigt und damit Gesundheitsgefahren für die Allgemeinheit geschaffen hat (s. dazu die Nachweise bei Bruns, NJW 2019, 801,804 Fn. 51-53), wird mit der Anrechnung von Vorteilen der Zweck der Vorschriften jedenfalls dann verfehlt, wenn die aufgedrängte Weiternutzung des Fahrzeugs den (weitgehenden oder gar kompletten) Wegfall des Schadensersatzanspruchs insgesamt zur Folge hätte. Darin läge kein gerechter Ausgleich der widerstreitenden Interessen. Es wird teilweise sogar als paradoxes Ergebnis bezeichnet, wenn ein gemäß § 826 BGB haftender Auto- bzw. Motorenhersteller, der vorsätzlich gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstoßen hat, nach jahrelangem Prozess aus Billigkeitsgründen von seiner Schadensersatzzahlung im Wege der Vorteilsanrechnung (vollständig) frei würde (Bruns, NJW .2019, 801, 804). Unbillig erscheint es jedenfalls, die dem geschädigten Käufer eines Diesel-Pkw nach dessen Schadensersatzverlangen und Angebot der Übereignung des Fahrzeugs Zug um Zug gleichsam aufgedrängten Nutzungen anzurechnen (so auch Bruns, a.a.O.). Darin läge eine nicht zu rechtfertigende Bevorzugung der Interessen des Schädigers, der nicht nur vorsätzlich sittenwidrig gehandelt hat, sondern sich nun zudem dem berechtigten Anspruch des Geschädigten widersetzt, gegenüber denen des redlichen Autokäufers. Ein gerechter Interessenausgleich, der nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung Ziel und Zweck der Vorteilsausgleichung ist, kann darin nicht gesehen werden. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass es hier nicht um die Gegenüberstellung rein monetärer Interessen geht, sondern dass der von der Klägerin geltend gemachte und gemäß § 826 BGB tatbestandsmäßige Schaden in der Beeinträchtigung ihrer Dispositionsfreiheit liegt, welche aufgrund der faktisch erzwungenen Weiternutzung des Fahrzeugs weiterhin besteht und verstetigt wird.

Andererseits könnte ein vollständiger Ausschluss des Abzugs von Gebrauchsvorteilen wiederum eine unbillige Entlastung der geschädigten Klägerin bedeuten, die über einen gewissen Zeitraum unbeanstandet mit dem Fahrzeug gefahren ist bzw. von der Beeinträchtigung ihrer Dispositionsfreiheit durch das rechtswidrige Handeln der Beklagten schlicht keine Kenntnis hatte. Es könnte daher am ehesten dem die Vorteilsausgleichung tragenden Grundsatz der Billigkeit entsprechen, als entscheidende Zäsur für das Ende der anzurechnenden Nutzungsentschädigung auf das gegenüber der Beklagten formulierte Begehren auf Rückabwicklung des Vertrages abzustellen. Denn damit hat die Klägerin deutlich gemacht, dass sie sich in ihrer Dispositionsfreiheit beeinträchtigt sieht und von den Folgen dieser Schädigung · befreit werden möchte. Gleichzeitig hat sie damit der Beklagten die Möglichkeit gegeben, auf ihr Begehren einzugehen und damit einer weiteren Nutzung des Fahrzeugs durch die Klägerin, also weiteren Gebrauchsvorteilen ihrerseits, die Grundlage zu entziehen. Die Beklagte hat sich trotz entsprechenden bestehenden Anspruchs (der hier nach. wie vor im Sinne der eingangs dargelegten Prämisse unterstellt wird) dagegen entschieden, so dass auch unter diesem Gesichtspunkt ein weiterer Abzug von Nutzungsvorteilen zu Lasten der Klägerin unbillig erschiene.

bb.
Soweit teilweise prinzipielle Einwände gegen die Berücksichtigung der Nutzung des Fahrzeugs als Abzugsposition im Rahmen der deliktischen Haftung vorgebracht werden (s. z.B. Heese, NJW 2019, 257, 261; Harke, VuR 2017, 83, 90 f.) und diese bislang von der Rechtsprechung als nicht überzeugend angesehen wurden (vgl. nur OLG Karlsruhe, Urteil vom 06.11.2019, 13 U 37/19, BeckRS 2019, 27008 Rn. 107 ff.), dürfte es darauf nicht ankommen. Die hier angedachte Lösung bedeutet gerade keinen prinzipiellen Ausschluss des Abzugs von Nutzungsersatz bzw. einer Vorteilsausgleichung.

3.
Im Falle einer streitigen Entscheidung wäre nach derzeitigem Stand der Rechtsprechung in jedem Fall die Revision zuzulassen, weil in Bezug auf die Verantwortlichkeit der Beklagten gemäß § 826 BGB unterschiedliche instanz- und obergerichtliche Entscheidungen vorliegen, aber noch keine höchstrichterliche Klärung erfolgt ist. Entsprechendes gilt für die unterschiedlichen Sichtweisen zum Abzug eines Nutzungsersatzes.

Die Parteien mögen daher erwägen, zur Vermeidung weiteren Zeit- und Kostenaufwands den Rechtsstreit gütlich beizulegen. Dazu wäre zu berücksichtigen, dass sich die Klägerin nach Dafürhalten des Senats zwar eine Nutzungsentschädigung anrechnen lassen muss, dies aber nur bis zum Zeitpunkt der Aufforderung an die Beklagte zur “Rückabwicklung” des Kaufvertrages am 09.04.2018 (Anlage K3) bzw. der ablehnenden Reaktion der Beklagten darauf am 12.04.2018 (Anlage K4).

Es ist nicht vorgetragen, welchen Kilometerstand das streitgegenständliche Fahrzeug in diesem Zeitpunkt aufwies. Das Gericht könnte den Nutzungsersatz jedoch als zwischen den Parteien streitiges, zu ersetzendes Interesse gemäߧ 287 Abs. 1 ZPO unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung schätzen. Dafür könnte von folgenden Eckdaten ausgegangen werden: Die Klägerin erhielt das streitgegenständliche Fahrzeug am 29.04.2015 (Anlage K1) als Neuwagen, also mit einer Laufleistung von null Kilometern. Im Zeitpunkt der Klageerhebung am 30.05.2018, also drei Jahre und einen Monat später, soll sich der Kilometerstand auf ca. 45.554 belaufen haben (Seite 20 der Klageschrift, Bl. 20 d.A.). Die durchschnittliche monatliche Laufleistung betrüge somit 1.231 Kilometer (45.554 km / 37 Monate), so dass für den 09. bzw. 12.04.2018 von einer Laufleistung von ca. 43.491 Kilometern auszugehen wäre (1.231 km x 35,33 Monate). Für diese zurückgelegte Fahrtstrecke wären der Klägerin Gebrauchsvorteile anzurechnen.

Die Berechnung des Nutzungsvorteils würde erfolgen, indem der Bruttokaufpreis in Höhe von 22.697,00 € mit den von der Klägerin gefahrenen Kilometern multipliziert und das Produkt durch die zu erwartende Gesamtlaufleistung des Fahrzeugs dividiert wird. Die zu erwartende Gesamtlaufleistung könnte gemäß § 287 Abs. 1 ZPO auf 250.000 bis 300.000 Kilometer zu schätzen sein. Legt man hier für den Vergleichsschluss 275.000 Kilometer zugrunde, ergäben sich gezogene Nutzungen im Wert von 3.589,51 €, so dass ein zu zahlender Betrag auf die Hauptforderung i.H.v. 19.107,49 € verbliebe.

4.
Der Senat bittet die Parteien um Stellungnahme binnen 4 Wochen, ob eine gütliche Lösung auf dieser (oder anderer) Grundlage in Betracht kommt.

Falls das Verfahren streitig fortgeführt werden sollte, werden die Parteien noch Gelegenheit erhalten, zu den obigen Hinweisen inhaltlich Stellung zu nehmen. Daher möge derzeit insofern von Ausführungen abgesehen werden, zumal bis zum Zeitpunkt einer hier anzuberaumenden mündlichen Verhandlung möglicherweise jedenfalls einige hier entscheidungserheblichen Rechtsfragen höchstrichterlich geklärt sein könnten.