In letzter Zeit häufen sich die Beschlüsse des OLG Karlsruhe zu Fragen der Einsicht in (nicht bei der Akte befindliche) Messunterlagen. Hier setzt sich das OLG mit den Rügeanforderungen im Rechtsbeschwerdeverfahren auseinander, wenn die Nichtüberlassung der Unterlagen als Beschränkung der Verteidigung bzw. Verletzung rechtlichen Gehörs beanstandet wird. Unter anderem müssen die im Vorfeld der Hauptverhandlung erfolgten Bemühungen der Einsichtnahme konkret dargestellt werden, insbesondere zum Verlauf des Verfahrens über einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung. Auch muss sich ergeben, dass in der Hauptverhandlung ein Aussetzungsantrag gestellt und wie über ihn befunden wurde.

OLG Karlsruhe, Beschluss vom 17.09.2019 – 3 Rb 5 Ss 597/19

Der Antrag des Betroffenen, die Rechtsbeschwerde gegen das Urteil des Amtsgerichts Konstanz vom 9. April 2019 zuzulassen, wird gemäß Antrag der Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe als unbegründet verworfen (§ 80 Abs. 4 OWiG).

Der Betroffene trägt die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens (§ 473 Abs. 1 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG).

Der Senat merkt ergänzend Folgendes an:

1. Soweit dem Betroffenen nach seiner Behauptung nicht in der Akte befindliche, aber möglicherweise vorhandene Unterlagen über etwaig am verwendeten Messgerät vorgenommene Wartungen, Reparaturen oder sonstige Eingriffe- (zur Geltung des § 31 Abs. 2 Nr. 4 MessEG auch für geeichte Messgeräte vgl. OLG Celle, NStZ-RR 2018, 59; Hollinger/Schade, MessEG/MessEV, 1. Aufl., Rdn. 11 ff. zu § 31 MessEG)- nicht zu eigener Überprüfung zu Verfügung gestellt worden seien, steht damit eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör nicht im Raum. Das Bundesverfassungsgericht hat dazu im Beschluss vom 12.1.1983 (BVerfGE 63, 45, bei juris Rdn. 47) ausgeführt: “Art. 103 Abs. 1 GG will verhindern, dass das Gericht ihm bekannte, dem Beschuldigten aber verschlossene Sachverhalte zu dessen Nachteil verwertet. Sein Schutzbereich ist hingegen nicht mehr berührt, wenn die wesensverschiedene andere Frage zu beantworten ist, ob das Gericht sich und den Prozessbeteiligten Kenntnis von Sachverhalten, die es selbst nicht kennt, weil sie ihm nicht unterbreitet wurden, erst zu verschaffen habe; denn es ist nicht Sinn und Zweck grundgesetzlicher Gewährleistung rechtlichen Gehörs vor Gericht, dem Beschuldigten Zugang zu dem Gericht nicht bekannten Tatsachen zu erzwingen. Auch wenn man unterstellt, dass der Anspruch des Beschuldigten auf rechtliches Gehör ihm – unter welchen Voraussetzungen und in welchen Grenzen auch immer – Recht auf Kenntnis von Akteninhalten einräumt, ist dieses Recht daher jedenfalls beschränkt auf die dem Gericht tatsächlich vorliegenden Akten.” (vgl. OLG Karlsruhe Beschluss v. 8.5.2019- 2 Rb 7 Ss 202/19 -, juris; KG Berlin, StraFo 2018, 383).

Soweit die Ablehnung des Antrags auf Beiziehung der o.g. Unterlagen – falls solche existieren – eine unzulässige Beschränkung der Verteidigung und damit einen Verstoß gegen den Anspruch auf ein faires Verfahren darstellen kann (vgl. SaarlVerfGH, NZV 2018, 275; OLG Karlsruhe, a.a.O. , m.w.N.; Beschluss v. 19.7.2019-1 Rb 10 Ss 291/19-, juris), kann dahinstehen, ob dies mit Blick auf § 80 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 OWiG grundsätzlich die Zulassung der Rechtsbeschwerde zu rechtfertigen vermöchte (ablehnend: OLG Hamm, Beschluss v. 3.1.2019 – III-4 RBs 377/18; KG Berlin, Beschluss v. 2.4.2019-3 Ws (B) 97/19-122 Ss 43/19 -. juris), denn jedenfalls genügt der Beschwerdevortrag hierzu nicht den sich aus § 80 Abs. 3 OWiG, § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO ergebenden Anforderungen. Die Rechtsmittelbegründung teilt zu den erforderlichen konkreten Bemühungen um Herausgabe etwaig vorhandener Unterlagen im Vorfeld der Hauptverhandlung, insbesondere zu dem genauen Verlauf und Inhalt des Verfahrens nach § 62 OWiG (vgl. OLG Celle, a.a.O.; KG Berlin ZfSch 2017, 529) sowie zur Behandlung des in der Hauptverhandlung gestellten Aussetzungsantrags nichts mit (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss v. 19.7.2019, a.a.O.; Cierniak/Niehaus, DAR 2014, 2; 2018, 541, 543 m.w.N.).

2. Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör des Betroffenen durch willkürliche Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht ergibt sich auch nicht aus der Ablehnung seines Antrags auf Einholung eines Sachverständigengutachtens. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass der hier erfolgten Geschwindigkeitsmessung ein Szenario zugrunde lag, welches bei der Prüfung und Zulassung des verwendeten Messgeräts PoliScan Speed (vgl. zur Einordnung als standardisiertes Messverfahren zuletzt: OLG Brandenburg, B. v. 27.8.2019 – 1 Ss (OWi) 170-19 -, juris) durch die Physikalisch-Technische Bundesanstalt nicht oder nicht ausreichend miterfasst wurde oder dass ein Anwendungsfehler möglicherweise ergebnisrelevanter Art im hier zu entscheidenden Einzelfall vorlag (vgl. BGHSt 39, 291; OLG Karlsruhe, Beschluss v. 17.7.2015-2 (7) SsBs 212/15- juris; vgl. zu Einzelmessungen außerhalb des Messbereichs: OLG Karlsruhe, ZfSch 2018, 708; OLG Koblenz, B. v. 18.4.2017- 1 OWi 4 SsBs 27/17-, juris, OLG Braunschweig, B. v. 14.6.2017- 1 Ss (OWi) 115/17 -, juris) sind nicht aufgezeigt. Die behaupteten Beweistatsachen zielten letztlich auf Beweisermittlungen, denn jenseits allgemeiner Zweifel wurden Anhaltspunkte für ein tatsächliches Wirksamwerden der geltend gemachten, angeblich theoretisch möglichen Fehlerquellen nicht dargetan. Nach dem Beschwerdevortrag ergab die Plausibilitätsprüfung des geeichten Messwertes durch den Betroffenen anhand der ihm offensichtlich zur Verfügung gestellten Messdatendatei vielmehr exakt die laut den Urteilsfeststellungen gemessene Geschwindigkeit von 105 km/h, von der – über den hier vorgenommenen Abzug der Verkehrsfehlergrenze von 3% bei Geschwindigkeiten von mehr als 100 km/h hinaus – grundsätzlich keine weiteren Abzüge vorzunehmen sind (vgl. OLG Karlsruhe, ZfSch 2017, 652).

Vielen Dank an Herrn Rechtsanwalt Frank Schneider, Bad Harzburg, für die Zusendung dieser Entscheidung.