Das AG verurteilte den Betroffenen wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung und wies den Widerspruch der Verteidigung, dass in unzulässiger Weise eine Privatfirma (Jenoptik) in die Auswertung der Messungen involviert worden sei, zurück, da dem Gericht durch zahlreiche andere Verfahren bekannt sei, dass das Privatunternehmen keine Auswertung von Messungen vornehme. Das OLG Jena hebt auf: Die Verfolgung von Ordnugnswidrigkeiten sei eine typische Hoheitsaufgabe; eine eigenverantwortliche Wahrnehmung durch Privatpersonen sei ausgeschlossen. Der Verwaltungsbehörde sei nur eine technische Hilfe durch Private möglich, wenn sie Herrin des Verfahrens bleibt. Bei dem Wissen des Gerichts um die Umstände der Auswertung handele es sich um eine gerichtskundige Tatsache. Dazu müsse das Gericht prüfbare Ausführungen zu seiner Sachkunde, wonach Private keine Auswertung vorgenommen haben, liefern.

OLG Jena, Beschluss vom 04.07.2019 – 1 OLG 145 SsBs 89/17 (2)

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Erfurt vom 06.04.2017 mit den Feststellungen aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an das Amtsgericht Erfurt zurück verwiesen.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht Erfurt verurteilte den Betroffenen am 06.04.2017 wegen fahrlässigen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften um 43 km/h – gemessen mit dem mobilen Laser-Geschwindigkeitsmessgeräts Jenoptik Robot Traffistar S 350 – zu einer Geldbuße in Höhe von 620 €. Ein Fahrverbot – das mit Bußgeldbescheid vom 31.11.2016 noch angeordnet worden war – wurde nicht mehr verhängt.

Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Betroffenen vom 07.04.2017, die – nach Zustellung des Urteils an den Betroffenen am 10.05.2017 – mit Verteidigerschriftsatz vom 08.06.2017 näher begründet wurde.

Die Thüringer Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Stellungnahme vom 28.11.2018 beantragt, die Rechtsbeschwerde als offensichtlich unbegründet zu verwerfen.

Der Betroffene ist dem mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 06.12.2018 entgegengetreten.

II.

Die statthafte (§ 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 OWiG) und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde des Betroffenen hat in der Sache (vorläufig) Erfolg.

Die Rechtsbeschwerde greift mit der Verfahrensrüge durch, soweit mit ihr geltend gemacht wird, das Amtsgericht habe unter Verstoß gegen §§ 261 StPO, 46 Abs. 1 OWiG eigenes Wissen verwertet.

Die Verfolgung und Ahndung von Ordnungswidrigkeiten nach § 47 Abs. 1 OWiG gehört als typische Hoheitsaufgabe zum Kernbereich staatlicher Hoheitsausübung, für die im Fall von Verkehrsordnungswidrigkeiten gemäß § 26 Abs. 1 StVG Behörden oder Polizeidienststellen zuständig sind. Rechtsgrundlage für Maßnahmen der Verkehrsüberwachung durch allgemeine Ordnungsbehörden – wie hier die Landeshauptstadt Erfurt – ist § 2 Abs. 2 der Thüringer Verordnung über Zuständigkeiten für die Verfolgung und Ahndung von Verkehrsordnungswidrigkeiten vom 21.04.1998 (GVBl. 1998, 149, zuletzt geändert durch Art. 5 des Gesetzes vom 25.10.2011-GVBl. 2011 , 268). Eine eigenverantwortliche Wahrnehmung dieser Aufgaben durch Privatpersonen ist danach ausgeschlossen. Das schließt allerdings grundsätzlich nicht aus, dass – anders als die Verteidigung meint – die Verwaltungsbehörde sich technischer Hilfe durch Privatpersonen bedient, solange sie Herrin des Verfahrens bleibt (OLG Frankfurt, Beschluss vom 26.04.2017 -2 Ss-OWi 295/17-, juris, Rn. 12, m.w.N.). Die technische Hilfe von Privatpersonen bei Ermittlungshandlungen muss einen sachlichen Grund haben, darf nicht missbräuchlich sein und vor allem nicht in Bereiche eingreifen, die ausschließlich dem Hoheitsträger vorbehalten sind (OLG Frankfurt, ebenda).

Hinsichtlich der seitens der Verteidigung beanstandeten Beteiligung einer Privatfirma und der daraus aus ihrer Sicht folgenden Unverwertbarkeit der Messdaten führt das Amtsgericht aus:

“Entgegen der Auffassung des Verteidigers sind die Messdaten auch verwertbar. Es ist unzutreffend, dass Private die Auswertung der Messdaten vornehmen. Vielmehr ist durch zahlreiche andere Verfahren, welche dieses Messgerät zum Gegenstand haben, gerichtsbekannt, dass die Firma Jenoptik an der Auswertung der Messdaten nicht vornimmt [sic] und dass die Bußgeldbehörde weiterhin vollständig Herren [sic] des Verfahrens bleibt.”

Gerichtskundige Tatsachen dürfen zwar grundsätzlich verwertet werden (Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 62. Aufl. 2019, § 261 Rn. 24), ohne dass es diesbezüglicher Erörterungen in der Hauptverhandlung oder einem Ablehnungsbeschluss bedarf. Im Urteil sind Ausführungen hierzu jedoch notwendig, wenn es sich um Fachwissen handelt, das in der Regel nicht Allgemeingut aller Richter ist (Senatsbeschluss vom 03.11.2004- 1 Ss 204/04-, Rn. 9, juris, m.w.N.). Um derartiges Allgemeingut handelt es sich bei dem Agieren der Landeshauptstadt Erfurt als Bußgeldbehörde bei der Verwendung des mobilen Laser-Geschwindigkeitsmessgeräts Jenoptik Robot Traffistar S 350 und der Auswertung der mit diesem durchgeführten Messungen indes nicht. Gleichwohl fehlen in dem angefochtenen Urteil prüfbare Ausführungen zur Sachkunde des Gerichts. Der Bezug auf “zahlreiche andere Verfahren, welche dieses Messgerät zum Gegenstand haben”, genügt insoweit nicht. Allein der Umstand, dass das hier gegenständliche Messgerät Gegenstand zahlreicher Verfahren ist, erklärt nicht die Sachkunde des Gerichts, wonach Private die Auswertung der Messdaten nicht vorgenommen haben und die Bußgeldbehörde weiterhin vollständig Herrin des Verfahrens geblieben ist. Diese Darlegungen ermöglichen es dem Rechtsbeschwerdegericht nicht, zu beurteilen, ob sich das Amtsgericht die notwendige Sachkunde zu Recht zugetraut hat.

Das Urteil war mithin aufzuheben und die Sache zu neuer Prüfung und Entscheidung an das Amtsgericht zurückzuverweisen.

Vielen Dank an Herrn Rechtsanwalt Dirk Rahe, Sozietät Dr. Zwanziger & Collegen, Gera / Hermsdorf, für die Zusendung dieser Entscheidung.