Um (Akten-)Einsichtsfragen und Messdaten war es in letzter Zeit eher ruhig. Ein aktueller Beschluss des OLG Karlsruhe könnte die Diskussion aber wieder “anheizen”, wenn es dort heißt, die Nichtbeiziehung von Messunterlagen könne zwar nicht gegen das Gebot rechtlichen Gehörs verstoßen, der VerfGH des Saarlandes habe aber “zutreffend” einen Verstoß gegen den Anspruch auf ein faires Verfahren angenommen. Dass das vom OLG Karlsruhe im vergangenen Jahr angenommene Einsichtsrecht in Gebrauchsanweisungen auf Messdaten zu übertragen sei, hatte bereits das LG Baden-Baden “vorausgesagt”.

Jedenfalls handelt es sich wohl um die erste obergerichtliche Entscheidung, die der Ansicht des VerfGH – welcher sich am Donnerstag übrigens erneut mit den Verteidigungs- bzw. Betroffenenrechten im Bußgeldverfahren in mündlicher Verhandlung und dabei insbesondere der Löschung von Rohmessdaten durch die Software verschiedener Messgeräte beschäftigen wird – zu folgen scheint. Bislang wurde dies von Oberlandesgerichten entweder offen gelassen (OLG Hamm, OLG Düsseldorf) oder – wie vom OLG Bamberg, OLG Oldenburg und jüngst dem BayObLG – an der eigenen, abweichenden Auffassung festgehalten. Tragend war die Rechtsauffassung des OLG Karlsruhe allerdings nicht, da die Verfahrensrüge nicht ausreichend begründet gewesen sei. Damit konnte das OLG auch offen lassen, ob bei einer Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren analog § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG eine Rechtsbeschwerde zuzulassen ist.

OLG Karlsruhe, Beschluss vom 03.04.2019 – 2 Rb 8 Ss 194/19

1. Der Antrag des Betroffenen auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Begründung des Antrags auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gegen das Urteil des Amtsgerichts Titisee-Neustadt vom 5.9.2017 wird zurückgewiesen.

2. Der Beschluss des Amtsgerichts Titisee-Neustadt vom 7.2.2018 wird aufgehoben.

3. Der Antrag des Betroffenen, gegen das Urteil des Amtsgerichts Titisee-Neustadt vom 5.9.2017 die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wird als unbegründet verworfen.

4. Der Betroffene hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

I.

Mit dem angefochtenen Urteil vom 5.9.2017 verurteilte das Amtsgericht Titisee-Neustadt den Betroffenen wegen fahrlässiger Geschwindigkeitsüberschreitung zu der Geldbuße von 70 EUR. Das in Abwesenheit des Betroffenen, der von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen entbunden war, und des Verteidigers verkündete Urteil wurde am 12.9.2017 zugestellt. Am 13.9.2017 wurde mit Schriftsatz des Verteidigers die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Hauptverhandlung (durch den Verteidiger) beantragt und hilfsweise Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gestellt. Die am 12.10.2017 eingekommene Antragsbegründung gelangte zunächst nicht zu den Akten, weshalb das Amtsgericht mit Beschluss vom 7.2.2018 den Zulassungsantrag als unzulässig verwarf. Nachdem der Verwerfungsbeschluss dem Verteidiger jedenfalls am 23.2.2018 zugegangen war, wurde mit Verteidigerschriftsatz am 1.3.2018 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Antragsbegründung unter Nachholung derselben sowie die Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts beantragt. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Hauptverhandlung wurde inzwischen rechtskräftig zurückgewiesen.

II.

Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Begründung des Antrags auf Zulassung der Rechtsbeschwerde ist unzulässig, weil – wie die Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe in ihrer Antragsschrift zutreffend ausgeführt hat – keine Säumnis vorliegt. Deshalb ist auch der den Zulassungsantrag als unzulässig verwerfende Beschluss des Amtsgerichts vom 7.2.2018 aufzuheben.

III.

Der Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde ist unbegründet.

Im angefochtenen Urteil ist lediglich eine Geldbuße von nicht mehr als 100 EUR festgesetzt worden. Nach § 80 Abs. 1 und 2 Nr. 1 OWiG darf daher die Rechtsbeschwerde nur zugelassen werden, wenn es geboten ist, die Nachprüfung des angefochtenen Urteils zur Fortbildung des materiellen Rechts zu ermöglichen oder das Urteil wegen Versagung des rechtlichen Gehörs aufzuheben. Ein solcher Fall liegt hier nicht vor.

Zur Begründung nimmt der Senat auf die zutreffenden Ausführungen der Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe in ihrer Antragsschrift vom 13.03.2019 Bezug.

Zur Rüge der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör bemerkt der Senat ergänzend:

1. Soweit Verteidigungsvorbringen deshalb unberücksichtigt geblieben ist, weil es in der Hauptverhandlung deshalb nicht vorgebracht wurde, weil ihr der Verteidiger fernblieb, nachdem die Abladung des Betroffenen nach der Entbindung von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen in der Kanzlei des Verteidigers fälschlich als Terminsaufhebung notiert worden war, beruht dies – wie in der Antragsschrift der Generalstaatsanwaltschaft zutreffend näher ausgeführt ist – nicht auf einem Verhalten des Gerichts und kann schon deshalb keinen Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör begründen.

2. Ohne dass es danach noch für die Entscheidung darauf ankommt, schließt sich der Senat im Übrigen der in der Antragsschrift der Generalstaatsanwaltschaft ausgeführten Auffassung an, dass die unterbliebene Beiziehung von Messunterlagen keinen Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör begründen kann. Der gegenteiligen Auffassung im Beschluss des Verfassungsgerichtshofs des Saarlandes vom 27.4.2018 (NZV 2018, 275; ebenso OLG Celle DAR 2012, 216 und Beschluss vom 16.6.2016 – 1 Ss (OWi) 96/16, juris; OLG Oldenburg DAR 2015, 406) kann insoweit nicht gefolgt werden (ebenso KG DAR 2017, 593, ZfS 2018, 472; Cierniak/Niehaus DAR 2014, 2; 2018, 541). Zur Reichweite des Anspruchs auf rechtliches Gehör ist dazu im Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 12.1.1983 (BVerfGE 63, 45, bei juris Rn. 47) zutreffend ausgeführt: „Art. 103 Abs. 1 GG will verhindern, dass das Gericht ihm bekannte, dem Beschuldigten aber verschlossene Sachverhalte zu dessen Nachteil verwertet. Sein Schutzbereich ist hingegen nicht mehr berührt, wenn die wesensverschieden andere Frage zu beantworten ist, ob das Gericht sich und den Prozessbeteiligten Kenntnis von Sachverhalten, die es selbst nicht kennt, weil sie ihm nicht unterbreitet wurden, erst zu verschaffen habe; denn es ist nicht Sinn und Zweck grundgesetzlicher Gewährleistung rechtlichen Gehörs vor Gericht, dem Beschuldigten Zugang zu dem Gericht nicht bekannten Tatsachen zu erzwingen. Auch wenn man unterstellt, dass der Anspruch des Beschuldigten auf rechtliches Gehör ihm – unter welchen Voraussetzungen und in welchen Grenzen auch immer – ein Recht auf Kenntnis von Akteninhalten einräumt, ist dieses Recht daher jedenfalls beschränkt auf die dem Gericht tatsächlich vorliegenden Akten.“

3. Soweit die Versagung in die Einsicht von Messunterlagen eine unzulässige Beschränkung der Verteidigung und damit einen Verstoß gegen den Anspruch auf ein faires Verfahren darstellen kann (insoweit zutreffend SaarlVerfGH a.a.O., ebenso OLG Naumburg DAR 2013, 37; OLG Brandenburg StraFo 2017, 31; OLG Jena NJW 2016, 1457; KG a.a.O.; Cierniak ZfS 2012, 664 und DAR 2014, 2; a.A. OLG Bamberg DAR 2016, 337; 2018, 573; OLG Oldenburg ZfS 2017, 469 und Beschluss vom 23.7.2018 – 2 Ss (OWi) 197/18, juris), kann vorliegend dahinstehen, ob dies mit der Antragsbegründung gerügt wurde und ob dies über den Wortlaut des § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG hinaus die Zulassung der Rechtsbeschwerde zu rechtfertigen vermag (dazu Cierniak/Niehaus DAR 2018, 541, 543; Seitz/Bauer in Göhler, OWiG, 17. Aufl., § 80 Rn. 16e m.w.N.). Denn der Vortrag genügt hierzu nicht den sich aus §§ 79 Abs. 3 Satz 1, 80 Abs. 3 Satz 3 OWiG, 344 Abs. 2 Satz 2 StPO ergebenden Anforderungen. Im Hinblick auf § 338 Nr. 8 StPO bedarf es dazu des – hier fehlenden – Vortrags, dass die Beschränkung durch einen Beschluss des Gerichts erfolgt ist (dazu Cierniak/Niehaus DAR 2018, 541, 543 m.w.N.).

Der Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde wird daher nach § 80 Abs. 4 Sätze 1 und 3 OWiG verworfen. Damit gilt die Rechtsbeschwerde als zurückgenommen (§ 80 Abs. 3 Satz 2 i. V. m. Abs. 4 Satz 4 OWiG).

IV.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO i. V. m. § 46 Abs. 1 OWiG.